Will ich so sein? Oder anders?

Weniger schüchtern, zielstrebiger: Die meisten Menschen wünschen sich kleine Korrekturen an ihrer Persönlichkeit. Kann man das trainieren?

Der Kopf eines Menschen ist halb durchsichtig, und das Gehirn darin besteht aus Pflanzen.
Die eigene Persönlichkeit zu verändern, scheint kein leichtes Unterfangen. © Simón Prades

Wir lieben Geschichten, in denen Menschen sich grundlegend ändern. Jedes Jahr zu Weihnachten lesen viele eine Erzählung, die Charles Dickens 1843 veröffentlichte, oder sehen sich eine der zahlreichen Verfilmungen an. Die Weihnachtsgeschichte handelt von Ebenezer Scrooge, einem herzlosen Geizkragen. Der Geschäftsmann macht sich über die Armen lustig und lässt seinen Büroangestellten frieren, weil Kohlen schließlich Geld kosten.

Doch in der Weihnachtsnacht erscheinen ihm vier Geister. Sie zeigen ihm sein…

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zeigen ihm sein kaltes bisheriges Leben, seine mitleidlose Gegenwart und schließlich seinen von niemandem bedauerten Tod. Der geschockt zitternde Scrooge schwört: „Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich ehedem war. Ich will ein anderer Mensch werden.“

Und tatsächlich: Er spendet großzügig für die Armen, versöhnt sich mit seinem Neffen und lässt seinem Angestellten zu Weihnachten einen riesigen Truthahn in die ärmliche Behausung schicken. Er erhöht sein jämmerliches Gehalt und rettet mit seinem Geld den kränklichen Sohn des Büroangestellten vor dem Tod. Nun ist Scrooge fähig, fröhlich durch die weihnachtliche Stadt zu gehen, Kindern auf die Wange zu klopfen, mit Bettlern zu reden, „und er fand, dass ihm alles das Vergnügen bereiten könne“.

Der Psychologieprofessor Nathan Hudson von der Southern Methodist University im texanischen Dallas zitiert die Geschichte oft und fragt: „Können echte Menschen tatsächlich Grundzüge ihrer Persönlichkeit ändern, einfach weil sie glauben, dass das eine gute Sache wäre?“

Wünsche nach Selbstveränderung

Sein Kollege Mathias Allemand von der Universität Zürich ist davon überzeugt. Um es zu beweisen, startete er eine große Studie mit über 1500 Freiwilligen. Sie alle sollten eine Persönlichkeitseigenschaft auswählen, die sie bei sich ändern wollten. Zur Auswahl standen die fünf Persönlichkeitszüge, die sich in vielen Untersuchungen als zentral herauskristallisiert haben, die Big Five.

Etwa ein Viertel wollte weniger neurotisch werden, also weniger zu Ängsten und Sorgen neigen und nicht so viel grübeln. Ein weiteres Viertel wollte gewissenhafter sein, mithin die eigenen Aufgaben sorgfältiger erledigen sowie pünktlicher und verlässlicher sein. Und ein drittes Viertel wollte extravertierter werden, also geselliger sein und sich in Gesellschaft leichter tun. Der Rest verfolgte individuellere Ziele.

Einige wollten weniger gewissenhaft, also lockerer werden, andere offener für neue Erfahrungen, wieder andere weniger offen, also bodenständiger. Ein interessanter Kontrast ergab sich auch bei der Verträglichkeit. Verträgliche Menschen sind nett zu anderen und hilfsbereit, was aber ab einem bestimmten Punkt auf ihre Kosten gehen kann. Vier Prozent wollten verträglicher werden, drei Prozent weniger verträglich.

Persönlichkeit prägt Beruf und Lebensweg

Solche Wünsche nach Selbstveränderung sind keineswegs Luxusambitionen. Die Persönlichkeit prägt den Lebensweg erheblich. Neurotische Menschen mit all ihren Klagen werden beispielsweise öfter geschieden, verträgliche und gewissenhafte seltener.

