Wird die Welt schlechter?

Oft wider besseres Wissen haben wir den Eindruck, dass alles bergab geht. Ein Grund dafür könnte ein basaler menschlicher Denkfehler sein.

Nehmen Armut und Gewalt zu? Viele glauben das. Diese Überzeugung beruht auf einem Denkfehler, den US-Forscher in sieben Experimenten demonstrierten. Demnach neigen Menschen dazu, etwas vor allem dort öfter wahrzunehmen, wo es tatsächlich seltener auftaucht. Kommt etwa ein Verhalten wie Diskriminierung seltener vor, haben wir den Eindruck, es zeige sich häufiger, weil wir plötzlich neutrales Verhalten diskriminierend finden.

Die Forscher baten Erwachsene, aus 200 Punkten mit Lila- und Blautönen nur die blauen zu identifizieren. In einem zweiten Durchgang wiederholten die Probanden diesen Test. Einem Teil von ihnen wurden dabei aber deutlich weniger blaue Punkte als vorher gezeigt. Der Effekt: Diese Gruppe glaubte nun, mehr davon zu sehen als zuvor. Dies passierte sogar, als die Probanden vorher gewarnt wurden, dass sie weniger blaue Punkte sehen würden, oder wenn ihnen Geld dafür versprochen wurde, dass sie ausschließlich blaue Punkte als blau markierten.

Wenn neutrale Gesichter bedrohlich scheinen

In lebensnahen Situationen zeigte sich dieses Muster ebenso. Die Forscher baten Probanden darum, sich 200 Gesichter anzuschauen und zu sagen, welches sie als bedrohlich empfanden. Das Prozedere wurde danach auf gleiche Weise wiederholt, nur dass einem Teil der Teilnehmer deutlich weniger bedrohliche Gesichter gezeigt wurden. Tatsächlich bewerteten sie neutrale Gesichter nun öfter als angsteinflößend.

Zu dem gleichen Ergebnis kamen die Forscher, als sie Probanden Entwürfe für Experimente vorlegten, von denen manche unethisch, andere nur mehrdeutig formuliert waren. Hier hielten die Studienteilnehmer abermals vermehrt harmlose Projekte für unethisch, wenn ihnen weniger davon vorlagen.

Die Befunde erklärten den vorherrschenden Pessimismus, meinen die Forscher: „Die modernen Gesellschaften haben außerordentliche Fortschritte bei einer Vielzahl von sozialen Problemen gemacht, sei es Armut, Analphabetismus, Gewalt oder Kindersterblichkeit. Doch die Mehrheit der Menschen glaubt, dass die Welt immer schlechter wird.“

David E. Levari u. a.: Prevalence-induced concept change in human judgment. Science, 360, 6396. DOI: 10.1126/science.aap8731

Artikel zum Thema
Leben
Lärm, Hektik oder soziale Isolation: Das Leben in der Stadt gefährdet die psychische Gesundheit, allen voran sozialer Stress.
Beziehung
Wir fühlen uns von negativen Persönlichkeitseigenschaften anderer angezogen – wenn wir diese in uns selbst erkennen. Das fand eine neue Studie heraus.
Leben
Wir glauben gern, andere würden eines Tages unsere Meinung teilen. Aber das ist ein Denkfehler, der uns träge macht, sagen Psychologen.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2018: Manipulation durchschauen
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft