Keine Sorge?! Angst und Arbeit

​Dossier Beruf & Leben: Viele Menschen haben am Arbeitsplatz mit Ängsten zu kämpfen. Wann wird die Angst zum Hindernis? Und was können Betroffene tun?

Die Illustration zeigt einen Mann am Tisch mit Computer, der ängstlich hinter sich schaut auf eine schwarze Welle
Angst kann das Arbeitsleben stark behindern, doch man kann sie auch beherrschen lernen. © Katharina Bourjau

Achim Pankow* ist ein begabter Designer. Bereits im Studium gewann der heute 40-Jährige Preise für seine Arbeiten. Sein Professor bot ihm eine Stelle als Assistent an, es folgten Stationen in namhaften Unternehmen, mehrere Patente. Jeden Job, um den er sich bewarb, bekam er. Ein Mann, der in seinem Traumberuf Karriere macht, könnte man meinen. Pankow selbst sieht das ganz anders. „Mein Beruf macht mir keinen Spaß mehr. Jeden Tag quäle ich mich ins Büro. Ich muss etwas verändern“, sagt er. Von der…

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Die Münchner Diplompsychologin und Psychotherapeutin ist Expertin für berufliche Potenzialanalysen und Karriereberatung. In ihrer Beratung beleuchtet sie neben den beruflichen ­Aspekten auch die Psyche und Biografie ihrer Klienten. „Nur so lassen sich die tiefen Ursachen für Blockaden ergründen“, sagt Leitner. Immer häufiger erlebt sie derzeit, dass Menschen zu ihr in die Beratung kommen, die vordergründig unzufrieden mit dem Job sind. Beim genaueren Hinsehen verbergen sich dahinter oft Ängste. Häufig seien es Mobbing- und Ausgrenzungserfahrungen in der Kindheit oder extrem ängstliche oder abwertende Eltern, die den Grundstein für tiefgehende Sorgen legen, die sich später auch am Arbeitsplatz zeigen, so die Psychologin.

Frühe Erfahrungen wirken nach

Achim Pankow erzählt, er sei ein guter Schüler und begabter Sportler gewesen, außerdem schon früh ein guter und leidenschaftlicher Sänger. Seine Eltern unterstützten ihn in seinen Talenten. Doch in dem kleinen Ort, in dem er aufwuchs, war Herausstechen kein Vorteil. In der Schule wurde er von den Mitschülern aufgezogen, wenn ein Foto von ihm als Solist im Chor in der Zeitung erschien. Die Nachbarn fanden es seltsam, dass seine Eltern ihr Kind so förderten. Oftmals spürte er mehr Neid und Missgunst als Anerkennung. Zwar meint er heute, das sei lange her und abgehakt. Doch Psychologin Madeleine Leitner glaubt, dass die früheren Erfahrungen weiter nachwirken: „Tief im Inneren hat dieser begabte Designer noch immer eine riesige Angst, sich zu blamieren, vorgeführt oder bloßgestellt zu werden.“

Genaue Zahlen, wie vielen Menschen solche und andere Ängste das Arbeitsleben schwer machen, fehlen bislang. Sicher ist nur: Ängste sind häufig, und sie sind (Mit-) Ursache der meisten psychischen Probleme. 27,7 Prozent der Deutschen leiden innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung, Angsterkrankungen liegen dabei mit 15,3 Prozent an erster Stelle der Erkrankungen, wie die Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS) des ­Robert-Koch-Instituts zeigt.

Die Zahlen verändern sich seit Jahren nicht. Und immer häufiger treten besonders solche Ängste oder ängstlichen Tendenzen in den Fokus, die sich vor allem im Berufsleben zeigen und die durch die Arbeit ausgelöst oder zumindest verstärkt werden. Bei manchen Betroffenen werden die Probleme so gravierend, dass sie sich gar nicht mehr in der Lage sehen zu arbeiten. Ist die Angst der Arbeitsunfall der Moderne?

