Wie wir Krisen der langen Liebe bewältigen können

Wie können wir in langjährigen Beziehungen ambivalente Gefühle überwinden und gemeinsam Glück finden? Das erklärt uns Ursula Nuber in ihrem Buch.

Eine Beziehung ist ein Balanceakt, der ständige Versuch, das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen, Hingabe und Selbstbehauptung zu halten. Doch sollte man ein Leben lang ein Paar bleiben? Lohnt sich ein Durchhalten? Ursula Nuber, Diplompsychologin und Paartherapeutin, ehemalige Chefredakteurin von Psychologie Heute, will mit ihrem Buch ein größeres Verständnis für die „besonderen Herausforderungen der langen Liebe“ wecken.

Alte Paare gerieten oft in eine Krise, „wenn die meisten Schlachten geschlagen sind“. Es sei der Druck der vielen Jahre, der zermürbe und der Beziehung die Energie raube.

„Wenn einer sich im System verändert, verändert sich auch das System“

Im ersten Teil des Sachbuches werden die Beziehungsmuster und Verstrickungen von Langzeitpaaren besprochen. Die Frage, wie man aus dem Beziehungstief wieder auftauchen und sich aus eingeschliffenen Verhaltensmustern befreien kann, wird im Hauptteil behandelt. Und schließlich geht es um einen Perspektivenwechsel, einen anderen Blick auf die Beziehung, und um die Abwägung, ob man ein Paar bleiben soll oder ob eine Trennung besser wäre.

Soll sich eine gestresste Partnerschaft zum Besseren entwickeln, muss man selbst initiativ werden: „Wenn einer sich im System Paar verändert, verändert sich auch das System.“

Einen gut funktionierenden Stabilisierungs-Ansatz habe der Psychotherapeut Michael Lukas Moeller (1937–2002) entwickelt: Man trifft sich zu einem Zwiegespräch, für das feste Regeln vereinbart werden. „Glückliche Paare unterscheiden sich von unglücklichen Paaren durch die Intensität ihrer Gespräche. Sie reden nicht nur, weil sie glücklich sind. Vielmehr werden sie glücklich, weil sie reden“, zitiert Nuber den Psychoanalytiker.

Die Phasen der Nichtliebe

Doch wo steht geschrieben, dass man seinen Partner, seine Partnerin immer lieben muss? Liebe, behauptet Nuber, müsse nicht immer im Spiel sein. Gleichgültigkeit, Ablehnung und Über­druss seien ebenso erlaubt.

„Es darf auch Phasen der Nichtliebe geben.“ Je älter die Liebe, desto deutlicher würden Ambivalenzen. „Ein wich­tiges Geheimnis glücklicher Partnerschaften ist daher, Ambivalenzen nicht zu bekämpfen, sondern sie als unvermeidbare Begleiterscheinung einer langen Liebe zu akzeptieren.“

Liebesglück wird demnach eher zu einem Nebenprodukt einer Beziehung. Ursula Nuber grenzt sich deutlich von der psychologischen Glücksforschung ab, die suggeriert, dass Glück machbar sei.

Toleranz als Schlüssel zum Beziehungserfolg

Für Ursula Nuber liegt das Geheimnis einer erfüllenden Langzeitbeziehung in der Fähigkeit zur Toleranz. Sie plädiert für die Vernunftehe. Nicht das Gefühl, sondern der Verstand hält die Balance. Resigniert und gereift durch Konflikterfahrungen, dürfen alte Paare auf seltene Glücksmomente hoffen.

Doch wo bleibt der Humor als soziales Schmiermittel und wichtige psychologische Ressource? „Eine Trennung nach so vielen Jahren ist oftmals ein Weg durch die Hölle“, schreibt Nuber. Doch setzt nicht eine Trennung – wenn die Beziehung schon lange in Schieflage ist – emanzipatorische Kräfte frei? Diese Fragen bleiben offen.

Trotz dieser Einwände ist es ein kluges Buch, das die Komplexität einer langen Partnerschaft einfängt und zur Selbstreflexion anregt.

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