Dossier Beruf & Leben: Trugbild Traumjob

Wenn die Arbeit nervt, träumen viele von einer neuen Tätigkeit. Doch der Wechsel zum vermeintlichen Traumjob bringt oft keine Besserung. Tatsächlich liegen die Gründe für die Unzufriedenheit meist ganz woanders

Morgens um acht klingelte Kirsten Frankes* Handy das erste Mal. Dann schaltete die Beraterin die Freisprechanlage im Dienstwagen ein, telefonierte mit Auftraggebern oder den Chefs der Consulting-Firma. Damals beriet die Wirtschaftspsychologin große Kunden, meistens ging es um Prozessoptimierung und darum, Mitarbeiter zu entlassen. Die 34-Jährige machte ihre Arbeit gut, fühlte sich aber irgendwann unwohl. „Ich litt darunter, immer nur profitorientiert zu denken. Der Wunsch, vertrauensvoll mit Klienten zu…

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mit Klienten zu arbeiten, wurde stärker“, erzählt sie im Rückblick.

Nach vier Jahren wechselt Franke in die Leitung einer Berufsbildungs- und Beratungsstelle für Frauen, für sie ein Traumjob. Die ersten Monate laufen gut. Im Kontakt mit Klientinnen hat Franke das Gefühl, helfen zu können. Auch die Organisation der Beratungsstelle fällt ihr leicht. Doch bald kommt es zu Auseinandersetzungen mit den Kollegen. Die neue Leiterin ist ihnen zu ehrgeizig. Franke wiederum findet die Mitarbeiter wenig belastbar, „fast unprofessionell“. Unbewusst legt sie den Leistungsmaßstab aus der Beraterbranche an. Die Konflikte eskalieren. Wieder fühlt Franke sich am falschen Platz. Nach einem Jahr kündigt sie enttäuscht.

Mit dem Gefühl, bei der Arbeit „nicht richtig“ zu sein, ist Kirsten Franke nicht allein. Die Unzufriedenheit mit der eigenen Position ist bei vielen groß: Die Personalvermittlung Manpower hat 2015 mit dem Marktforschungsinstitut Toluna eine Befragung von 1011 Mitarbeitern durchgeführt. 49 Prozent der Befragten fühlten sich in ihrem Job unzufrieden. 45 Prozent erwogen, den Arbeitsplatz in den nächsten zwölf Monaten zu wechseln. Zwar interessiert sich von diesen Wechselwilligen natürlich nur ein Teil für einen Aufgaben-, Branchen- oder Berufswechsel, dennoch scheint bei beruflichen Veränderungen heute rasch die Option mitzuschwingen, noch mal etwas ganz anderes ausprobieren zu wollen.

„Die Tendenz, Berufstätigkeit immer wieder neu zu denken, hat damit zu tun, dass auch große Veränderungen machbar scheinen“, erklärt die Hamburger Karriereberaterin Svenja Hofert (siehe Interview S. 76). Die Regalmeter mit Ratgeberliteratur, die uns aufruft, die eigene Berufung oder den Traumjob zu finden, nehmen ebenfalls Einfluss auf den Wunsch nach Joboptimierung – und spiegeln den Trend wider.

„Ich finde es der Arbeitsmarktsituation angemessen, dass man sich beruflich weiterentwickeln will“, sagt Hofert. „Es ist jedoch oft ein Fehler, die Lösung in radikalen Veränderungen zu suchen.“ Viele von Hoferts Klienten klagen darüber, so unzufrieden im Job zu sein, dass sie alles erneuern wollen. Anliegen wie „noch mal etwas tun, das Spaß macht“ oder „endlich den Traumjob finden“ stehen oft am Anfang der Beratung. Hofert lässt sich dann zunächst schildern, was am aktuellen Beruf als unpassend und unverträglich empfunden wird. Schon im Erstgespräch wird häufig deutlich, dass das eigentliche Problem nicht die Tätigkeit an sich ist, sondern dass es die Umstände sind, die den Zustand unzumutbar erscheinen lassen.

