​ Normal gibt es nicht ​

​Die Autoren, bekannt aus dem Podcast „Ist das normal?“ plädieren: Bei sich selbst bleiben hilft, zu erfahren, was einen sexuell glücklich macht. ​

Warum in Zeiten, in denen Sex so überpräsent ist, ein Buch darüber schreiben? Es wurde doch mutmaßlich alles, ja vielleicht eigentlich schon zu viel dazu gesagt, gesehen und gehört. Aber ist das wirklich so?

Tatsächlich wecken die Autoren Melanie Büttner, Alina Schadwinkel und Sven Stockrahm mit ihrem Buch Ist das normal? unser Bewusstsein dafür, dass wir weniger über Sex wissen, als wir vielleicht glauben. Vor allem wenn es um die Frage geht, was uns eigentlich selbst gefällt. Sie setzen sich mit dem Thema auf eine informative, zugleich einfühlsame Weise auseinander, wobei es ihnen gelingt, fundiertes Wissen auf eine anschauliche Art zu vermitteln. Das Buch ist eine ausgewogene Mischung aus modernem Aufklärungsbuch, Rat- und Ideengeber. Auf die im Titel aufgeworfene Frage Ist das normal? liefern die Autoren glücklicherweise keine pauschalen Antworten, was das Buch auch angenehm von anderen Titeln abgrenzt.

Deutlich wird: „Normal“ gibt es im Bereich der Sexualität nicht. Roter Faden ist stattdessen eine andere und vor allem öffnende Frage: Was fühlt sich für einen selbst gut an, „was macht mich lebendig“? Statt also nur von außen auf Sex zu schauen (welche Praktiken gibt es, welche Stellungen, welche Lustzonen?), lenken die Autoren die Aufmerksamkeit auf das Innen. Dieser Perspektivwechsel dürfte bei so manchem Leser zu der überraschenden Feststellung führen, dass es manchmal gar nicht so leicht ist, für sich eine Antwort auf die Frage zu finden. Damit das Ganze am Ende nicht zu Frust, sondern Lust führt, werden dem Leser zahlreiche Informationen, Denkanstöße und anregende Übungen an die Hand gegeben.

So etwa eine angeleitete Fantasiereise, die dafür sensibilisiert, eigene erotische und sexuelle Bedürfnisse zu erspüren. In sechs Kapiteln wird dabei ein breites Spektrum abgedeckt: von Sexmythen und Stereotypen über sexuelle Identitäten bis hin zu Schwierigkeiten beim Sex und den Möglichkeiten professioneller Begleitung. Immer wieder geht es darum, ein Gespür für sich selbst zu entwickeln und (unausgesprochene) Erwartungen an sich oder seine Partner zu erkennen. Womöglich auch einen eingeschliffenen Sexhabitus zu hinterfragen und Unbekanntes zu entdecken und umzusetzen. Die Autoren animieren auch, durchaus kritisch eigene Vorlieben zu hinterfragen, denn längst nicht alles, was sich vordergründig „gut anfühlt“, ist auch aus etwas Gutem geboren.

Das Buch ist verständlich geschrieben, wissenschaftliche Befunde werden fundiert und in übersichtlichen Schaubildern dargestellt, ohne den Leser zu überfordern. An einigen Stellen hätte man sich gewünscht, der Text wäre pointierter. Selbstverständlichkeiten hätten prägnanter formuliert werden können, dafür andere Themen noch weitere Vertiefung verdient. Insgesamt gelingt es den Autoren, für das Thema Sex neu zu sensibilisieren und mit dem Buch eine hilfreiche Orientierung in einer Zeit zu schaffen, in der nur scheinbar gilt: anything goes. 

Melanie Büttner, Alina Schadwinkel, Sven Stockrahm: Ist das normal? Sprechen wir über Sex, wie du ihn willst. Beltz, Weinheim 2020, 366 S., € 19,95

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2020: Emotional durchlässig
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