Im Normalfall verstehen wir uns als „arbeitsfähig“, wir fühlen uns (und sind dann meist auch) psychisch und körperlich in der Lage, die Arbeit erfolgreich zu erledigen. Erstmals fragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr als 2000 Personen, es waren Angestellte im niederländischen Gesundheitswesen, wie sich ein wichtiges Lebensereignis auf ihre Arbeitsfähigkeit ausgewirkt hatte – und stellten fest: Diejenigen, die im Jahr vor der Befragung etwas Einschneidendes erlebt hatten, etwa Tod eines Angehörigen, die eigene oder Erkrankung des Partners oder der Partnerin, einen Umzug oder eine Scheidung, waren danach weniger arbeitsfähig – vor allem dann, wenn ihre Vorgesetzten ihnen nicht signalisiert hatten, dass sie um Unterstützung bitten könnten, wenn nötig.
Zur Arbeitsfähigkeit gehören auch gute Bedingungen
In der Wissenschaft versteht man darunter noch mehr, nämlich auch die Umstände, unter denen wir tätig sind: Arbeitsbedingungen, Unternehmens- und Führungskultur, Anforderungen des Jobs. Zur Arbeitsfähigkeit zählen also die persönlichen wie auch die Ressourcen, die wir im Job haben, aber auch die „weicheren“ Faktoren wie Werte, Wertschätzung, soziale Kompetenzen. Doch wenn wir etwas Einschneidendes erleben, kann uns das stark beanspruchen und unsere persönlichen Ressourcen erschöpfen. Die Forscherinnen und Forscher stellten fest: Knapp 12 Prozent der Befragten hatten im Jahr zuvor den Tod einer oder eines Angehörigen erlebt. Knapp viereinhalb Prozent berichteten von einem Umzug. Mehr als fünf Prozent waren selbst erkrankt, vier Prozent berichteten von einer schwereren Erkrankung des Partners oder der Partnerin. Seltener wurden folgende Ereignisse angegeben: Schwangerschaft, Geburt eines Kindes, Heirat.
Alle gaben an, wie stark dieses Ereignis in ihr Leben eingegriffen hatte. Außerdem füllten alle Befragten den Work Ability Index aus, ein wissenschaftlicher Fragebogen mit 60 Fragen dazu, wie Individuen ihre eigene Arbeitsfähigkeit und Situation einschätzen. Darüber hinaus wurde erhoben, wie die Teilnehmenden die Bereitschaft Ihrer Vorgesetzten zur Unterstützung bewerteten und ob sie in ihren Jobs die Möglichkeit hatten, sich weiterzuentwickeln und zu lernen (on-the-job training) und dies in dem Jahr vor der Befragung auch machten.
Hilfsbereitschaft ist entscheidend
Offenbar litt die Arbeitsfähigkeit derjenigen, die ein schwieriges Erlebnis gehabt hatten. Wurden die Vorgesetzten als hilfsbereit erlebt, war dies weniger der Fall. Wie wichtig es ist, dass Chefinnen und Chefs bereit sind zu helfen, zeigte sich auch bei den Frauen und Männern, die in dem Jahr vor der Befragung keine einschneidenden Erlebnisse gehabt hatten: Auch bei ihnen schwächte die fehlende Hilfsbereitschaft ihrer Vorgesetzten ihre allgemeine Arbeitsfähigkeit.
Die Forscherinnen und Forscher hatten die Teilnehmenden nur einmal untersucht, so dass keine Aussagen möglich seien, wie sich die Arbeitsfähigkeit nach dem Lebensereignis über längere Zeit entwickelt hatte. Ein unterstützendes Arbeitsklima lasse sich auf verschiedene Weise herstellen: Führungskräfte könnten eruieren, ob die Arbeit als fair erlebt werden, könnten Unterstützung anbieten und sich erkundigen, welche die richtige wäre. Sie sollten persönliche Aufmerksamkeit zeigen.
Karen Pak u. a.: Disruptiveness of private life events and work ability: The interaction effects of on-the-job training and supervisor support climate. International Journal of Stress Management, 2022. DOI: 10.1037/str0000244