So manches Paar lebt dann nur noch resigniert nebeneinander her. Oder denkt immer wieder an Trennung. Die aber ist vermeidbar. Der Paarforscher Guy Bodenmann, Professor für Klinische Psychologie an der Universität Zürich, sieht im „emotionalen Updating“ eine Lösung, wie er im Psychologie Heute-Gespräch erläutert
PSYCHOLOGIE HEUTE Herr Professor Bodenmann, Sie haben die Liebesbeziehung einmal mit einer Klettertour verglichen. Wo sind da die Parallelen?
GUY BODENMANN Ich sehe verschiedene Parallelen. Zum einen…
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Klettertour verglichen. Wo sind da die Parallelen?
GUY BODENMANN Ich sehe verschiedene Parallelen. Zum einen möchte man sowohl bei einer Klettertour als auch in einer Beziehung hoch hinaus. Man will auf den Gipfel, auf den Gipfel des Glücks sozusagen. Die andere Parallele ist die Anstrengung. Es ist nicht einfach ein sanftes Hochgleiten, sondern es ist ein Sich-hinauf-Arbeiten – sowohl bei der Klettertour als auch bei der Partnerschaft. Beides ist etwas Wunderschönes, aber ohne Aufwand nicht zu haben. Der Aufwand gehört genauso dazu wie die schöne Aussicht oder der Stolz auf das Erreichte.
PH Zu Beginn einer Beziehung sind wohl alle Menschen davon überzeugt, dass sie den Gipfel erreichen können. Doch die Realität sieht leider anders aus. In den Großstädten endet inzwischen jede zweite Ehe vor dem Scheidungsrichter. Kann man daraus folgern, dass Paare sich zwar die „schöne Aussicht“ wünschen, aber die Anstrengung, die mit einer Partnerschaft verbunden ist, scheuen?
BODENMANN Das hat in großem Maße mit den Erwartungen zu tun. Häufig denken Paare, wenn sie vor dem Berg stehen: Das schaffen wir, das ist nicht schwer. Dann aber müssen sie realisieren: Das Ganze ist doch aufwendiger und schwieriger als gedacht. Das heißt, die Erwartungsdiskrepanz ist ein ganz wichtiger Faktor, wenn Beziehungen in eine Krise geraten. Der zweite Punkt ist die Selbstfokussierung, also die Idee, es muss einem selbst gutgehen in der Beziehung. Der Wunsch nach Selbstverwirklichung ist heute ein starkes Leitmotiv in Partnerschaften. Natürlich ist das ein berechtigtes Motiv, aber eben nur eines. Genauso wichtig ist: Es muss beiden gutgehen. Es ist eben eine Kletterpartie zu zweit, man will ja gemeinsam den Gipfel erklimmen, man muss also auch Rücksicht auf den anderen nehmen. Das Bewusstsein dafür fehlt oft. Und diese Egozentriertheit ist häufig ein Grund, dass Beziehungen in die Brüche gehen.
PH Hat denn diese Selbstzentriertheit, die Sorge um das eigene Glück zugenommen?
BODENMANN Meiner Meinung nach ist das der Fall. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ist der Selbstverwirklichungsgedanke durch die humanistischen Therapien, zum Beispiel durch Carl Rogers, in die Welt gesetzt worden. Seither gilt die Ansicht „Jeder ist seines Glückes Schmied“ als selbstverständlich. Das führt natürlich zu einer stärkeren Konzentration auf sich selbst: Was brauche ich? Wann geht es mir gut? Das wird vor allem zum Problem, sobald man in einer intimen Gemeinschaft lebt. Dann fehlt der Blick auf den anderen und die Bereitschaft, Bedürfnisse auszutarieren. Das heißt, man muss auch nachgeben, Kompromisse schließen können. Das aber kommt zu kurz, wenn man zu stark auf sich fokussiert ist.
PH Nun zeigt die Statistik, dass es vor allem die Frauen sind, die nach längerer Beziehungsdauer die Scheidung einreichen. Oftmals durchaus mit dem Wunsch, sich endlich mal mehr um sich selbst und weniger um jemand anderen zu kümmern.