„Viele wollen vor dem Arbeitsdruck und den häufigen Umstrukturierungen im Unternehmen fliehen und denken, dass das in einem anderen Beruf anders wäre“, sagt Hofert. Oder sie seien gestresst von der sozialen Situation im Team und mit ihren Chefs. Hofert erzählt von einer Personalreferentin, die mit dem Anliegen kam, ihren Traumjob „endlich in Angriff zu nehmen“ und Pferdepflegerin zu werden. Schnell stellte sich heraus, dass diese Klientin sich quasi in einen Traumjob hineinfantasiert hatte, weil sie keinen angemessenen Umgang mit ihrem cholerischen Chef finden konnte. Dieser trug ihr fast täglich Botengänge auf, ließ sie Mettbrötchen für die Besprechungen schmieren. „Hier lag einfach ein Abgrenzungskonflikt vor“, sagt Hofert. „Im falschen Job war die fachlich sehr kompetente Frau nicht.“

In wenigen Sitzungen übte die Klientin mit Hoferts Hilfe Strategien, mit denen sie sich gegen die unangemessenen Aufträge des Chefs abzugrenzen lernte. Als das in Ansätzen gelang, entspannte sich die Situation – und das Thema Traumjob war vom Tisch.

Neben den alltäglichen Arbeitsplatzproblemen seien oft auch psychische Konflikte der Grund für den Wunsch nach einem ganz neuen Beruf, hat die Münchener Karriereberaterin und Psychologin Madeleine Leitner festgestellt. Obwohl Leitner eine Verfechterin von beruflicher Weiterentwicklung ist und vor einigen Jahren Richard Nelson Bolles Bestseller Durchstarten zum Traumjob nach Deutschland brachte, steht sie dem Konzept des radikalen Karrierewechsels, also eines Wechsels der Funktion und des Tätigkeitsfelds, heute skeptisch gegenüber.

Nur wenige Menschen sind wirklich im falschen Beruf

In einem Artikel für die Zeitschrift Wirtschaftspsychologieaktuellawagt sie folgende Einschätzung: „Von 100 Menschen, die in meine Praxis kommen, sind nur etwa drei bis fünf wirklich in einem falschen Beruf. Bei allen anderen liegen die Schwierigkeiten woanders.“ Oft seien es massive Selbstwertprobleme, ein zu hoher Leistungsanspruch oder Ängste, die Menschen beim Arbeiten ein so unangenehmes Gefühl geben, dass sie „nur noch raus wollen“.

Leitner beschreibt das Erstgespräch mit einem Controller. Er schilderte ihr, dass er an seinem Arbeitsplatz wohl falsch sei, weil er schon Beklemmungen bekomme, wenn er das Konzerngebäude betrete. Schnell wurde klar, dass er eine soziale Phobie hatte, die wiederum nichts mit der Eignung als Controller zu tun hatte. „Eine Psychotherapie ist dann natürlich angebrachter als ein Berufscoaching“, erklärt Leitner. Sie überwies den Klienten an eine klinisch arbeitende Kollegin. Auch er blieb letztlich in seinem Job und ist dort erfolgreich.

Manche tragen sich auch vor allem deshalb mit Wechselwünschen, weil sie das Gefühl haben, den eigenen Job sattzuhaben. Im Coaching zeigt eine berufliche Standortbestimmung aber häufig nur, dass Klienten an ihrem Arbeitsplatz letztlich gut aufgehoben sind. „Natürlich sind wir manchmal gelangweilt und unzufrieden und sehen dann gar nicht, wie gut der eigene Arbeitsplatz zu uns passt“, sagt Svenja Hofert. Wer sich nicht sicher ist, ob er einfach nur ein bisschen genervt oder im falschen Job ist, dem rät sie, sich zu fragen, wie groß die Arbeitszufriedenheit auf einer Skala von eins bis zehn ist: „Wenn Menschen ‚sieben oder mehr‘ antworten, ist meine Erfahrung, dass sie nicht wirklich wechseln wollen und wohl auch nicht sollten.“

Von solchen Erkenntnissen sind Klienten oft zunächst enttäuscht, weil sie eigentlich aufregende neue Optionen gesucht haben. Doch ein paar Tage nach der Ernüchterung folgt meist auch Erleichterung. Viele können ihre Sichtweise auf ihren Beruf und ihre Firma verändern – und freuen sich letztlich, dass sie unter guten Bedingungen in einem passenden Beruf arbeiten.

