Das Schweigen der Angestellten

Lieber nichts sagen? Angestellte schweigen oft, fanden Psychologinnen und Psychologen in Befragungen in 33 Ländern. Die Motive sind unterschiedlich.

Manchmal halten wir bei der Arbeit den Mund und sprechen ein wichtiges Thema nicht an. Psychologinnen und Psychologen gehen in einem Forschungsüberblick sowie in einer groß angelegten Studie dem Phänomen des Schweigens in Unternehmen und Organisationen in 33 Ländern nach. Es sei vermutlich Alltag, dass Angestellte in Situationen gerieten, in denen sie überlegen, etwas nicht zu äußern, schreibt das internationale Autorenteam. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gingen der Frage nach, inwieweit unterschiedliche Motive von Angestellten zu schweigen mit der Kultur des jeweiligen Landes zusammenhing. Ergebnis: Die vier wichtigsten in der Psychologie erforschten Motive zu schweigen kamen in allen Ländern häufig vor – aber in unterschiedlichem Ausmaß, das sich mit den vorhandenen theoretischen Ansätzen nicht erklären ließ.

Die Forschenden untersuchten 35 Stichproben mit insgesamt gut 8200 Personen, alles Angestellte aus vielen verschiedenen Branchen und allen Altersstufen. Häufig wird aus Angst geschwiegen, etwa den Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen zu schaden, vor negativen Auswirkungen für die eigene Karriere oder vor Rache (acquiescent silence). Auch wenn diese negativen Auswirkungen so verhindert werden, könne dieses Schweigen Kosten nach sich ziehen: Erschöpfung, negative Affekte, bis hin zum Gefühl der „Depersonalisierung“, schreiben die Forschenden. Ähnliches gilt für Schweigen aus Resignation. Angestellte halten ihre Meinung zurück, sie glauben, es bringe nichts und es interessiere niemanden, wenn sie etwas sagten (quiescent silence). Davon unterscheiden Forschende noch das prosoziale Schweigen (prosocial silence), das dazu dient, Kolleginnen zu schützen oder nicht zu beschämen. Und schließlich das opportunistische Schweigen, das das Ziel hat, etwa einen Wissensvorteil nicht preiszugeben oder zu vermeiden, mit zusätzlicher Arbeit belastet zu werden.

Wann wird mehr, wann weniger geschwiegen?

Große Machtunterschiede in den nternehmen führen laut dieser Studie besonders häufig dazu, dass aus Furcht geschwiegen wird. Angestellte in solchen Hierarchien verhalten sich lieber konform, neigen zu passiver Akzeptanz und dazu, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Außerdem wird in kollektivistischen Betrieben und Unternehmen offenbar weniger geschwiegen, somit bestätigte sich die Hypothese nicht, dass Kollektivismus häufig dazu führt, eigene Meinungen nicht zu äußern. In einer kollektiv arbeitenden Organisation werde die Äußerung einer abweichenden Meinung nicht kritisch gesehen, sondern als lehr- und hilfreich. Diese Organisationen legten Wert darauf, dass alle Mitglieder mit gemeinsamer Anstrengung ihre Ziele erreichten.

Was offenbar eher nicht dazu ermutigt, angstfrei Kritik zu äußern, ist Durchsetzungsvermögen. Die Autorinnen und Autoren vermuten, dass dort, wo Durchsetzungsvermögen normal und erwünscht ist, eben nicht nur Einzelne sich besser behaupten können, sondern sie arbeiten mit Kolleginnen und Kollegen zusammen, die das ebenfalls tun. Folglich könne ein eher bedrohlicher Kontext entstehen – und so manche oder mancher überlege sich zwei Mal, ob es den Ärger wert sei, etwas Kritisches anzusprechen. In einem solchen kompetitiven Klima gebe es zwar durchaus direkte Konfrontation, aber vor allem dann, wenn die Beteiligten sie für die Umsetzung ihrer eigenen Ziele suchten und dafür Konflikte in Kauf nähmen.

Dass die Länderunterschiede sich nicht erklären ließen, könnte damit zusammenhängen, dass kulturelle Unterschiede von der Lebenswelt der Angestellten doch ein Stück entfernt seien und deren Verhalten von der direkten Umgebung sowie von individuellen Unterschieden stärker beeinflusst sei, meinen die Forscherinnen und Forscher. Dass Machtunterschiede, Durchsetzungsvermögen oder der Kollektivismus in einer Gruppe

Michael Knoll u. a.: International differences in employee silence motives: Scale validation, prevalence, and relationships with culture characteristics across 33 countries. Journal of Organizational Behavior, 2021. DOI: 10.1002/job.2512

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