Zurück in ihrem Büro atmet Petra Römer* ein paar Mal tief ein und aus. Erst mal runterkommen. Wenige Minuten zuvor war die junge Architektin zu ihrer Chefin gegangen, um zu klären, wie sie mit einer Verzögerung im Fensterbau bei einem ihrer Projekte umgehen sollte. „Meine Tür steht euch immer offen“, hatte die Büroleiterin immer wieder betont. Nur: Wenn Römer klopfte und etwas fragen wollte, erntete sie meist einen genervten Blick. Ganz offensichtlich wurde die Chefin ungern unterbrochen. Entsprechend…
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erntete sie meist einen genervten Blick. Ganz offensichtlich wurde die Chefin ungern unterbrochen. Entsprechend unkonzentriert reagierte sie auf Römers Frage und entsprechend misslich verliefen die Gespräche. Auch heute: Statt konstruktiv zu diskutieren hatte sie zuerst minutenlang über den unzuverlässigen Zulieferer geschimpft, um ihre Mitarbeiterin dann mit den Worten zu entlassen: „Finden Sie eine pragmatische Lösung. Das schaffen Sie schon. Sie wissen ja: Die pünktliche Abnahme ist für uns extrem wichtig.“ Die 34-Jährige war ratlos – und demotiviert. Nun wusste sie immer noch nicht, ob sie ein anderes Gewerk vorziehen, dem Fensterbauer Druck machen oder mit dem Bauherrn sprechen sollte. Also beschloss sie: Sie würde erst mal gar nichts machen; es war ja schließlich nicht ihre Firma.
Viele würden gern den Job wechseln
Enttäuscht von ihren Vorgesetzten fühlen sich viele Beschäftigte in Deutschland. Chefs und Chefinnen haben einen miesen Ruf. Im Agilitätsbarometer 2017, für das der Business-Dienstleister Haufe 1000 Führungskräfte und 1800 Mitarbeiter ohne Leitungsaufgaben befragte, bekamen sie zum wiederholten Male schlechte Noten: Fast jeder zweite Mitarbeiter ist demnach immer wieder oder ständig unzufrieden mit seinem Vorgesetzten. Eine aktuelle repräsentative Umfrage des Personaldienstleisters Manpower kommt zu einem ähnlichen Schluss: 46 Prozent der Beschäftigten würden ihren Job in den nächsten zwölf Monaten gerne wechseln. Einer der Hauptgründe: mangelnde Wertschätzung durch den direkten Vorgesetzten. Eine gute Arbeitsatmosphäre sieht anders aus. Dabei erwarten die Mitarbeiter von ihren Führungskräften keinesfalls unrealistische Fähigkeiten. Was sie sich dem Haufe-Agilitätsbarometer zufolge am meisten wünschen, klingt eher nach dem kleinen Einmaleins des menschlichen Miteinanders: Wertschätzung, Perspektiven für die persönliche Weiterentwicklung, Informationen über Veränderungen im Unternehmen, die sie betreffen. Warum tun sich viele Vorgesetzte so schwer, diese Anforderungen zu erfüllen?
Ein Grund für das Auseinanderklaffen von Wunsch und Wirklichkeit ist offenbar, dass die Vorgesetzten selbst gar kein Problem sehen. Gleich welche Arbeitnehmer-Befragung man betrachtet: Die allermeisten Führungskräfte – bei Haufe sind es 85 Prozent – sind davon überzeugt, dass sie mit ihrem Führungsstil eine gute und produktive Arbeitsatmosphäre schaffen. Wissenschaftler, die in diesem Bereich forschen, begreifen das als Resultat eines großen Missverständnisses. „Führungskräfte kümmern sich bei ihren Mitarbeitern häufig zu stark um die Sachebene und zu wenig um die Beziehungsebene“, sagt Jürgen Weibler, der den Bereich Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Leadership an der Fernuniversität in Hagen leitet und zu diesem Thema publiziert. „Deshalb passiert es leicht, dass sich die Führungskraft jeden Erfolg des Teams selbst zuordnet und daraus das Selbstbild ableitet, eine gute Führungskraft zu sein.“
Mangel an Wertschätzung
Die Fehleinschätzung vereinfacht die Welt aus Sicht der Führungskraft in einem für sie positiven Sinn. Sie führt aber auch dazu, dass Führungskräfte sich weniger um die grundlegende Personalarbeit kümmern, sondern sich stark auf die Schnittstelle zu ihrem direkten Chef oder den Kollegen auf Führungsebene fokussieren. Die Mitarbeiter spüren diesen Mangel an Wertschätzung und Verbindung: Alle Punkte, die sie in den Umfragen als quälend und demotivierend benennen, betreffen die zwischenmenschliche Ebene. Die fachliche Qualifikation ihres Chefs stellen sie meist nicht infrage.
Für Mitarbeiter und Unternehmen kann diese Unzufriedenheit ernste Folgen haben. In Umfragen des Beratungsunternehmens Gallup für seinen Engagement-Index 2016 mit mehr als 1400 Teilnehmern gaben Beschäftigte an, die von einem Führungsstil betroffen waren, der sie emotional nicht bindet, dass ihre Motivation in der Folge stark nachgelassen hatte. Sie machten Dienst nach Vorschrift, kündigten innerlich. Laut Gallup trifft das auf 70 Prozent der Arbeitnehmer zu. Schlechte Führung kann für die Betroffenen jedoch auch noch weit stärkere negative Konsequenzen haben.