Dann eben ein eigenes Café?

Dennoch gibt es immer einen Anteil Glücksritter, die einen festen Traumjob im Kopf haben, den sie anpacken wollen: ein Café oder einen Laden eröffnen, Wedding- und Eventplanung sind beliebte Ideen. Häufig genannt werden auch Coach, Heilpraktiker oder Trainer. „Das blinde Verwirklichen vermeintlicher Traumjobs war besonders in der Zeit vor etwa acht bis zehn Jahren populär“, sagt Svenja Hofert. Damals war es durch die Ich-AG-Gelder und andere Fördermittel plötzlich ein gangbarer und einfacher Weg, sich mit guten und verrückten Ideen selbständig zu machen. Lagen laut KfW-Gründungsmonitor die Neugründungen 2004 noch bei etwa 2,5 Prozent pro Jahr, sind es heute nur noch 1,8 Prozent.

„Es hat sich mittlerweile rumgesprochen, dass es so einfach nicht ist“, sagt Hofert. „Viele der Unternehmen wurden wieder aufgegeben.“ Das hat vor allem damit zu tun, dass die Erwartungen an das Traumjob-Arbeitsfeld so gut wie nie mit der Realität übereinstimmen. Wer ein Café hat, verkauft nicht nur schöne Kuchen an nette Menschen, sondern muss auch abwaschen, früh aufstehen, einkaufen gehen – und verdient dabei oft nicht viel, sagt Hofert. Dazu kommt noch, dass eine erfolgreiche Selbständigkeit bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Durchhaltevermögen, Selbstvertrauen und Verkaufstalent voraussetzt. Auch das wird von vielen Arbeitnehmern unterschätzt, die sich versuchsweise auf diesen Weg begeben.

Bei Karsten Wengen* aus Stuttgart scheiterte die Selbständigkeit daran, dass er mitten im Gründungsprozess bemerkte, dass er keine Unternehmerpersönlichkeit ist. Der gelernte Kaufmann, der sein Leben lang für Modefirmen im Einkauf gearbeitet hatte, erfüllte sich den Traum von einem eigenen Modelabel mit besonderen Baumwollstoffen – eine sportlich-elegante Kollektion, die er zusammen mit einer Designerin entwarf. Dank seiner Branchenkenntnis und seines Verkaufstalents fanden die Produkte schnell Abnehmer. Doch als es zwischendurch Lieferschwierigkeiten gab und finanzielle Engpässe entstanden, bekam Wengen Angst.

„Ich bin ein Sicherheitstyp und freue mich eben doch, wenn ich das finanzielle Risiko nicht selbst tragen muss“, sagt er im Rückblick. Nach einigen Monaten voller schlafloser Nächte wickelte er sein kleines Unternehmen ohne Verluste ab und bewarb sich wieder für eine Festanstellung. Für den 50-Jährigen war der Ausflug in die Selbständigkeit trotzdem ein Gewinn: „„Ich weiß jetzt noch besser, was ich kann und was nicht.“

Lebenslange berufliche Entwicklung

Dass wir heute im Laufe des Arbeitslebens immer wieder an Wendepunkte kommen, an denen wir berufliche Visionen abklopfen und überdenken, davon ist die Hamburger Coachin und Autorin Doris Hartmann überzeugt. In ihren Büchern beschäftigt sie sich mit beruflichen Entwicklungen über die Lebensspanne. „Oft sind es äußere Anlässe wie Jobverlust, Umzug, eine Veränderung im Familienstatus wie eine Scheidung, die uns noch mal grundsätzlich über berufliche Fragen nachdenken lassen“, sagt Hartmann. Ihrer Meinung nach ist das legitim und richtig. Dennoch ist sie davon überzeugt, dass in verschiedenen Lebensaltern unterschiedlich große Veränderungen möglich beziehungsweise ratsam sind (siehe Kasten unten).

Wenn Klienten um die dreißig mit dem Wunsch kommen, noch einmal komplett umzusatteln, ergebe das oft Sinn. Viele hätten nach dem Studium und ersten Berufserfahrungen Bedarf, die Richtung zu verändern und nachzubessern. Doch auch hier achtet Hartmann darauf, ob ein kompletter Berufswechsel nötig ist – also zum Beispiel vom Rechtsanwalt zum Grafiker – oder ob ein Branchensprung oder eine kleinere Kurskorrektur ausreichen. Berufswechsel seien schließlich immer mit mehreren Jahren Aus- und Weiterbildung und finanziellen Einbußen verbunden.

„Je älter Klienten sind, die mit Umbruchwünschen kommen, desto deutlicher frage ich ab, ob sie von dem neuen Beruf leben müssen oder ob aus einem ersten Beruf Geld vorhanden ist“, sagt Hartmann. Einige Klienten überdenken ihre Wünsche dann noch einmal und finden Kompromisse. Manche bestehen weiter darauf, sich in einem Traumberuf zu verwirklichen. Ab vierzig kämen viele Menschen dann eher mit Sinnkrisen. Auch diese rufen zunächst häufig das Gefühl hervor, alles neu machen zu müssen. Doch das sei oft nicht nötig. „Es gibt viele Möglichkeiten für neue Wege“, sagt Hartmann. „Ich arbeite mit Klienten oft zu der Frage, welcher rote Faden sich durch ihr Berufsleben zieht. Wenn man weiß, welche Fähigkeiten und Erfahrungen man in die Waagschale werfen kann, wird es leichter, sich mit diesen im Gepäck ein neues Feld zu erschließen.“

Als Beispiel nennt die Beraterin eine Klientin, die jahrzehntelang als Sekretärin gearbeitet hatte, deren eigentliche Leidenschaft aber das Fach Geschichte war. Mit über 50 wollte sich die Frau diesen Lebenstraum erfüllen. An ein Studium war da nicht mehr zu denken, doch Hartmann erarbeitete mit ihr eine andere Idee: sich als Sekretärin bei einem Geschichtsprofessor zu bewerben. Mit ihrer Berufserfahrung und dem glaubhaften Interesse an historischen Themen bekam die Klientin tatsächlich eine solche Stelle. Heute macht sie neben der Verwaltungsarbeit auch kleine Recherchen, liest Fachaufsätze und arbeitet so wenigstens teilweise inhaltlich. Eine solche „Roter-Faden-LösungR gibt es laut Hartmann für beinahe jeden beruflichen Traum. Wichtig sei, die eigenen Fähigkeiten zu kennen und auf diese zu setzen. Außerdem sollte man seine Werte kennen – und ihnen treu bleiben.

Auch Wirtschaftspsychologin Kirsten Franke hat sich nach dem gescheiterten Abstecher in die Beratungsstelle eine solche Roter-Faden-Strategie zunutze gemacht. Sie verstand, dass sie mit ihrer Auffassungsgabe, ihrem Ehrgeiz und Stil im Grunde gut in eine Unternehmensberatung passt. Gleichzeitig sind für sie aber Werte wie „Menschen helfen“ und „Nachhaltigkeit“ sehr wichtig. Als Franke begriffen hatte, dass sie einfach ein Tätigkeitsfeld braucht, in dem man diese Werte teilt, fand sie Anschluss an einen Beraterpool, der systemische Organi­sations­­­entwick­lung und Gesundheitsprävention anbietet. Nach dieser gar nicht so riesigen, aber sehr passgenauen Veränderung hat sie nun endlich das Gefühl, am richtigen Platz zu sein.

Testen statt träumen

Wer jahrelang von einem bestimmten Job träumt, dem empfehlen Karriereberater oft, diesen Beruf für eine Woche auszuprobieren

Ob man nun als Musikerin, Weinbauer oder auf dem Markt arbeiten will: Der Praxistest zeigt schnell, ob man für die jeweilige Tätigkeit geeignet ist – und ob diese Freude macht. Einige satteln danach tatsächlich um. Häufiger ist aber, dass Klienten komplett Abstand nehmen vom Traumjob, weil sie sich diesen ganz anders vorgestellt hatten.

