Die Entdeckung der Bindungsstile

1969 beobachtet Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth, wie Kleinkinder auf eine Trennung von der Mutter reagieren – und entwickelt drei Bindungsstile

Die Illustration zeigt die Entwicklungspsychologin, Mary Ainsworth, zusammen mit einem Kleinkind, das gerade auf dem Boden sitzt und spielt
Mary Ainsworth beobachtet 1969 die Reaktion von Kleinkindern auf die Trennung von der Mutter. © Tim Möller-Kaya für Psychologie Heute

Um Himmels willen, wo ist Mama? Eben noch saß sie hier neben mir, und nun bin ich ganz allein mit dieser fremden Frau

Im Jahr 1969 entwirft die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth an der Johns-Hopkins-Universität den Strange Situation Test: Sie studiert anhand einer festgelegten Choreografie, wie einjährige Kinder reagieren, wenn sie für kurze Zeit von ihrer Mutter getrennt werden: Das Kind sitzt auf einer Krabbeldecke, die Mutter an der Seite, von dort aus erkundet es die im Raum verstreuten Spielsachen. Nun betritt eine fremde Frau das Zimmer, unterhält sich eine Weile mit der Mutter, wendet sich dann freundlich dem Kind zu. Doch als das Kind nun aufschaut, muss es feststellen, dass Mama den Raum verlassen hat. Wie wird es auf die Trennung reagieren – und auf die Wiedervereinigung wenig später?

Mary Ainsworth, die das Geschehen durch einen Einwegspiegel verfolgt, beobachtet bei den Kindern ganz unterschiedliche Verhaltensweisen, und sie gruppiert diese in drei Kategorien:

  • Kinder mit einer sicheren Bindung (etwa zwei Drittel) fühlen sich sichtlich wohl in Anwesenheit der Mutter, reagieren ängstlich, als diese geht, sind aber erleichtert und lassen sich rasch beruhigen, sobald sie wiederkommt.

  • Kinder mit einem unsicher-vermeidenden Bindungsstil nehmen wenig Notiz von der Mutter, reagieren kaum auf ihre Abwesenheit und Rückkehr.

  • Unsicher-ambivalent gebundene Kinder sind untröstlich bei der Trennung von der Mutter, verhalten sich aber widersprüchlich, als sie wiederkehrt. Manche klammern sich an die Zurückgewonnene, wenden sich jedoch ab, als diese sie in den Arm nimmt.

Spätere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass der Bindungsstil über den Lebenslauf relativ stabil bleibt und sicher gebundene Kinder auch später vertrauensvollere Beziehungen aufbauen. Die Bindungstheorie ist bis heute sehr populär, aber auch umstritten.

Noch mehr psychologische Meilensteine: Bindung

2005 Phillip Shaver u.a. ­stellen fest, dass ein vermeidender ­Bindungsstil Liebesbeziehungen erschwert

1999 Klaus und Karin Grossmann dokumentieren Bindung von der Geburt bis ins ­Erwachsenenalter (Langzeitstudie)

1986 Main und Solomonführen einen vierten, den „desorganisierten“ Bindungsstil ein

1957 John Bowlby skizziert die Bindungstheorie

1945 René Spitz beschreibt Hospitalismus bei Heimkindern

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