Carol und James hatten sich in über zwanzig Jahren der Beziehung derart miteinander verstrickt, dass sie fast jeden Tag über Kleinigkeiten in Streit gerieten. Wenn er sich um fünf oder zehn Minuten von der Arbeit verspätete, brachte Carol das dermaßen auf, dass sie ihn mit Vorwürfen überzog. Nie könne man sich auf ihn verlassen. Daraufhin wurde er ärgerlich. Er tat die Kritik als aufgebauscht ab und verließ im Streit schließlich oft das Haus. So schilderten es die beiden, die in Wirklichkeit anders…
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ab und verließ im Streit schließlich oft das Haus. So schilderten es die beiden, die in Wirklichkeit anders heißen, dem in den USA lebenden Paar- und Familientherapeuten Volker Thomas.
Dabei war ihre Liebe am Anfang wie bei wohl allen Paaren groß. Doch über die Jahre weitete sich der negative Umgang zwischen Carol und James aus. In vielen Partnerschaften verblasst die Liebe in dieser Weise – schleichend und scheinbar unerklärlich. Vorwürfe und Nörgeleien am Partner, der Partnerin häufen sich. Darüber werden die lieben Worte immer spärlicher und können die Wunden nicht heilen. Distanz schleicht sich in die Beziehung ein. Beide entfernen sich voneinander.
Ob homo- oder heterosexuell – ähnliche Dynamiken
Von einem „negativen Beziehungstanz“ spricht Susan Johnson, emeritierte Professorin für Psychologie an der University of Ottawa. Gemeinsam mit Leslie Greenberg begründete sie in den 80er Jahren die emotionsfokussierte Paartherapie, kurz EFT. Volker Thomas hat sie in den USA mit etabliert. Die EFT begibt sich auf die Gefühlsebene der Paare und regt zu einem anderen Umgang mit den Emotionen an. Sie ist ein integratives Konzept, eines der empirisch am besten bestätigten paartherapeutischen Verfahren und „die einzige paartherapeutische Methode, die eine deutliche Überlegenheit gegenüber anderen Verfahren aufweist“, schreibt der Freiburger Paartherapieforscher Christian Roesler in seinem Buch Paarprobleme und Paartherapie.
Reaktive Emotionen
Unter reaktiven Emotionen verstehen EFT-Therapeuten und -Therapeutinnen Gefühle, die man als Reaktion auf eine tiefere Emotion empfindet. Wenn diese, die Kernemotion, einem Angst macht, taucht die reaktive Emotion auf, um einen vor Verletzlichkeit zu schützen. Sie bringt einen in den Angriffs- oder Verteidigungsmodus. Wer in einem Gespräch eine leise aufsteigende Traurigkeit verspürte, könnte also kurz danach frustriert oder wütend sein – das wären dann reaktive Emotionen.
Darin vergleicht er verschiedene Ansätze und verweist auch darauf, dass sich die Dynamiken homo- und heterosexueller Paare wahrscheinlich nicht grundsätzlich unterscheiden. Die EFT sei trotz ihrer Wirksamkeit im deutschen Sprachraum noch wenig bekannt. Bislang dominierten systemische Ansätze und solche, die an der Kommunikation ansetzen, den Partnern etwa beibringen, wie sie aktiv zuhören. Langsam jedoch werden die Methoden der EFT auch hierzulande von Paartherapeutinnen aufgenommen. Denn die Idee dahinter ist gut: Vereinfacht gesagt setzt man auf einer Ebene tiefer als der Sprache an: auf der des Gefühls. Natürlich zeigen auch EFT-Therapeuten ihren Klientinnen, wie sie aufmerksamer kommunizieren, doch ihr Fokus liegt auf den Emotionen. Diese leiten schließlich das zwischenmenschliche Verhalten und die Kommunikation. Im Idealfall kommen die Partner einander so wieder nahe.