Angst kann auch beflügeln

Angst per se ist nichts Schlimmes. Sie dient dazu, uns vor Gefahren zu warnen. Wenn wir eine Situation oder ein Gegenüber als stark bedrohlich wahrnehmen, empfinden wir Angst. Unsere Hände schwitzen, unser Herz rast, in Gedanken sehen wir bereits die Katastrophe kommen. Wir wollen nur eines: fliehen. Angst führt uns instinktiv weg von größeren Gefahren. Wenn wir allerdings eine Chance sehen, die Situation zu bewältigen, kann Angst oder besser die Aktivierung, die mit ihr verbunden ist, auch beflügeln. Vor allem in der Berufswelt ist dieses Phänomen gut beschrieben: Das sogenannte ­Yerkes-Dodson-Gesetz etwa besagt, dass Menschen auf einem mittleren Erregungsniveau die besten Leistungen erbringen. Zu viel, aber auch zu wenig Aktivierung führt hingegen zu einem schlechteren Abschneiden.

Bereits um das Jahr 2000 herum untersuchte der Soziologe Winfried Panse den Angstlevel in deutschen Unternehmen. Die kleinen, leistungssteigernden Ängste, wie sie zum Beispiel ein gewisser Zeitdruck oder der Wunsch nach einem guten Auftritt hervorrufen können, beschrieb er als anspornende „Mikroängste“ – im Gegensatz zu ­„Makroängsten“ wie den existenziellen Ängsten, die uns lähmen. Kritisch wird es, wenn die mit der Arbeit verbundene Angst groß, also eine „Makroangst“ und ein Dauerzustand wird.

Die Fähigkeit, Angst zu empfinden, ist dem Mensch angeboren. Doch viele Situationen oder Dinge, die wir später als beängstigend einstufen, bewerten wir erst durch negative Erfahrungen, Erziehung oder Vorbilder so. Manchmal übertragen wir dabei auch Gefühle aus einer furchterregenden Begegnung, die wir etwa als Kind hatten, auf andere Gelegenheiten oder Objekte, auf die wir dann auch als Erwachsener mit Angst reagieren. Mitunter können schon kleine Auslöser, die teils nur entfernt Ähnlichkeiten mit dieser ursprünglichen Situation aufweisen, ausreichen, dass wir uns angesichts der vermeintlichen Bedrohung vergleichsweise übertrieben gebärden; für die Betroffenen ist die Angst aber real.

Spezialfall unter den Angsterkrankungen

Die arbeitsplatzbezogene Angst ist ein Spezialfall unter den Angsterkrankungen, den Psychologen erst seit einigen Jahren ernsthafter ins Blickfeld nehmen. Bedarf besteht: Allein unter den Patienten, die sich nach einer längeren Phase von körperlicher oder seelischer Erkrankung in einer Rehaklinik auf den Wiedereinstieg in den Beruf vorbereiten, haben zwischen 40 und 60 Prozent arbeitsplatzbezogene Ängste, wie Erhebungen von Beate Muschalla zeigen, Professorin für Psychotherapie und Diagnostik an der Technischen Universität Braunschweig. Und selbst bei sonst gesunden Beschäftigten leidet jeder Zwanzigste unter so starken Ängsten im Job, dass er sich zeitweise krankschreiben lässt.

Für die Betroffenen hat das vielerlei Auswirkungen. „Eine Arbeitsplatzangst kann das Lebensgefühl und die Arbeitsfähigkeit stark beeinträchtigen“, sagt Beate Muschalla. Sie hat gemeinsam mit dem Berliner Psychiater Michael Linden einen speziellen Diagnosefragebogen für Ängste am Arbeitsplatz entwickelt. Darin unterscheiden die Experten sieben verschiedene Formen von Angst, die typischerweise in diesem Umfeld auftreten und die sich auf teils sehr unterschiedliche Art im (Arbeits-) Alltag äußern können (siehe Kasten unten).

Der Grat zwischen noch gesund und schon beeinträchtigend ist bei allen Arbeitsängsten schmal. „Gelegentliche Anspannung oder auch ein flaues Gefühl angesichts mancher Arbeitssituationen ist völlig normal“, sagt Muschal­la. Kurzfristige Sorgen, weil im Unternehmen umstrukturiert wird oder der Chef einen kritischen Kommentar abgegeben hat, seien gesund. Und auch wenn ein Polizist nach einem gefährlichen Einsatz ein paar Tage nicht zur Ruhe kommt, gibt es keinen Grund zur Sorge. „Problematisch werden Arbeitsängste dann, wenn Betroffene Situationen oder Aufgaben meiden, anfangen, Fehler zu machen, dauerhaft gestresst sind und schließlich ausfallen.“