Die Persönlichkeit bestimmt auch den beruflichen Werdegang mit. Deshalb sagen schon die Testergebnisse von Jugendlichen ein Stück weit vorher, wie weit sie es im Beruf bringen und wie zufrieden sie bei der Arbeit sein werden. Das zeigte Timothy Judge, heute an der Ohio State University, schon 1999 anhand der Daten einer Studie, für die Menschen von der Jugend bis zur Rente begleitet wurden.

Gewissenhafte Menschen leben länger, vermutlich weil sie stärker als andere einen gesunden Lebenswandel durchhalten. Auch Extravertierte entgehen öfter einem frühen Tod, wohl weil sie mehr Kontakte haben, was der Gesundheit zugutekommt.

Ab 30 Charakter nur mit Anstrengung veränderbar

Es ist also nicht ganz unberechtigt, seine Persönlichkeit verändern zu wollen. Aber geht das überhaupt? Lange hatten die meisten Psychologinnen und Psychologen diesem Unterfangen keine großen Chancen eingeräumt. Gerne zitierten sie den Psychologiepionier William James, der 1890 schrieb: „Wenn wir erst einmal dreißig sind, ist der Charakter bei den meisten von uns wie Gips erstarrt und wird nie wieder weich werden.“

Paul Costa, einer der führenden Big-Five-Experten, merkte dazu einmal an: „Das heißt nicht: erstarrt wie Beton; Gips ist verformbar.“ Also: „Wenn Sie jetzt als Dreißigjähriger wütend, reizbar, grantig sind, dann werden Sie das auch bleiben. Es sei denn, Sie unternehmen konzentrierte Anstrengungen, sich zu ändern, und suchen Hilfe, um zu lernen, wie Sie Ihre Wut kontrollieren und Ihre Stimmung steuern können.“

Schon im Kindesalter zeichnet sich die Persönlichkeit ab. Für eine Studie beurteilten Lehrkräfte und die Mitschüler und -schülerinnen in zwölf finnischen Klassen knapp 200 Achtjährige anhand von Fragen wie: „Wer ist friedlich und geduldig?“ „Wer verhält sich auch in stressigen Situationen vernünftig?“ „Wer verletzt in Wut möglicherweise ein anderes Kind?“

Jahrzehnte später, als die damals Beurteilten Mitte dreißig waren, wertete ein Team um Brett Laursen von der Florida Atlantic University ihren Werdegang aus und testete ihre Persönlichkeit. Die ursprünglich als verträglich Beschriebenen hatten später bessere Noten bekommen, waren weniger mit Verhaltensproblemen aufgefallen und hatten sich seltener zu unfreundlichen Erwachsenen entwickelt.

Die wundersame Wandlung des Filmstars

Lassen sie ihrem Leben freien Lauf, dann ändern sich Menschen eher wenig, wie erst im vergangenen Jahr wieder eine Auswertung von 16 Langzeitstudien zeigte. Zwar werden die meisten von uns mit den Jahren etwas introvertierter, und vor allem im Alter lassen die Gewissenhaftigkeit und die Offenheit für Neues nach. Der Neurotizismus nimmt dagegen zu, wohl wegen zunehmender Ängste um die eigene Gesundheit. Bei der Verträglichkeit tut sich wenig.

Der psychologischen Forschung zum Trotz verkünden nicht zuletzt viele Prominente in der Klatschpresse, dank glücklicher Entwicklungen bessere Menschen geworden zu sein. Die Schauspielerin Demi Moore bedankte sich dafür bei ihrem Gatten Ashton Kutcher, sechs Jahre später trennten sich die beiden. Gerade dank ihrer vier Scheidungen habe sie sich weiterentwickelt – so war wiederum über Moores Kollegin Jane Seymour zu lesen.

Andere Filmstars wie Reese Witherspoon, Hugh Grant und Brad Pitt machten die Erfahrungen mit ihren Kindern für ihre Wandlung zum Guten verantwortlich. Für Mark Wahlberg (erst krimineller Jugendlicher, dann Sänger, dann Schauspieler) war es der christliche Glaube, für Tony Leung die Kampfkunst des Kung-Fu nebst zugehöriger Philosophie und für Mel Gibson schlicht das ­Alter.

Mit virtuellem Coaching zur Veränderung?