Die wohl häufigste Paardynamik
Allerdings ist es ein gutes Stück Weg, um aus der Distanz wieder in die Nähe zu gelangen: Der negative Beziehungstanz hält das Gegenüber nicht nur auf Abstand. Besonders fatal ist, dass sich diese Choreografie von selbst in einer Dauerschleife bewegt. Verärgert über das Aus-dem-Haus-Gehen von James, wird Carol vorhersehbar erneut in Rage geraten. Und das wird wieder seinen Rückzug provozieren. „Es ist wie ein schwarzes Loch. Jeder Lichtschimmer wird darin verschluckt“, sagt der Berliner Paartherapeut Matthias Angelstorf dazu. Die Eigenheiten des Partners beginnen zu nerven, er wird zum Gegner.
Wie zerstörerisch das ist, lässt eine vergleichende Sichtung der Daten von mehr als 11000 Paaren aus 43 Studien und damit die größte derartige Auswertung überhaupt erahnen: Sie hat mehr als 2000 Einflussfaktoren darauf geprüft, was diese über die Qualität der Beziehung aussagen – darunter Klassiker wie Bildung, Persönlichkeitsmerkmale und Alter. Nichts sagte jedoch die Qualität einer Beziehung so gut vorher wie das, was Partner und Partnerinnen über ihre bessere Hälfte äußerten. Besonders zentral war dabei, ob jemand froh war, mit dem oder der anderen in einer Beziehung zu sein, und das Gefühl hatte, dass das Gegenüber glücklich war und sich für ihre Liebe engagierte. Ob dem tatsächlich so war oder die Partnerin, der Partner diese Sicht nicht teilte, war nachrangig. Entscheidend war der subjektive Blick. Wenn also Carol klagt, er sei nie da, und James behauptet, sie meckere nur, ist es bis zum Zerbrechen der Beziehung nicht mehr weit.
Wohl alle Paare kennen Momente oder Phasen dieser Dynamik, besonders in Zeiten der Krise, der Erschöpfung oder unter Stress. Fast immer folgt sie einem bestimmten Ablauf. Typisch ist ein Muster aus Protest und Rückzug, wobei einer den Part des Verfolgers einnimmt und die andere daraufhin flüchtet. Dem Therapieforscher Roesler zufolge weisen bis zu 60 Prozent der Paare, die sich in Therapie begeben, dieses Muster auf. Carol etwa kritisiert ihren Mann für das Zuspätkommen. Sie klagt ihn an, fordert seine Pünktlichkeit ein und protestiert somit gegen sein Verhalten. Genauso könnte sie jammern, brüllen oder ihn ins Verhör nehmen – das Muster bliebe dasselbe.
Der negative Beziehungstanz
James rechtfertigt sich und bagatellisiert sein Zuspätkommen. Er könnte auch einen Witz machen und ihre Kritik damit ins Lächerliche ziehen oder aber eisig schweigen. Auch damit bliebe er seinem Rückzugsverhalten treu. Groteskerweise verhindert die typische Konstellation aus Protestierender und Rückzügler, dass die Partnerschaft sofort in einem heftigen Streit auseinandergeht. Denn mit seinem Rückzug nährt er schließlich wieder Carols Wunsch nach Nähe: Ihr Bedürfnis bleibt ungestillt und wächst dadurch. Schließlich dämpft sie ihren Groll etwas. Johnson spricht vom „Protest/Rückzug, um zusammenzubleiben“.
Es ist oft so, dass der negative Beziehungstanz die Partnerschaft aufrechterhält, obwohl beide darin mehr oder minder unzufrieden sind. Deshalb fällt es ihnen schwer, die verstrickte Situation aufzulösen. Im Kern rührt das daher, dass ihnen der liebevolle Blick aufeinander fehlt: „Die emotionale Verbindung der Partner, die Liebe zueinander ist wie das Innerste einer Zwiebel: Wenn sie fehlt, legen sich immer mehr Schichten von Problemen darum“, veranschaulicht Angelstorf. Das liegt auch daran, dass wir weniger ausgeglichen sind, wenn wir uns nicht geliebt fühlen. Wir sind tendenziell eher angespannt, unsicher und gestresst, können aber in diesem Zustand naturgemäß unsere Gefühle nicht so prägnant erfassen und nicht so sauber kommunizieren. Dadurch besprechen Paare die Probleme nicht effektiv miteinander. Und weil sie sich in der Beziehung nicht geliebt fühlen, sind beide auch nicht bereit, einander etwas zu geben. „Dann verstricken sich Paare im Streiten und tumben Gesprächen, die zu nichts führen. Sie führen zu nichts, weil die Partner diese Verbindung nicht haben, weil sie nicht über den Kern sprechen und weil sie nicht kompromissbereit sind. Dann wird es immer komplizierter“, analysiert Angelstorf.
