Du bist so anstrengend!

Ungefähr 20 Personen aus unserem direkten sozialen Netzwerk gehen uns regelmäßig auf die Nerven. Was steckt dahinter und wie kann es besser werden?

Das Foto zeigt vier Personen, die genervt voneinander sind
Warum verstehen wir uns mit manchen Menschen besser und mit anderen schlechter? © people zweiger.ch/Alamy

Manche sagen, dass es schon immer kompliziert war zwischen Ingrid und Monika. Die beiden wohnten als Kinder in derselben Straße und in der Schule saßen sie nebeneinander seit der ersten Klasse. Alle paar Wochen hatten sie Streit auf dem Pausenhof. Meistens am Montag, wenn beide ohnehin schlechte Laune hatten. Danach herrschte Funkstille bis Donnerstag. Dann kamen Ingrid und Monika wieder quasselnd ins Klassenzimmer, als wäre nichts gewesen. Heute sind die beiden Mitte 60 und im Grunde läuft es noch immer…

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Mitte 60 und im Grunde läuft es noch immer wie damals. Niemand – wirklich niemand – hat noch Lust, sich die wechselseitigen Klagen der beiden anzuhören.

Ingrid und Monika heißen im echten Leben anders. Dies gilt für alle Alltagsfälle, die in diesem Artikel auftauchen. Ingrid und Monika haben das, was man eine schwierige Beziehung nennt. Solche Verbindungen begegnen uns überall, wo Menschen wichtig für uns sind, wo wir regelmäßig Zeit mit ihnen verbringen: in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis, bei der Arbeit, in der Nachbarschaft. Es gibt sie in unendlich vielen Varianten und Formen: Jede unglückliche Beziehung ist unglücklich auf ihre eigene Weise – wie schon Leo Tolstoi in Anna Karenina  über Familien schrieb. Und dennoch lassen sich drei grobe Formen dieses Unglücks unterscheiden. Wenn wir das Gefühl haben, konfrontiert zu sein mit einer anstrengenden Freundin oder Kollegin, einem komplizierten Familienmitglied oder einem gerade wieder einmal unerträglichen Partner – dann hilft zumeist ein Blick auf folgende drei „Shades of Schwierig“.

Möglichkeit Nummer 1: Die Voldemort-Variante

Dies ist meist die erste Erklärung, die uns einfällt, wenn wir eine Beziehung als belastend erleben. Wir glauben: Mit dem oder der anderen kann etwas nicht in Ordnung sein – kein normaler Mensch würde uns so schlimm behandeln und uns so schlechte Gefühle bereiten! Es muss sich um eine Art Erzbösewicht handeln – eine Figur wie Voldemort in den Harry Potter-Büchern. Solche schwierigen Menschen gibt es tatsächlich. Die Sache ist in der Regel aber komplizierter, als wir glauben. Denn schwierig sind wir alle. Es läuft wie mit unserer Körpergröße: Wir finden in der Bevölkerung ein paar sehr kleine Menschen, ein paar sehr große – und extrem viele irgendwo in der Mitte. Riesen sind selten. Dies gilt in Bezug auf den Zollstock wie in der Skala mit der Aufschrift „schwieriger Mensch“.

Daniela ist sich jedoch sicher, dass ihr Chef genau zu dieser seltenen Sorte gehört. Er zerreißt die Entwürfe der Mitarbeitenden mit einer Miene der Verachtung in der Morgenkonferenz, und jeden Mittwoch kommt es beim großen Meeting zu einer wirklich apokalyptischen Demütigung. „Die Show bleibt Woche für Woche gleich. Aber man weiß nie, wen es diesmal trifft“, sagt Daniela. In ihrer Abteilung riecht es überall nach Angst. Warum sie nicht einfach kündigt? „Der Chef hat gesagt, dass ich befördert werde, wenn ich bis Weihnachten Vollgas gebe.“ Also macht Daniela Überstunden, statt sich einen neuen Job zu suchen. Sie nimmt es in Kauf, dass sie schlecht schläft und ihre Hände zittern, sobald sie ihr Büro betritt. „Mein Chef ist einer der schrecklichsten Menschen, die ich kenne – aber bis zum Jahresende halte ich noch durch“, sagt sie. Nach der Beförderung, so glaubt sie, wird bestimmt alles besser.