Doch tatsächlich entfalten Lebensereignisse nur einen bescheidenen Einfluss auf unseren Charakter. Der Eintritt ins Berufsleben mit seinen neuen Pflichten steigert Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Offenheit. Die erste Liebe macht ebenfalls verträglicher und dazu extravertierter. Nach der Eheschließung geht es laut einer Studie an der University of Georgia freilich wieder in die andere Richtung: Die Männer werden weniger extravertiert, die Frauen weniger offen und neurotischer. All diese Veränderungen sind aber nur klein. Selbst einige Zeit in der Arbeitslosigkeit blieb in den meisten, wenn auch nicht allen Studien ohne großen Einfluss auf die Persönlichkeit.

Den eigenen Charakter zu verbessern scheint also kein einfaches Unterfangen. Mathias Allemand und sein Team haben in ihrer schon erwähnten Studie dennoch einen Versuch unternommen. Die mehr als 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten für ihr Smartphone eine App mit dem Namen PEACH (PErsönlichkeitscoACH). Sie sollte ihnen dabei helfen, sich in ihre selbstgewählte Zielrichtung zu verändern. Viele gaben den Versuch schnell wieder auf, doch ein Drittel arbeitete ein Vierteljahr lang fleißig an der eigenen Persönlichkeit.

Dabei half ihnen ein sogenannter Chatbot, wörtlich übersetzt also ein Plauderroboter. Die Dialoge mit ihm lesen sich wie ein Austausch von SMS oder WhatsApp-Nachrichten. Der Chatbot erkundigt sich beispielsweise am Morgen nach dem Befinden und die Teilnehmenden können zwischen drei Antworten wählen, etwa: „Ich bin ein bisschen müde, aber eigentlich gehts.“ Vor allem aber stellt der virtuelle Coach Übungsaufgaben. Sie richten sich nach der individuell angestrebten Veränderung.

Wie lange grüßt das Murmeltier?

Die Studentin Sibill beispielsweise zählte zu den eher seltenen Fällen, die weniger verträglich werden wollten. Sie fand sich öfter einfach zu nett. Das zeigte sich beispielsweise, wenn in der Bar, in der sie nebenbei arbeitete, mal wieder jemand kurzfristig für eine ausgefallene Kraft einspringen sollte. Sie sagte „dann schnell mal einfach ja“, obwohl das für sie großen Stress bedeutete.

Jede Woche erhielt sie nun vom Digitalcoach eine Aufgabe, um zu üben, sich besser durchzusetzen. Eine lautete: Wenn sich in einer Schlange mal wieder jemand vor dich drängelt, protestiere! Solche Wenn-dann-Aufgaben funktionieren besser als allgemeine gute Vorsätze, das hat die psychologische Forschung gezeigt. Das heißt nicht, dass es so gleich auf Anhieb klappt. Sibill merkte das beim nächsten Anstehen. „Bevor ich überhaupt realisiert hatte, dass das jetzt passiert ist, ist natürlich irgendwer vorne reingedrängelt, und ich habe nichts gesagt.“ Aber dank der vielen Übungen konnte sie bald Erfolge verzeichnen. Langsam ging es voran.

Ein „Coaching“ der Persönlichkeit: Erst in den letzten Jahren weckten kleine Studien mit menschlichen Coaches die Hoffnung, dass das gehen könnte. Dabei fühlten sich die Klientinnen und Klienten offenbar keineswegs zu einem gekünstelten Rollenspiel animiert. Einige hatten sogar den Eindruck, dass sie durch das Coaching zu ihrer wahren Persönlichkeit gefunden hätten: „Es war fast so, als ob es mich zu der Person zurückgebracht hätte, die ich vor zehn Jahren war, aber mit mehr Reife“, urteilte eine Klientin in einer Studie eines Teams um Peter Caputi von der australischen University of Wollongong.

Diskrepanz zwischen momentaner und erstrebter Persönlichkeit

Die Coaches nutzten eine Reihe von Techniken, etwa aus der Verhaltenstherapie, der positiven Psychologie und der Akzeptanz- und Commitmenttherapie. Die Teilnehmenden beleuchteten ihr momentanes Selbst und reflektierten, wie ihr ideales Selbst aussehen würde. Sie überlegten aber auch gemeinsam, welche Schwächen sie akzeptieren wollten.