Auch andere Konstellationen verhindern tiefere Liebe. Nicht selten schweißt das Paar auch nur ein gemeinsames Projekt zusammen, etwa der Bau eines Hauses. Die geschäftige Auseinandersetzung mit dem Projekt übertüncht dann mitunter eine fehlende emotionale Nähe. Ist das Haus gebaut, spüren beide auf einmal die offenkundige Distanz zueinander. „Es ist letztlich eine Nähe im Außen. Es gibt nicht diese Einbeziehung des Selbsts und der eigenen Gefühle“, sagt Angelstorf.
Miteinander, nicht gegeneinander
Wie können Paare aus dem distanzierten Muster heraustreten, Schritte aufeinander zu wagen? Die EFT möchte zu einem echten Paartanz hinführen: miteinander, nicht gegeneinander. Nah und doch als zwei Persönlichkeiten.
Mehrere Studien beschreiben, dass dieser Ansatz Paare zufriedener macht. Susan Johnson zeigte in einer Übersichtsarbeit von 2016, dass dies auch noch nach dem Therapieende so blieb. Und die Psychologin Melissa Burgess Moser von der kanadischen Mount Allison University untersuchte unter anderem, woran das liegen könnte. Sie begleitete 32 belastete Paare während einer EFT. Sie befragte die Paare nach jeder Sitzung; im Schnitt absolvierten sie 21. Burgess Moser wies nach, dass ihr Vermeidungsverhalten zurückging und sie sich zunehmend sicherer gebunden fühlten.
Unter den vielen Einflüssen, die die EFT prägen, ist der wahrscheinlich zentralste die Bindungstheorie, begründet von John Bowlby. Danach sehnt sich jeder Mensch nach Verbindung zu anderen und damit im Kern danach, geliebt zu werden. Wir alle wünschen uns Begegnung, Anerkennung, Zuspruch und Trost. Einsamkeit macht uns indes seelisch und körperlich krank. Das und damit Bowlbys Theorie belegt eine Fülle an Studien zur Rolle von Partnerschaft, Familie und Freundschaft. Wer sicher gebunden ist, Menschen um sich weiß, auf die er sich im Ernstfall verlassen kann, ist emotional stabiler. Er gerät weniger leicht in Stress, empfindet unter Gefahr auch weniger Angst und Hilflosigkeit. Verbunden zu sein macht somit sicherer und freier. „Das ist das Paradox der sicheren Bindung. Wenn wir aus Erfahrung wissen, dass der andere da sein wird, wenn wir ihn brauchen, können wir autonomer sein und hinausziehen in die Welt“, sagt Angelstorf. „Es ist diese sicher gebundene Nähe, die wir den Paaren beibringen wollen.“
Denn Nahsein kann man lernen. Wohl jeder Mensch hat einzelne Näheerlebnisse schon erfahren. In diesen Momenten bringen sich beide unverstellt mit ihren tiefempfundenen Gefühlen ein. Sie bekommen den Eindruck, dass nichts zwischen ihnen steht. „Dies Miteinander ist schön für beide. Es ist nicht kompliziert“, betont der Paartherapeut. „Man dockt einfach so beim anderen an.“
Laute und leise Gefühle
Das Eingeständnis der eigenen Sehnsucht nach Bindung ist der Punkt, an dem sich in Distanz Lebende wieder annähern können. Der erste Schritt der Hinwendung geschieht in der EFT, indem sich beide ihrer eigenen Gefühle bewusstwerden.