Wie könnte Daniela herausfinden, ob sie übertreibt mit ihrer Angst vor dem Chef? Ist er einfach nur ein bisschen ruppig – oder gehört er wirklich zur Kategorie Voldemort? Sie könnte ihre Kolleginnen und Kollegen befragen, insbesondere ehe­malige Weggefährten, die den Chef schon kannten, als er noch Kollege war und kein Vorgesetzter. Diese Methode könnte ihr helfen, eine breitere Perspektive auf ihre schwierige Beziehung zu gewinnen.

Was sollte Daniela tun, wenn alle Befragten den Chef als eine Art Voldemort empfinden? Der Organisationspsychologe Robert Sutton von der Stanford University hat genau zu solchen Extremfällen ein ebenso fundiertes wie amüsantes Buch verfasst. Es trägt den saftigen Titel Überleben unter Arschlöchern. Seine wichtigste Botschaft für Daniela: Sie sollte die Beine in die Hand nehmen und kündigen. Besser heute als morgen. Von Voldemorts hält man sich möglichst fern – und beendet die Beziehung.

Möglichkeit Nummer 2: Das Kain-und-Abel-Szenario

Diese Form der schwierigen Beziehung ist im wirklichen Leben weit häufiger als die Voldemort-Variante. Hier rührt unser Problem daher, dass wir uns mit einer Person um eine knappe Ressource balgen. Die Bibel erzählt dazu die uralte Geschichte von Kain und Abel. Beide Brüder bringen darin Gott ein Opfer, doch nur das Opfer von Abel wird erhört. Darauf erschlägt der enttäuschte Kain seinen Bruder.

Natürlich treiben uns schwierige Beziehungen nur selten zu Straftaten. Doch das Urmotiv hinter unseren Konflikten ist oft dasselbe: Wir konkurrieren heimlich mit jemandem, der uns nahesteht. Und manchmal übermannt uns dabei das Gefühl, zu kurz zu kommen und nicht zu kriegen, was wir brauchen.

So geht es auch Ingrid und Monika aus dem Eingangsbeispiel. Ingrid ist eindeutig die Kreativere der beiden. Ihre Kuchen sind immer lecker und originell. Mit Mitte 40 hat sie eine Fortbildung zur Yogalehrerin gemacht. Drei Jahre später hat auch Monika erste Yogakurse an der Volkshochschule angeboten. Und bei Geburtstagsfeiern taucht sie regelmäßig mit Kuchen auf, deren Rezepte sie von Ingrid abgekupfert hat. Ingrid behandelt ihre alte Freundin deshalb immer ein bisschen von oben herab. Sie ist genervt, dass Monika ihr alles nachmacht. Zugleich braucht sie aber auch das Gefühl, irgendwie besser zu sein als ihre alte Freundin. Monika wiederum ist gekränkt, dass Ingrid sie nicht als gleichwertig akzeptiert.

Solche Konflikte erinnern Außenstehende oft an einen Streit aus dem Kinderzimmer. Dass dies kein Zufall ist, zeigt eine Studie von Amy Rauer von der University of Tennessee und Brenda Volling von der University of Michigan. Per Fragebogen durchleuchteten sie das Beziehungsleben junger Erwachsener – und verglichen die Daten dann mit deren Kindheitserfahrungen. Dabei zeigte sich: Wir führen als Erwachsene entspanntere und selbstbewusstere Beziehungen, wenn wir als Kind von unseren Eltern so behandelt wurden wie unsere Geschwister. Wer als Kind dagegen spürbar bevorzugt oder benachteiligt worden war, entwickelte zunächst eine ausgeprägte Geschwister-Eifersucht – und dachte später im Leben tendenziell negativ über sich und seine Mitmenschen. Das Ergebnis sind Beziehungen wie jene zwischen Ingrid und Monika: Beide haben das Gefühl, im Leben nicht richtig satt zu werden. Sie verachten den anderen – und ein bisschen auch sich selbst.

Wie erkennen wir, ob es sich bei einer schwierigen Beziehung um einen Kain-und-Abel-Konflikt handelt? Wir sollten uns zum Beispiel fragen: Was nimmt die andere Person mir weg? Was bleibt mir durch diese Beziehung vorenthalten? Worin konkurriere ich mit ihr? Eine ehrliche Antwort kann wie ein Augenöffner wirken.