Das Persönlichkeitstraining per App, das Mathias Allemand und sein Züricher Team in ihrer Studie erprobten, orientierte sich an solchen Coachings – aber vielleicht mehr noch an den Prinzipien, die erfolgreichen Psychotherapien zugrunde liegen. Wie in einer Psychotherapie ging es beispielsweise darum, den Teilnehmenden die Diskrepanz zwischen ihrer augenblicklichen und ihrer erstrebten Persönlichkeit bewusstzumachen, etwa durch kleine Schreibübungen. Bei der Teilnehmerin Sibill führte das dazu, „dass ich reflektiert hab, aktiv überlegt hab: Wie bin ich eigentlich?“. Und sie fragte sich: „Will ich so sein oder wo will ich denn sein?…Wo kann ich ansetzen?“

Ebenfalls bei der Psychotherapie abgeschaut war das Prinzip der Ressourcenaktivierung: Welche Stärken der Teilnehmenden ließen sich nutzen? Gab es beispielsweise Freundinnen oder Verwandte, die dabei helfen konnten, sich zu verändern?

Erste positive Befunde

Doch wie viel Zeit braucht eine solche Selbstveränderung? In der Filmkomödie Und täglich grüßt das Murmeltier wacht der von Bill Murray gespielte menschenfeindliche TV-Wetteransager jeden Morgen am selben Tag wieder auf, weil er in eine Zeitschleife geraten ist. Er erhält damit die Chance, so lange an sich zu arbeiten, bis er sich nicht mehr berechnend verhält. Der Film lässt offen, wie viele Murmeltiertage der Zyniker braucht, um ein besserer Mensch zu werden. „Hundert Jahre, ein Leben lang“, sinnierte einmal Danny Rubin, einer der beiden Drehbuchautoren.

In der Schweizer Studie hatten die Teilnehmenden drei Monate. Allerdings sollten sie auch nicht grundlegend anders werden. Sie wollten ja nur eine der Big Five ändern. Und das gelang ihnen. Die Veränderungen waren etwa so groß wie die Besserung des Depressionswertes nach einer typischen Depressionstherapie. Freunde und Verwandte, die ebenfalls befragt wurden, bestätigten die Fortschritte, wenn auch nicht in vollem Umfang.

Sibill lernte tatsächlich, weniger verträglich und nicht immer nur für andere da zu sein. Sie hatte befürchtet, dass ihre Umgebung sie wegen ihres selbstbewussteren Auftretens nun weniger mögen würde. Doch sie stellte fest, dass „kompromissloser sein gar nicht so negativ ist, dass teilweise meine Mitmenschen fast schon froh sind, wenn ich diese Dinge sage, anstatt einfach mitzumachen“.

Etliche Medienberichte über die Studie standen unter Überschriften wie „Das Smartphone verändert die Persönlichkeit“. Das ist in den Augen von Studienautor Allemand genau die falsche Botschaft: „Nicht die App verändert einen, sondern man verändert sich selbst.“ Natürlich könne es passieren, dass längere Zeit nach dem Einsatz der App wieder alles beim Alten ist. Das muss aber nicht so sein, glaubt Allemand. Insbesondere wenn die Mitmenschen positiv auf die neuen Züge reagierten, könnte dies bestätigend wirken und die Veränderungen festigen.

Benjamin Franklins sittliche Vervollkommnung

Wie der Staatsmann und Erfinder sich 12 Tugenden anzutrainieren versuchte

Benjamin Franklin war einer der Gründerväter der USA, Diplomat, Postmeister, politischer Philosoph, Universalgelehrter. Er leitete eine Tageszeitung, stieß die Gründung einer Universität und einer Bibliothek an. Außerdem kämpfte er als ehemaliger Sklavenhalter gegen die Sklaverei. Als Erfinder erdachte er nicht nur den Blitzableiter, sondern auch die Bifokalbrille für alle, die auf kurze wie auf weite Entfernung schlecht sehen konnten. Und er war ein frommer Mann, auch wenn er etliche Dogmen seiner Kirche „unverständlich und andere zweifelhaft“ fand. Doch an ihren Werten hielt er fest.