In der alltäglichen Interaktion sind es oft sogenannte reaktive Emotionen (siehe Definition auf S.16), die das Handeln prägen: Carol ist frustriert, dass ihr Mann zu spät nach Hause kommt. Als Reaktion darauf könnte er sich hilflos fühlen, obwohl er in seinem Innersten wütend ist – aber er will eben keinen Streit. Die reaktiven Emotionen schützen uns vor Gefahr – im Fall von Carol und James etwa davor, dass sie sich heftig streiten und trennen. „Ich vergleiche unser Gefühlsleben gerne mit einer Medaille“ sagt der Berliner Paartherapeut Matthias Angelstorf. „Auf der Oberseite sind die Gefühle, die uns schützen, die die Flucht oder den Kampfreflex anstoßen. Auf der Unterseite aber liegen die verletzlichen Gefühle, die Kernemotionen, die Sehnsucht nach Liebe und der Schmerz darüber, dass dieser Wunsch nicht erfüllt ist.“
Oft nehmen Partner in unerfüllten Beziehungen diese sogenannten Kernemotionen nicht mehr wahr. So wie wir Hunger nach einigen Tagen des Fastens ausblenden und uns ablenken, hat die Seele gelernt, diese Gefühle zuzudecken. Das verhindert, dass wir andauernd psychisch und körperlich unter dem Mangel leiden – ein Selbstschutz gewissermaßen. Die EFT aber führt Paare zu den Kernemotionen. Sie fragt: „Worum geht es dir wirklich?“
Eine tiefgehende Verletzung
„Damals, als ich im achten Monat schwanger war“, so begann Carol in der Therapiesitzung und erzählte, wie sie eines Tages eine Blutung bemerkte. Beunruhigt rief sie ihren Mann an, einen Unternehmer. Der war jedoch nicht zu erreichen. Von Angst erfüllt, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Als sie in dieser Verfassung die Treppe im Haus hinunterging, stürzte sie. Das steigerte ihre Angst noch mehr. Als sie James endlich erreichte, teilte er ihr mit, er sei in einer äußerst wichtigen Besprechung. Er könne jetzt unter keinen Umständen kommen. Sie solle sich ins Krankenhaus bringen lassen. Es kränkte Carol zutiefst, dass er in diesem Augenblick, in dem sie ihn gebraucht hätte, nicht da war.
Im Krankenhaus gaben die Ärzte Entwarnung. Das Kind kam später gesund zur Welt. Weil alles gutgegangen war, schien es auch keinen Anlass für Carol und James zu geben, den Vorfall zu besprechen. Das sei ein typischer Fall, sagt Thomas: Eine tiefgehende Verletzung in der Partnerschaft und die eingeprägten Muster bringen das Paar in ein negatives Miteinander.
Carol hat also einen konkreten Grund, weshalb sie so sensibel auf das Zuspätkommen ihres Mannes reagiert. Sie erlebt eine ähnliche Panik wie in ihrer Schwangerschaft und seine Unpünktlichkeit schürt ihre Angst vor unsicherer Bindung. Und auch James reagiert nicht ohne Grund hilflos. Er möchte Streit aus dem Weg gehen, um die Beziehung nicht zu gefährden. Auch er hat Angst vor einem Verlust der Bindung. Nur: Das Ergebnis der Reaktionen der beiden ist Distanz statt der ersehnten Nähe.
Das Durchbrechen der Narrative
„Oft glauben Partner, der andere sei an der schlechten Qualität der Beziehung schuld. Sie haben allerlei komplizierte Gedanken darüber gebildet, was das Problem sei. Wir durchbrechen diese Narrative und bringen sie dazu, die Kernemotion wieder zu spüren“, erklärt Angelstorf.
Meist bleibt es nicht aus, auch in die Vergangenheit zu reisen, um Kernemotionen in aktuellen Beziehungen zu erspüren. Die erste enge Bindung ist gewöhnlich die zur Mutter und zum Vater. Eine Mutter etwa, die zwischen Präsenz und Beschäftigung mit der Arbeit schwankte, kann ein Kind in der Weise prägen, dass es immer in Angst lebt, nahe Personen könnten unberechenbar auf Abstand gehen. Danach kommen langjährige Partnerschaften, die unser Empfinden und unsere Denk- und Verhaltensmuster prägen. Wie waren diese Beziehungen? Wie verhielten sich diese engen Bezugspersonen, wenn wir sie brauchten, wenn wir Angst hatten?
Die Reise in die emotionale Vergangenheit birgt oft den Schlüssel zum Gefühlserleben der Gegenwart. Mitunter leitet schon die Selbsterkenntnis „ah, deshalb empfinde ich so“ einen leisen Wandel ein. Es entsteht Distanz zum nun erklärlichen Gefühl. Dadurch wird es weniger überwältigend.
