Wie entscheidend ist Empathie für eine glückliche und stabile Paarbeziehung?
Das ist der unsichtbare Faden, der eine Beziehung zusammenhält. Er sorgt für Verständnis, stärkt die emotionale Bindung und hilft, Konflikte auf eine Weise zu lösen, die beide Partner näherbringt. Wer sich in den anderen hineinversetzen kann, sieht nicht nur Bedürfnisse und Ängste, sondern reagiert auch mit mehr Geduld und Mitgefühl – selbst wenn es eigentlich Grund für Frust gäbe. Liegt mal wieder eine vergessene Socke rum, ist sie dann vielleicht weniger ein Ärgernis und eher ein Zeichen dafür, dass der Tag für den anderen einfach zu anstrengend war.
Was ist, wenn in einer Beziehung ein Partner deutlich empathischer ist als der andere?
In meine Praxis kam einmal ein Paar zur Beratung: sie, die unangefochtene „Empathie-Königin“, und er, der eher stoische Typ. Auf den ersten Blick könnte man denken: Perfekte Ergänzung, sie gleicht die mangelnde Sensibilität ihres Mannes aus. Doch hinter dieser Fassade verbarg sich eine viel komplexere Dynamik. Emotional gesehen fühlte sie sich häufig überfordert, denn sie nahm nicht nur ihre eigenen Gefühle wahr, sondern auch die ihres Mannes – selbst wenn er sie nicht ausdrückte. Es war, als müsste sie ständig zwei unsichtbare Rucksäcke tragen. Ihr Mann wiederum fühlte sich unwohl, weil seine FStand: April 2025rau scheinbar immer wusste, was in ihm vorging, noch bevor er es selbst erkannt hatte. Hierbei könnte sich das sogenannte „Gefühlsmanager-Syndrom“ entwickeln, bei dem einer der Partner unbewusst die emotionale Last des anderen übernimmt.
Was genau steckt hinter einem „Gefühlsmanager-Syndrom“?
Nun, bei diesem Phänomen übernimmt einer in der Beziehung die Rolle der emotionalen Fürsorge für beide Partnerinnen. Dabei versucht der eine, die Bedürfnisse der anderen zu erkennen, ihre Stimmungen zu regulieren und gleichzeitig ihre eigenen Gefühle zu managen. Es ist, als würde man versuchen, gleichzeitig Schach zu spielen und zu jonglieren – eine Herausforderung, die kaum gelingt und, wenn doch, zu totaler Erschöpfung führt.
Welche Folgen hat es, wenn solch eine Dynamik unausgesprochen bleibt?
Es kommt darauf an, wie beide Partner emotional gestrickt sind. In der „Gedankenleser-Falle“ glaubt der eine immer zu wissen, was der andere fühlt oder braucht. Das führt dazu, dass sich das Gegenüber entweder missverstanden oder in eine Schublade gesteckt fühlt. Im „Emotionskarussell“ nimmt ein Partner die Gefühle des anderen so intensiv wahr, dass dieser selbst eine emotionale Achterbahnfahrt erlebt. Der Druck steigt, die eigenen Emotionen zu kontrollieren. Und in der „Therapeuten-Dynamik“ wiederum übernimmt ein Partner die Rolle der Beziehungstherapeutin. Zu erkennen daran, dass dieser das Verhalten des Gegenübers ständig analysiert und ungefragt Ratschläge gibt.
Lassen sich solche Muster durchbrechen?
Ja, beide müssen an ihrer emotionalen Intelligenz arbeiten. Sie sollte lernen, nicht jedes Gefühl von ihm als Auftrag zu sehen. Er muss seine Empathie stärken und aktiver auf ihre Bedürfnisse eingehen. Eine gesunde Balance entsteht, wenn beide Verantwortung für ihre eigenen Emotionen übernehmen und sich gleichzeitig füreinander öffnen. Dauerhafte emotionale Überlastung kann zu einem „Empathie-Burnout“ führen. Irgendwann ist sie so erschöpft, dass ihr keine Kraft mehr für echtes Mitgefühl bleibt.
Verständnis und Mitgefühl bedeuten ja nicht automatisch Zustimmung. Wie gelingt es, Verständnis für den anderen zu zeigen, ohne die eigene Haltung aufzugeben?