Johannes Siegrist, inzwischen emeritierter Medizinsoziologe der Universität Düsseldorf, fand in zahlreichen Studien heraus, dass mangelnde Wertschätzung zu einer sogenannten Gratifikationskrise führt: Der Mitarbeiter hat das Gefühl, dass er mehr gibt, als er bekommt. Das bedeutet puren Stress – mit gravierenden Folgen für die Gesundheit. „Beschäftigte, die an mangelnder Wertschätzung leiden, haben ein doppelt so hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie jene, die sich wertgeschätzt fühlen“, erklärt Siegrist. Als wertschätzend empfinden Arbeitnehmer dabei nicht nur die direkte Anerkennung vom Chef, sondern auch ihr Gehalt und Entwicklungsmöglichkeiten. In einer der größten epidemiologischen Untersuchungen im Bereich der Arbeitswelt, der Whitehall II-Studie, wurden 1991 mehr als 10.000 Mitarbeiter aus 20 verschiedenen Londoner Büros untersucht. Dabei zeigte sich, dass auch ein geringer Handlungsspielraum enormen Stress für Beschäftigte bedeutet und direkt mit der Entwicklung koronaren Herzerkrankungen zusammenhängt.
Gute Feedback-Kultur motiviert
Heute weiß man gut, was einen Führungsstil ausmacht, der die Leistungsfähigkeit und Motivation beflügelt und zugleich die Gesundheit stärkt. Heike Bruch etwa, Professorin am Institut für Führung und Personalmanagement der Universität St. Gallen befragte für ihre Studie Gesunde Führung knapp 16.000 Mitarbeiter und Führungskräfte in 96 Unternehmen. Zusätzlich analysierte sie die Geschäftserfolge der Firmen. Ihr Fazit: Mitarbeiter in Unternehmen, in denen Führungskräfte „ergebnisorientiert und inspirierend“ führen– mit klaren Zielen, einer guten Feedback-Kultur und Vorbildwirkung in Leistung und Engagement –sind die gesündesten, und sie zeigen auch die höchste Leistungsbereitschaft. Das Wohlbefinden der Beschäftigten in solchen Betrieben ist um etwa 30 Prozent höher, ihr Engagement liegt fast 20 Prozent und die Unternehmensleistung 15 Prozent über dem in Vergleichsunternehmen. Gefühle der Resignation, Kündigungsabsichten und sabotierendes, geschäftsschädigendes Verhalten treten dagegen um bis zu zwei Drittel weniger auf.
Freiheit und Rückendeckung zugleich
Sowohl die ergebnisorientierte als auch die inspirierende Führung zählen zu den sogenannten mitarbeiterorientierten Führungsstilen. Hier kümmert sich der Vorgesetzte neben der sachlichen Zielvorgabe auch um das Wohl seiner Schützlinge, interessiert sich für deren Gefühle und Bedürfnisse (siehe Kasten Seite x). Führungskräfte, die ergebnisorientiert führen, legen großen Wert auf klare, transparente und wertschätzende Kommunikation. Sie geben ihren Mitarbeitern regelmäßig differenziertes Feedback zu ihrer Arbeit. Dazu gehört Lob ebenso wie konstruktive Kritik. Die Mitarbeiter erhalten bei ihren Aufgaben viele Freiheiten, aber auch Rückendeckung. „Die Führungskraft bietet sich als Auffangnetz an, wenn Unterstützung gefragt ist“, sagt Bruch.
Der SAP-Dienstleister Abat aus Bremen beispielsweise lässt Berufseinsteiger schnell zum Kunden. Sie bekommen viel Spielraum und Verantwortung – und wachsen daran schnell. Das fördert Motivation und Engagement. Dabei wird der Mitarbeiter keineswegs sich selbst überlassen; er bekommt einen erfahrenen Projektleiter an die Seite, damit er auf Ressourcen zurückgreifen kann, wenn es stressig oder schwierig wird. Inspirierende Führungskräfte zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie selbst in ihrer Tätigkeit engagiert sind – und auch in ihrem Team Eigenverantwortung und Entwicklung aktiv fördern. Sie vermitteln Sinn, indem sie die Unternehmensvision für jeden Mitarbeiter so übersetzen, dass er spürt, dass sein Beitrag eine wichtige Rolle für das Gesamtziel spielt. So entwickelte die Firma Swagelok, Hersteller für Verschraubungen und Ventile, eigens einen Film, der den Beitrag der Produkte für die erfolgreiche Marsmission illustriert. In der Tochterfirma in Hamburg entscheidet die Belegschaft alle zwei Jahre demokratisch in einer zweitätigen Klausur über die mittel- und langfristigen Unternehmensziele. Beide Firmen belegen im Business-Ranking Top Job, das die besten Arbeitgeber im Mittelstand auflistet, regelmäßig erste Plätze.