Nähe braucht Verletzlichkeit
Das Paarerleben kann sich aber erst grundlegender wandeln, wenn beide sich trauen, einander in ruhigen und einfachen Worten zu sagen, was in ihnen vorgeht. Beispielsweise könnte sie aussprechen: „Wenn du mit anderen Frauen flirtest, verunsichert mich das. Ich bekomme dann Angst um unsere Beziehung.“ Fast alle Menschen haben vor dieser Selbstentblößung verständlicherweise große Hemmungen, deuten wir sie doch als Eingeständnis von Schwäche. Die eigene Verwundbarkeit zu zeigen gilt nicht als Stärke, obwohl sie das in Liebesbeziehungen, im tiefen Vertrauen zu einem anderen Menschen ist: „Es ist schambesetzt für uns, uns in unserer Verletzlichkeit zu zeigen, weil wir uns dort ungeschützt fühlen. Aber nur dort ist die Nähe, die lebendige, tiefe Partnerschaften ausmacht“, sagt Angelstorf.
Und obwohl wir sie herbeisehnen, macht uns die Nähe oft auch Angst. Denn wohl jeder hat schon die Erfahrung gemacht, dass sein Wunsch nach Verbundenheit zurückgewiesen oder nicht erfüllt wurde. Ist die Furcht, sich zu öffnen und damit nah zu sein, sehr groß, gelingt es Paaren meist überhaupt nur in der Obhut eines Therapeuten, zu den Kernemotionen vorzudringen und sich damit anzuvertrauen.
Sensible Worte über die eigenen Ängste, in denen man die tiefsten inneren Gefühle preisgibt, brauchen einen geschützten Raum. Nicht zwischen Tür und Angel, nicht im Kindergeschrei und Tagesstress sind sie möglich. Beide sollten sich offen und entspannt fühlen. Thomas empfiehlt ein Ritual, etwa ein gemeinsames Gespräch nach dem Abendessen oder bei einem Spaziergang. Wenn der Alltag Raum für tiefergehenden Austausch beinhaltet, kann dieser dem Paar auch leichter gelingen.
Der Ton macht die Musik
Von „LOVE-Gesprächen“ sprechen die EFT-Therapeutinnen Veronica Kallos-Lilly und Jennifer Fitzgerald. Um Gespräche in schwierigen Situationen zu erleichtern, haben sie Tipps formuliert (siehe Kasten). Die Stimme darf dabei sanfter werden, der Atem langsamer. Die Sätze kommen einfach und klar über die Lippen. Carol könnte sagen: „Wenn du zu spät kommst, ärgert mich das. Es erinnert mich an damals, als du in der Schwangerschaft nicht kommen konntest. Das hat mir sehr große Angst gemacht. Ich bange bis heute, wenn du zu spät kommst, ob du da sein wirst, wenn ich dich wirklich brauche. Ich würde mir das so sehr wünschen.“ Die Stimmung zwischen beiden verändert sich dann. Statt Anspannung, Stress und Anfeindungen komme eine ruhigere, zarte Atmosphäre auf, schildert Thomas.
LOVE-Gespräche
Liebende sollten sensibel und liebevoll miteinander sprechen. Das ist manchmal schwierig. Dann können diese Tipps helfen:
Lauschen: Am Anfang effektiver Kommunikation steht die Bereitschaft, dem Gegenüber zuzuhören. Wer zuhört, stimmt sich auf die Worte ein, aber auch auf Gefühle – der Gesichtsausdruck und die Körpersprache werden beachtet. Es mag verlockend sein, den Partner, die Partnerin zu unterbrechen. Doch sie oder ihn ungestört sprechen zu lassen zeigt Respekt und die Bereitschaft, die andere Sichtweise zu verstehen.
Offenheit: Offenheit bedeutet, die Urteile und Vorannahmen, die man über das Gegenüber hat, beiseitezuschieben. Man erkennt an, dass man womöglich etwas Neues erfährt, wenn man unvoreingenommen zuhört.
Validieren: Bevor Sie antworten, sollten Sie sich Zeit lassen, das, was Sie gehört haben, zu validieren, das heißt, es als berechtigt anzunehmen. Auch wenn Sie selbst anderer Meinung sind, sollten Sie versuchen anzuerkennen, dass das Erleben ihres Partners oder ihrer Partnerin legitim ist.
