„Eine Partnerschaft ist keine Wohngemeinschaft“

Auch in langjährigen Beziehungen sollte es eine „Sehnsuchtsspannung“ geben, sagt der Berliner Paartherapeut Wolfgang Krüger. Fehlt sie, ist das Zusammenleben schwierig

Herr Krüger, Sie haben viele Männer und Frauen begleitet, die nach langer Ehe das Gefühl hatten, dass es so nicht weitergehen kann mit dem Partner. Wie erklären Sie sich die deutlich gestiegene Zahl von Scheidungen nach 30, 40 Jahren Ehe?

Das Alter radikalisiert uns. Irgendwann Mitte fünfzig, wenn Freunde an Krebs erkranken oder einen Herzinfarkt erleiden, begreifen wir, dass das Leben zu Ende geht. Wir können das Wissen um die Endlichkeit nicht mehr verdrängen. Das lässt uns aufwachen. Wir nehmen Dinge…

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Dinge nicht mehr so gleichgültig hin und treffen Entscheidungen, zu denen wir uns zehn Jahre vorher noch nicht durchgerungen hätten. Auch äußere Veränderungen spielen eine Rolle. Viele Frauen kommen ins Grübeln, bevor der Mann in Rente geht. Die Vorstellung, von morgens bis abends mit einem Partner zusammen zu sein, der ihnen vielleicht fremd geworden ist, macht ihnen Angst. Manche gruselt es sogar davor. Sie haben das Gefühl, dass es keine innere Verbindung mehr gibt, wenn die äußeren Pflichten und Zwänge wegfallen. Frauen werden dann radikal und spüren, entweder ich mache es jetzt sofort oder nie. Und dann sagen sie, es reicht jetzt, ich gehe. Ich will noch etwas von meinem Leben haben. Männer suchen sich eher eine Geliebte oder wollen mit einer jüngeren Partnerin noch mal neu anfangen. Ich halte die Trennungen in den meisten Fällen für richtig und wichtig. Und dennoch finde ich es tragisch, wenn ein Paar nach so langer Zeit auseinandergeht.wichtig. Und dennoch finde ich es tragisch, wenn ein Paar nach so langer Zeit auseinandergeht.

Warum tragisch? Ist es nicht auch ein Segen, eine unglückliche, vielleicht destruktiv gewordene Partnerschaft zu beenden und das Leben noch mal neu zu gestalten?

Es kann ein Segen sein, und gleichzeitig bin ich immer hin- und hergerissen. Da hat ein Paar dreißig Jahre miteinander verbracht. Was für ein Schatz an gemeinsamen Erlebnissen! Es ist traurig, wenn beide diesen Reichtum nicht nutzen können und ihn am Ende zerstören. Wir wissen aus Studien, dass Partnerschaften sich häufig nach zwanzig Jahren und mehr deutlich verbessern. Es dauert sehr lange, bis man realisiert, in welchen Punkten man den Partner beeinflussen kann, was man akzeptieren muss und wo Humor gefragt ist. Wie komme ich mit dem anderen klar? Was kann ich tun, damit es mir gutgeht und wir gut miteinander auskommen? Wie handeln wir Nähe und Distanz aus? Wie gestalten wir unsere Erotik? Wie gehen wir mit Machtkonflikten um? Paare, die gute Kompromisse finden und einen geschickten, humorvollen Umgang miteinander entwickeln, sind nach zwanzig Jahren sehr zufrieden.

Die Zufriedenheit stellt sich aber nicht von selbst ein. Wovon hängt es ab, ob ein Paar die Früchte langer Vertrautheit und Gemeinsamkeit ernten kann?

Viel hängt davon ab, ob beide eine Gesprächskultur entwickeln, die Nähe und Verbindung schafft und auch die Erotik lebendig hält, und ob sie sich Unterstützung suchen, wenn sie als Paar verstummen oder sich nur noch streiten. Die Paare, die sich nach langer Ehe trennen, kommen in der Regel nicht zur Paartherapie. Sie gehören einer Generation an, in der es verpönt war, zum Therapeuten zu gehen. Sie haben verinnerlicht, dass man Probleme auf keinen Fall nach außen trägt, und meist nie gelernt, offen miteinander zu sprechen. Jahrelang haben sie versäumt, sich mitzuteilen, was sie sich voneinander und vom Leben wünschen, was sie vermissen und was sie am anderen stört. Sie haben ihren Alltag bewältigt, sich um die Kinder gekümmert, über Organisatorisches gesprochen, aber kaum über Gefühle. Beide haben sich nach und nach zurückgezogen. Erst gab es kaum noch Zärtlichkeiten, dann wurde die Erotik ganz eingestellt. Es gibt eine Dynamik der Entfremdung, die irgendwann nicht mehr umkehrbar ist. Das führt so weit, dass man den anderen kaum noch erträgt, ihn förmlich nicht mehr riechen kann. „Wenn er sich beim Frühstück räuspert, könnte ich ihn umbringen.“ Solche Sätze fallen in Einzeltherapien.