Gesunde Führung zahlt sich aus
Führungsforscherin Heike Bruch untersuchte auch, ob sich die positiven Effekte durch eine explizit gesunde Führung noch verstärken lassen. Dieses Konzept beinhaltet, dass der Chef sich für die Gesundheit seiner Mitarbeiter mitverantwortlich fühlt. Er unterstützt sie darin, Pausen zu machen oder nach fordernden Zeiten kürzer zu treten; er erkennt gesundheitliche Warnsignale und weiß, was dann zu tun ist; er achtet selbst auf seine Gesundheit. Und tatsächlich: In so geführten Firmen sind psychische Probleme seltener, Engagement und Wohlbefinden dafür tendenziell höher.
Führungskräfte müssen ihre Mitarbeiter also weder besonders anheizen, noch zusätzlich motivieren, um gute Leistungen zu bekommen. Es reicht völlig, wenn sie ihre Mitarbeiter mit ihrer vorhandenen Bereitschaft abholen. Aber genau das ist offensichtlich auch eine Kunst: „Organisationen haben eigentlich nicht das Problem, Leute zu finden, die Aufgaben interessant finden, Lust haben sich zu entwickeln und im Team gute Leistung bringen wollen“, sagt Führungsforscher Jürgen Weibler. Seiner Ansicht nach ist schon viel gewonnen, wenn es einem Chef gelingt, diesen Drang und die interessierte Haltung beim Mitarbeiter nicht zu zerstören. Doch warum setzen so viele Vorgesetzte nichts von dem vorhandenen Wissen im Alltag um und wirken stattdessen im schlimmsten Fall weiter als Motivationskiller – und fühlen sich dabei dennoch wie starke Führungskräfte?
Führung ist nicht dasselbe wie Leitung
„Ein Grundproblem in der Diskussion um die Qualität von Vorgesetzten ist, dass die meisten schlicht nicht zwischen Führung und Leitung unterscheiden“, sagt Weibler. „Führungskräfte nehmen in der Regel an, dass sie Kraft ihrer Position führen. Doch das ist ein Irrtum.“ Vertraglich wird einer Führungskraft eine Leitungsfunktion zugeschrieben. Das heißt, sie hat bestimmte Befugnisse. Mit Führung habe das erst einmal nichts zu tun: „Eine Führungsperson ist vielmehr jemand, der den Mitarbeiter als Mensch bewegt, ihn so geistig, emotional und motivational in Bewegung setzt.“ Die Entscheidung, ob das so ist, liege nicht in der Hand des Vorgesetzten, betont Weibler: Wenn keiner folgt, kann niemand führen. „Führung entsteht immer in den Köpfen der Geführten und wird dann in der entstandenen Führungsbeziehung im Berufsalltag fortgeschrieben.“ Am Ende obliegt es den Mitarbeitern, wen sie als Führenden anerkennen. Alle anderen bleiben Leitende. Sie haben die Macht, anzuweisen, Aufgaben zu verteilen und auf Anforderungen der Organisation zu reagieren – das ist aber auch schon alles.
„Im Alltag entscheiden Mitarbeiter sehr schnell und fast intuitiv, ob sie einem Vorgesetzten Führerschaft zusprechen“, erklärt der Personalforscher. Die Kriterien, die sie dabei anlegen, hat Weibler anhand von Studien herausgearbeitet. Integrität, inspirierendes Verhalten, Entschlossenheit, Leistungsorientierung und teambildendes Verhalten sind häufig ermittelte positiv besetzte Führungsprototypen. Merkmale, die auf eine egoistische, ungerechte oder unzuverlässige Persönlichkeit schließen lassen, verhindern die Anerkennung in der Regel.
Ist diese Entscheidung einmal getroffen, bleibt sie stabil. Lediglich bei großen Veränderungen widerrufen Mitarbeiter sie. Gerät das Unternehmen beispielsweise in eine Krise oder erlebt man mit dem Vorgesetzten eine große Enttäuschung, stellt sich die Frage nach der Führung erneut: Ist die Person vielleicht doch ungerecht, unzuverlässig oder entscheidungsschwach? Fällt das Urteil negativ aus, stufen Mitarbeiter die Führungskraft von nun an eher als Leitenden ein. Der Vorschuss an Vertrauen und Vorbildfunktion schwindet, das, was nur Führung möglich macht, gleich mit.
Bei schlechter Führung geht der Mitarbeiter
So erging es auch Sebastian Weber, Verlagsangestellter und Profi für neue Vertriebswege. Viele Jahre lang vertraute er seinem Chef blind. Er fühlte sich gefördert und stand voll hinter dessen ehrgeizigen Zielen. Dafür arbeitete er sogar abends und am Wochenende. Dann wurde Weber schwer krank und wollte anschließend weniger arbeiten. Sein Chef zeigte dafür zuerst Verständnis – unternahm aber auch auf Nachfrage nichts, um Weber zu entlasten. Er machte im Gegenteil deutlich, dass Weber eine Mehrbelastung darstellte, und er letztlich derjenige sei, der Grund zur Beschwerde hätte. Dass er Arbeit übernommen, die Kunden besänftigt, das Projekt gerettet habe. Weber war enttäuscht. Er nahm erfolglos noch mehrere Anläufe für ein Gespräch. Dann versuchte er es mit „Dienst nach Vorschrift“, doch das lag ihm nicht. Man trennte sich. Noch Monate später fühlte der Vertriebler sich verraten und gekränkt, wenn er an diese Zeit zurückdachte.