Arbeitsangst bedroht unmittelbar die Existenz

Treten solche Alarmzeichen auf, ist rasches Handeln wichtig – am besten bevor die Angst ihren zerstörerischen Krankheitswert entfalten kann. Denn Arbeitsplatzangst ist gravierend, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen Ängsten unmittelbar die Existenz bedroht. „Jemand, der Platzangst hat, kann aufhören, ins Kaufhaus zu gehen, oder Aufzüge meiden“, sagt Muschalla. „Aber wer im Job Konfrontationen aus dem Weg geht, hat ein großes Risiko, in die Arbeitsunfähigkeit abzugleiten.“ Früh zu reagieren ist deshalb ratsam.

Wer bei sich Alarmzeichen spürt, kann zunächst versuchen, der Angst zu begegnen, indem er der Situation den Schrecken nimmt. Während Unsicherheit Ängste fördert, führt das Gefühl von Sicherheit dazu, dass sie geringer werden. Im ersten Schritt geht es deshalb darum, herauszufinden, was genau das Beängstigende ist. Darauf aufbauend lässt sich eine persönliche Sicherheitsstrategie entwickeln, mittels derer sich die Angst auf ein handhabbares Maß reduziert und man ihr die lähmende und zerstörerische Kraft nimmt.

Hier helfen Fragen an sich selbst: Welche angstförderlichen Gedanken steigen angesichts der Situation in mir auf? Wie realistisch sind die Katastrophenszenarien? Was genau fürchte ich? Wäre es wirklich so schlimm? Was würde mir Sicherheit geben – und damit meine Angst lindern? Ausgehend davon lassen sich viele angstfördernde Situationen schon mit kleinen Maßnahmen, guter Vorbereitung und etwas Übung besser aushalten und gestalten (siehe dazu auch unsere Tipps in diesem Beitrag).

Vermeidungsverhalten durch soziale Ängste

Designer Achim Pankow hat gemeinsam mit Psychologin Madeleine Leitner herausgefunden, dass es soziale Ängste sind, die ihn behindern und Situationen vermeiden lassen, in denen er fürchtet, bewertet zu werden – die ihn im Beruf aber voranbringen könnten. Um seiner Angst auf die Spur zu kommen, hat er sich auf Empfehlung von Leitner gefragt, wie in seiner Familie und in der Schule mit Fehlern umgegangen wurde: Wurde er ausgelacht, verspottet, bestraft? Welche Erfahrungen hat er mit Ausgrenzung gemacht: Fürchtet er, Erwartungen zu enttäuschen oder auf Ablehnung zu stoßen, weicht er Konflikten lieber aus? Wie ist sein Umgang mit Aufmerksamkeit: Bekommt er bei der Vorstellung, eine Präsentation halten zu müssen, sofort Herzklopfen, Schweißausbrüche oder Panikgefühle?

Dann hat er versucht, sich seine Befürchtungen durch Selbstbeobachtung bewusstzumachen. Sehr oft seien es alte „Katastrophen im Kopf“, die uns Angst machen, bei genauer Betrachtung aber völlig irrational erscheinen, sagt Leitner – und allein diese Einsicht kann das Bedrohungspotenzial auflösen. Für Achim Pankow waren diese Erkenntnisse ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zur Bewältigung seiner Probleme.

Bei der Behandlung von tiefergehenden Ängsten, derer man allein nicht mehr Herr wird und bei denen auch eine Beratung nicht ausreicht, werden häufig verhaltenstherapeutische Maßnahmen eingesetzt, und auch von psychodynamischen Therapien profitieren Betroffene. Die Behandlung von starken Arbeitsängsten berge im Gegensatz beispielsweise zu einer Spinnenphobie oder Höhenangst aber eine wichtige Besonderheit, erklärt die Psychologin Beate ­Muschalla: „Die Möglichkeit der Konfrontation ist bei Personen mit Ängsten, die auf den Beruf bezogen sind, sehr begrenzt. Die Betroffenen in reale Jobsituationen zu schicken wäre viel zu angstauslösend.“ Die Angst schrittweise abzubauen, Stufe für Stufe, funktioniere hier nicht: Wer zur Arbeit geht, wird sofort wieder massiv mit seiner Angst konfrontiert.

