Psychologie Heute Herr Professor Paech, wie bescheiden leben Sie persönlich?
Niko Paech Ich bin schon ganz schön bescheiden – zumindest verglichen mit den meisten konsumierenden Zeitgenossen. Ich bin seit 1979 Vegetarier, esse auch keine Eier oder Fisch, nur wenige Milchprodukte, wenn sie aus der Region und biologisch angebaut sind. Ich bin jetzt 52 Jahre alt und nur ein einziges Mal in meinem Leben mit dem Flugzeug geflogen.
PH Besitzen Sie ein Auto?
PAECH Ich habe mal ein Jahr lang ein Auto gehabt, Ende der…
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dem Flugzeug geflogen.
PH Besitzen Sie ein Auto?
PAECH Ich habe mal ein Jahr lang ein Auto gehabt, Ende der siebziger Jahre, nachdem ich meinen Führerschein gemacht hatte. Inzwischen bin ich seit 32 Jahren autolos. Ich habe auch keinen Fernseher, kein Handy, keine Digitalkamera, die paar wenigen elektrischen Geräte in meinem Haushalt beschränken sich auf eine Waschmaschine, einen Kühlschrank, einen Herd, eine alte Stereoanlage und einen Computer. Das war’s. Meine Klamotten trage ich ziemlich lange: Dieses Jackett zum Beispiel stammt aus den achtziger Jahren.
PH Leben Sie allein, oder haben Sie Familie?
PAECH Ich bin mit meiner Lebensgefährtin seit zwölf Jahren zusammen, sie hat zwei Kinder, aber wir leben nicht im selben Haushalt.
PH Und Ihre Lebensgefährtin macht diesen bescheidenen Lebensstil mit?
PAECH Ja, das tut sie tatsächlich. Sie hat zwar ein uraltes Auto, aber das benutzt sie nur, um ihren kleinen ökologischen Cateringservice zu betreiben. Ansonsten machen wir beide alles mit dem Fahrrad oder der Eisenbahn.
PH Offenbar erfüllen Sie die besten Voraussetzungen, um in einer künftigen Postwachstumsökonomie zurechtzukommen.
PAECH Damit wir uns nicht missverstehen: Ich bin Wissenschaftler und kein Vorturner. Zu meinem eigenen Lebensstil äußere ich mich nur, wenn mich jemand danach fragt.
PH Sie haben keine Neigung zum Missionieren?
PAECH Nein, überhaupt nicht. Es gibt Verantwortung, und es gibt Kommunikation. Beides ist mir wichtig. Aber Kommunikation läuft bei mir dann eher nonverbal ab, das heißt, nur das gelebte, wirklich praktizierte Beispiel ist für mich ein glaubwürdiges, auch in sich geschlossenes und funktionsfähiges Kommunikationsinstrument. Das reine Reden und das symbolische Darlegen von Sachverhalten verändert keinen Menschen. Widersprüchlicherweise nehme ich trotzdem viele Einladungen zu Vorträgen an, im vergangenen Jahr waren das mehr als 80. Damit erreiche ich aber nur diejenigen, die ohnehin sensibilisiert für ein Dasein sind, das kompatibel mit einer Postwachstumsökonomie ist. Die Leute brauchen von Zeit zu Zeit eine Bestätigung ihres Denkens, eine Aufmunterung. Durch meine Vorträge und mein Buch bringe ich keinen Menschen dazu, sein Leben zu ändern, sondern bestärke jene, die schon einen Schritt weiter sind.
PH In Ihrem Buch Befreiung vom Überfluss fordern Sie aber einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Unsere konsumvernarrte Wegwerfgesellschaft, der Raubbau an natürlichen Rohstoffen und der Glaube an ein grenzenloses wirtschaftliches Wachstum haben keine Zukunft, sagen Sie. Wie stellen Sie sich den Weg in die Postwachstumsökonomie vor, wenn die Menschen nicht mehrheitlich bescheidener werden und zu einem nachhaltigen Lebenswandel übergehen?
PAECH Nicht ohne Grund hat der Verlag mein Buch als Streitschrift bezeichnet. Und eine Streitschrift kann durchaus Irritationen hervorrufen und Dialoge eröffnen. Dass mein Thema Aufmerksamkeit erregt, merke ich immer wieder. Es scheint momentan eine Bereitschaft für unbequeme Wahrheiten zu geben. Spätestens seit der Finanzkrise 2008 spüren viele Menschen, dass die Party sich dem Ende nähert.