Wie wir solche Rivalitäten dann entschärfen, zeigt ein Vorschlag von David Hibbard und Gail Walton von der California State University. Wir könnten uns überlegen, welches Spiel wir eigentlich mit der anderen Person spielen: Geht es darum, besser zu sein als die oder der andere? Sie oder ihn zu übertreffen? Oder eher darum, selbst zu wachsen – und dabei auch die andere Person wachsen zu lassen? Hibbard und Walton erzählen dazu die Geschichte von zwei Jugendlichen, die beide Gitarre spielen. Anfangs will jeder der Bessere sein, was die Freundschaft schwer belastet. Mit der Zeit aber kommen die Jungs zu einer Arbeitsteilung. Der eine spielt den Rhythmus, der andere die Melodie. So wird aus Konkurrenz eine Form der Kooperation: Beide wachsen und damit die gemeinsame Freundschaft.

Auch eine Form der Metakommunikation hilft. Es geht dabei um die Art, wie wir miteinander reden. Aus der Geschwisterforschung weiß man: Im Erwachsenenalter profitieren Brüder und Schwestern davon, offen miteinander über ihre alte Rivalität oder Eifersucht zu sprechen. Der Blick auf die Kindheit kann sich weiten. Wir haben es selbst in der Hand, eine schwierige Kain-und-Abel-Beziehung zu heilen.

Möglichkeit Nummer 3: Die Tragödie der kleinen Meerjungfrau

Die dritte Art der schwierigen Beziehung findet ihren Stachel darin, dass der andere Mensch und wir nicht recht zueinander passen. Wie in Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau. Die Nixe verliebt sich in einen menschlichen Prinzen. Aber die beiden stammen eben aus unterschiedlichen Welten. So geht die Sache letztlich schief, die Liebe bleibt unerfüllt und die Meerjungfrau endet als Schaum, der auf den Wellen tanzt.

Natürlich enden die meisten schwierigen Beziehungen weniger tragisch. Und dennoch haben sie ein Motiv mit Andersens Märchen gemeinsam: Unsere Beziehungen sind kompliziert, weil unsere Persönlichkeiten zu verschieden sind, weil unsere Werte sich unterscheiden – oder unsere Freundeskreise.

Letzteres ist das Problem bei Markus und Jan. Die beiden spielen Tennis in derselben Mannschaft. Nach dem Training gehen sie fast immer noch auf ein Bier ins Sportlerheim. Für Markus kommen die Tenniskameraden gleich nach seiner Familie. Für ihn ist Jan sein bester Freund. Jan dagegen hat neben den Sportkameraden noch sehr viele andere Freunde und Bekannte – er lebt in einer dicht vernetzten Nachbarschaft, geht regelmäßig Wandern mit Kolleginnen und Kollegen und ist engagiert beim Roten Kreuz. Fachleute sprechen bei Fällen wie Markus und Jan von einer asymmetrischen Beziehung. Die sozialen Netzwerke der beiden haben eine sehr unterschiedliche Struktur.

Intuitiv erwarten wir, dass uns Freundinnen und Freunde auf Augenhöhe begegnen. Dass sie all das auch für uns tun würden, was wir für sie tun. Tatsächlich ist das aber nur in etwa der Hälfte aller Beziehungen der Fall, wie Experten vom renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) herausgefunden haben. Mehr noch: Wir sind im Alltag ausgesprochen schlecht darin, solche Ungleichheiten zu erkennen. Vermutlich ist es einfach zu schmerzhaft für unser Selbstbild, wenn wir zugeben müssen, dass die anderen weniger an uns hängen als wir an ihnen. Genau so geht es Markus. Für ihn ist die Freundschaft belastend. Und Jan hat davon keine Ahnung.

Andere Beziehungen leiden daran, dass die Werte der Beteiligten aus unterschiedlichen Welten stammen. Der israelische Psychologe Shalom Schwartz – ein Gigant in der Werteforschung – hat gezeigt, dass wir Menschen uns von nur zehn grundsätzlichen Werten leiten lassen. Was uns voneinander unterscheidet, ist die persönliche Gewichtung dieser Werte. Manche Menschen fühlen sich motiviert durch Ehrgeiz und den Hunger nach Macht: Sie wollen im Leben Großes vollbringen. Andere haben die gesamte Menschheit im Blick. Ihnen ist es wichtig, dass es gerecht zugeht in der Welt. Enge Beziehungen zwischen solchen Extremen werden immer zu Spannungen führen. Sie sind kaum miteinander kompatibel. Im Alltag sind die Konflikte meist banaler. Dabei geht es etwa um Pünktlichkeit. Bei manchen Menschen ist das Einhalten von Traditionen und Prinzipien der wichtigste Wert überhaupt. Andere streben nach individueller Freiheit und Unabhängigkeit. In dieser Beziehung wird der eine häufig ärgerlich warten – der andere sich zugleich eingeengt und gegängelt fühlen. Auch in solchen Meerjungfraufällen kann eine Metakommunikation helfen. Wir führen uns vor Augen, dass wir unterschiedlich sind – und kommen dadurch vielleicht zu einer gütigeren Akzeptanz des Gegenübers. Das Anderssein richtet sich nicht gegen uns. Wir können es im Idealfall lächelnd akzeptieren.