Training und Entspannung

Gute Erfahrungen haben Behandler mit konkret arbeitsbezogenen Bewältigungstrainings gemacht, die in vielen Rehakliniken angeboten werden und häufig mit Prinzipien der Verhaltenstherapie arbeiten. Dabei werden die Patienten von den Therapeuten angeleitet, sich die Situation in all ihren Facetten vorzustellen, um herauszufinden, was eigentlich die Angsttrigger und die Reaktionen darauf sind. Therapeut und Patient erarbeiten dann gemeinsam Ideen, wie die Betroffenen mit den angstmachenden Gedanken und den damit verbundenen körperlichen Reaktionen wie etwa zitternden Händen umgehen können, ohne sich direkt in die angstbesetzte Situation begeben zu müssen.

Eine Callcenter-Mitarbeiterin beispielsweise, die sich nach einer Depression davor ängstigte, im Job wieder zusammenzubrechen und beschämt hinauszurennen, spielte genau diese Situation gedanklich viele Male durch – und übte parallel als Entspannungsmethode die progressive Muskelentspannung nach Jacobson, um ihre Anspannung zu reduzieren. Nach fünf Wochen traute sie sich wieder zu, am Arbeitsplatz zu bestehen.

Intensive Auseinandersetzung hilft

Tatsächlich zeigt eine Studie der Universität Potsdam mit 300 Teilnehmern in Rehabilitationskliniken in den Jahren 2012 bis 2014, dass bereits vier bis sechs Sitzungen in einer Trainingsgruppe den Mut der Betroffenen förderten, sich auf die Wiedereingliederung einzulassen. Die in der Trainingsgruppe erfolgte intensive Auseinandersetzung mit ihren Ängsten hilft den Patienten, ihren angstauslösenden Denkmustern auf die Spur zu kommen, ihre Urteilsfähigkeit zu trainieren und zu lernen, nützliche von übertriebenen Sorgen zu unterscheiden. Sie analysieren ihre körperlichen Reaktionen und bewerten sie neu. Weitere Übungen verbessern Konfliktkompetenz, Handlungsfähigkeit und auch die Fähigkeit, Unveränderliches zu akzeptieren.

Von der Trainingsgruppe profitieren vor allem Patienten, die keine andere psychische Grunderkrankung haben: Ihre Arbeitsunfähigkeit nach der Rehabilitation verkürzte sich auf elf Wochen im Vergleich zur Kontrollgruppe, die erst nach 16 Wochen wieder in den Job zurückkehrte. Bei Menschen mit psychischer Grunderkrankung verkürzte das Training zwar nicht die Krankheitsdauer, aber es half, die Bewältigungsstrategien der Person zu erhalten, und verhinderte damit, dass die Angst chronisch wurde.

Dazu, dass berufsbezogene Ängste sich nicht zu einer Erkrankung auswachsen oder gar nicht erst entstehen, können auch Unternehmen beitragen. Offenheit im Team und soziale Unterstützung etwa sind wichtige Präventionsfaktoren, die auch die Organisationspsychologin Julie McCarthy von der University of Toronto Scarborough beschreibt (siehe Kasten unten).

Manche Unternehmen schüren bewusst Ängste

Allerdings sorgen nur wenige Unternehmen derzeit aktiv für eine solche Arbeitsatmosphäre. Manche schürten im Gegenteil sogar bewusst Ängste bei den Mitarbeitern, sagt Andreas Krause. Der Arbeitspsychologe von der Fachhochschule Nordwestschweiz erforscht die Auswirkungen von Managementtechniken auf die Gesundheit von Beschäftigten. „Viele Unternehmen haben das Ideal, dass Mitarbeitende wie Selbständige agieren und sehr kundenorientiert arbeiten sowie den ökonomischen Erfolg der eigenen Arbeit nachweisen“, sagt er. Über Kennzahlen und andere Indikatoren würden die Erfolge gemessen und ständig an die Beschäftigten kommuniziert. Das wirke bei manchen motivierend, vor allem wenn man die Ziele durch eigene Anstrengung realistisch erreichen kann. Daraus könne aber auch das Gegenteil resultieren, indem der Betroffene sich fragt, was passiert, wenn der Standort, der Geschäftsbereich oder er selbst die Ziele nicht erreicht.