PH Sie sagen, wir haben das menschliche Maß verloren, wir leben über unsere Verhältnisse. Für das menschliche Maß haben Sie eine quantitative Größe formuliert, wonach ein Mensch auf diesem Planeten nicht mehr als 2,7 Tonnen Kohlenstoffdioxid (CO2) pro Jahr verbrauchen dürfe, um das ökologische Gleichgewicht nicht zu schädigen. Derzeit werden in Deutschland pro Kopf und Jahr im Schnitt elf Tonnen CO2 verbraucht.
PAECH Richtig. Die 2,7 Tonnen beziehen sich auf eine Erdbevölkerung von derzeit sieben Milliarden. Wenn wir demnächst zehn Milliarden Menschen wären, dürften es weit weniger als zwei Tonnen sein. Ich benutze diesen Begriff, um eine ökologische Grenze zu markieren, die zugleich auf globale Gerechtigkeit zielt. Das menschliche Maß verweist auf die Frage: Was darf sich der Einzelne auf einem Planeten nehmen, ohne das Recht der anderen zu verletzen? Es gibt ein unsichtbares Band, das uns verbindet. Unsere Welt beruht auf einem Nullsummenspiel, weil alles, was ich mir zu viel nehme, irgendeinem anderen auf diesem Planeten fehlen muss – außer er tut der Ökosphäre Gewalt an. Wer eine individuelle Selbstbegrenzung auf zwei bis drei Tonnen CO2 pro Kopf nicht akzeptiert, will entweder keinen Klimaschutz oder keine globale Gerechtigkeit.
PH Aber wie wollen Sie die Menschen mehrheitlich dazu bringen, ihre materiellen Ansprüche zurückzuschrauben und ein bescheidenes Leben zu führen?
PAECH Ich könnte zurückfragen: Wie wollen Sie denn rechtfertigen, es nicht zu tun? Im Übrigen: Es geht doch heute gar nicht mehr nur um den ethischen Imperativ, die Welt zu retten oder etwas für künftige Generationen zu tun, sondern um Selbstschutz. Und dieser Resilienzaspekt zieht inzwischen Kreise. Selbst Topmanager verstehen das. Die sind ganz still, wenn ich darüber referiere, wie verletzlich unsere globalen Versorgungssysteme sind. Die Fukushima-Krise hat das anschaulich vorgeführt.
PH Was hat die Atomkatastrophe in Fukushima damit zu tun?
PAECH Auf einmal konnten japanische Lieferanten europäische Konzerne nicht mehr just in time beliefern. Zum Beispiel hat die Firma Hitachi in den Wirren von Fukushima nicht mehr ihre kleinen Elektromotoren für die Scheibenheber eines in Deutschland produzierten PKW liefern können – und zack stand die Produktion still. Das zeigt, wie fragil die Wertschöpfungsketten sind, an denen europäische Unternehmen hängen. Was machen wir denn, wenn morgen an den Tankstellen der Spritpreis plötzlich aufs Dreifache steigt? Die Autofahrer würden ausrasten. Es gibt so viele Sollbruchstellen, die unser Kartenhaus namens Wohlstand durch leichte Eruptionen zum Einsturz bringen können. Weil in der globalen Arbeitsteilung alles miteinander zusammenhängt, steigt einerseits der Reichtum, anderseits aber auch die Instabilität und Schicksalsabhängigkeit. Viele fragen sich daher, wie es in einer Welt zuginge, in der die Fremdversorgung, also das ständige Zuführen von Ressourcen über weite Wege plötzlich nicht mehr stattfindet.
PH Bislang denken darüber doch höchstens gesellschaftliche Minderheiten nach, Eliten wie Manager, Intellektuelle oder die Ökoszene. Die breite Masse der Bevölkerung ist doch nicht im Mindesten bereit, ihr Konsumverhalten zu ändern.
PAECH Diese Differenz zwischen den Pionieren und den Vorreitern auf der einen Seite und dem mehr oder weniger trägen Rest der Gesellschaft auf der anderen Seite kann durchaus den Beginn eines gesellschaftlichen Wandels markieren. Wir nennen das soziale Diffusion.
PH Diffusion bedeutet verstreuen, ausbreiten.
PAECH Genau. Damit neue Praktiken, neue Lebensstile oder Versorgungsmuster Platz greifen, kann man nicht über einen Kippschalter oder über ein Killerargument, das alle überzeugt, ganze Massen umorientieren. Dazu sind Prozesse der Durchdringung sozialer Systeme notwendig.