Die eigenen Gedanken überprüfen

Eine verwandte Möglichkeit, schwierige Beziehungen zu heilen, liegt in einer Intervention aus der kognitiven Verhaltenstherapie. Wir überprüfen dabei unsere eigenen Gedanken. Denn es ist selten die Situation selbst, die uns stresst – sondern eher das, was wir über die Situation denken.

Meist ertappen wir uns in belastenden Situationen bei inneren „Sollte“-Sätzen. Die oder der andere sollte pünktlich erscheinen. Oder nicht so egoistisch sein.

Diese Sätze können wir überprüfen. Würden Außenstehende die Sache genauso sehen? Was würde ich verlieren, wenn ich meinen Gedanken anders formulieren würde? Folgende spielerische Übung kann zu einem Aha-Effekt der Selbsterkenntnis führen: Wir drehen den verurteilenden Gedanken um und beziehen ihn auf uns selbst. Aus „Sie sollte pünktlich sein“ wird dann: „Ich darf auch mal unpünktlich sein.“ Aus „Er sollte nicht so egoistisch sein“ wird der Satz: „Manchmal darf ich auch etwas für mich einfordern.“ Oftmals können wir nach so einer Übung großzügiger mit der oder dem anderen umgehen – und auch mit uns selbst. Die schwierige Beziehung wird dabei zu einer Quelle der Selbsterkenntnis.

Wo lauern die schwierigen Beziehungen?

Die Soziologen Shira Offer und Claude Fischer haben an rund 1100 Teilnehmenden untersucht, wen wir eigentlich als anstrengend oder schwierig empfinden. Das Ergebnis: Ungefähr 15 Prozent der Menschen in unserem Umfeld fallen in diese Kategorie. Die Zahl lag viel höher, als die beiden vermutet hatten. Wir umgeben uns im Durchschnitt mit einem sozialen Netzwerk aus 150 Menschen. Glaubt man den Zahlen Offers und Fischers, dann gehen uns rund 20 davon auf den Zeiger. Das ist eine Menge.

Doch warum geben wir uns überhaupt mit Leuten ab, die uns nerven? Offer und Fischer analysierten ihre Daten genauer und fanden eine einfache Antwort: Schwierig sind in erster Linie unsere Verwandten, vor allem unsere Eltern. Ganz nach dem Motto: „Freunde kann man sich aussuchen, Familie nicht.“ Bei Angehörigen liegt die Wahrscheinlichkeit für eine schwierige Beziehung bei satten 25 Prozent.

Außerhalb der Familie nerven uns vor allem die Beziehungen am Arbeitsplatz – dies ist besonders dann der Fall, wenn wir selbst zwischen 21 und 30 Jahre alt sind. Wir trauen uns vielleicht nicht zu kündigen, denn wir sind jung und wir brauchen das Geld. In unseren 50ern und 60ern sind schwierige Beziehungen im Job dagegen deutlich seltener.

Kompliziert werden also just jene Beziehungen, vor denen es kein Entkommen gibt. Der französische Philosoph und Autor Jean-Paul Sartre hat aus diesem zutiefst menschlichen Zustand vor mehr als 75 Jahren eines der besten und deprimierendsten Dramen der Literaturgeschichte gefertigt:

In Geschlossene Gesellschaft finden sich drei Menschen in einem Raum wieder. Sie alle sind kürzlich gestorben und kennen einander nicht. Sie alle haben sich vieles zuschulden kommen lassen und warten auf die große Abrechnung. Erst im Verlauf des Dramas erkennen sie: Dass sie den ganzen Tag beisammensitzen müssen, darin liegt die eigentliche Strafe; in unserer permanenten Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung und Vergebung, die wir von anderen einfordern, ohne sie den anderen selbst geben zu können. „Die Hölle“, so lässt Sartre einen seiner Helden sagen, „das sind die anderen.“ Und zwar immer dann, wenn es keinen Ausgang gibt. No Exit – so lautet auch der Titel von Sartres Drama in seiner englischen Übersetzung.