„Wenn Unternehmen das Fortbestehen eines Bereichs an das Erreichen vorgegebener Ziele koppeln und ansonsten Stellenabbau oder den Verkauf des ­Bereichs anstreben, schürt das Ängste“, sagt Krause. Dass gerade diese dauerhafte Befeuerung von Existenzsorgen Beschäftigte krank macht, zeigen beispielsweise viele Studien des inzwischen emeritierten Düsseldorfer Medizinsoziologen Johannes Siegrist ebenso wie aktuelle Erhebungen des Helmholtz-Zentrums.

Berufe mit Angstgarantie

Natürlich gibt es auch Berufe, bei denen Ängste zum Alltag gehören. Polizisten, Ärzte, Soldaten, Feuerwehrmänner oder Rettungssanitäter erleben mitunter täglich reale Gefahren. Wer diese Arbeit macht, ist in der Regel psychisch sehr belastbar. „Trotzdem können infolge von belastenden Einsatzsituationen Ängste entstehen“, sagt Thomas Feltes vom Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum.

Offenheit und soziale Unterstützung könnten auch hier verhindern, dass sich diese unvermeidbaren Angsterfahrungen zu Angststörungen auswachsen. Darum helfe es, „belastende Einsatzsituationen und die damit verbundenen Ängste bei Fortbildungen oder besser noch bei der Supervision zu thematisieren“.

Feltes zufolge stehen Polizei und Rettungskräfte dabei aber noch ganz am Anfang. Die Gründe dafür finde man auf beiden Seiten. „Ganz nach dem Motto ‚Indianer kennen keinen Schmerz‘ versuchen manche Betroffene, die Belastungen und daraus entstehende Ängste zu überspielen – und teilen sich nicht dem Vorgesetzten mit“, erklärt er. „Zugleich fällt es vielen Führungskräften auch schwer, mit solchen Mitteilungen konstruktiv umzugehen und Hilfe anzubieten, ohne zu stigmatisieren.“

Angst fördert Lügen

Dabei profitiert von mehr Achtsamkeit für die Angst nicht nur der Einzelne, sondern auch das gesamte Unternehmen. Die Organisationspsychologin Maryam Kouchaki von der Kellogg School of Management an der Northwestern University in Illinois kommt in einer Übersichtarbeit zu dem Schluss, dass Angst zu eigennützigem und unethischem Verhalten führt. Ängstliche Versuchsteilnehmer waren beispielsweise eher als emotional neutrale Probanden bereit, zu lügen und zu betrügen, um in einer Situation einen Vorteil für sich herauszuschlagen. „Die ängstlichen Personen empfinden ihre unethischen Handlungen als weniger problematisch als ähnliche Handlungen anderer“, erklärt Kouchaki. Die Angst gibt ihnen quasi innerlich die Erlaubnis, auf Kosten anderer für ihre Sicherheit zu sorgen.

Vielleicht hätte auch Achim Pankow irgendwann angefangen, in seinem Angestelltendasein mit unlauteren Methoden für eine gewisse Entschädigung für sein Leiden zu sorgen – oder er wäre ernstlich krank geworden. Doch der Designer stellte sich seinen Ängsten und konnte so die Weichen für Job und Privatleben in eine günstigere Richtung stellen. Mit der Psychologin Madeleine Leitner überlegte er nach der ersten Analyse, wie er sich mit seiner sozialen Angst konfrontieren und ihr so Schritt für Schritt die Macht nehmen kann. Dabei beherzigte er auch den Grundsatz, dass Ängste immer unbedeutender werden, je öfter man sich ihnen stellt.

Er plante beispielsweise einen Vortrag vor Kollegen. Er bat darum, seinen Entwurf bei einem Wettbewerb selbst präsentieren zu dürfen anstelle des Inhabers des Büros. Die Arbeit hat sich gelohnt: Sein Selbstwertgefühl wuchs von Aufgabe zu Aufgabe mehr. Ein Jahr später tritt ­Pankow aus dem Schatten seiner Angst heraus – und wagt den Sprung in die Selbständigkeit. „Der Job macht endlich wieder Spaß“, sagt er. Sorgen und Unsicherheiten erlebt er natürlich auch als Selbständiger immer wieder – aber nun hat er auch die Zuversicht, seine Ängste und neue Hindernisse selbst bewältigen zu können.