Eigene Gedanken und Gefühle äußern: Gespräche über Gefühle, Hoffnungen, Träume und Enttäuschungen sind ein typisches Merkmal befriedigender Beziehungen. Wenn Sie bereit sind, sich mit Ihrem inneren Leben zu öffnen – und das Gegenüber damit respektvoll umgeht –, kann sich die Beziehung vertiefen. Dafür braucht es allerdings Mut.
Quelle: Veronica Kallos-Lilly, Jennifer Fitzgerald: Wir beide. Das Arbeitsbuch zur Emotionsfokussierten Paartherapie. Junfermann, Paderborn 2016
Das machte es James leichter, darauf einzugehen. So kam es, dass er in der Therapiesitzung sagte: „Du weißt gar nicht, wie leid mir das tut, dass ich damals nicht bei dir war. Ich konnte es nicht, weil die Zukunft des Unternehmens und damit unser Einkommen in Gefahr war. Ich wollte niemals, dass du so leidest.“ Entscheidend seien dabei nicht nur die Worte und der Ton gewesen, sondern dass James sie dabei anschaute, dass sie spüren konnte, dass er mit ihr mitfühlte. Carol entgegnete, es tue ihr gut, das zu hören. Dann rollten die Tränen.
Sprechen über die Vergangenheit
Wie im Fall von Carol und James bleibt es in langjährigen Beziehungen meist nicht aus, zurückliegende Verletzungen miteinander zu besprechen. Was wehgetan hat und warum – das in die Beziehung einzubringen ermöglicht im besten Fall eine Klärung. Dann hat die Person, die vielleicht sogar unwissentlich verletzt hat, eine Chance, um Verzeihung zu bitten und auch ihre Erinnerung an das Geschehene zu beschreiben. Je gravierender das Ereignis, desto mehr Zeit aber wird es brauchen. Besonders schwer wiegen Untreue und auch Lügen, bei denen das Vertrauen missbraucht wurde. Sich zu entschuldigen und wieder zu versöhnen ist dann ein Prozess, der nur mit wiederholten Näheerlebnissen nach und nach geschieht. Sich auf sie einzulassen ist nur möglich, wenn beide noch Hoffnung auf positive Bindung haben und einander noch einmal das Vertrauen schenken wollen.
Wenn sich einer von beiden dem nahen Dialog verweigert, wird es dagegen schwieriger. Häufig passiert das in der Protest-Rückzug-Konstellation. In diesen Fällen will zwar auch die Rückzüglerin Nähe, aber sie sucht das Weite, weil sie befürchtet, wenn sie in den Kontakt ginge, warteten dort nur Schmerz, Streit und Stress. „Und der Verfolger sucht ja auch auf eine Weise Nähe, die einfach nicht funktionieren kann, total angespannt und ärgerlich und klammernd. Das ist keine Einladung; er zeigt nicht seine Liebe und Verletzlichkeit“, sagt Angelstorf. Nur über ein anderes Miteinander – letztlich wieder die eigenen Kernemotionen – lässt sich dieses festgefahrene Gefüge lockern.
Liebesfähigkeit als Voraussetzung
Dennoch kann man niemanden dazu überreden, dass ein neuer gemeinsamer Umgang die Liebe vertiefen würde. Es ist auch eine Frage der Einstellung. Man sollte nur das eigene Bedürfnis zum Ausdruck bringen und dabei dem Gegenüber zugleich mitfühlend und respektvoll begegnen. Carol könnte sagen: „Ich möchte dich nicht so anfahren, wenn du zu spät kommst. Dafür würde es mir helfen, wir könnten einmal in Ruhe darüber sprechen.“ Ignoriert James diesen Wunsch – im Rückzug wie eh und je –, sollte sie auch darauf wieder eingehen: „Ich bin traurig, dass du meinen Wunsch bisher noch nicht aufnehmen konntest. Zu meinem Geburtstag ist mein einziger Wunsch, dass wir uns darüber wenigstens einmal austauschen. Ich weiß, dass dir das Angst macht. Aber könntest du dir mir zuliebe einen Ruck geben?“
Letztlich setzt das Einlassen auf Nähe eine gewisse Liebesfähigkeit voraus. Der Einsiedler oder die Autonome, die sich schon lange darin eingerichtet haben, ohne Rücksicht auf andere ihr eigenes Ding durchzuziehen, werden es einem schwermachen. Sie haben nie Zeit, gehen oft nur in ihrer Arbeit oder ihren Vergnügungen auf und jedes tiefere Auf-den-anderen-Eingehen in der Beziehung ist ihnen lästig. Die Bereitschaft zur Bindung ist jedoch die Voraussetzung für Nähe.