PH Wie spielen sich die ab?
PAECH Solche Prozesse beginnen dort, wo funktionale Eliten oder Avantgardisten, Pioniere oder funktionale Eliten als Vorreiter durch das Sichtbarmachen neuer Praktiken Irritationen erzeugen. Wenn derartige Impulse am Rande dieser sozialen Strukturen andere Menschen in Resonanz versetzen oder wenigstens als sinnvoll gewürdigt werden, können jene angestiftet werden, die zwar mit den neuen Praktiken sympathisieren, aber sich nicht trauten, diese als Erste umzusetzen. Mit zunehmender Größe der neuen Bewegung steigt die Aufmerksamkeit und die Akzeptanz. Unter der Annahme, dass Menschen als soziale Wesen nur dann zu neuen Handlungsmustern bereit sind, wenn sie genug andere beobachten, die es bereits tun, kann nach Erreichen einer kritischen Masse ein Selbstläufer daraus werden.
Die andere Dynamik ist das Damoklesschwert, verkörpert durch multiple Krisen, die sich zusammenbrauen. Maßlose Gesellschaften befinden sich deshalb zwischen Hammer und Amboss. Auf der einen Seite erleben wir Pioniere, die proaktiv neue Praktiken einführen. Auf der andern Seite entsteht eine Gemengelage, die uns absehbar durch knappe Ressourcen und Finanzkrisen von dem abhalten wird, was wir bislang an ökologischer Schadensmaximierung praktizieren.
Beide Bewegungen laufen auf denselben Fluchtpunkt hinaus. Zur Hilfe eilt ein drittes Szenario, nämlich die Überforderung infolge von Zeitknappheit. Das steigert zusätzlich die Chancen einer Veränderung.
PH Sie meinen, es gibt eine Art innere Zwangsläufigkeit, mit der die krisenhaften Entwicklungen auf eine Postwachstumsökonomie zusteuern?
PAECH Ja. Ich nenne das die innere Logik der Suffizienz, also der wohltuenden Reduktion. Konsumaktivitäten sind mit zwei Engpassfaktoren konfrontiert. Der eine ist das Geld. Um einen konsumtiven Akt zu vollführen, müssen Sie ihn finanzieren können. Der andere Engpassfaktor des Konsums ist die Zeit. Denn Sie müssen Ihren Konsumaktivitäten Zeit und Aufmerksamkeit widmen. Anders können Sie den Aktivitäten oder Objekten keinen wahrnehmbaren Zuwachs an Wohlbefinden entlocken. Es kostet bereits Zeit, in der enorm gestiegenen Optionenvielfalt eine Auswahl zu treffen. Multioptionalität in der modernen Konsumgesellschaft ist ein Symbol der Freiheit, führt aber gleichzeitig zu einem Problem. Je größer die Auswahl an Dingen, die sich jemand leisten kann, desto mehr Zeit wird benötigt, um diese Dinge würdigen, nutzen und ausschöpfen zu können. Das individuelle Zeitbudget eines Menschen lässt sich nicht beliebig vermehren. Ein Tag hat nun mal 24 Stunden. Und in die schmale Konsumzeit, die nach Abzug lebensnotwendiger Verrichtungen wie Schlafen, Arbeit, Essen, Mobilität, Körperpflege et cetera verbleibt, drängen sich immer mehr Konsummöglichkeiten, die verarbeitet werden müssen, was ohne selbst aufzubringenden Zeitaufwand nicht möglich ist. Zeitnot, Stress und unbefriedigende Flüchtigkeit werden so zum Wegbegleiter auf dem Marsch in den Wohlstand.
PH Was wäre die Konsequenz aus dieser Entwicklung?
PAECH Um dieser Eskalation zu entgehen, hilft nur heilsame Reduktion, und zwar nicht um die Welt, sondern um uns selbst zu retten. Suffizienz bedeutet, materielle Selbstverwirklichung freiwillig zu begrenzen, allerdings nicht jeglichen Konsum zu verdammen. Man könnte trefflich vom Abwurf jenes Ballastes sprechen, der unser Leben verstopft, Zeit kostet und geldabhängig macht. Suffizienz eröffnet die Aussicht auf Genuss. Denn nur durch punktuelles und graduelles Zurückfahren unserer Selbstentfaltung gelangen wir wieder auf ein Niveau, das Folgendes möglich macht: Wir können unsere nicht vermehrbare Zeit auf eine überschaubare Auswahl von Dingen so verteilen, dass für jede der verbliebenen Konsumaktivitäten genug Aufmerksamkeit übrig ist, um daraus Lustgewinn und Glückserlebnisse zu ziehen.