Sieben Arten von Angst

Das „Arbeits-Angst-Interview“, ein spezieller Diagnosefragebogen für arbeitsplatzbezogene Angsterkrankungen, unterscheidet sieben verschiedene Arten von Arbeitsplatzängsten

Soziale Angst

Angst vor Kontakten mit Kollegen, Vorgesetzten, Kunden oder auch Patienten. Manche Menschen sind von Geburt an sozial eher unsicher („schüchtern“), andere erwerben durch Erfahrungen in Kindheit und Jugend eine soziale Ängstlichkeit. In niedriger Ausprägung meiden die Betroffenen Situationen, in denen sie sich der Bewertung anderer aussetzen. In starker Ausprägung haben sie Probleme, sich im Team einzubringen, es ist ihnen extrem unangenehm, mit Kollegen essen zu gehen, jedes Meeting wird zur Qual.

Versagensangst

Das Gefühl, im Beruf nicht ausreichend qualifiziert, fähig oder belastbar zu sein; Angst, Fehler zu machen. Manchmal zeigt sich diese Angst auch in dem Gefühl, eine Veränderung, neue Aufgaben, das neue Computer-programm nicht bewältigen zu können. Betroffene wirken oft fahrig, angespannt und teilweise sogar hilflos. Eine Sonderform ist das sogenannte Hochstapler-Selbstkonzept. Hier reagieren die Personen auf die ständig nagenden Selbstzweifel mit einer extrem hohen Leistungsbereitschaft. Sie arbeiten sich sozusagen um Kopf und Kragen. Typisch ist ein objektiv großer beruflicher Erfolg, ohne dass sich daraus Stolz, Selbstwert oder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten ableiten würde.

Gesundheits- und körperbezogene Angst

Extreme Besorgnis, dass die Arbeit krank machen könnte. Betroffene fürchten etwa, dass der Drucker-toner im Büro oder die Lautstärke ihrer Gesundheit schadet. Sie achten und bewerten mögliche Symptome wie Rückenschmerzen oder Herzklopfen aufmerksam und katastrophisierend. Die Folge können ein unangemessenes Schonverhalten, eine fehlerhafte Arbeitsweise oder das Vermeiden von bestimmten Arbeiten sein.

Situative Angst

Ängste vor einem bestimmten Ort, einer Situation oder Aufgabe. Angesichts dieses konkreten Angstaus-lösers geraten Betroffene in Anspannung bis hin zur Panik und meiden diesen. Derartige Ängste sind häufig „erlernt“, weil der Person beispielsweise ein gravierender und mitunter folgenreicher Fehler unterlaufen ist.

Arbeitsplatzbezogene Sorgenangst

Generelle Neigung zu Besorgnis und Grübelei. Die sorgenvollen Gedanken rund um die Arbeit können ein solches Ausmaß annehmen, dass sie jegliche Energie verbrauchen. Der Schlaf ist gestört, das Privatleben liegt brach – die Lebensqualität sinkt auf ein Minimum. Betroffene erleben völlige Erschöpfung bis hin zum Burnout.

Arbeitsplatzbezogene posttraumatische Belastungsstörung

Folge eines Traumas im Berufs-leben, zum Beispiel wenn Menschen eine lebensbedrohliche Situation wie etwa einen Banküberfall erlebt haben. Erinnerungen an das Ereignis lassen die Betroffenen nicht los und reaktivieren ständig die Angstgefühle. Als gefährlich erlebte Situationen und zugehörige Orte – zum Beispiel die Bank – werden gemieden.

Arbeitsplatzphobie

Betroffene empfinden bereits Angst bis hin zu Panikgefühlen, wenn sie nur an die Arbeit denken, und vermeiden dementsprechend alles, was damit zu tun hat. Die Folge ist oftmals Langzeit-Arbeitsunfähigkeit.