Das ist in der Tat eine große Herausforderung in Beziehungen. Wichtig ist, Gefühle von Handlungen zu trennen. Einfühlungsvermögen bedeutet nicht, die eigene Überzeugung aufzugeben, sondern einen Raum für Verständnis zu schaffen. Aktives Zuhören ist dabei ein Schlüssel – wirklich hinhören, ohne direkt eine Lösung anzubieten. Das stärkt die emotionale Verbindung und zeigt dem anderen, dass seine Gefühle gesehen werden. Gleichzeitig hilft es, Missverständnisse zu vermeiden und gegenseitige Wertschätzung zu vertiefen.
Aber wie zeigt man Empathie, wenn die eigene Erschöpfung jegliches Mitfühlen verhindert?
Es ist herausfordernd, wenn die Partnerin oder der Partner gerade ruhig und entspannt ist, während der andere sich emotional aufgewühlt fühlt. Oder wenn eine traurig und der andere gerade fröhlich ist. In solchen Momenten kann es fast unmöglich erscheinen, Empathie zu zeigen, weil man selbst nicht die gleichen Gefühle teilt. Aber schon das Spiegeln von Emotionen – zum Beispiel mit „Du klingst wirklich enttäuscht“ oder „Das hat dich wohl sehr verletzt“ – zeigt, dass die Gefühle wahrgenommen und ernst genommen werden.
Was kann ich noch tun, wenn ich Empathie zeigen, aber gleichzeitig meine eigene Überzeugung nicht aufgeben möchte?
Eine weitere Möglichkeit ist die Bestätigung: „Es ist verständlich, dass du dich so fühlst“ oder „Jeder wäre in dieser Situation aufgebracht“. Auch eigene Perspektiven lassen sich sanft teilen, indem man zuerst Verständnis für die Emotionen des anderen zeigt und dann behutsam eine andere Sichtweise anbietet: „Ich kann nachvollziehen, warum du so fühlst. Aus meiner Sicht sieht die Situation etwas anders aus – darf ich dir erzählen, wie ich das sehe?“ Empathie zu zeigen bedeutet nicht, die eigenen Grenzen, Werte oder Überzeugungen aufzugeben. Es ist eher wie der Bau einer Brücke: Man geht ein Stück weit auf die andere Seite, um zu verstehen, wie es dort aussieht, aber man muss nicht dort bleiben oder das eigene Ufer verlassen.
Welche Strategien helfen, empathisch zu bleiben, wenn man selbst erschöpft ist oder gerade nicht in der Lage, sich auf die Gefühle des Partners einzulassen?
Eine gesunde Balance zwischen Selbstfürsorge und Mitgefühl lässt sich mit verschiedenen Ansätzen erreichen. Eine davon ist, den eigenen Zustand klar zu kommunizieren. Eine ehrliche Rückmeldung wie „Ich bin gerade erschöpft, lass uns später darüber sprechen“ hilft, die eigenen Grenzen zu setzen, ohne die Beziehung zu belasten. Kleine Gesten wie ein Nicken oder ein einfaches „Ich höre dir zu“ signalisieren Verständnis, ohne zu viel Energie zu kosten. Ein weiterer hilfreicher Satz könnte sein: „Ich fühle mich gerade sehr erschöpft, aber ich möchte für dich da sein. Kannst du mir bitte ein bisschen Zeit geben, um mich zu sammeln?“
Das klingt danach, sanfte Grenzen zu setzen, um nicht in die Auseinandersetzung zu geraten.
Genau. Zu sagen „Ich möchte dir gerne zuhören, aber brauche eine kurze Pause“ ermöglicht es, für sich selbst zu sorgen, ohne die emotionale Verbindung zu verlieren. Denn selbst die empathischsten Menschen erleben Phasen der Erschöpfung und müssen sich erholen. Wenn man den eigenen Zustand erklärt, etwa nach einem anstrengenden Tag, verdeutlicht man, dass die Erschöpfung nichts mit dem anderen zu tun hat, sondern mit der eigenen Situation. Wer gut für sich selbst sorgt, bleibt langfristig einfühlsam und präsent.