PH Ist der Weg zur Bescheidenheit eines nachhaltigen Lebensstils vor allem eine Frage der Selbstdisziplin?
PAECH Ja, klar. Noch besser gefällt die Bezeichnung Übungsprogramm. Aber das reicht nicht. Wir brauchen außerdem konkrete Gegenentwürfe zur derzeit dominanten Konsumhaltung, um Orientierung zu schaffen. Praktiken einer modernen Selbstversorgung sind ein gutes Beispiel, weil sie ein Stück weit aus der Abhängigkeit von Fremdversorgung führen und dazu verhelfen, den Wert der Dinge wiederzuentdecken.
PH Wie denn das?
PAECH Zu einer zeitgemäßen Selbstversorgung gehört die Verlängerung der Nutzungsdauer von Gegenständen. Wir müssen aufhören, uns billige Gebrauchsartikel anzuschaffen, die wir aufgrund ihrer schlechten Qualität schnell wieder wegwerfen. Erstens weniger Gegenstände und zweitens solche, die wir reparieren können: Auf diese Weise können wir Geld und kostbare Rohstoffe sparen. Zudem knüpfen wir eine engere Beziehung zu den Dingen, die uns umgeben. Technische Geräte, die ich selbst repariere, benutze ich anschließend mit größerer Sorgfalt. Im Internet gibt es eine Website der I fix it-Community, die eine „Reparaturrevolution“ propagiert. Dort finden Sie das Postulat: „Wenn du es nicht reparieren kannst, gehört es dir nicht.“ Dies beschreibt eine Haltung zu den Dingen, die den reinen Konsum übersteigt. Anstatt Gegenstände zu verbrauchen und wegzuwerfen, gebrauchen und reparieren wir sie. Dies ist echte Aneignung.
PH Aber sind Menschen, die Vollzeit arbeiten, nicht zur Fremdversorgung verdammt?
PAECH Die zunehmende Knappheit natürlicher Rohstoffe wird uns so oder so dazu nötigen, die Industrie zurückzubauen. Dann müssen wir die noch benötigte Arbeit schon aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit und der politischen Stabilität umverteilen. Derzeit erleben wir eine skandalöse Arbeitszeitverteilung, in der eine Minderheit von Menschen Hartz IV empfängt und null Stunden arbeitet, während andere um die 40 plus x Stunden arbeiten und burnoutgefährdet sind. Auch deshalb kommen wir nicht umhin, allmählich die 20-Stunden-Woche einzuführen. Und dann kann ich mit der frei gewordenen Zeit Selbstversorgung praktizieren.
PH Sodass die Menschen das geringere Einkommen aus einer verkürzten Arbeitszeit mit Selbstversorgung aufstocken müssen?
PAECH Exakt. Aber Selbstversorgung geht auch mit einem neuen Gefühl von Souveränität einher. Das lateinische Wort Subsistenz macht das deutlich: das Durch-sich-Bestehende. Unsere gegenwärtige komfortable Fremdversorgung wird doch mit enormer Verletzlichkeit erkauft. Die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, die Angst, Einkommen zu verlieren, die Angst, am gesellschaftlichen Leben nicht mehr teilnehmen zu können, prägt uns. Die Souveränität der Selbstversorgung hingegen bedeutet: Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht. Wer weniger benötigt, ist auch weniger angreifbar. Die Kunst der Reduktion beinhaltet Gelassenheit.
PH Erfordert die Selbstversorgung nicht auch einen viel intensiveren Austausch mit anderen?
PAECH Ja, das erscheint etwas paradox. Eine Postwachstumsökonomie ist ein Kaskadensystem einander ergänzender Versorgungsmuster. Zunächst mal ist es eine duale Existenz von Fremd- und Selbstversorgung. Ich sage ja nicht, dass die Industrie jemals so sehr zusammenbricht, dass nichts mehr von ihr übrig bleibt, sondern sie sollte etwa halbiert werden. Und mit dem Geld, das Sie in einem 20-Stunden-Job verdienen, werden Sie sich die Dinge kaufen, die luststiftenden Konsum gemäß der Suffizienzlogik ermöglichen und die Sie nicht durch Selbstversorgung organisieren können. Und diese sehr bescheidene, aber umso lustvoller ausgeschöpfte Fremdversorgung wird durch die drei Formen der Selbstversorgung ergänzt, die obendrein Selbstwirksamkeit und soziale Inklusion generieren. Zwischen diesen Polen der reinen Fremd- und Selbstversorgung sind noch viele Ergänzungen möglich.