Und dann?

Wenn Verachtung an die Stelle von Zärtlichkeit tritt und kein Respekt mehr für den anderen da ist, fehlt auch in der Regel die innere Bereitschaft, wieder in die Beziehung zu investieren, auf den Partner zuzugehen, sich in ihn hineinzuversetzen. Eine Partnerschaft lebt davon, dass ich möchte, dass es dem anderen gutgeht, und ich bereit bin, etwas dafür zu tun. Wenn dieser Wunsch nicht mehr da ist oder sogar ins Gegenteil umschlägt und ich den anderen leiden sehen möchte, dann ist die Ehe zerrüttet. Es ist wie bei einem Haus, bei dem man lange Zeit das Dach nicht gedeckt hat. Irgendwann regnet es durch, der Schwamm setzt sich in den Wänden fest. Nach einer gewissen Zeit kann man das Haus nur noch abreißen.

Es ist nicht leicht, zwei Leben zu synchronisieren. Welche Rolle spielen Lebensübergänge und unterschiedliche Entwicklungen bei späten Trennungen?

Bei den Paaren, die sich heute nach langer Ehe trennen, haben sich die Frauen in der Regel um den Haushalt, die Kinder und die alten Eltern gekümmert. Irgendwann mit Mitte fünfzig sagen die Frauen, jetzt bin ich mal dran. Die Hälfte der Frauen ab 55 will ein eigenes Zimmer, sie möchten mindestens einen Abend in der Woche für sich allein oder mit Freundinnen verbringen, sie wollen auch gelegentlich getrennt schlafen. Frauen haben verstärkt Autonomiewünsche, manche wollen beruflich noch mal durchstarten und treffen häufig auf einen verunsicherten Mann, der zu diesem Zeitpunkt eher Nähe sucht. Da Männer im Schnitt fünf bis sieben Jahre älter sind, befinden sie sich in einer anderen Phase, wenn die Partnerin nach außen drängt. Die Karriere ist im Wesentlichen gelaufen, manche hatten den ersten Herzinfarkt, der Freundeskreis ist kleiner geworden, die Rente naht. Männer, die lange auf dem Autonomietrip waren, werden dann eher etwas abhängiger und offener für die Partnerin, die sich lange mehr Nähe gewünscht hat, aber zu diesem Zeitpunkt damit nicht so viel anfangen kann.

Ein ganz schlechtes Timing. Kuscheliger Mann auf Rückzug trifft auf autonome Frau, die die Welt erobern will. Wie geht das zusammen?

Diese gegenläufigen Entwicklungen können ein Paar auseinanderbringen. Deshalb predige ich immer, dass die Männer lernen müssen, Freundschaften zu pflegen, damit sie mit der Entwicklung der Frauen Schritt halten und auch, um attraktiv zu bleiben. Etwas für die eigene Entwicklung zu tun ist ein wesentlicher Faktor für eine gelingende Paarbeziehung. Ich halte es für wichtig, dass eine Sehnsuchtsspannung in der Beziehung bleibt. Man sollte eine Partnerschaft nicht mit Ansprüchen überfrachten, aber ich finde, es muss in einer Liebesbeziehung auch Zeiten geben, zu denen ich mich sehr freue, dass es den anderen gibt. Eine Partnerschaft ist keine Wohngemeinschaft. Wenn ich als Mann nie Lust habe, die Frau, neben der ich morgens aufwache, zu verführen, wenn jegliche Spannung fehlt, ist ein tiefes Element, was Liebe ausmacht, verlorengegangen.

Nicht immer ist es so eindeutig. Viele quälen sich lange mit der Frage „Bleiben oder gehen?“. Was ist hilfreich, um Klarheit zu gewinnen?

Abstand. Ich empfehle Frauen und Männern, die sich mit Trennungsgedanken tragen, zwei, drei Wochen allein zu verreisen. Die meisten Menschen in einer Langzeitehe fühlen sich in der ersten Woche allein wie befreit. Endlich tun, wozu man Lust hat, endlich keine Rücksicht nehmen. Aber wenn noch etwas Glut da ist, fängt in der zweiten Woche die Sehnsucht an. Wer nach drei Wochen immer noch das Gefühl hat, dass ihm absolut nichts fehlt, sollte ernst machen mit der Trennung. Wenn sich jedoch auch nur ein winziger Sehnsuchtsfunke regt, würde ich der Beziehung noch eine Chance geben.

Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut und Autor mehrerer Sachbücher über Partnerschaft. Zuletzt erschienen: Liebe ist - den ersten Schritt zu tun. Der Weg zur glücklichen Partnerschaft. Kreuz Verlag, Freiburg 2015.

LESEN SIE IM NÄCHSTEN HEFT: Was kommt nach der Trennung? Kann man „zufrieden geschieden“ sein? – Die Ausgabe 5/2016 ist ab 13.4. im Handel.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 4/2016: Mitten im Leben