BODENMANN Wir haben ja leider immer noch das Phänomen, dass, sobald Kinder kommen, mehrheitlich die Frauen für Erziehung und Hausarbeit verantwortlich sind. Davor ist die Aufgabenteilung durchaus egalitärer, doch kaum ist Nachwuchs da, wird die Rollenverteilung stark traditionell. Frauen haben dadurch effektiv weniger Selbstverwirklichungsmöglichkeiten. Sind die Kinder dann aus dem Haus, fragen sie sich häufig: „Wo stehe ich, was habe ich für mich tun können?“ Der Mann ist zu diesem Zeitpunkt meist auf dem Höhepunkt seiner Karriere, er ist erfolgreich, während die Frau das Gefühl hat, sie sei zu kurz gekommen. Das ist ein Punkt. Ein zweiter ist die Investition in die Partnerschaft. Wir haben zwei Gradienten in einer Beziehung. Der eine – die Attraktivität, die Neuartigkeit, die Faszination füreinander – nimmt im Laufe der Zeit ab. Und dann gibt es einen zweiten Gradienten, der nimmt zu. Das ist die Intimität, das Vertrauen, die durch Investition in die Beziehung entstehen. Wenn die nicht getätigt wurde, steht man am Schluss resigniert da. Bei Trennungsgedanken kommen diese zwei Punkte zusammen: Das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein, sowie das Realisieren, dass zu wenig in die Partnerschaft investiert wurde.
Zeitmangel, Alltagsstress und fehlende „Investitionsbereitschaft“ sind für den Paarforscher Guy Bodenmann die Hauptgründe, warum Partnerschaften in die Krise geraten
PH Wie sieht denn eine geeignete Investition aus? Anders gefragt: Was machen Paare richtig, in deren Beziehung an die Stelle der Faszination die Intimität tritt?
BODENMANN Das fängt schon ganz elementar damit an, wie viel Zeit man sich für den anderen und die Partnerschaft nimmt. Das ist die Grundlage für alles andere. Denn wenn wir keine Zeit haben füreinander, dann fehlen gemeinsame Begegnungen, gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse, und das wichtige Wir-Gefühl kann nicht entstehen. Das ist das Wesentliche, dass ein Paar sich als ein „Wir“ fühlt und nicht als zwei „Ich“.
Das Zweite ist: Wenn wir Zeit füreinander haben, dann erhält auch die Kommunikation eine andere Tiefe, man spricht eher an, was einen wirklich beschäftigt und sorgt. Bei Zeitmangel dagegen nimmt die Oberflächlichkeit der Kommunikation zu. Das heißt, man redet weniger über die Themen, um die es wirklich geht, sondern ist viel lösungsorientierter. Denn in Hektik möchte man eine möglichst schnelle und effiziente Lösung für ein Problem.
PH Paare stehen heute häufig unter enormem Stress. Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, das ist ein Kraftakt. Ist es da nicht sinnvoll, die Probleme so schnell wie möglich vom Tisch haben zu wollen?
BODENMANN Stress hat immer zwei Komponenten: eine problembezogene und eine emotionsbezogene. Die problembezogene lässt sich oft schnell lösen. Mit ein paar Vorschlägen hat man die Angelegenheit im Griff. Aber fast immer geht es in Stresssituationen um Emotionen – ein Ereignis irritiert, ängstigt oder deprimiert einen. Und das muss man einander mitteilen können. Wenn man aber nun keine Zeit hat, dann verliert sich die Tiefe der emotionalen Begegnung, alles wird oberflächlicher, plätschert seicht dahin. Es kommt zu keiner Begegnung, in der Selbstöffnung stattfindet. Damit meine ich das Ansprechen von für einen wichtigen Themen, Gefühlen und Bedürfnissen. Stress verhindert Selbstöffnung. Man lässt den anderen nicht teilhaben an dem, was einen wirklich umtreibt. Damit verlieren wir einander aus den Augen. Wir bleiben dem anderen nicht nah, spüren nicht, wo er oder sie im Leben steht, und der andere weiß nicht, was mir wichtig ist. Das emotionale Updating findet nicht statt. Die Folge davon ist, dass die Intimität erodiert und ein Gefühl der Entfremdung sich einstellt. Dies ist kritisch für die Partnerschaft.
