Will ich führen?

Wie unterschiedlich das Selbstverständnis von Führungskräften sein kann, zeigen Interviews mit Professorinnen und Professoren verschiedenster Fachrichtungen.

Wie Führungskräfte heute sein und was sie können sollten, dazu gibt es eine Reihe von Empfehlungen aus Organisationspsychologie und Coaching. Das Spektrum reicht von hoher Fach- und Methodenkompetenz, ausgeprägter Team- und Konfliktfähigkeit, Delegationsfähigkeit und der Bereitschaft, Veränderungen und Innovationen anzustoßen. Wie sich Führungskräfte selbst wirklich sehen und inwieweit Führung ein Teil ihrer beruflichen Identität ist, darüber sei wenig bekannt, schreiben vier Wissenschaftlerinnen in einer explorativen Studie, für die sie 35 Professorinnen und Professoren befragten. Deutlich wurde: die Befragten setzten deutliche Schwerpunkte – ein Teil lehnte die Führungsrolle mehr oder weniger deutlich ab, für einen zweiten Teil war sie zentral in ihrer beruflichen Identität. 

Stephanie K. Rehbock von der Technischen Universität München und drei Kolleginnen befragten 35 Professorinnen und Professoren verschiedener Fachbereiche an deutschen Universitäten in Tiefeninterviews. Die Autorinnen erklären, den Beruf der Professorin für ihre Untersuchung gewählt zu haben, weil gerade hier ein Konflikt zwischen hochgradiger fachlicher Spezialisierung und den formalen Führungsanforderungen entstehen könne. Nur etwa die Hälfte betrachteten sich selbst als führend. Teil ihrer beruflichen Identität war es, Managerin oder Manager von Forschung zu sein oder als Führungskraft Einfluss auf Politik und Gesellschaft auszuüben. Die andere Hälfte wies die Führungsrolle von sich und sagte von sich, sie hielten sich entweder für Mentorinnen ihrer Teams oder sie sähen sich in erster Linie als Spezialisten für ihr akademisches Fach.

Mentoren und Managerinnen

Aus Sicht der Autorinnen ließen sich vier Führungs-Identitäten ableiten: Die Spezialistinnen, für die ihre Expertise und ihre Verantwortung für die Forschung im Vordergrund stehe und die eine formale Führungsrolle ablehnten. Die Mentorinnen, die sich zwar als Supervisoren für ihre Mitarbeitenden verstanden, aber sich für eine partizipative Form von Führung aussprachen, ohne allzu strikte Hierarchien. Die Manager, die sich ausdrücklich als Führungskräfte beschrieben, die ihren Teams klare Richtlinien vorgeben und systematisch organisieren wollten, delegierten und gerne Verantwortung übernahmen. Der zweiten Führenden-Gruppe gaben die Autorinnen den Namen shaper (Former): Das Thema war dominant in ihrer Selbstsicht als Führungskraft. Sie berichteten von dem Wunsch, dass ihr Einfluss auch in Politik und Gesellschaft hineinreiche, etwa wenn es um die Bedeutung von Technologie oder Forschung gehe.

Die Autorinnen regen an, dass in Weiterbildungen für Führungskräfte das jeweilige Selbstverständnis explizit erfragt werden sollte, etwa, indem man die Personen das aufschreiben lasse. Die Ergebnisse der 35 Interviews ließen sich wahrscheinlich nicht ausdrücklich auf die Situation in Wirtschaftsunternehmen übertragen, wohl aber könnten sie interessant für Kliniken und ähnliche Organisationen sein, wo Führungskräfte ebenfalls womöglich Dilemma verspürten zwischen ihren fachlichen und den darüber hinaus gehenden Führungsanforderungen.

Stephanie K. Rehbock u. a.: What kind of leader am I? An exploration of professionals` leader identity construal. Applied Psychology, 2022. DOI: 10.1111/apps.12389

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