Beate Muschalla, Michael Linden: Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Phänomenologie, Diagnostik, Behandlung, Sozialmedizin. Kohlhammer, Stuttgart 2013

Tipps gegen die Furcht

Nicht alle Ängste lassen sich leicht lösen. Doch es gibt drei Dinge, die laut Studien besonders wirksam bei der Reduktion von ­arbeitsplatzbezogenen Ängsten sind

  • Austausch. Bauen Sie gute Beziehungen zu Ihren Kollegen auf. Offen über Sorgen zu sprechen, die mit der Arbeit zu tun haben, bringt oftmals große Entlastung. Vermutlich haben auch andere im Team Ängste, die sie bisher verschweigen. Sie machen allen Mut, das Tabu zu brechen.
  • Auszeit. Achten Sie mehr auf Pausen. Das hilft, die „Batterien“ wieder aufzuladen, die durch die ängstliche Anspannung ausgezehrt werden. Eine gute Pausenkultur ist für jeden Beschäftigten gesundheitsförderlich.
  • Ausgleich. Eine aktive Freizeitgestaltung kann ebenfalls Ängste reduzieren. Sie lenkt den Fokus auf andere Bereiche im Leben, die keine Angst auslösen.

Julie M. McCarthy u. a.: Are anxious workers less productive workers? It depends on the quality of social exchange. Journal of Applied Psychology, 101/2, 2016, 279–291. DOI: 10.1037/apl0000044

„Keiner sollte alles können müssen“

Laut Psychologieprofessorin Beate Muschalla haben ­Ängstliche viele Stärken, die im Job oft nicht gesehen werden

Frau Professor Muschalla, haben ängstlich veranlagte Menschen im heutigen Arbeitsleben einfach Pech?

Sie können schon gewisse Nachteile erfahren. Seit der Einführung der Computerisierung in allen Bereichen ist es zu einer Arbeitsverdichtung und erhöhten Kontrolle der Mitarbeiter gekommen. Beides hat Angstpotenzial. Personen mit einer entsprechenden Veranlagung für Angst und Depression können darauf empfindlicher reagieren, irritiert, verunsichert. Allerdings trifft es letztlich alle: Denken Sie an die Kassiererin im Supermarkt, die nach den Waren bewertet wird, die sie pro Minute übers Band zieht. Jeden freundlichen Wortwechsel mit Kunden – der ja eigentlich stärkend und entlastend wirkt – zahlt sie mit schlechterer Performance. Da können auch Ängste getriggert werden.

Was wäre der bessere Weg?

Häufig wird übersehen, welche großen Fähigkeiten Menschen mit einem eher ängstlich geprägten Naturell haben. Wenn man ihnen Spielraum gibt und sie nach ihren Fähigkeiten einsetzt, minimieren sich Angstprobleme im Beruf.

Wie könnte das konkret aussehen?

Menschen mit leicht depressiven Anteilen sind beispielsweise oft sehr ausdauernd, belastungstolerant, genau und zuverlässig. Sie sind der Fels in der Brandung – wenn sie gesund sind. Kurz: Sie sind sehr wichtige und leistungsstarke Mitarbeiter. Wenn man sie jedoch ständig verunsichert, indem man sie hetzt oder Aufgaben und Teams verändert, kann ihre Arbeitsfähigkeit leiden.

Eine hohe Ausprägung von Perfektionismus ist manchmal gepaart mit durchaus gesunder Veränderungsängstlichkeit. Genau so jemanden wünscht man sich in Berufen, die hohe Anforderungen an Präzision und Sicherheitsmaßnahmen haben, zum Beispiel bei Fluglotsen oder der Bombenentschärfung. Da braucht man niemanden, der experimentell mal einen anderen Weg geht.

Es gibt auch Personen, die super vor Publikum reden können – aber wenn sie eine exakte Buchhaltung machen sollen, bekommen sie Versagensängste, weil ihnen das nicht liegt. Die Passung vom Mensch mit seinen Fähigkeiten – und dazu gehören eben auch die persönlichen Veranlagungen auf psychischer Ebene – und der Aufgabe, die muss stimmen. Dann geht es gut. Unsere aktuelle Forschung geht deshalb auch in die Richtung. Denken Sie an die sogenannten Savants etwa in IT-Berufen – also Menschen mit einer Inselbegabung, die beispielsweise Genies im Umgang mit Zahlen sind, aber Probleme im sozialen Kontakt haben. Hier hat die gute Passung von Mensch und Arbeitsumfeld ermöglicht, dass Menschen, die vorher als arbeitsunfähig galten, nun in guten Jobs tätig sein können.

Was kann eine Führungskraft tun, um Arbeit angstreduzierend zu gestalten?