Im amerikanischen Raum gibt es einige Onlineplattformen, die mehrtägige Ausflüge in vermeintliche Traumjobs anbieten. Eine deutsche Firma hat nun nachgezogen: Bei Descape kann man unterschiedlichste Tätigkeiten tageweise ausprobieren.

Was ein Wechsel in welchem Lebensalter bedeutet

30 bis 39 Jahre

  • Ein Wechsel ist in diesem Alter meist eine Kurskorrektur. Diesen Veränderungswünschen nachzugehen ist häufig sinnvoll.

  • Oft spielt eine Rolle, dass man berufliche Erwartungen der Eltern erfüllt hat und sich davon nun emanzipieren möchte.

  • Es ist vieles noch offen: Branchen- und Tätigkeitswechsel sind manchmal durch Praktika und Quereinstiege möglich.

  • Auch wenn Aus- oder Weiterbildungen nötig sind: Viele sind in der Lebenssituation und haben die Energie, Mehrarbeit und finanzielle Einbußen auf sich zu nehmen.

  • Heirat und eigene Kinder sind oft Auslöser, neu über berufliche Positionen nachzudenken.

40 bis 49 Jahre

  • Ein Alter, in dem sich viele Menschen vermehrt mit dem Thema „Sinn“ von Arbeit und Leben auseinandersetzen. Sie suchen Tätigkeiten, die den eigenen Werten entsprechen.

  • Oft sucht und findet man eine neue Weichenstellung: Geht es in eine Führungsposition? In eine Fachkarriere? Passen Branchenwechsel oder Selbständigkeit?

  • Da man schon viel Berufserfahrung hat, bietet es sich an, auch bei radikalen Wechseln in neue Berufsfelder bisherige Kompetenzen in die Waagschale zu werfen.

  • Berufswechsel, für die ein ganz neues Studium oder eine andere Ausbildung nötig wären, sind möglich, aber oft mit hohen finanziellen und energetischen Kosten verbunden.

50 bis 59 Jahre

  • In diesem Alter geht es um eine Planung und Gestaltung der letzten Phase der Berufstätigkeit. Häufig kommt die Frage auf, ob man noch ein zweites Standbein dazunimmt oder noch einen Karriereschritt in der bisherigen Laufbahn macht.

  • Häufig sind die Wendepunkte schmerzhaft: Viele, die in den Vierzigern den Wechsel nicht gewagt haben, probieren ihn jetzt, oft ist das nun aber schwieriger.

  • Es passt trotzdem, jetzt auf Träume und Visionen zu hören. Noch stärker als in früheren Phasen ist dabei wichtig, neue Vorhaben mit dem bisherigen Berufsweg zu koppeln.

  • Doris Hartmann: Kurs auf Neues im Beruf: Wann wir Veränderungen brauchen und wie sie gelingen. Kreuz, Freiburg 2013

Bleiben oder gehen?

Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, sich beruflich weiterzuentwickeln, sollten Sie sich fragen, ob der Wechsel wirklich nötig ist – oder ob die Lösung doch woanders liegt. Notieren Sie am besten die Gründe, warum Sie dieses Gefühl haben.

Gute Gründe für einen Wechsel:

  • Die Firma hat finanzielle Schwierigkeiten, Gehälter werden nicht oder zu spät gezahlt

  • Das Zerwürfnis mit der direkten Führungskraft ist so eklatant, dass man auf keinen grünen Zweig mehr kommt

  • Die Ethik und Positionierung des Unternehmens passt in keiner Weise zu den eigenen Werten und Zielen

  • Es fehlen Kernkompetenzen, die für diese Arbeit nötig sind. Zum Beispiel wenn ein eher kreativ-chaotischer Mensch in einem Con­trollerjob landet, eine Ärztin kein Blut sehen kann etc.