Welche Rolle spielt Empathie in Konflikten – und gibt es Situationen, in denen weniger Mitgefühl für eine gesündere Auseinandersetzung sorgen kann?
Mitgefühl in Konflikten ist wie Öl im Getriebe – es reduziert die Reibung und sorgt für eine bessere Kommunikation. Aber es gibt auch Momente, in denen zu viel Empathie eher schädlich ist. Wenn Grenzen überschritten werden, kann zu viel Verständnis für verletzendes Verhalten dazu führen, dass man die eigenen Bedürfnisse nicht mehr klar ausspricht. Bei Manipulation könnte das Verständnis des Partners ausgenutzt werden, um Verantwortung abzuwälzen oder die eigene Position zu stärken. Wenn Konflikte immer wieder auftauchen, hilft es oft, weniger Zuwendung zu zeigen und stattdessen auf klare Kommunikation zu setzen, um festgefahrene Muster zu durchbrechen.
Es gibt auch Grenzen des Einfühlungsvermögens. Ab wann herrscht ein Übermaß, das zur emotionalen Erschöpfung führen kann?
Es gibt auch ein Zuviel an Einfühlungsvermögen und das kann sich auf verschiedene Weise zeigen: Wer sich nach Gesprächen regelmäßig ausgelaugt oder leer fühlt, investiert möglicherweise zu viel emotionale Energie in das Mitfühlen. Auch die Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse ist ein klares Warnsignal – wenn man ständig die eigenen Wünsche und Gefühle zurückstellt, um den anderen nicht zu belasten. Ein weiteres Zeichen ist, wenn man sich zunehmend in den Emotionen des anderen verliert und die eigene Identität oder Perspektive dabei aus den Augen verliert. Es ist wichtig, die Balance zu wahren und auch eigene Grenzen zu achten, um nicht in eine Erschöpfung oder Co-Abhängigkeit zu geraten.
Welche Anzeichen deuten darauf hin, dass man zu viel Mitgefühl aufbringt?
Ein Hinweis auf ein Zuviel an Empathie ist die Überidentifikation mit den Problemen des Partners: Wenn man seine Sorgen so sehr übernimmt, dass sie sich wie die eigenen anfühlen, und man nicht mehr in der Lage ist, abzuschalten. Schuldgefühle können ebenfalls entstehen, besonders wenn man sich schlecht fühlt, sobald man nicht auf jede emotionale Regung des Partners perfekt reagiert. Der Verlust der eigenen Perspektive ist ein weiteres Warnsignal – wenn man aus Angst, den anderen zu verletzen, die eigene Meinung zurückhält oder Konflikte vermeidet. Dabei sind gerade konstruktive Auseinandersetzungen wichtig für das Wachstum einer Beziehung.
Wie geht man mit einem Partner um, dem es schwerfällt, seine Gefühle zu zeigen und darüber zu sprechen?
Der Umgang mit „Mitgefühl-Minimalisten“ erfordert Geduld und Selbstbeherrschung. Es ist wichtig, weiterhin Mitgefühl zu zeigen, auch wenn es nicht erwidert wird. Klare und direkte Kommunikation ist dabei entscheidend, da subtile Hinweise oft übersehen werden. Wenn der Partner wenig Empathie zeigt, hilft es, direkt zu sagen, was man braucht – zum Beispiel: „Ich fühle mich traurig und könnte eine Umarmung gebrauchen.“ Wenn er darauf reagiert, sollte man das anerkennen, da positive Verstärkung oft eine starke Wirkung hat.
Dennoch: Mangelndes Mitgefühl rechtfertigt kein respektloses Verhalten. Erklären Sie Ihre Gefühle so konkret wie möglich. Auch nonverbale Kommunikation, wie ein Blick oder eine sanfte Berührung, kann manchmal Wunder wirken.
Und wenn alles andere fehlschlägt?