Dass der Mitarbeiter und nicht der Chef gehen muss, wenn die Führung unerträglich wird, ist Normalität. „Leider zählt in den wenigsten Unternehmen, wie gut ein Chef führt“, sagt Führungskräftetrainerin und Autorin Maren Lehky. „Entscheidend sind der Umsatz oder der Beitrag zur Wertschöpfung und wie loyal der Chef seinem Chef gegenüber ist.“ Lehky beobachtet aber auch, dass immer mehr Vorgesetzte lieber moderner führen würden. Allein: Sie wissen nicht, wie sie ihre Mitarbeiter im hektischen Alltag ergebnisorientiert, inspirierend und gesundheitsförderlich führen sollten. Je nach Unternehmensgröße sehen sie gar nicht alle regelmäßig und haben schon gar keine Zeit für ein persönliches Gespräch. Zwischen gelebter Führungskultur und den Erwartungen der Mitarbeiter klafft insofern vielfach eine Lücke, die stets größer wird, wie die Trendstudie 2016 der Jobbörse Stepstone zeigt, für die 14000 Fachkräfte befragt wurden. 83 Prozent erwarten von ihrem Job demnach, dass er ihre persönliche Entwicklung beflügelt. 60 Prozent der Berufseinsteiger und 87 Prozent der älteren Fachkräfte sind davon überzeugt, dass ihre Arbeitskraft zum Unternehmenserfolg beiträgt. Die Mehrheit der Befragten legt folgerichtig Wert darauf, ihre Arbeit selbst gestalten zu können, und erwartet Entscheidungskompetenz. Auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Gesundheit ist ihnen wichtig. 80 Prozent würden ausschließlich bei einem Arbeitgeber anfangen, mit dessen Werten und Produkten sie sich identifizieren können.
Zeit- und Führungsdefizit ist geschäftsschädigend
Beschäftigte mit guter Ausbildung sind heutzutage offensichtlich anspruchsvoll. Der Führungskraft kommt nun die Aufgabe zu, die Erwartungen der Mitarbeiter und die Realitäten im Unternehmen miteinander zu verschränken. Eine gute Gesprächskultur ist hierbei unverzichtbar. Das chronische Zeit- und Führungsdefizit der Vorgesetzten ist damit kein Kavaliersdelikt, sondern letztlich extrem geschäftsschädigend. „Ohne Reflexion über seine Situation und klare Entscheidungen kann man heute keine gute Führungskraft sein“, ist sich Lehky sicher. Wer den Dingen einfach seinen Lauf lässt, wird niemals Zeit für seine Leute finden. „Führung ohne Zeit funktioniert nicht“, sagt die Expertin. Sie rät Chefs dazu, für klare Zeitfenster sorgen, in denen sie sich um ihre Mitarbeiter kümmern. Sei es in strukturierten Mitarbeitergesprächen, die Entwicklungsziele festlegen, oder in Tür- und Angel-Besprechungen über den Projektstand oder für konstruktive Problemberatungen, wenn ein Projekt hakt. Jeder könne in seiner Abteilung dafür sorgen, dass die E-Mails weniger und die Meetings kürzer und effizienter werden, so Lehky. Dass Führung ein Talent sei, das der eine hat und der andere eben nicht, habe sich schon lange als Irrtum erwiesen. Aber man muss sie eben auch lernen.
Sich selbst ändern, kann den anderen ändern
Bisher sieht die Führungskräftelaufbahn häufig so aus: Junge Führungskräfte werden in Assessment-Centern oder Gesprächen auf ihre Eignung geprüft oder haben sich aufgrund fachlicher Leistungen empfohlen. Danach bieten Firmen Weiterbildungen an, die nur ein Teil der Beförderten in Anspruch nimmt. Eine echte Entwicklung und Begleitung der Mitarbeiter in gehobenen Positionen findet nur selten statt. Das zeigt auch die Tatsache, dass Führungskräfte selbst häufig genauso unzufrieden mit ihren Vorgesetzten auf der nächsten Ebene sind, wie ihre Mitarbeiter mit ihnen. Solange nicht mehr Firmen sich intensiver um eine Führungskultur kümmern, wird mittelmäßige bis üble Führung weiter üblich sein. Wer selbst etwas daran ändern will, sollte kreativ sein, meint Lehky. „Die größte Chance, dass ein Gegenüber sich ändert, hat man, wenn man bei sich selbst beginnt.“
Wie die Architektin Petra Römer. Sie hatte erkannt, dass ihre Chefin ungern gestört wurde; die offene Tür war dieser zwar vom Unternehmen vorgegeben, passte ihr aber gar nicht. Dafür war sie in der Mittagspause offen und zugewandt. Römer änderte also ihre Strategie und erzählte ihrer Chefin von nun an auf dem Weg zur Kantine von ihren Projekten „Meist bekomme ich so die notwendigen Antworten um gut weiterzuarbeiten“, sagt sie. Die Lust am Job ist zurück. Und ihre Chefin kann sie nun auch wieder in einem anderen Licht sehen.