PH Emotionales Updating bedeutet: sich mitteilen, Gefühle äußern, sich interessieren für das Erleben des anderen. Sie sagen nun, gerade in Stresssituationen ist dieses Updating wichtig. Können Sie an einem Beispiel verdeutlichen, wie das ablaufen könnte?
BODENMANN Angenommen, ich habe im Beruf oder mit einem Freund eine Enttäuschung erfahren. Wenn meine Partnerin das merkt und mich fragt, was los ist, dann kann ich erzählen, was vorgefallen ist. Wichtig dabei ist, dass ich nicht sachliche Details berichte, sondern schildere, wie ich mich fühle, was an der Situation so schlimm ist und warum sie mich so trifft. Indem ich von mir erzähle, werde ich für den anderen spannend, interessant, erfahrbar, menschlich greifbar. Meine Partnerin bekommt dann die Chance, mich besser zu verstehen und mich besser zu unterstützen.
Gebe ich keinen Einblick in meine Gefühlswelt, dann riskiere ich schnelle, problembezogene Ratschläge à la „Ich an deiner Stelle würde…“, die mir aber nicht helfen. Oder es kommen Umbewertungen wie: „Das ist doch nicht so schlimm.“ Das wirkt dann wie eine zweite Ohrfeige, denn für mich ist es schlimm.
PH Die Erklärungen, die Paare selbst geben, wenn ihre Beziehung scheitert, lauten häufig: „Wir haben uns auseinandergelebt“, „Wir lieben uns nicht mehr“ oder „Wir passen einfach nicht zusammen“.
BODENMANN Das sind Umschreibungen für Entfremdung – die meisten Paare gehen heute nicht wegen Zerrüttung, sondern wegen Entfremdung auseinander.
Wir wissen, dass Paare zu Beginn ihrer Beziehung einander sehr nah sind. Man ist interessiert am anderen, will wissen, was er gerne hat, welche Interessen und Einstellungen – man ist explorativ und neugierig auf den anderen. Jahre später hat sich die Situation oft verändert. Man denkt, man wisse alles vom anderen, und bedenkt nicht, dass sich der Partner wie man selbst ständig verändert. Man greift auf „altes“ Wissen zurück und wird so dem anderen nicht mehr gerecht. Der fühlt sich unverstanden, nicht mehr von Interesse, vernachlässigt. In dieser Situation kann ein Auslöser – ein Umzug, ein Seitensprung, die Kinder verlassen das Haus – eine Beziehung in Gefahr bringen. Nicht so bei Paaren, die sich über die Zeit immer wieder updaten. Diese haben sich ebenso verändert, aber sie sind sich nahe geblieben, weil sie wechselseitig an der Entwicklung des anderen teilhaben.
PH Gerade Frauen formulieren sehr häufig, dass ihnen Emotionalität und „richtige“ Gespräche fehlen. Männer dagegen sagen dann: „Oh, immer diese Beziehungsgespräche, ich brauche das nicht, ich hätte gerne mehr Sexualität mit ihr.“ Suchen Männer dieses emotionale Updating über den Sex, Frauen über Gespräche? Wie können sich Paare mit diesen unterschiedlichen Bedürfnissen überhaupt näherkommen?