  • Es herrscht so viel Routine – mehr als 70 Prozent – dass man nur noch gelangweilt ist und das Gefühl hat, nichts mehr dazuzulernen

  • Die Arbeit führt zum Burnout oder zu ernsthaften körperlichen Krankheiten

Schlechte Gründe für einen Wechsel:

  • Das Gefühl, ein anderer Job würde mehr „Spaß“ machen

  • Torschlusspanik: die Angst, jetzt noch mal etwas reißen zu müssen, bevor man zu alt ist

  • Diffuse Veränderungswünsche, zum Beispiel: „Irgendetwas im Leben muss anders werden“

  • Verärgerung, Frust, Kränkung durch einen Chef oder „die Firma“ und das daraus resultierende Gefühl, sofort alles ändern zu müssen

  • Die Idee, dass es im neuen Job keinerlei Probleme mit Kollegen, Chefs und engen Zeitplänen geben könnte

  • Ein Traumjob aus Kindertagen, nach dem man große Sehnsucht hat, ohne geprüft zu haben, ob er diesen Erwartungen standhält

„Wir versprechen uns zu viel vom Berufsleben“

In jedem Job gibt es Durststrecken, sagt die Karriereberaterin Svenja Hofert. Selbst im Traumjob

Frau Hofert, stimmt der Eindruck, dass wir heute hohe Ansprüche an den Beruf haben und viele nach einem Traumjob suchen?

Auf jeden Fall. Der Grund dafür ist, dass der Job heute so viel zu versprechen scheint und dann doch viel zu wenig hält. Es ist mittlerweile Konsens, dass durch die berufliche Verwirklichung sehr viel Erfüllung entsteht. Außerdem gibt es quasi einen „Zwang zur Berufung“. Das wird auch medial kreiert, weil viel darüber gesprochen wird, dass wir nur gut sein können, wenn wir den optimalen Job haben, wenn er uns ganz leicht von der Hand geht.

Lohnt es sich also nicht, nach einem passenden Job zu suchen?

Natürlich. Aber in jedem Job gibt es Nachteile und Durststrecken, und das kalkulieren viele nicht ein. Wir gehen bei Problemen schnell auf eine übergeordnete Ebene, stellen unseren gesamten Lebensentwurf infrage. Ich erlebe auch eine übermäßige Identifikation mit dem Beruf. In einer aktuellen Forsa-Umfrage wird etwa deutlich, dass jeder Zehnte es schlimmer finden würde, seinen Job zu verlieren als seine Beziehung. Das zeigt ziemlich deutlich, welchen Stellenwert Berufliches hat.

Welche Rolle spielt die Arbeitsmarktsituation?

Das ist ein wichtiger Faktor. Jeder Arbeitnehmer spürt, dass sein Job nicht komplett sicher ist, dass Entwicklung und ständige Wachsamkeit nötig sind. Es ist selbstverständlich, immer weiter dazuzulernen, sich in neue Gebiete einzuarbeiten. Dazu kommt, dass wir hautnah erleben, dass neue Branchen und Berufe auftauchen – und andere ganz verschwinden.

Welche Haltung zum Thema berufliche Entwicklung finden Sie hilfreich?

Ich zweifle am Konzept des Traumjobs. Man kann den Weg dahin gehen, aber der Preis eines Berufswechsels ist oft hoch. Meistens reicht es Unzufriedenen, eine Tätigkeit zu finden, die ein wenig näher am eigenen Ich ist als die bisherige. Das kann man mit gezielten Schritten hinbekommen.

Quelle

Svenja Hofert: Was sind meine Stärken? Entdecke, was in dir steckt. Gabal, Offenbach 2016

Geld ist nicht alles

Glücklich ist, wer sich morgens voller Vorfreude auf den Weg in die Arbeit machen kann

Für viele Menschen ist Arbeit ein notwendiges Übel. Sie haben einen Job, damit sie ihre Miete bezahlen und ihren eigentlichen Interessen nachgehen können. Für andere Menschen ist ihr Beruf Berufung. Sie sind leidenschaftliche Putzfrauen, Pizzabäcker oder Proktologen. Nichts fürchten sie mehr als den Tag, an dem sie in Rente gehen müssen.

Was unterscheidet zufriedene von unzufriedenen Angestellten? Das Gehalt ist es nicht, sagt Barry Schwartz, Psychologe amSwarthmore Collegein der Nähe von Philadelphia. Ein einfacher Tischler kann doppelt so glücklich sein wie der Manager einer Möbelfabrik, selbst wenn der Tischler nur halb so viel verdient. Wichtiger als Geld ist die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des eigenen Tuns. Schwartz meint: Wer glaubt, mit seiner Arbeit die Welt zu verbessern, schätzt sie auch mehr.