Jedes Arbeitsumfeld birgt immer ein gewisses Angstpotenzial. Das ist auch normal. Man wird schließlich bewertet und soll Leistung bringen. Aber Führungskräfte können gezielt Angstverstärker vermeiden. Beispielsweise indem sie in der Kommunikation über Veränderungen klar benennen, welche Veränderungen den Mitarbeiter konkret betreffen. Zu viele und vielleicht sogar widersprüchliche Informationen können irritieren. Auch gut: wenig emotionalisierend sprechen und klar benennen, was man als Team tun kann, damit sich alles günstig entwickelt.

Auch sollte man vermeiden, generell über die ach so stressige Arbeitswelt zu klagen. Arbeit ist in der Regel durchaus zu bewältigen und gibt Menschen die Gelegenheit, ihre Talente zu zeigen, sich zu entfalten, Anerkennung zu bekommen. Arbeit ist etwas völlig Normales, nichts Bedrohliches. Und wenn Probleme auftauchen, kann man darüber sprechen und nach Lösungen suchen. Diese Stimmung können Führungskräfte fördern.

Wenn jemand doch Ängste entwickelt und durch Vermeidung auffällt: Sollten das Vorgesetzte ansprechen?

Auf jeden Fall. Denn die Ängste haben ja die Tendenz, stärker und generalisierter zu werden, wenn man ihnen nicht schnell etwas entgegensetzt. Wenn man beispielsweise bemerkt, dass eine fähige Person allen Chancen, sich zu zeigen, ausweicht, sollte eine Führungskraft reagieren. Dabei sollte sie weniger auf die Problematik der Ängstlichkeit eingehen, als vielmehr die Person dazu ermuntern, es zu versuchen. Sie kann auch sagen, dass es normal ist, dass man zögert oder sogar Ängste hat, wenn man sich einer neuen Aufgabe annähert. Und sie kann ihre Unterstützung zusagen, falls es Probleme gibt.

Prof. Dr. Beate Muschalla ist Verhaltenstherapeutin und Professorin für Psychotherapie und Diagnostik an der Technischen Universität Braunschweig. Sie forscht unter anderem zur Rehabilitation von Menschen mit psychosomatischen Erkrankungen

Quellen

Erika Güroff: Selbstsicherheit und soziale Kompetenz. Das Trainingsprogramm TSK mit Basis- und Aufbauübungen. Klett Cotta, München 2016

Frank Jacobi u.a.: Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland und ihr Zusatzmodul Psychische Gesundheit (DEGS1-MH). Nervenarzt, 85, 2014, 77–87. DOI: 10.1007/s00115-013-3961-y

Maryam Kouchaki, Sreedhari D. Desai: Anxious, threatened, and also unethical: How anxiety makes individuals feel threatened and commit unethical acts. Journal of Applied Psychology, 100/2, 2015, 360-375. DOI: 10.1037/a0037796

Julie M. McCarthy u. a.: Are anxious workers less productive workers? It depends on the qualitiy of social exchange. Journal of Applied Psychology, 101/2, 2016,279–291. DOI: 10.1037/apl0000044

Beate Muschalla u.a.: The significance of job-anxiety in a working population. Occupational Medicine, 63, 2013, 415-421. DOI: 10.1093/occmed/kqt072

Beate Muschalla u. a.: Evaluation einer Gruppentherapie für arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Abschlussbericht zum DRV-Forschungsprojekt. Brandenburgklinik Bernau und Universität Potsdam, Arbeits- und Organisationspsychologie, 2014.

Beate Muschalla: Arbeitsbezogene Ängste in Forschung und Praxis. Ein aktuelles Schnittstellenphänomen. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 58, 2014, 206-214. DOI: 10.1026/0932-4089/a000166

Beate Muschalla u. a.: Entwicklung eines Inventars für Job-Coping und -Rückkehrintention (JoCoRi). Diagnostica, 62/3, 2016, 143-156.

Beate Muschalla, Michael Linden: Arbeitsplatzbezogene Ängste und Arbeitsplatzphobie. Phänomenologie, Differentialdiagnostik, Therapie, Sozialmedizin. Kohlhammer, Stuttgart 2013

Winfried Panse, Wolfgang Stegmann: Angst-Macht-Erfolg. Volk, München 2006

Bettina Stackelberg: Angstfrei arbeiten. Selbstbewusst und souverän im Job. Beck Kompakt, München 2010

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 1/2019: Stille