Menschen aber, denen es gelingt, sich in Gesprächen mit dem Gegenüber immer wieder wirklich mit ihrem Innersten anzuvertrauen, sind viel zufriedener in ihren Beziehungen. „Wenn Paare sich immer wieder in der Tiefe begegnen, ändert sich auch ihr Umgang miteinander“, sagt Thomas. Die emotionsfokussierte Therapie wirkt sich nicht nur auf die Gefühle aus, obwohl sie sich auf diese – wie ja schon der Name sagt – fokussiert. Da das Empfinden elementar mit dem Denken und Handeln zusammenhängt, verändert sich auch dieses. Wenn sie beispielsweise hinter seiner Eifersucht eine Angst vor Bindungsverlust anerkennt, wird sie vielleicht von sich selbst aus weniger mit anderen flirten. Und wenn er diese Veränderung wiederholt erlebt, lässt seine Eifersucht vermutlich nach. Ihre Bindung wird sicherer und das macht beide freier.
Nähe ist kein Rezept gegen Konflikte
Beziehung aber ist lebendig und die Balance zwischen Nähe und Distanz ist es ebenso. „Es wird Tage mit Näheerlebnissen geben und solche ganz ohne, an denen man sich dann – das ist normal – weniger innig verbunden fühlt“, sagt Thomas. Und auch die Eigenheiten und Persönlichkeitsunterschiede bleiben, wenn beide zum positiven Beziehungstanz fähig sind.
„Ich gehe am liebsten erst einmal mit meinem Hund spazieren, wenn ich ein Problem habe, und spreche später darüber. Meine Frau dagegen möchte mir alles haarklein erzählen. Aber wir wissen das voneinander, weil wir uns vertraut sind. Meine Frau verfällt nicht in Panik, wenn ich nach dem Abendessen noch einmal hinausgehe.“ So spricht der Therapeut Volker Thomas über seine eigene Beziehung. Dem anderen verbunden zu sein bedeutet also auch, dass man den Wunsch nach Autonomie des Partners akzeptiert, ohne die eigenen Bedürfnisse zu missachten.
So gesehen ist Nähe kein Rezept gegen Konflikte. Sind beide erschöpft oder gestresst, haben sie keine Ressourcen, die Kernemotionen des Gegenübers zu beantworten. Und wenn beide mit einem Problem nach Hause kommen, muss jemand zurückstecken, sonst droht Streit: Entweder muss Thomas’ Spaziergang warten oder seine Frau das ihr wichtige Gespräch auf später verschieben. Auch Kompromisse und das vorübergehende Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse gehören folglich zu einer positiven Dynamik und – vielleicht am schwersten – das lange Warten auf den Moment, in dem Nähe möglich wird.
Kernemotionen besser beachten
Oft verbergen wir unserer Partnerin, unserem Partner gegenüber unsere Kernemotionen, weil sie uns verletzlich machen. Doch um echte Nähe zu erfahren, müssen wir sie zulassen. Diese Tipps helfen, ihnen näherzukommen
Spüren
Kernemotionen fühlen sich sanfter und fragiler an als reaktive Emotionen. Wir spüren sie tief im Innersten, indem wir uns selbst beobachten und in uns hineinhorchen. Körperliche Reaktionen können dabei helfen. Achten Sie dafür auf Ihren Körper, auf innere Empfindungen und Emotionen, etwa im Bauch oder in der Brust. Nehmen Sie Anspannungen wahr, Wärme- oder Kältegefühle und fragen Sie sich: Welches Gefühl spüre ich?