BODENMANN Zu Beginn der Beziehung waren Männer und Frauen genauso unterschiedlich. Da war das kein Problem, es wird erst eines mit zunehmender Beziehungsdauer, denn am Anfang war eine andere Bereitschaft da – die Bereitschaft zuzuhören, sich für den anderen zu interessieren. Die spannende Frage ist: Warum verliert sich diese Bereitschaft? Warum werden Geschlechtsunterschiede relevant, die vorher nicht gestört haben? Studien zeigen, dass dies mit einer Veränderung der Motivation zu tun hat. Am Anfang liegt einem vor allem das Wohl des anderen am Herzen, man engagiert sich für ihn. Mit der Zeit verschiebt sich die Interessenlage – man sucht vermehrt nach eigener Bedürfnisbefriedigung. Das Problem ist letztlich nicht die Unterschiedlichkeit, das Problem ist die Motivation, sich auf den anderen einzulassen. Möglicherweise will eine Frau auch am Beginn der Beziehung mehr Gespräche, während sich der Mann mehr Sex wünscht – das ist ja ein gut erforschter Geschlechtsunterschied –, aber damals war er motiviert, ihr zuzuhören, und sie hatte dann auch mehr Lust auf Sexualität. An die Stelle der Motivation, dem anderen seine Bedürfnisse zu erfüllen, tritt der Machtkampf um etwas, was vorher selbstverständlich funktioniert hat: „Wenn du nicht mit mir redest, bekommst du auch keinen Sex. Wenn du nicht mit mir schläfst, höre ich dir nicht zu.“ Man ist nicht mehr ausreichend motiviert, sich auf den anderen einzulassen und sich für seine Bedürfnisse zu interessieren.
PH Und die Motivation und Bereitschaft, auf den anderen einzugehen, geht allein durch mangelndes emotionales Updating verloren?
BODENMANN Nein, das ist nicht die einzige Ursache. Auch das Thema Faszination spielt hier eine wichtige Rolle. Solange man verliebt ist, ist man begeistert vom anderen, hält ihn für besonders und interessant. Mit der Zeit geht diese Faszination verloren. Ein Beispiel: Der verliebte Mann legt seiner Partnerin aufmerksam seine Jacke um die Schultern, wenn er merkt, sie fröstelt. Jahre später sagt er: „Warum hast du keine Jacke mitgenommen, ich hab dir doch gesagt, es ist kalt.“ Warum zeigt derselbe Mensch der genau gleichen Partnerin gegenüber ein so unterschiedliches Verhalten? Warum schleicht sich unmerklich ein anderer Verhaltensstil ein, ohne dass die Beziehung zerrüttet ist?
Oder ein anderes Beispiel: In der ersten Verliebtheit sah die Frau in ihrem Partner einen brillanten Unterhalter und glanzvollen Redner. Jahre später empfindet sie ihn als aufgeblasenen Schwätzer mit immer denselben Sprüchen. Was ist passiert? Warum wird der bewunderte Redner zum nervenden Schwätzer? Warum ist die Frau auf einmal so wenig wohlwollend? Warum sagt sie nicht: „Es stimmt, seine Sprüche sind abgewetzt und immer die gleichen, aber ich kann ihm diese Macke lassen, er hat auch andere Qualitäten.“?
Wir führen hier an der Universität Zürich ein Forschungsprojekt zu der Frage durch, warum die Faszination mit der Zeit in einer Beziehung nachlässt und man dann häufig nur noch das Negative sieht. Noch haben wir keine Daten, aber was wir bereits sagen können: Es ist nicht ein Mangel an Kompetenz, es ist das Problem einer veränderten Motivation. So zeigt eine Studie, dass Konfliktpaare häufig sehr destruktiv miteinander streiten. Wenn man die Partner jedoch trennt und sie mit einem fremden Menschen einen Konflikt austragen lässt, dann können sie auf einmal zuhören, konstruktiv argumentieren, Ruhe bewahren. Es fehlt die Bereitschaft, neben dem Störenden auch das Positive zu sehen. Die Optik wird einseitig.
PH Sie vertreten einen verhaltenstheoretischen Ansatz. Ein psychodynamisch orientierter Kollege würde jetzt vielleicht – vereinfacht ausgedrückt – sagen: Die Frau aus Ihrem Beispiel hat einen großspurigen Schwätzer zum Partner gewählt, weil er sie an ihren Vater erinnert hat. Und hat somit schlicht den Falschen ausgesucht.