* Name geändert
Führungsstile – und was sie für den Mitarbeiter bedeuten
Bis in die 1930er Jahre vermutete man, dass die Qualität der Führung von bestimmten Eigenschaften des Vorgesetzten abhängt. Dann zeigten Metastudien jedoch, dass es keine Merkmale oder Merkmalsgruppen gibt, die Führungskräfte von Teammitgliedern unterscheiden. Seitdem nimmt man an, dass vor allem situative Faktoren bestimmen, ob eine Person als Führungskraft gesehen wird. Führung beschreibt also eine bestimmte Art von Beziehung. Folgerichtig untersucht die Führungsforschung den Zusammenhang zwischen einem bestimmten Verhalten und dem Erfolg von Führungskräften. 1939 beschrieb Kurt Lewin drei Führungsstile, die bis heute als klassisch gelten:
Autoritäre Führung. Der Chef entscheidet, wo es langgeht, er gibt das Ziel und den Weg dorthin vor. Vorteil: schnelle Reaktion auf Situationen (zum Beispiel Feuerwehr, Militär). Nachteil: Keiner denkt mit; die Mitarbeiter sind ohne den Chef hilflos.
Demokratische Führung. Die Führungskraft fragt die Mitarbeiter nach ihrer Meinung. Am Ende trifft sie zwar die Entscheidung, aber auf Grundlage der Diskussion. Vorteil: Die Mitarbeiter sind motivierter. Auch wenn der Chef weg ist, läuft der Laden. Nachteil: langsame Entscheidungsprozesse.
Laisser-faire. Die Führungskraft lässt den Mitarbeitern freie Hand, sei es, dass sie den Weg zu einem definierten Ziel frei wählen oder auch das Ziel selbst. Vorteil: motiviert Hochleister und Kreative extrem. Nachteil: kann auch ins Chaos münden und Neid oder Missgunst im Team auslösen.
Heute wird der demokratische Führungsstil bevorzugt eingesetzt und als mitarbeiterorientierter Führungsstil immer weiter ausdifferenziert. Zwei Vorgehensarten gelten derzeit als besonders motivierend, leistungssteigernd und gesundheitsfördernd zugleich.
Transaktionale Führung (= ergebnisorientierte Führung). Basiert auf der Idee, dass die Führungsbeziehung auf einem Austausch beruht: Der Mitarbeiter gibt seine Arbeitskraft, der Arbeitgeber/ Vorgesetzte dafür Anerkennung, Feedback und Entlohnung. Bonuszahlungen, Beteiligungen oder andere Vorteile werden als Anreize für die gewünschte Leistung gesetzt.
Transformationale Führung (= inspirierende Führung). Eine Weiterentwicklung der transaktionalen Führung. Sie will zusätzlich das Wertesystem des Mitarbeiters im Sinne des Unternehmens beeinflussen, etwa durch vorbildhaftes Verhalten oder Visionen. Der Mitarbeiter wird so angeregt, sich nicht an egoistischen, kurzfristigen Zielen zu orientieren, sondern sich am langfristigen Erfolg des Teams oder der Firma auszurichten. Mehr intrinsische Motivation ist die Folge.
Situative Führung. Der derzeit populärste Führungsstil. Der jeweilige Führungsstil richtet sich nach dem „Reifegrad“ des Mitarbeiters, der sich aus den Dimensionen Kompetenz und Engagement ergibt. Die zentrale Frage ist: Wie hoch sind Können und Wollen beim jeweiligen Mitarbeiter ausgeprägt? Im Idealfall sorgt die Führungskraft durch geschickte Steuerung von Zielen, Entwicklungsmöglichkeiten, Unterstützung und Handlungsspielraum dafür, dass sich im Team jeder vom Status „Anfänger“ (viel Engagement, wenig Kompetenz) zum „Liebling“ (hohes Engagement, hohe Kompetenz) entwickelt.
Zum Weiterlesen: Thomas Fritzsche: Führen. Einfach. Machen. Hogrefe 2017
Befördert bis zur Unfähigkeit?
Der Universitätsprofessor und „Hierarchologe“ Laurence J. Peter formulierte 1969 das sogenannte Peter-Prinzip. Kernthese: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“ Spätestens nach ein, zwei sinnvollen Beförderungen sei es so weit, und obwohl die Betroffenen auch dann weiter Nützliches leisten wollten, gelinge das kaum. „Die Arbeit“, so Peter, „wird von den Mitarbeitern erledigt, die ihre Stufe der Inkompetenz noch nicht erreicht haben.“ Das Fatale: Fast jeder ist „versessen“ darauf aufzusteigen. Die Folge: Frustration und Ärger, beim Betroffenen selbst, bei Unter- und möglichen Übergeordneten; (Gesundheits-) Probleme. „Beständiges Glück“, so Peter, „kann man nur dadurch erlangen, dass man die letzte Beförderung vermeidet.“ Das verlangt allerdings die Fähigkeit, die eigenen Grenzen zu erkennen – und sich Aufstiegsangeboten statthaft zu erwehren.