Dann fragen Sie nach praktischer Unterstützung, etwa: „Könntest du mir einen Tee machen?“ Wenn der Mangel an Verständnis die Beziehung stark belastet, kann professionelle Hilfe durch eine Paarberatung oder -therapie neue Perspektiven bieten. Der Umgang mit wenig einfühlsamen Menschen erfordert Geduld und Verständnis, ist aber möglich, wenn man bereit ist, dem anderen Zeit einzuräumen. Ziel ist es, eine Balance zwischen Akzeptanz und dem Streben nach einer erfüllenden Beziehung zu finden, ohne sich emotional zu verausgaben.
Gesellschaftliche Erwartungen beeinflussen maßgeblich, wie Männer und Frauen in Beziehungen ihre Gefühle zeigen und Verständnis ausdrücken – trifft das zu?
Ja, traditionelle Geschlechterrollen spielen eine zentrale Rolle, da sie nach wie vor das Verhalten von Männern und Frauen prägen, auch im Umgang mit Emotionen. Es gibt weiterhin weitverbreitete Annahmen darüber, was als „passend“ gilt, je nachdem, ob man Frau oder Mann ist. Viele Menschen versuchen, diesen Erwartungen gerecht zu werden, oft unbewusst. Frauen wird häufig zugeschrieben, für die emotionale Balance in einer Beziehung verantwortlich zu sein, während Männer oft als rationaler und weniger gefühlsbetont wahrgenommen werden. Diese Stereotype können dazu führen, dass Männer ihre Gefühle unterdrücken, keine Schwäche zeigen wollen oder Schwierigkeiten haben, Emotionen offen zu zeigen. Dies verstärkt Missverständnisse und führt dazu, dass sich beide Partner nicht wirklich gehört oder verstanden fühlen.
Ist das bei Männern wirklich mangelnde Empathie – oder vielleicht einfach eine andere Art, mit Emotionen umzugehen?
Tatsächlich bedeutet dieses Verhalten nicht, dass Männer weniger mitfühlen – sie drücken es nur anders aus. Auch der Umgang mit negativen Emotionen unterscheidet sich: Frauen neigen dazu, Probleme anzusprechen und gemeinsam zu lösen, während Männer schwierige Gespräche eher vermeiden oder das Thema herunterspielen, um die Harmonie zu wahren. Aber natürlich gibt es dabei keine festen Muster – jeder Mensch ist individuell.
Wie können Paare diese gesellschaftlichen Prägungen hinter sich lassen?
Ein erster Schritt ist, sich der eigenen Erwartungen bewusst zu werden und traditionelle Rollenbilder aktiv zu hinterfragen. Offene Gespräche über Bedürfnisse, Ängste und Wünsche helfen dabei, unrealistische Vorstellungen abzubauen und mehr Verständnis füreinander zu entwickeln. Schließlich gibt es immer mehr Paare, die nicht nach dem klassischen Modell leben: Väter, die sich um die Kinder kümmern, während ihre Frau Karriere macht. Gleichgeschlechtliche Paare, die Erziehungsaufgaben gleichberechtigt aufteilen. Oder Paare, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden. Solche Vorbilder sind essenziell, um alte Denkmuster zu durchbrechen und Platz für neue, andere Beziehungsmodelle zu schaffen.
Kann ein verändertes Rollenverständnis die Beziehung beeinflussen?
Ja, ein verändertes Rollenverständnis kann eine Beziehung stark beeinflussen. Ein Beispiel wäre, wenn ein Paar die traditionellen Rollenaufteilungen – die Frau kümmert sich um den Haushalt und der Mann um die Finanzen – im Laufe der Zeit tauscht, weil die Frau mehr berufliche Verantwortung übernimmt und der Mann mehr zu Hause ist. Solche Veränderungen erfordern offene Kommunikation, um Missverständnisse zu vermeiden und sicherzustellen, dass sich beide Partner unterstützt fühlen. Ein verändertes Rollenverständnis kann helfen, Platz für neue Beziehungen zu schaffen und eine tiefere Verbindung aufzubauen. Letztlich geht es darum, als Team zu agieren und eine erfüllende Beziehung zu gestalten.
Stand: April 2025
Eva Schulte-Austum ist Psychologin, Paartherapeutin und Expertin für Empathie, insbesondere in Führung und Kommunikation. Außerdem ist sie Business-Coach, Keynote Speaker und Vertrauensforscherin, berät Unternehmen zum Thema Führung, Transformation und New Work