Leben mit Glücksschwein?

Wann gerät die Suche nach dem Glück zur Tyrannei? Drei Bücher beschäftigen sich mit Glück und Unglück und der Entzauberung der Selbstoptimierung

I would prefer not to. Ich würde lieber nicht. Das sagt Herman Melvilles Verweigerungsfigur Bartleby, der Schreiber in der gleichnamigen Erzählung des amerikanischen Autors. Bartleby starrt durch ein Fenster eines Schreibbüros in der Wall Street in Manhattan auf ­eine Wand. Vielleicht eine der ersten Darstellungen von Depression in der erzählenden Literatur.

Über eine Verweigerung hat nun auch die Journalistin und Essayistin Juliane Marie Schreiber ein Buch geschrieben – und seinen Titel Ich möchte lieber nicht bei Melville entlehnt. Um „Glücksterror“ und den attestierten Irrsinn des Positiven geht es darin, um die Vorteile und Vorzüge negativen Denkens, das kritischer macht und anti­manipulativ wirkt. Auch wenn der Anmerkungsteil des Buchs 21 Seiten umfasst, ist es flockig geschrieben, in einer Unterhaltungsmagazin-Tonlage. Die Autorin führt eine Vielzahl größerer und großer Namen an, die über unglücklich Machendes nachgedacht haben, etwa Eva Illouz, Aristoteles, Martin Schröder oder Barbara Ehrenreich.

Über die Tyrannei der zur Glückssuche Verdammten ist bereits viel geschrieben worden, aus soziopsychologischer wie aus ideologischer Warte. Die kritische Essenz in drei Sätzen: Glück ist das finale Ziel des Selbstoptimierungssyndroms. Glück ist Neuschöpfung des eigenen Ichs. Wer nicht glücklich ist, hat sich nicht genug angestrengt. Dem kann Schreiber nichts hinzufügen, sie will es auch nicht.

Dafür drückt sie so manches spritzig und pointiert aus. Sie begegnet auf ihrer Promenade durch die unglücklichen Gefilde der Glücksindustrie sehr vielem: Neoliberalismus, Solidarität und Traumata. Sie schreibt von Therapiegesprächen, von Schmerz, von Trauer und von Sprache. Sie schreibt auch über Entlastung durch Schimpfwörter und Fluchen. Das Ganze könnte man sich umstandslos als Kolumne in einer Illu­strierten vorstellen, ohne das Gehirn überzustrapazieren.

Der neurowissenschatftliche Ansatz

Das Gehirn? Was ist das? Wirklich „eine Art Umschlags- und Integrationsplatz für alle Ereignisse und Reize um uns herum und in uns drinnen“? Das meint jedenfalls Rebecca Böhme in ihrem Buch mit dem gewagten Titel Mind your Glücksschwein. Böhme ist am Zentrum für Soziale und Affektive Neurowissenschaften im schwedischen Linköping tätig. Sie will zeigen, „wie wir durch unsere Erwartungen das Potenzial der Fähigkeiten und Hilfsmittel, die uns zur Verfügung stehen, voll ausschöpfen“ und „so ein Leben mit einem Glücksschwein an unserer Seite führen können“.

Verständlich erläutert sie physiologisch-biologische Prozesse im Körper und zeigt auf, dass Wahrnehmung „nicht nur ein objektives Widerspiegeln der Umwelt ist, sondern ein In-Beziehung-Treten der Welt, geformt durch unsere Bedürfnisse“. Böhme weist auf eines ganz deutlich hin: Wir Menschen sind aktiv in der Welt. Auch unsere Wahrnehmung ist aktiv. Aufmerksamkeit wirkt filternd. Das Gehirn, so Böhme im ersten, strikt neurowissenschaftlichen Drittel ihres Buches, versucht, den Unterschied zwischen den Vorhersagen seines Weltmodells und den eintreffenden Sinneseindrücken so gering wie möglich zu halten. Es ist ein Regulativ – und arbeitet in Permanenz adaptierend. Glück in der Welt muss eben auch körperlich erarbeitet werden. Oder wird biologisch halb- bis unbewusst eingeschränkt.

Die Autorin geht auch auf das Verhältnis von Placebo- und Noceboeffekten ein, auf self-fulfilling prophecies, das positive Denken, Priming, das Hineinschmuggeln bestimmter Botschaften ins Unterbewusstsein und Nudging – wörtlich „anstupsen“ –, womit gemeint ist, durch voreingestellte Vorschläge Verhalten prognostisch zu beeinflussen.

Dem „Glücksschwein“ sind nur die letzten 50 Seiten eingeräumt. Hier fallen die Ratschläge und Empfehlungen nicht wirklich überraschend aus: Ablenkung durch Aktivität wie Spazieren­gehen, Meditieren, Unsicherheit aushalten. Für an neurowissenschaftlichen Erkenntnissen Interessierte ist das eine erhellende, da zugängliche Lektüre, für jene, die Glücksschweinzüchterinnen und -züchter werden wollen, eher eine Enttäuschung.

Der TED-Talk

Dan Tomasulo ist klinischer Psychologe und in den USA einer der zentralen Vertreter der positiven Psychologie. Ihm geht es darum, ein Fundament positiver Bilder der Zukunft zu zeichnen, die den Einzelnen zu Kreativität, Erfülltheit, Wohlbefinden, Zuversicht tragen.

Die Lektüre ermüdet, weil der Text so bedenkenfrei optimistisch ist. In seinem Buch Mindset: Hoffnungsvoll will Tomasulo ein Instrumentarium offerieren, das praktisch anzuwenden ist. Dabei baut er auf den Hypothesen des lange an der University of Pennsylvania lehrenden Martin Seligman auf, der jahrelang fast im Alleingang die positive Psychologie kreierte. Nicht selten versucht Tomasulo, Oberflächlichkeit mittels Dynamik zu überspielen. Da liest man dann etwa: „Man kann durch Anpassung seiner Ambitionen und Ziele selbst regulieren, wie viel Hoffnung man hat.“ Ist das noch Psychologie oder schon eine self-help publication? Als TED-Vortrag vielleicht ganz tauglich, als Buch eher Einstiegslektüre.

Juliane Marie Schreiber: Ich möchte lieber nicht Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven Piper, München 2022, 208 S., € 16,–

Rebecca Böhme: Mind your Glücksschwein. Mit der Kraft positiver Erwartungen das Leben verändern C.H. Beck, München 2022, 224 S., € 16,–

Dan Tomasulo: Mindset: Hoffnungsvoll. Die Kraft positiver Gedanken entfachen Aus dem Amerikanischen von Andreas Nohl, Beltz, Weinheim 2022, 240 S., € 19,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2022: Nein sagen lernen
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