Unglücklich? Selbst schuld!

Jede Krise als Chance sehen? Franz Himpsl und Judith Werner zeigen in ihrem Buch, wie uns toxische Positivität unter Druck setzt und schadet.

Ein Bücherstapel mit den Büchern, die in Ausgabe 7/2024 vorgestellt werden
Das ist der Bücherstapel der Rezesionen aus der Juliausgabe. © Psychologie Heute

Ein Kind lächelt rund 400-mal am Tag. Ein Erwachsener 20-mal. Die Zahl ist vermutlich noch niedriger, wenn wir das oberflächliche, höfliche oder erzwungene Lächeln der Erwachsenen nicht mitzählen. Dabei sind wir immerzu von strahlenden Gesichtern umgeben, sei es in der Werbung, auf Social Media oder im Fernsehen. Das ist laut Judith Werner und Franz Himpsl ein Problem. In ihrem Buch thematisieren sie toxische Positivität – den allseitigen Druck, positiv zu denken und zu empfinden.

Jedem Problem mit einem Lächeln begegnen und aus ihm lernen? Lebenseinschneidende Krisen als große Chancen betrachten? Zu Recht hinterfragt das Duo diese Denkweise und sieht in ihr Auswüchse einer Leistungsgesellschaft, in der das Individuum immerzu auf Selbstoptimierung getrimmt wird.

Lächelnde Chemopatientinnen

Manchmal wird der Mensch mit aller Gewalt aus dieser Kultur herausgerissen. So auch Werner und Himpsl, die durch Krebserkrankungen auf unterschiedliche Weise mit der elementaren Unsicherheit des Lebens konfrontiert wurden.

Der Autor hat seine Verlobte an eine seltene Krebsart verloren. „Ich mag keine lachenden Chemopatientinnen“, bekennt Judith Werner, die aufgrund ihres Brustkrebses in chemotherapeutischer Behandlung war. Was sie stört, ist im Grunde dasselbe, was die Aktivistin Barbara Ehrenreich bereits im Jahre 2010 in ihrem Buch Smile Or Die beschrieb: der andauernde Druck, dem Kranke (und Gesunde) ausgesetzt sind, immerzu optimistisch zu bleiben. Sie übte Kritik an der toxic positivity, noch bevor das Phänomen einen Namen hatte (der Begriff tauchte 2011 in der Fachliteratur auf).

Die schmerzhafte Einsicht

Werner und Himpsl – beide haben in Philosophie promoviert – nutzen ihr Fachwissen, um verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen, wie wir mit dem Alltag und dem Leben umgehen könnten – selbst dann, wenn sich beide haarsträubend rasant und grundlegend verändern.

Philosophische Ausflüge dominieren die sechs Kapitel des Buches, etwa das Werben für einen stoischen Umgang mit unseren eigenen Grenzen. „Wir alle werden limitiert: durch unsere Herkunft, durch unsere Körper, durch unsere finanziellen Möglichkeiten, durch die Gesetze der Physik, durch die Dämonen, die wir alle mit uns herumtragen“, schreiben Himpsl und Werner und fügen hinzu: „Diese Einsicht tut weh.“ Doch an dieser Stelle taucht dank der wohlüberlegten Ausführungen weniger Schmerz als vielmehr Erleichterung auf: Sie schmälern die Last, die die Denkweisen und Forderungen einer Leistungsgesellschaft mit sich bringen – etwa der Gedanke, man könne alles schaffen, wenn man nur hart genug arbeitet.

Erstaunlich ist, dass am Ende des Buches der wohltuende Gedanke zurückbleibt, dass wir in unseren dunkelsten Momenten nicht stark sein und schon gar nicht lächeln müssen. Es reicht, wenn wir weitermachen. Und lächeln, wenn uns danach ist.

Franz Himpsl, Judith Werner: Danke, nicht gut. Für reflektierte ­Gelassenheit statt ­toxischer Positivität. ­Kösel 2023, 192 S., € 18,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2024: Die Straße der guten Gewohnheiten
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