BODENMANN Diese Fälle gibt es natürlich. Aber sie erklären nicht die hohe Trennungs- und Scheidungsquote. Studien zeigen, dass die erörterten Faktoren – Ichbezogenheit, zu hohe Erwartungen, zu geringe Toleranz, zu wenig Stresskompetenz – deutlich häufiger für das Misslingen von Beziehungen verantwortlich sind als Faktoren, die in der Vergangenheit liegen. Natürlich spielt die Herkunftsgeschichte eine Rolle. Denn die Reaktionen eines Menschen sind immer auch Ausdruck dessen, was er aus seiner Sozialisationsgeschichte gelernt hat. Doch mich als Verhaltenstherapeut interessiert weniger die Rekonstruktion der Entstehung dieses Verhaltens, sondern welche Folgen es in der Gegenwart hat. Ich arbeite im Hier und Jetzt mit dem Produkt der Lerngeschichte.
PH Bleibt die Frage, warum Menschen ihre Fähigkeiten gerade bei dem Menschen nicht einsetzen, der ihnen am nächsten ist?
BODENMANN Das Bewusstsein ist zu wenig vorhanden, dass man eine Partnerschaft pflegen muss – und oftmals fehlt auch die Bereitschaft dazu. Viele haben die Vorstellung, dass die Liebe allein sie tragen wird. Aber alle empirischen Daten zeigen ganz klar: Die Liebe besitzt keine Vorhersagekraft für den Partnerschaftserfolg. Sondern im Gegenteil: Wir haben eine Studie unter Geschiedenen durchgeführt. 88 Prozent gaben an, dass sie zu Beginn eine ziemlich starke bis sehr starke Liebe zum Partner empfunden hätten. Die Liebe ist kein Garant für Beziehungsstabilität und Beziehungsqualität. Liebe muss gepflegt werden. Geschieht das nicht, dann verkümmert sie wie eine Pflanze, die man nicht regelmäßig gießt und düngt.
PH Amerikanische Paarexperten sprechen vom self-responsible spouse, vom selbstverantwortlichen Partner. Statt auf den anderen zu schauen und ihn zu kritisieren, sollte man auf sich selbst schauen: Was muss ich an mir ändern? Was halten Sie von diesem Ansatz?
BODENMANN Dieser Ansatz geht zurück auf W. Kim Halford, der damit gemeint hat, dass jeder zuerst bei sich selbst anfangen und sich fragen soll, was er verändern kann. Also nicht dem anderen die Schuld zuweisen und Veränderungen vom anderen erwarten, sondern sich selbst fragen: „Was kann ich besser machen, wie kann ich dem anderen ein besserer Partner, eine bessere Partnerin sein?“ Wir sind oft der Meinung, der andere müsse den ersten Schritt tun. Vielmehr sollte jeder vor seiner eigenen Türe kehren und sich überlegen, was er tun kann.
„Nur nicht vorschnell die Flinte ins Korn werfen!“
PH Nach allem, was wir jetzt besprochen haben: Würden Sie es wagen, einem Paar, das in extremen Schwierigkeiten ist, zu sagen: „Es lohnt sich, zusammenzubleiben. Ich weiß ein Rezept, wie Sie beide wieder glücklicher werden.“?
BODENMANN Als Forscher und Paartherapeut habe ich kein Rezept, das wäre nicht seriös. Aber die Forschung gibt viele Anhaltspunkte, wie ich in diesem Gespräch aufzuzeigen versucht habe. Wenn man an diesen Punkten ansetzt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, Schwierigkeiten meistern zu können. Dazu braucht es jedoch häufig eine Paarberatung oder -therapie. Mein Ansatz ist, Paare zu ermutigen, nicht vorschnell die Flinte ins Korn zu werfen. Denn die Auswirkungen einer Trennung auf die seelische und auch körperliche Gesundheit sind oft gravierend, von den Folgen für die Kinder ganz zu schweigen. Und was viele nicht berücksichtigen: Auch die Attraktivität und Verliebtheit mit einem neuen Partner sind denselben Gesetzmäßigkeiten unterworfen. Zudem ist es ein Neuanfang mit einer Hypothek: Es ist ein schwieriger Prozess, sich aus einer langjährigen Beziehung zu lösen, das gelingt oft nicht leicht. Denn man startet in die neue Beziehung mit einer vollen Tafel. Man kann die Tafel nicht einfach löschen, man vergleicht, erinnert sich. Es gibt den vorherigen Partner weiterhin, und man sieht ihn häufig, wenn man gemeinsame Kinder hat. Ich meine deshalb, dass es sich lohnt, die Partnerschaft von Anfang an zu pflegen und sich bei Schwierigkeiten zusammenzuraufen und professionelle Hilfe zu suchen.
INTERVIEW: URSULA NUBER
Guy Bodenmann ist Professor für Klinische Psychologie mit Schwerpunkt Kinder/Jugendliche und Paare/Familien an der Universität Zürich. Er ist Präsident der Akademie für Verhaltenstherapie im Kindes- und Jugendalter sowie Ausbilder und Supervisor von Paartherapeuten. Zudem leitet er die Praxisstelle für Paartherapie und die Praxisstelle für Kinder- und Jugendpsychotherapie am Psychotherapeutischen Zentrum der Universität Zürich. Bodenmann entwickelte Paarlife– ein international bekanntes Präventionsprogramm für Paare – und die bewältigungsorientierte Paartherapie.
Veröffentlichungen von Guy Bodenmann
Was Paare stark macht. Das Geheimnis glücklicher Beziehungen (zusammen mit Caroline Fux). Beobachter Edition, Zürich 2013 (3. Auflage)
Verhaltenstherapie mit Paaren. Ein bewältigungsorientierter Ansatz. Huber, Bern 2012 (2. Auflage)
Stress und Partnerschaft. Gemeinsam den Alltag bewältigen. Huber, Bern 2006 (4. Auflage)
Depression und Partnerschaft. Hintergründe und Hilfen. Huber, Bern 2009
Lehrbuch Klinische Paar- und Familienpsychologie. Huber, Bern 2013
Glücklich zu zweit trotz Alltagsstress. Eine interaktive DVD zur Verbesserung Ihrer partnerschaftlichen Kompetenzen. Zu bestellen unter: www.paarlife.com
Vorbeugen ist besser als Trennung
Warum abwarten, bis nur noch eine Paartherapie helfen kann? Psychologen der University of Tennessee unterstützen Paare rechtzeitig mit einem „Check-up“
Der Alltag regiert, von anfänglichen Hochgefühlen sind nur matte Erinnerungen geblieben. Zwar laufen die Dinge eigentlich recht gut, aber es könnte besser sein. Manche Partner umschiffen die Klippen der Gewöhnung, indem sie bewusst achtsam bleiben und vor allem – frei nach Nietzsche – die Ehe als ein „langes Gespräch“ führen. Andere versinken in Sprachlosigkeit und leben bald nur noch nebeneinander her. Für ihre körperliche Gesundheit dagegen aber sorgen sie ganz selbstverständlich vor: mit regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen und Zahnarztbesuchen. Psychologen der University of Tennessee unter der Leitung der Professorin Kristina Gordon übertragen nun das Konzept des medizinischen Check-ups auf langjährige Partnerbeziehungen, ob nun Ehen oder andere Lebensgemeinschaften.
Gordon folgt in der Konzeption des Check-ups dem Ansatz ihres Kollegen John Gottman und verwendet seine Methode der mündlichen Befragung. Der amerikanische Psychologe hatte vor zwei Jahrzehnten in seiner Forschung zur Stabilität von Ehen schädliche und nützliche Verhaltensweisen erkannt – auch, wie erfrischend es für die Beziehung sein kann, sich ab und an ganz bewusst der romantischen Anfänge zu erinnern. „Wenn Paare an einen guten Start anknüpfen können, setzt das den Ton im Gespräch, und wir erfahren dabei auch viel über die Persönlichkeiten“, sagt Gordon. Es gebe so viel im Leben, was die Partner voneinander forttreibe, „der Sinn des Check-ups ist, dass sie sich verstärkt wieder einander zuwenden“.
Eine Therapie sei dies nicht; dafür gehe die Arbeit nicht tief genug. Wohl aber möchte Gordon „verstehbare Gründe“ für das Verhalten in der Beziehung aufzeigen. Sehr häufig kämen dann Reaktionen wie „Ich habe nie gewusst, wie sehr dich diese Sache stört“ oder „Du erinnerst mich manchmal an meinen Vater, und das macht mich rasend“. Sind die Gründe erst einmal erkannt, öffnet dies neue Wege. „Wir helfen dabei, andere Verhaltensmuster zu finden.“
Schon im Fragebogen wird meistens eine grundlegende Ausrichtung deutlich, nämlich ob es sich um sliders oder deciders handelt: um „Gleiter“ – Menschen also, die in die Beziehung hineinschlittern– oder um „Entscheider“, die sich dem Partner mit Haut und Haaren erklären: „Ich lasse mich ganz auf dich ein, und du bist die Person, mit der ich mein Leben verbringen will.“ Die sliders haben mehr Schwierigkeiten, zu einer befriedigenden Beziehung zu finden, „und das merkt man auch im Check-up“, sagt Gordon.
Kristina Gordons Team spricht nicht nur mit Akademikerpaaren, sondern auch und vor allem mit einkommensschwachen, oftmals wenig gebildeten Paaren, von denen manche in schäbigen Wohnwagen im Umland der Großstadt Knoxville leben. Von den 236 Paaren, die in den Monaten von Juni 2012 bis Ende Oktober 2013 den Check-up abschlossen, zählten zwei Drittel zum untersten Einkommensbereich. Die Analysen der Videos belegen, dass es in allen Dimensionen des Paarverhaltens zu deutlichen Verbesserungen kommt – auch in den schwierigeren wie der Kunst des Zuhörens und der Zuwendung.
Erforschen wollen die Wissenschaftler vor allem, wie sich die Bereitschaft steigern lässt, an einem Check-up überhaupt teilzunehmen und das Stigma zu überwinden, vor anderen als Hilfesuchende für die eigene Beziehung dazustehen. Die Universität tut viel dafür: Sie stellt den Klienten frei, ob sie sich im eigenen Haus oder an der Universität beraten lassen. Für die Fahrt zur Uni erhalten die Paare einen Benzingutschein. Sind kleine Kinder da, bringen die Berater einen Babysitter mit. Anzeigen in der Presse, Internetkommunikation und Informationsbroschüren machen auf das Angebot aufmerksam. Für Analphabeten füllen die Berater die Fragebögen aus. Vor allem aber ist der Check-up kostenlos. Ermöglicht wird dies vor allem durch die Zusammenarbeit der Universität mit den Cherokee Health Systems.
Die Leistungen dieses regionalen Gesundheitsversorgers kosten viel Geld. Die bisherigen Daten aber zeigen, dass dem weitaus höhere Einsparungen gegenüberstehen. Wer teilgenommen hat, erkrankt nämlich sehr viel seltener an Körper und Seele als vorher; der Aufwand für solche Behandlungen sinkt drastisch. Kristina Gordon ist überzeugt davon, „dass die Beziehungsgesundheit eine dritte Säule der Unversehrtheit ist, und zwar ebenso bedeutend wie körperliche und seelische Gesundheit“. Menschen seien nun einmal soziale Wesen. „Fast jede gesundheitliche Störung ist vom Gesundheitszustand unserer Beziehungen beeinflusst.“ Gordon meint mit „Beziehungen“ die zwischen zwei erwachsenen Menschen, die sich gegenseitig im Leben beistehen – ganz gleich ob hetero- oder homosexuell, verheiratet oder in einer anderen festen Bindung. „Es geht um den Partner als festen Fels im Leben.“