„Make Masculinity great again!“

Pick-up-Artists locken möglichst viele Frauen ins Bett und haben Verbindungen zum Rechtsextremismus. Der Psychologe Rolf Pohl über eine gefährliche Szene.

Ein junger Mann ist umringt von schönen Frauen und schaut überlegen lächelnd und zeigt dabei mit dem Finger auf einen
Um möglichst viele Frauen ins Bett zu kriegen, manipulieren Pick-Up-Artists deren Selbstwert. © Getty Images

Vor ungefähr fünfzehn Jahren ist die sogenannte Pick-up-Lehre aus den USA zu uns hinübergeschwappt, eine Art Verführungstechnik. Worum genau geht es da?

Pick-up beruht auf dem speed seduction program des amerikanischen Autors Ross Jeffries, der Ende des letzten Jahrhunderts eine Reihe von Techniken des neurolinguistischen Programmierens vorstellte, die angeblich helfen sollten, Frauen zu erobern. Durch die praktische Anwendung von bestimmten Verführungstechniken und gezielte Steigerung des eigenen…

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Durch die praktische Anwendung von bestimmten Verführungstechniken und gezielte Steigerung des eigenen Selbstbewusstseins sollte ein Mann demnach jede Frau ins Bett bekommen, die er will. Selbst dann, wenn die Frau eigentlich nicht will. Pick-up-Artists sehen sich quasi als Künstler, als moderne Versionen von Casanova und Don Juan.

Anscheinend ist das für viele Männer ein attraktiver Gedanke. Heute stößt man auf eine Vielzahl von Pick-up-Ratgeberbüchern, -Seminaranbietern und -Foren im deutschsprachigen Internet.

Ja, die Idee fand schnell Anklang und hat sich auch bei uns verbreitet, zum Beispiel mit Büchern und Seminaren von sogenannten Flirtgurus wie Maximilian Pütz. Die Pick-up-Szene ist inzwischen eine richtig große, kommerziell vermarktete Szene.

Wie läuft eine Pick-up-Anmache ab?

Pick-up-Artists gehen nach einem bestimmten Muster vor: E-A-A-K, also Erfassen, Annähern, Anmachen und Klarmachen. In Ratgebern gibt es Tipps dazu, wie man erst mal das Interesse von Frauen weckt, wie man sie anschließend in ein Gespräch verwickelt und ihnen zunächst ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Es gibt bestimmte Tricks: etwa leichte Körperberührungen, die nicht sexuell aussehen, an unverdächtigen Stellen wie am Arm oder Rücken. Wenn die Frau dann Vertrauen gefasst hat, soll sie aber zunehmend irritiert werden, damit sie nicht zu selbstsicher wird. Man sagt zum Beispiel: „Du hast schöne Haare, sind die echt?“ Der Mann wird dann Stück für Stück dominanter und fordernder. Wenn die Frau trotzdem keinen Sex will, muss ein Pick-up-Artist sie schließlich bestrafen, etwa mit plötzlichem Desinteresse oder Missachtung. In der Fachsprache der Pick-up-Artists nennt man dieses Vorgehen auch „necken“ oder push and pull.

Oha, es gibt eine Fachsprache?

Ja, eine dem Business-Englisch entliehene Kürzelsprache. Zum Beispiel werden Frauen in der Regel als „HB“ – kurz für hot babe – bezeichnet und auf einer Skala von eins bis zehn bewertet. Eine attraktive Frau wäre etwa ein HB 8 oder HB 9. Eine Frau unter HB 5 ist mangels Attraktivität unter der Würde der selbsternannten Verführungskünstler. Die Stufen der sexuellen Eskalation werden dann mail close (man hat E-Mail-Kontakt), number close (man hat die Telefonnummer der Frau), kiss close oder auch fuck close genannt.

Das hört sich alles erschreckend banal an.