In seinem BuchWhy we work hat Schwartz Faktoren identifiziert, die einen Beruf zur Berufung werden lassen. Förderlich ist es demnach, wenn der Arbeitsalltag immer neue Herausforderungen bereithält. Zufriedene Lehrer, Unternehmensberater oder Fabrikarbeiter schätzen es, an Problemen zu wachsen. Leichter fällt dies, sagt Schwartz, wenn sie eigenständige Entscheidungen treffen können. Anders gesagt: Wenn der Chef jeden Handlungsschritt vorschreibt, lernt sein Untergebener wenig. Nicht zuletzt ist der Mensch ein soziales Wesen. Wer sich morgens voller Vorfreude auf den Weg ins Büro, in die Behörde oder die Fabrik macht, freut sich oft auch auf den Austausch mit Kunden und Kollegen.

Ist es ein Vorrecht der gesellschaftlichen Eliten, ihr Einkommen auf sinnvolle, herausfordernde, selbstbestimmte Art und Weise zu verdienen? Können nur Juristen, Ärzte und Professoren Freude an ihrer Tätigkeit empfinden? Beileibe nicht, sagt Barry Schwartz. Auch Portiers, Fabrikarbeiter und Callcenteragenten müssen nicht unzufrieden sein. Es kommt darauf an, was sie in ihrer Tätigkeit sehen und wie ihre Vorgesetzten diese organisieren.

Dass an Schwartzs Einschätzung etwas dran sein könnte, verdeutlicht eine Untersuchung der Psychologin Amy Wrzesniewski. Die Wissenschaftlerin von der Yale-Universität sprach in ausführlichen Tiefeninterviews mit amerikanischen Beschäftigten. Einer von ihnen ist Luke, der als Hausmeister in einem Krankenhaus angestellt ist. Zu seinen Aufgaben gehört es, Zimmer, Toiletten und Flure zu putzen. Doch Luke möchte nicht nur saubermachen und Glühbirnen wechseln. Lukes Anspruch ist, Patienten und ihren Angehörigen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. So gelingt es ihm, seine Tätigkeit mit mehr Sinn aufzuladen.Job ­shapingnennt Amy Wrzesniewski das.

Kann das jeder? Nein, sagt Barry Schwartz. Jeder Mensch bringt seine Persönlichkeit mit ins Büro. Und manchen fällt es schwerer als anderen, eine Bedeutung in ihrer Arbeit zu finden. Trotzdem gibt es objektive Faktoren, die dasjob shaping erleichtern.

Firmen können Arbeitsplätze so organisieren, dass sie abwechslungsreich sind und Angestellten die Möglichkeit zur Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten bieten. Und vielleicht am wichtigsten: Die Tätigkeit kann von den Arbeitnehmern als bedeutsam empfunden werden, indem sie mit dem Wohl anderer Menschen verknüpft wird. Das mag bei helfenden Berufen leichter nachzuvollziehen sein, ist aber grundsätzlich in vielen Feldern möglich.

Doch die Wirklichkeit ist eine andere. Viele Jobs sind so gestaltet, als würden Menschen ausschließlich für Geld arbeiten. Das Bild dahinter wurde von Denkern wie Adam Smith, dem Begründer der freien Marktwirtschaft, geprägt. Demnach handeln Arbeitnehmer nach einem rationalen Kalkül: Sie versuchen, den höchstmöglichen Lohn mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erzielen – ein gutes Pferd springt nicht höher, als es muss. Diese Denkweise beeinflusse das Handeln von Unternehmern und Führungskräften, meint Barry Schwartz. Es äußere sich beispielsweise in Misstrauen gegenüber Untergebenen.

Doch auf lange Sicht stünden Unternehmen mit zufriedenen Angestellten besser da als ihre Konkurrenten, sagt Schwartz. So seien die Marktführer in den verschiedensten Branchen überzufällig häufig jene Firmen, die ihre Angestellten gut behandeln.

Johannes Künzel

Quelle

Barry Schwartz: Why we work. Simon & Schuster, New York 2015

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2016: Mut zur Unsicherheit