Frenemies: Freunde und Feinde zugleich

Mit einem Knistern schließt sich der graue Klettverschluss um den Oberarm der ersten Versuchsperson. Die junge Frau sitzt in einem schmucklosen Bürogebäude im Bundesstaat Utah. Gleich wird sie sich mit einer Freundin darüber unterhalten, wie sie um ein Haar Opfer eines Verkehrsunfalls geworden wäre. Ein Forschungsteam zeichnet auf, wie sich ihr Blutdruck dabei verändert. Wird die Gegenwart der Freundin ihr helfen, während der belastenden Erinnerung ruhig zu bleiben? Die Daten offenbaren eine Sensation: Manche Freunde beruhigen unseren Blutdruck tatsächlich, doch andere lassen ihn plötzlich ansteigen. Sogar in Ruhephasen sind wir nie völlig entspannt, sobald sie um uns sind. Die Freundinnen und Freunde, bei denen das der Fall ist, haben eine Sache gemeinsam: Es handelt sich um „ambivalente Beziehungen“ – wir halten sie zwar für hilfreich und wichtig in unserem Leben, empfinden sie gelegentlich aber auch als nervig und belastend. „Während des Experiments wusste ich nicht, ob die Probandin oder der Proband mit einer unterstützenden oder einer ambivalenten Bezugsperson an einem Tisch saß“, sagt die Psychologin Julianne Holt-Lunstad. „Aber in den meisten Fällen ist mir das allein beim Zusehen schnell klargeworden.“

Mehrere Studien haben diesen Befund inzwischen bestätigt: Ambivalente Beziehungen steigern unseren Stress, führen zu erhöhten Entzündungswerten im Körper und belasten unser Herz. Im Job führen sie zu mehr Fehlzeiten als bei Kolleginnen und Kollegen, mit denen wir offen verfeindet sind. Unsere Gesundheit wird mit den Jahren umso schlechter, je mehr ambivalente Beziehungen wir in unserem sozialen Netzwerk haben.

Im Englischen gibt es einen Modebegriff für solche Beziehungen. Man spricht von Frenemies – also von Menschen, die zugleich Freund (friend) und Feind (enemy) sind. Solche Frenemies sind verblüffend häufig. Und sie treten anders als die komplett schwierigen Beziehungen auch dort auf, wo wir es selbst in der Hand haben, die Beziehung zu beenden: bei unseren Freundinnen oder in unseren Liebesbeziehungen.

Das Leben macht uns gelassener

Aber wenn Frenemies so gefährlich für unsere Gesundheit sind – sollten wir sie dann ganz aus dem Leben verbannen? Vermutlich nicht. Ganz ohne sie scheint es nämlich nicht zu gehen. Jeder Mensch hat ein paar Frenemies in seinem Netzwerk. Außerdem zeigen mehrere Studien, dass wir offenbar ein feines Gespür dafür haben, in welchen Situationen wir ihre Gegenwart suchen und wann wir sie besser meiden: Je stressiger unser Leben gerade ist, desto wahrscheinlicher suchen wir die Nähe lieber Menschen, die uns nicht nerven, belasten und auf die Palme bringen. Das Immunsystem unserer Seele scheint also gut mit ein paar schwierigen und ambivalenten Verbindungen zurechtzukommen.

Knifflig wird die Sache erst, wenn wir die meisten oder gar alle engeren Beziehungen als zumindest teilweise belastend erleben. In solchen Fällen sollten wir uns professionelle Hilfe von außen holen. Denn zum einen macht ein solches soziales Netzwerk vermutlich krank. Und zum anderen liegt zumindest ein Teil seiner Struktur an der Art und Weise, mit der wir selbst mit anderen Menschen umgehen. Alte, unverarbeitete Konflikte scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Es ist eine harte Botschaft, die keiner gerne hört, wahr ist sie aber trotzdem: Wenn uns auf der Autobahn nur noch Geisterfahrer begegnen, wird die Sache gefährlich – wir sollten besser unsere Fahrtrichtung überdenken.

Eine gute Botschaft zum Abschluss: Eine Studie des US-amerikanischen Forschungsteams Kira Birditt, Karen Fingerman und David Almeida zeigt, dass belastende Beziehungen über die Jahre tendenziell ihren Stachel verlieren. Wenn wir das Rentenalter einmal erreicht haben, erleben wir zwar noch ähnlich viele Konflikte wie zuvor, wir kommen aber besser mit ihnen zurecht. Das Leben selbst macht uns offenbar gelassener. Wir wissen, dass schwierige Beziehungen existieren – doch das wirft uns nicht mehr um.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute Compact 67: Schwierige Beziehungen