Es ist natürlich Irrsinn zu glauben, dass das eine perfekte Masche sei. Die Illusion ist aber notwendig, um den Mythos männlicher Verführungskunst aufrechtzuerhalten. Wenn ein Pick-up-Artist also einmal von zwanzigmal erfolgreich ist, fühlt er sich wie der Größte. Wenn die Pick-up-Masche aber nicht funktioniert, dann meist weil die Frau vermeintlich eine „Schlampe“ oder „linke Feministin“ ist.

Welche Männer fühlen sich denn von Pick-up angezogen?

Die meisten Pick-up-Artists haben als junge Männer die Erfahrung gemacht, von Mädchen oder jungen Frauen ständig Körbe zu bekommen. Sie sind nie als attraktiv befunden worden, waren vielleicht immer nur die guten Freunde, wollten aber eigentlich mehr. Das kann schwierig für sie sein: Wir leben ja immer noch in einer weitgehend heterosexuellen Gesellschaft, in der ein traditionelles Männerbild die Norm ist und viele junge Männer sich unter Druck fühlen, attraktive junge Frauen zu erobern. Die Frage ist nur: Wenn das nicht klappt, wie weit ist dann die Frustration verbreitet? Wir wissen, dass in erster Linie junge Männer für Formen der Ideologisierung und des Extremismus anfällig sind, ob Islamismus, Rechtsextremismus oder – wie bei vielen Pick-up-Artists – Maskulinismus.

Sind Frauen für sogenannte Pick-up-Artists einfach nur Beute?

Es gibt darüber Kontroversen in der Szene. Manche Männer hoffen, mithilfe von Pick-up endlich eine feste Beziehung zu finden. Dafür bekommen sie aus der Pick-up-Szene aber meist Gegenwind. Hinter Pick-up steckt ja die krude evolutionsbiologische Grundidee, dass Männer von Natur aus autonom und überlegen seien und dieses Dominanzstreben auch im Paarungsverhalten zeigen sollen. Sie sind als Männer quasi auf Sex programmiert und müssen ihn sich auch nehmen. Pick-up-Artists glauben, dass Frauen das insgeheim auch wollen, weil sie seit der Steinzeit biologisch darauf programmiert seien, auf dominante Männer zu stehen. Ein Alphamann muss sich seine Unabhängigkeit und Souveränität also immer bewahren, sonst macht er sich abhängig und verweichlicht. Wenn man sich wider Willen dann doch mal verliebt, lautet die Pick-up-Maxime: FTOW, fuck ten other women.

Frauen sind im Kern also ziemlich bedrohlich.

Ja, das ist eine ganz widersprüchliche Konstellation. Diese Männer wollen Frauen verzweifelt ins Bett kriegen, dürfen dabei aber nicht das Gefühl haben, dass sie abhängig von ihnen sind. Sie müssen sich dem begehrten Objekt, vor dem sie sich so fürchten, also zuwenden. Pick-up bietet ihnen die passende Methode, ohne dabei an Selbstbewusstsein oder Selbstwertgefühl einzubüßen. Frauen werden zur Beute gemacht und gejagt. Wenn man dabei scheitert, liegt es daran, dass man entweder die Technik noch nicht gut genug beherrscht oder die Frauen eben wie erwähnt „linke Feministinnen“ sind.

Ist Pick-up gefährlich für Frauen?

Insgesamt ist die Szene schon dadurch gewaltaffin, dass Frauen als Beute und Objekte tituliert werden. Meines Erachtens geht von der deutschen Pick-up-Szene aber derzeit keine manifeste Gefahr aus. Sie hat keinen hohen Organisationsgrad, ist zwar übers Internet vernetzt, aber keine Bewegung als solche.

Das größte deutsche Onlineforum pickupforum.de hat laut Eigenauskunft fast 155 000 Mitglieder.