EMT
Raus aus der Kränkungsfalle
Viele Probleme zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten beruhen auf Kränkungen. Solche Konflikte laufen häufig nach dem sogenannten Drama-Dreieck ab. Ein Beispiel: Die Mitarbeiterin fühlt sich von ihrem Chef gekränkt, weil dieser sie im Meeting wenig wertschätzend kritisiert hat. Die Sache scheint klar: Sie ist das Opfer, er der Täter. Sie beklagt sich bei ihrem Kollegen. Dieser wird zum Helfer, und ab jetzt schimpfen sie gemeinsam auf den Chef.
„Wenn sich diese drei Rollen installiert haben, sind sie nur noch sehr schwer zu verändern“, sagt die Psychologin Bärbel Wardetzki. Das erschwert die Zusammenarbeit und schlimmer: Verhärtete Kränkungen können Teams regelrecht zerreißen, bei Mobbing sind sie häufig ein Auslöser. Gerade im Arbeitskontext sollte man Kränkungen deshalb ernst nehmen und konstruktiv mit ihnen umgehen, „Die Lösung liegt in der Übernahme von Verantwortung für die eigenen Gefühle und in einem lösungsorientierten Verhalten“, erklärt Wardetzki. Ihr Ratschlag:
1. Das Problem direkt ansprechen, statt beleidigt zu sein. „Sie haben mich in letzter Zeit häufig wenig wertschätzend kritisiert. Warum?“
2. Sagen, wie man es stattdessen haben möchte. „Sie können mich natürlich kritisieren. Aber ich möchte, dass das fair und konstruktiv geschieht.“
Wenn die Kränkungsgefühle sehr stark sind, empfiehlt die Psychologin, sich eher einem neutralen Dritten, zum Beispiel vom Betriebsrat oder einem Coach, anzuvertrauen, als den Vorgesetzten direkt anzusprechen. Auf diese Weise kann man seine Gefühle ausdrücken und akzeptieren, um im Gespräch mit der Führungskraft einen kühlen Kopf zu bewahren: „Man wird erleben, dass man dafür sorgen kann, dass man eine konstruktive Rückmeldung bekommt und nicht mehr übergangen wird.“
Bärbel Wardetzki: Kränkungen am Arbeitsplatz. Strategien gegen Missachtung, Gerede und Mobbing. dtv: München, 2016
Was tun, wenn der Chef schwierig ist?
Jeder Chef und jede Chefin hat Ecken und Kanten – aber an manchen Eigenschaften haut man sich die Nase blutig. Tipps und Tricks zum Umgang mit schwierigen Vorgesetzten.
Der Narzisst. Das Problem: Narzissten sind extrem Ich-bezogen und hassen Kritik. Strategie im Umgang: Loben Sie Ihren Vorgesetzten für alles, was er aus Ihrer Sicht gut macht. So besänftigen Sie die nagenden Selbstzweifel des Narzissten und bauen einen „Beziehungskredit“ auf. Kritik äußern Sie als „Trojanisches Pferd“: Statt „Das haben Sie falsch gemacht“ besser: „Vielleicht wäre an dieser Stelle Ihre geniale Taktik aus dem XY-Gespräch noch besser gewesen.“ Nie vor anderen kritisieren. Akzeptieren Sie, dass Ihre Führungskraft wenig lobt. Sie kann nicht anders.
Der Psychopath. Das Problem: Diese Führungskräfte sehen nur sich selbst und ihren Vorteil. Alle anderen sind austauschbar. Strategie im Umgang: Gehen Sie Konflikte ein, formulieren Sie klare Forderungen, reagieren Sie auf versteckte „Tests“ Ihrer Kompetenz klar und unverzüglich. Das löst Respekt aus. Nur kein Understatement. Weisen Sie auf Ihre Stärken und Erfolge immer wieder hin.
Der Zwanghafte. Das Problem: Der Chef, die Chefin ist extrem unflexibel und kontrollierend. Strategie im Umgang: Um alle Handlungen, die einen selbst nicht direkt im Arbeitsablauf stören, sollte man sich nicht kümmern. Denn: Die Führungskraft kann nicht anders. Für ihr eigenes Gefühl von Sicherheit braucht sie diese Regeln und ständige Kontrolle. Wo es einen direkt tangiert: Sprechen Sie das Thema an, versichern Sie, dass Sie Ihre Arbeit gut und gewissenhaft machen und dass Sie sich über mehr Vertrauen freuen würden.
Im Falle, dass die Schikanen unerträglich werden, sollte man sich Unterstützung holen, beim Betriebsrat, Gleichstellungsbeauftragten, Vertrauensmann oder der Gewerkschaft. Auch spezielle Beratungsstellen können helfen, falls in der Firma das nötige Vertrauensklima fehlt.
Rainer Sachse, Annelen Collatz: Spaß an der Arbeit trotz Chef. Springer: Berlin, 2015
„Man darf sich nicht verbiegen“
Führungsexperte Jürgen Weibler über den Druck, unter dem viele Führungskräfte heute leiden – und wie sie trotzdem eine gute Beziehung zu ihren Mitarbeitern pflegen können
Herr Professor Weibler, was quält Führungskräfte in modernen Unternehmen besonders?