PH Zum Beispiel?
PAECH Nehmen Sie die Regionalökonomie. Sie liegt auf halber Strecke zwischen Industrie und Selbstversorgung. Sie erlaubt eine deglobalisierte, aber dennoch arbeitsteilige Versorgung. Und zwischen Regionalökonomie und Selbstversorgung existiert die sogenannte community supported agriculture, also eine durch die lokale Gemeinschaft unterstützte Landwirtschaft. Da tun sich vielleicht 50 Familien vor Ort mit einem Bauernhof zusammen, zahlen ihm einen bestimmten Betrag und erhalten dafür entsprechende Ernteanteile, aber auch verarbeitete Erzeugnisse wie Brot und Käse.
PH Ist das aber nicht eine etwas unsichere Basis?
PAECH Im Gegenteil. Gerade die flexible Kombination aus industrieller, regionaler und lokaler Versorgung sorgt für hohe Stabilität. Unser gegenwärtiges konsumistisches Versorgungssystem ist viel zu zentralistisch. Wenn da einer die Leitung kappt, fallen wir ins Bodenlose. Das zeigt allein unsere Abhängigkeit vom Erdöl. Deswegen heißt Souveränität nicht, wenig zu brauchen, sondern das Wenige möglichst selbst oder dezentral mit andern zu gestalten. Das wäre zeitgemäße Freiheit. Was wir derzeit unter Freiheit verstehen, ist eine zunehmende Abhängigkeit von Fremdversorgung, die wir aber immer weniger beherrschen können. Marianne Gronemeyer hat den Begriff der Daseinsmächtigkeit geprägt.
PH Was verstehen Sie unter Daseinsmächtigkeit?
PAECH Dass ich meine Ansprüche auf das reduziere, was ich kraft eigener oder mit anderen geteilter Fähigkeiten sowie lokal verfügbarer Ressourcen autonom gestalten kann. Dies bedeutet, nicht über meine Verhältnisse zu leben, sondern materielle Ansprüche an die vertretbaren Möglichkeiten zu koppeln, mindestens durch Pflege, Instandhaltung und achtsame Behandlung jener Dinge, die ich beanspruche. Wichtig erscheint mir eine Reziprozität von Nehmen und Geben. Nur wenn meine materiellen Ansprüche an das gebunden sind, was ich selbst oder kooperativ mit anderen im nicht entgrenzten Umfeld materiell gestalten kann, schieße ich nicht über ein menschliches Maß an Selbstverwirklichung hinaus. Nur so ist eine Welt möglich, die nicht ständig wachsen muss. Ausnahmen von diesem Prinzip der materiellen Reziprozität sind vonnöten, wenn Menschen zu keiner entsprechenden Leistung befähigt sind. Auch in einer Postwachstumsökonomie geht es nicht gänzlich ohne ein staatliches Sozialsystem.
PH In Ihrem Buch sprechen Sie von einer „Kategorie des aufgeklärten Glücks“, einer Lebenskunst des verantwortbaren Handelns, die es uns erlaubt, mit uns selbst im Reinen zu sein. Zugleich attestieren Sie den modernen Konsumgesellschaften mit ihren „plündernden Lebensstilen“, dass sie „längst schon therapiebedürftig sind“. Allerdings hätten wir keine Therapeuten, sondern seien „einem Trommelfeuer von Durchhalteparolen ausgesetzt“. Glauben Sie wirklich, dass wir uns selbst therapieren können?
PAECH Ob wir noch rauskommen aus dem Schlamassel, in den wir uns hineinmanövriert haben, weiß ich nicht. Aber es werden äußere Bedingungen auf uns zukommen, die nicht ausschließen, dass uns gar nichts anderes übrigbleibt, als uns selbst zu therapieren. Als aufgeklärter Mensch gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass wir mit Schwimmbewegungen anfangen, wenn uns das Wasser bis zum Halse steht. Ich halte das nicht für übertriebenen Optimismus, sondern verweise darauf, dass wir befähigt sind, zivilisierte Formen des Selbstschutzes einzuüben.