Dennoch sind manifeste Formen der Gewalt bislang eher die Ausnahme. In der nordamerikanischen Szene gab es allerdings tatsächlich einige Fälle von Gewaltverbrechen und Vergewaltigungen. Vermeintliche Gurus der Szene halten Vergewaltigung in der Ehe außerdem für legitim. Es ist ja schon eine gedankliche Vorstufe zur Vergewaltigung, zu glauben, dass es eine Frau nicht ernst meinen kann, wenn sie nein sagt. Die Grenze zwischen den Verführungstechniken der Pick-up-Artists und der offenen sexuellen Gewalt ist also fließend. Insofern ist die Pick-up-Szene auch nicht harmlos.

Steht die Popularität der Pick-up-Szene für eine Krise des Mannes?

In gesellschaftlicher Hinsicht beobachten wir definitiv eine Krise der traditionellen Männlichkeit durch die Erosion und Veränderung im Erwerbssektor. Das, worin Männer früher eine Quelle ihrer Männlichkeit fanden, die lebenslange Erwerbsperspektive, verschwindet ja aktuell. Die daraus resultierende Verunsicherung wird vor allem dann kritisch, wenn sie im Sinne einer Projektion gegen Frauen oder den Feminismus gewendet wird. Meine These ist außerdem, dass Männlichkeit grundsätzlich ein krisenhafter Zustand ist. In unserer Gesellschaft stehen Männer noch immer unter Druck, ihre Männlichkeit im Sinne von Dominanz, Autonomie und Unabhängigkeit zu interpretieren. Die Pick-up-Artists sind ein Ausdruck der gesellschaftlichen Beharrungskräfte dieses Modells. Ihr Lösungsversuch zur Krise ist also zutiefst frauenfeindlich, sie versuchen die Modernisierung zu verhindern. Damit sind sie Ausdruck einer breiteren gesellschaftlichen Bewegung.

Welche rückwärtsgewandten Lösungsmodelle gibt es denn noch außer Pick-up?

Ein einigermaßen harmloser Ansatz ist die Grup­pierung MGTOW – Men Going Their Own Way. Sie sagen: Wenn Frauen uns den Sex verweigern, dann ziehen wir uns ganz von ihnen zurück, wir wollen nichts mehr von ihnen wissen. Ein Extrembeispiel ist die amerikanische Bewegung der Incels – involuntary celibates –, also der unfreiwillig Zölibatären. Sie glauben, dass Männer das Recht auf Sex mit Frauen haben, jederzeit, wenn sie es wollen. Sie sprechen darüber, Frauen, die keinen Sex mit ihnen wollen, zu bestrafen, zu verstümmeln, zu töten, da gibt es wirklich schlimme sadistische Fantasien. Der Amokläufer Elliot Rodger aus Kalifornien tötete 2014 sechs Leute und beschrieb sich als Incel, vorher war er ein Pick-up-Artist gewesen. Überhaupt haben viele Amokläufer schlimme Frauenbilder, oft auch in Kombination mit Rechtsextremismus oder Ausländerfeindlichkeit.

Ein Beispiel ist der norwegische Massenmörder Anders Breivik, auch er hasste Frauen.

Absolut. Ich habe sein 1500 Seiten starkes „Manifest“ gelesen, und es ist von vorne bis hinten voll mit Frauenhass. Für ihn bedeutete das Erstarken des Feminismus das Ende des Westens, er beklagte eine Verweiblichung der westlichen Männer und behauptete, dass aufgrund der Wahlfreiheit der Frauen die Muslime Europa überschwemmen würden. Er schrieb auch, dass der Mann so lange das Recht habe, Frauen zu töten, bis er wieder in seiner patriarchalischen Position angekommen sei. Zugleich lebte er aber bei seiner Mutter, sprach nicht mit ihr und begegnete ihr nur mit Mundschutz. Sie durfte ihm aber Essen reichen. In seinem Kinderzimmer entwickelte er dann seine große neue Weltordnung, inklusive einer Bestrafung der Frau, Auslöschung der „Überfremdung“ und der Muslime. Das ist eine höchst destruktive Variante der Männlichkeitskrise.

