Frau Simakhodskaya, mit welchen Anliegen oder Fragen kommen Paare zu Ihnen?
Sie sagen zunächst oft nur, dass sie Probleme mit ihrem Sexleben haben. Ich frage also nach: „Was ist denn genau das Problem?“ Ich betone auch, dass es eine sehr große Vielfalt dessen gibt, was im Sexleben als normal angesehen wird. Das Wichtigste ist, die eigene Sexualität, die anders sein mag als die anderer, nicht zu verurteilen.
Nun gibt es ja Paare, die nach vielen Jahren der Beziehung nicht mehr miteinander schlafen.
Dann frage…
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Nun gibt es ja Paare, die nach vielen Jahren der Beziehung nicht mehr miteinander schlafen.
Dann frage ich, wie sie sich damit fühlen. Wenn einer sich beklagt, dass er das vermisst, erhöht das die emotionale Distanz in der Beziehung. Ich kenne aber auch Paare, die emotional sehr vertraut miteinander sind und überhaupt kein Problem damit haben, ihre Sexualität nicht mehr zusammen auszuleben.
Ein karges Sexualleben ist also kein Anzeichen einer bröckelnden Beziehung oder mangelnden emotionalen Verbindung?
Ich würde diesen Schluss nicht so vorschnell ziehen. Wenn ein Paar nicht mehr miteinander intim ist, versuche ich herauszufinden, warum und wo diese Energie hingeht. Ich frage auch, wie beide im Alltag miteinander umgehen. Wenn sie viel streiten, empfindet das der eine Partner vielleicht so, dass er sich nicht verbunden fühlt und deshalb auch keine körperliche Nähe wünscht. Der andere aber erlebt Sex vielleicht als eine Tür, um sich verbunden zu fühlen. Grundsätzlich verbindet Sexualität, daher kann sie helfen, die Beziehung aufrechtzuerhalten.
Sie sagten, manche Paare seien sich gefühlsmäßig sehr verbunden und hätten einvernehmlich keinen Sex mehr miteinander. Wie kommt es dazu?
Manchmal schützen sie ihre Beziehung auf diese Weise. Zum Beispiel nimmt die Partnerin Signale auf, dass der andere nicht körperlich nah sein möchte. Dann hält sie sich sexuell zurück, weil sie nicht abgewiesen werden will. Dadurch wird der andere vorsichtiger. Beide unternehmen immer seltener den Versuch einer körperlichen Annäherung. Aber sie lieben sich und verstehen sich gut. Also trennen sie die Sexualität ab, um ihre Beziehung nicht zu gefährden.
Man kann den Eindruck haben, dass Männer die Sexualität eher als Tür zu einer emotionalen Verbundenheit erleben, wohingegen Frauen eine emotionale Nähe brauchen, um intim sein zu können. Ist das ein Klischee?
Ich vermute, dass das statistisch gesehen immer noch so ist. Wir bekommen viele Botschaften darüber, wie Sexualität zu sein hat. Männer haben eher das Konzept, dass es beim Sex etwas zu erreichen, etwa zu leisten gibt. Frauen wachsen auch mit der Idee auf, dass darin die Gefahr einer Schwangerschaft lauert oder Gewalt. Sie verinnerlichen, dass sie vorsichtig sein müssen. Männer, die viele Frauen erobern, werden eher bewundert als Frauen, die viele Männer um sich haben. Es gibt auch eine biologische Basis für diese Unterschiede: Bei Frauen wird Studien zufolge der präfrontale Cortex, das Stirnhirn beim Orgasmus nicht ganz deaktiviert. Diese Kontrollinstanz arbeitet weiter. Sie ist für das Planen und rationale Denken verantwortlich. Frauen lassen kognitiv nie ganz los, selbst beim Höhepunkt nicht. Bei Männern geht dieses Hirnareal komplett offline, nur die Vergnügungszentren sind aktiv.
Manche Therapeuten und Therapeutinnen meinen, dass zu viel Nähe dem Begehren schadet. Andere widersprechen. Wie wichtig erscheint sie Ihnen?
Sehr wichtig! Wenn wir verbunden sind, vertrauen wir und dann fühlen wir uns sicherer. Das dämpft unsere Angst. Zu viel Angst hemmt lustvolle Sexualität. Wenn wir sicher sind, können wir außerdem spielen. Letztlich ist das wie bei Kindern auf dem Spielplatz. Die ängstlichen Kinder stehen am Rand und rühren sich nicht.
Zoya Simakhodskaya ist Psychologin, Therapeutin für emotionsfokussierte Paartherapie in New York und spezialisiert auf Sexprobleme.
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