Ursachen suchen
Reaktive Emotionen sind oft schneller und lauter als die Kernemotion. Zum Beispiel könnten Sie wütend sein, dass Ihre Frau Ihren Geburtstag vergessen hat. Wenn Sie sich dann nach dem Grund dafür fragen, kommen Sie zur Kernemotion. Diese könnte zum Beispiel die Angst sein, dass Ihre Frau nicht einfach nur diesen besonderen Tag vergessen hat, sondern allgemein nicht viel an Sie denkt.
Worte finden
Benennen Sie das Gefühl klar und einfach, Sie könnten zum Beispiel sagen: „Ich empfinde Wut.“ Emotionen auszusprechen macht sie eindeutiger. Selbst ein unklarer Zustand wie „Gefühlstaubheit“ wird jedes Mal, wenn Sie ihm Aufmerksamkeit widmen, fassbarer.
Über sich sprechen
Statt der oder dem anderen Vorwürfe zu machen, reden Sie von sich selbst. Indem Sie zum Beispiel sagen: „Ich bin traurig, weil mich verletzt hat, dass du meinen Geburtstag vergessen hast.“ Falls möglich identifizieren Sie den Auslöser für Ihre Emotion. In diesem Fall könnte das etwa der Gedanke sein, dass Sie Ihrer Frau nicht mehr so wichtig sind.
Reaktive Wut dämpfen
Wenn Sie reaktive Wut empfinden, versuchen Sie, sie zu kontrollieren. So können Sie das tiefere, primäre „weiche“ Gefühl ausdrücken statt der schützenden „harten“ Wut, die Sie oberflächlich spüren. Ein Wutanfall bringt Sie meist nicht viel weiter. Auf Schweigen, Kritik, Schuldzuweisungen oder Wutausbrüche kann das Gegenüber meist nicht so einfach eingehen wie auf Verletzungen oder Furcht.
Gefühle und Bedürfnisse ausdrücken
Allerdings ist es auch nicht gut, Wut allzu stark zu unterdrücken, wenn dies dazu führt, dass sie eskaliert. Wenn Sie hierzu neigen, ist es hilfreich, sie früher und nachdrücklicher zu äußern.
Ängste konfrontieren
Versuchen Sie, sich Ihren Ängsten zu stellen, statt ihnen auszuweichen. Das zu tun, wovor man Angst hat, kann befriedigend sein. Sprechen Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin über Ihre Ängste. Gehen Sie in kleinen Schritten vor, indem Sie ihm oder ihr sagen, wie anstrengend es ist, über die Befürchtungen auch nur zu sprechen. Wenn Sie Gehör finden, können Sie offenlegen, was Sie bedrückt.
Traurigkeit wahrnehmen
Wenn man traurig ist, darf man in sich hineinhorchen oder auch weinen. Das tröstet. Irgendwann, wenn Sie den Zeitpunkt für gekommen halten, können Sie mit Ihrem Partner, Ihrer Partnerin über die Traurigkeit sprechen.
Quelle: Veronica Kallos-Lilly, Jennifer Fitzgerald: Wir beide. Das Arbeitsbuch zur Emotionsfokussierten Paartherapie. Junfermann, Paderborn 2016
Quellen
Susan Johnson: Bindungstheorie in der Praxis. Emotionsfokussierte Therapie mit Einzelnen, Paaren und Familien. Junfermann, Paderborn 2020
Veronica Kallos-Lilly, Jennifer Fitzgerald: Wir beide – das Arbeitsbuch zur Emotionsfokussierten Paartherapie. Junfermann, Paderborn 2016
Peggy Kleinplatz u. a.: The components of optimal sexuality: A portrait of „great sex“. The Canadian Journal of Human Sexuality, 18/1-2, 2009.
Melissa Burgess Moser u. a.: Changes in relationship-specific attachment in emotionally focused couple therapy. Journal of Marital and Family Therapy, 42/2, 2016, 231–245. DOI: 10.1111/jmft.12139
Christian Roesler: Paarprobleme und Paartherapie: Theorien, Methoden, Forschung - ein integratives Lehrbuch. Kohlhammer, Stuttgart 2018
Stephanie Wiebe, Susan Johnson: A Review of the Research in Emotionally Focused Therapy for Couples. Family Process, 55/3, 2016. DOI: 10.1111/famp.12229