Sehen Sie auch bei den deutschen Amokläufen, etwa beim Schulshooting 2009 in Winnenden, einen frauenfeindlichen Hintergrund?

Bei dem Täter von Winnenden war Frauenhass ei-nes der Tatmotive – der Attentäter hat gezielt vieleSchülerinnen und Lehrerinnen getötet, auch aus der Enttäuschung darüber, keine Freundin zu haben. Das wird in den meisten Ego-Dokumenten von Amokläufern als wichtiges Motiv erkennbar: bei Mädchen keine Chancen gehabt zu haben. Meist werden die Rache- und Vergeltungsfantasien aber schon lange vorher innerlich durchgespielt, es gibt ein mentales Skript, das dann irgendwann umgesetzt wird.

In vielen Ländern sind in den letzten Jahren politische Kandidaten gewählt worden, die ebenfalls ein sehr traditionelles Männerbild verkörpern, etwa Donald Trump oder der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro. Ist auch das ein Ausdruck der Retraditionalisierung des Männer­bildes?

Ganz bestimmt. Trump erfährt große Bewunderung und Unterstützung in der Pick-up-Szene. Er hat den Sexismus bis ins Weiße Haus hinein hoffähig gemacht, die Pick-up-Artists feiern ihn dafür, dass nun endlich wieder ein Alphamann im Weißen Haus ist, nach dem Motto make masculinity great again. Sie argumentieren außerdem, dass allein die Tatsache, dass viele Frauen ihn gewählt haben, schon beweise, dass immer mehr Frauen aufwachten und keine schwachen Männer mehr haben wollten.

Gibt es belegbare Zusammenhänge zwischen der rechtsextremen Szene und der Pick-up-Szene?

In den USA sind diese Verbindungen ganz klar nachweisbar. Auf der Neonazidemonstration in Char­lottesville, bei der ein Rechtsradikaler mit seinem Auto in die Menge der Gegendemonstranten fuhr und eine 32-jährige Frau tötete, waren viele Pick-up-Artists dabei. In den USA gibt es ohnehin starke Überschneidungen zwischen der Pick-up- und der Alt-Right-Bewegung. Auch bei uns gibt es personelle und inhaltliche Berührungen: Pick-up-Artists, Maskulinisten und die neue Rechte haben ähnliche Geschlechterbilder und streben ähnliche Familienkonstellationen an, mit dem Mann als Patriarchen und der Frau als Untergebener. Auch mit der AfD gibt es inhaltliche Berührungen, wenn es zum Thema Gender kommt. Für die Pick-up-Artists ist ja alles, was mit Gender zu tun hat, also mit allen Fragen rund um die soziale statt biologische Konstruktion von Geschlecht, böse-böse.

Was lässt sich tun, damit das traditionelle Männerbild irgendwann verabschiedet werden kann?

Da wir nach wie vor in einer geschlechterhierarchischen Gesellschaft leben, in der grundsätzlich das Männliche den Wertmaßstab darstellt, werden wir das Problem wohl nicht so schnell lösen können. Männer stehen immer noch unter dem Druck, sich autonom und dominant zu zeigen. Wir sind da längst noch nicht so modern, wie wir glauben. Das zeigt sich auch an der aktuellen Debatte über Sexismus. Im Kern geht es heute darum, dass Jungs und Männer versuchen müssen, Unterschiede und Differenzen wahrzunehmen und zu verarbeiten, ohne diese als Bedrohung zu empfinden und dann automatisch in eine Selbst- und Fremdabwertung zu verfallen. Wechselseitige Anerkennung ist der Schlüssel, nicht die Vorstellung, dass der eine wertvoller und dominanter ist als der andere.

Rolf Pohl, Professor für Soziologie und Sozialpsychologie, lehrt an der Leibniz-Universität Hannover. Er beschäftigt sich unter anderem mit Männlichkeits-, Geschlechter- und Jugendforschung sowie politischer Psychologie

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2019: Werden, wer ich bin