Das größte Problem ist der Ertragsdruck. Die Renditeerwartungen in vielen Unternehmen sind unrealistisch hoch. Sie lassen sich ohne extreme Arbeitsbelastung und -verdichtung nicht erfüllen. Das führt zu Folgeproblemen, die die Führungskräfte belasten: extreme Projektüberlappung, zu wenig Personal, ständiger Zeitmangel.
Als Chef sollte man doch fähig sein, diese Probleme zu lösen.
Da kommen wir zum zweiten Problem, das Vorgesetzte belastet: Sie haben niemanden, an den sie sich mit Sorgen wie unrealistischen Zielen oder Personalengpässen wenden können. Auf der nächsthöheren Hierarchieebene interessiert sich keiner dafür.
Wie agieren Führungskräfte, die ihren Job trotz dieses Druckes schätzen und gleichzeitig von den Mitarbeitern geschätzt werden?
Das sind zum Beispiel Chefs, die mit ihrem Team offen über unrealistische Erwartungshaltungen sprechen. Sie verdeutlichen ihre Sicht der Dinge – ohne Sorge, dabei ihr Standing zu verlieren. Sie hören sich an, wie ihr Team dazu steht, welche Ideen es gibt, wie man mit der Sache umgehen kann. Das setzt allerdings voraus, dass der Vorgesetzte reflektiert ist, eine Haltung hat und Rückgrat, um Entscheidungen auch auf der nächsten Hierarchieebene zu vertreten.
Das klingt nach einer recht idealtypischen Person.
Davon gibt es sicher zu wenige. Das liegt unter anderem an der Personalauswahl. Normalerweise wird man wegen seiner fachlichen Leistung befördert. Doch nicht jeder, der fachlich exzellent ist, ist automatisch auch gut in Personalführung. Personalentwicklungskonzepte sollten deshalb unbedingt auch temporäre Führung anbieten, beispielsweise als Projektleitung. So hat jeder schon früh die Chance, Qualitäten und Erfahrungen im Bereich Personalführung zu entwickeln.
Gerade jüngere Führungskräfte erleben häufig, dass ein Team sie nicht annimmt. Was hilft da?
Eine Führungskraft denkt in der Regel nach vorne und will Dinge langfristig verbessern. Junge Führungskräfte wollen oft zu schnell zu viel Veränderung und verlieren dadurch das Vertrauen des Teams. Eine Führungskraft muss aber zuerst Vertrauen gewinnen, bevor die Menschen sie dauerhaft als Vorgesetzte akzeptieren und ihr auch auf Wegen folgen, die sie als unbequem empfinden. Zum Beispiel kann die Führungskraft erst einmal in die Rolle des Lernenden schlüpfen und das Team nach den Arbeitsabläufen und Erfahrungen fragen. Sie muss das, was die Gruppe auf der emotionalen Ebene antreibt, verstehen. So lernt man viel und sammelt gleichzeitig Vertrauenspunkte.
Man muss sich das wie ein Konto vorstellen: Hat die Führungskraft ein gewisses Guthaben des Vertrauens und hat gezeigt, dass sie sozial und fachlich versiert ist, kann sie Veränderungen einleiten. Ihr wird zugesprochen, dass ihre Ideen eine Berechtigung haben, auch wenn man als Teammitglied vielleicht Vorbehalte gegen die Neuerung hat. Mit der Veränderung hebt sie sozusagen Vertrauenspunkte vom Konto ab. Deshalb ist es wichtig, dass die Neuerung relativ schnell Erfolge zeigt. Sonst verbrät man seinen Kredit. In der Forschung firmiert dies unter der Idiosynkratie-Kredit-Theorie der Führung.
Kann eine Führungskraft überhaupt die Erwartungen, Bedürfnisse und Werte jedes einzelnen Mitarbeiters berücksichtigen?
Sie muss sie vor allem kennen und wertschätzen, denn sie repräsentieren ja ganz wesentlich die jeweilige Persönlichkeit. Dies gelingt über Gespräche und Beobachtung. Ziel ist immer, diese Energiespender in Entscheidungen bestmöglich zu integrieren. Wenn die Führungskraft etwas gegen den Widerstand der Mitarbeiter durchsetzen muss, sollte dies reflektiert und nicht blind hierarchisch erfolgen. Und sie sollte die Entscheidung begründen. Vom Erfolg der Entscheidung hängt ab, ob die Akzeptanz der Führungskraft steigt oder fällt. Fehlt die Akzeptanz, gibt es auch keine Geführten, sondern nur vertraglich und positionsbedingt zugewiesene Mitarbeiter.
Stichwort schwieriger Mitarbeiter: Das Team zieht mit, nur einer will nicht. Was dann?
Es stellt sich die Frage, ob diese Person schon immer schwierig war oder ob das eine neue Entwicklung ist. Ist Letzteres der Fall, könnte das Problem die Aufgabe sein, also die fachliche Ebene. Vielleicht ist die Person auch über- oder unterfordert. Oder hat sie eine Aufgabe übernommen, die im Team nicht anerkannt ist? Vielleicht gibt es einen unausgesprochenen Konflikt zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder Unstimmigkeiten unter den Kollegen. Sollte ich als Führungskraft der Auslöser sein, habe ich die Möglichkeit, die Situation im Gespräch zu verstehen und zu klären. Wenn eine Führungskraft übrigens das Gefühl hat, dass sie fast nur schwierige Mitarbeiter hat, sollte sie bei sich selbst schauen.