So fasste er mit 20 Jahren „den kühnen und ernsten Vorsatz, nach sittlicher Vervollkommnung zu streben“, wie er sich mit 79 in seiner Autobiografie erinnerte. Er erstellte eine Liste mit zunächst zwölf Tugenden, die er im Zuge der Perfektionierung seiner Persönlichkeit zu den seinen machen wollte. Auf der Liste fanden sich unter anderem Mäßigkeit („Iss nicht bis zum Stumpfsinn, trink nicht bis zur Berauschung!“), Ordnung („Lass jedes Ding seine Stelle und jeden Teil deines Geschäftes seine Zeit haben!“), Aufrichtigkeit („Bediene dich keiner schädlichen Täuschung; denke unschuldig und gerecht, und wenn du sprichst, so sprich danach!“) und Gemütsruhe („Beunruhige dich nicht über Kleinigkeiten oder über gewöhnliche oder unvermeidliche Unglücksfälle!“).

Letzteres ähnelt dem modernen Konzept der emotionalen Stabilität, und auch einige andere seiner Tugenden erinnern an die Persönlichkeitseigenschaften auf der Liste der Big Five. Franklins Methode, das Projekt anzugehen, dürfte wiederum heutigen Psychotherapeutinnen aus der Schule der Verhaltenstherapie gefallen.

Wie Franklin die Sache einschätzte, würde er nur durcheinandergeraten, wenn er sich alle schlechten Gewohnheiten gleichzeitig vornehmen würde. So beschloss er, sein Augenmerk immer nur auf eine von ihnen zu richten „und dann erst, wenn ich mich zum Herrn derselben gemacht, zu einer andern fortzuschreiten“. In der ersten Woche etwa war sein ganzes Trachten darauf gerichtet, „jeden auch noch so geringen Verstoß gegen die Mäßigkeit zu vermeiden, die anderen Tugenden ihrem gewöhnlichen Schicksal zu überlassen“.

Er machte sich ein kleines Buch, in dem er für jede Tugend eine Seite vorsah. Auf ihr legte er mit roter Tinte und einem Lineal für jeden Wochentag eine Spalte an, in die er einen schwarzen Punkt bei jeder Verfehlung gegen die Tugend eintrug.

Außerdem hatte er tabellarische Tagespläne. Auf dem für die Ordnung etwa stand für fünf bis neun Uhr: „Stehe auf, wasche mich, bete zum Allmächtigen.“ Nach der Erfüllung weiterer Tagesaufgaben folgte gegen neun das Frühstück, bevor es mit Arbeit weiterging. Mittags: lesen, Geschäftsbücher durchsehen, speisen. Abends: aufräumen, essen, Musik, Zerstreuung oder Konversation. Und schließlich: „Prüfe den verlebten Tag. Gutes getan?“ Ab ein Uhr: schlafen.

„Überrascht stellte ich fest, dass ich mehr als gedacht voller Fehler war, aber ich hatte die Befriedigung, sie abnehmen zu sehen.“ Auch wenn er es nicht zur Perfektion brachte, „so war ich doch durch mein Streben ein besserer und glücklicherer Mensch, als ich sonst und ohne derartigen Versuch gewesen wäre“.

Am schwersten tat er sich mit der Bescheidenheit. Die Überwindung seines großen Stolzes entpuppte sich als Paradoxon, „denn sogar wenn ich annehmen könnte, ich hätte ihn vollständig überwunden, würde ich wahrscheinlich auf eben diese meine Demut stolz sein“.

Benjamin Franklin: Autobiographie. C.H. Beck, München 2016

„Beunruhige dich nicht über Kleinigkeiten“: Benjamin Franklin (1706–1790) entwarf für sich selbst ein Programm zur Charakterstärkung.

Literatur

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Benjamin Franklin: Autobiographie. C.H.Beck, München 2016

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2021: Gelassen durch ungewisse Zeiten