Das Gespräch mit den Mitarbeitern ist offensichtlich zentral. Ohne geht nichts, oder?
Stimmt, trotzdem wird in deutschen Unternehmen noch zu wenig geredet. Für Gespräche braucht man Zeit. Die nehmen sich die allerwenigsten Führungskräfte. Das verstärkt viele Probleme.
Frauen gelten ja als kommunikativer. Man könnte annehmen, dass sie die besseren Chefs sind. Aber weibliche Vorgesetzte haben es schwer.
Das größte Problem der Frauen ist immer noch die Diskriminierung durch das Stereotyp. Eigenschaften wie energisch, entscheidungsfreudig, analytisch oder dominant, die man einem idealen Manager typischerweise zuschreibt, sind immer noch männlich konnotiert. Wenn Frauen so handeln, kollidiert das mit dem Rollenbild. Schnell wird die weibliche Führungskraft nicht als positiv dominant bewertet, sondern als negativ herrschsüchtig.
Die britische Management-Expertin Michelle Ryan konnte in neuen Studien zeigen: Sogar wenn Frauen ganz nach oben aufsteigen, also die sogenannte gläserne Decke durchbrechen, hört die Benachteiligung aufgrund von Vorurteilen nicht auf. Frauen werden nicht gleichwertig in die Riege der Top-Ebene aufgenommen. Sondern sie werden überproportional häufig an risikoreiche Projekte gesetzt. Die Gefahr zu scheitern ist hier objektiv groß. Doch wenn die Frauen scheitern, wird das nicht dem Wesen des Projekts, sondern ihnen als Frau zugeschrieben. Dann heißt es: Frauen bringen es auf dieser Ebene eben doch nicht. Ryan nennt dieses Phänomen die gläserne Klippe, von der Managerinnen auch in höchster Ebene leicht sehr tief stürzen. So lange diese Stereotype in der Gesellschaft nicht aufweichen, wird Führung für Frauen eine anstrengende Gratwanderung sein.
Wer führt und seine Aufgabe ernst nimmt, bewegt sich in einem starken Spannungsfeld. Wie gelingt es, sich nicht aufzureiben?
Man muss authentisch bleiben und darf sich nicht verbiegen. Werte, die für mich elementar im Leben und Berufsleben sind, sollte ich nicht aufgeben. Das hilft mir, realistische Gestaltungsmöglichkeiten in meinem Unternehmen zu sehen und zu nutzen. Wer anfängt, persönliche Werte abzulegen, hat verloren. Dann fehlt einem der Umkehrpunkt, der einem anzeigt, wie weit man mit den Firmenwerten mitgeht und wo Schluss ist.
Falls meine Werte gar nicht mehr repräsentiert sind, sollte ich folgerichtig den Mut aufbringen, in eine andere Organisation zu wechseln. Es gibt viele Unternehmen. Und es gibt einen besseren Platz für mich, wo ich das einbringen kann, was mir wichtig ist, was ich wirklich gut kann und wo ich auch Freude an der Tätigkeit habe.
Jürgen Weibler ist Volkswirt und Diplom-Psychologe. Er leitet den Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalführung und Organisation an der Fernuniversität in Hagen. 2016 gründete er die Online-Plattform www.leadership-insiders.de.
Quellen
Heike Bruch, Sandra Kowalevski: Zwischen Hochleistung und Erschöpfung. Wie Führungskräfte das Potenzial ihrer Mitarbeiter ausschöpfen und Burnout vermeiden (Top-Job Trendstudie). Compamedia, Überlingen 2012
Bernhard M. Bass: Leadership and performance beyond expectations. Free Press: New York, 1985
James M. Burns: Leadership. Harper & Row: New York, 1978
Sonja Christ-Brendemühl: Bevölkerungsbefragung Jobzufriedenheit 2017. ManpowerGroup Deutschland, Eschborn 2017
Paul Hersey, Ken Blenchard: Management of Organizational Behavior. Prentice Hall: New York, 1982
Kurt Lewin, Ronald Lippitt und Ralph K. White: Patterns of aggressive behavior in experimentally created social climates. Journal of Social Psychology, 10/2, 1939, 271–301.
Laurence J. Peter, Raymond Hull: Das Peter-Prinzip oder Die Hierarchie der Unfähigen. Rowohlt: Hamburg, 1970
Johannes Siegrist: Effort-reward imbalance at work and cardiovascular diseases. International Journal of Occupational Medicine and Environmental Health, 23/3, 2010, 279–285. DOI: 10.2478/v10001-010-0013-8
StepStone-Trendstudie 2016: Jobs nach Maß. Was Fachkräfte wollen. Stepstone: Düsseldorf, 2016
Heiko Weckmüller: Agilitätsbarometer 2017. Haufe: Freiburg, 2017
Jürgen Weibler: Entzauberung der Führungsmythen. Roman-Herzog-Institut, München 2013