Herr Dr. Sarkhosh, nach welchem Film haben Sie sich das letzte Mal so richtig wohlgefühlt?
Wir haben vor über einem Jahr im Institut einen Film geschaut, Das schwarze Loch – ein 1979 erschienener Disney-Streifen mit Maximilian Schell in der Hauptrolle. Ein Science-Fiction-Film, aber kein besonders guter. Trotzdem habe ich mich dabei wohlgefühlt, einfach aus nostalgischen Gründen: Ich hatte ihn als Kind gesehen und war damals schwer beeindruckt gewesen.
Sie haben kürzlich eine explorative Studie zu sogenannten…
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war damals schwer beeindruckt gewesen.
Sie haben kürzlich eine explorative Studie zu sogenannten Wohlfühlfilmen abgeschlossen. Was interessiert Sie daran?
Einerseits ist der Begriff fest etabliert, nicht nur in der Filmkritik, sondern auch beim Publikum. Im Internet wimmelt es von Listen der besten Feel-good-Movies oder von Vorschlägen, welchen Wohlfühlfilm man sich am nächsten verregneten Sonntag ansehen sollte. Andererseits wurde bislang kaum untersucht, was so einen Film ausmacht und welche Gefühle er genau wachruft.
Wie sieht denn ein typischer Wohlfühlfilm aus?
Wir haben zu dieser Frage in unserer Untersuchung mit mehr als 400 Teilnehmenden online Menschen befragt, die sich solche Filme gewohnheitsmäßig ansehen, und in ihren Antworten nach Aspekten gesucht, die immer wieder genannt werden. Ein Merkmal, das besonders häufig auftaucht, ist Humor: Wohlfühlfilme zeichnen sich oft durch eine humoristische Note aus. Außerdem haben sie meist ein Happy End. Erwähnt wurden aber auch formale Aspekte, etwa dass die Filme handwerklich gut gemacht sind oder der Soundtrack eine wichtige Rolle spielt. Sehr häufig wird mit ihnen zudem eine subjektiv empfundene Wärme verbunden. Und sie werden oft als sentimental, aber nicht kitschig wahrgenommen.
Daneben sind wir auf eine Handvoll Handlungsmuster gestoßen, die sehr stark dominieren. An erster Stelle steht die Suche nach der wahren Liebe. Ganz typisch ist auch, dass oft Außenseiterfiguren auftreten.
So wie in dem Film Ziemlich beste Freunde zum Beispiel?
Genau. Der Migrant, der vom Hals abwärts Gelähmte: Beide Protagonisten sind in gewisser Weise soziale Außenseiter. Oder denken Sie an Pretty Woman, wo Julia Roberts eine Prostituierte spielt. Es handelt sich um Figuren abseits des Mainstreams, die aber am Ende oft wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden.
Und dann gibt es noch die Filme, die man als „Buddy-Komödien“ bezeichnen könnte: Zwei etwas verquere Helden mit einem lockeren Mundwerk und ebenso lockeren Fäusten prügeln sich auf sympathische Art durch die Handlung – so wie die Bud-Spencer-und-Terence-Hill-Filme, die ja gerade in Deutschland extrem populär sind.
In Das schwarze Loch kämpft die Crew eines Raumschiffs gegen einen durchgeknallten Wissenschaftler, der von einer Roboterarmee unterstützt wird. Das klingt weder nach Romanze noch nach Außenseiterstory und auch nicht besonders komisch.
Dennoch hat auch Das schwarze Loch Elemente eines Wohlfühlfilms. Sein zentrales Motiv lässt sich als fighting against the odds umschreiben, als eigentlich kaum zu gewinnender Kampf gegen die Umstände: Eine kleine Gruppe setzt sich gegen alle Widrigkeiten durch und geht am Ende gestärkt aus dem Abenteuer heraus. Auch das ist ein charakteristisches Muster, das wir in unserer Studie immer wieder gefunden haben.
Welche Filme sind besonders typische Feel-good-Movies?
Wir haben eine Art Ranking erstellt, in das nicht nur einfloss, wie oft ein Film genannt wurde, sondern auch, wie schnell er den Befragten in den Sinn kam – ob er ihnen also sofort einfiel oder erst nach längerem Nachdenken. Auf Platz eins landete Tatsächlich…Liebe, auf Platz zwei Die fabelhafte Welt der Amélie und auf Platz drei Pretty Woman, direkt vor Ziemlich beste Freunde.
Ticken die Geschlechter diesbezüglich unterschiedlich?
Auf den ersten Blick schon. Wir haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach ihrem Lieblingswohlfühlfilm gefragt, außerdem sollten sie diesen einem Genre zuordnen. Dabei dominierte bei Frauen eher das Romantische, bei Männern das Komödiantische. Zählt man aber die Nennungen in beiden Kategorien zusammen, tut sich zwischen den Geschlechtern nicht viel. Man könnte sagen: Es läuft oft auf das gemischte Genre der romantischen Komödie hinaus, bei Frauen wie auch bei Männern.
Spannenderweise waren sich beide Geschlechter auch in einem anderen Punkt einig: Am dritthäufigsten wurde der persönliche Lieblings-feel-good-Film als Drama bezeichnet, und das von Zuschauerinnen und Zuschauern. Kennzeichnend für den Wohlfühlfilm scheint also auch eine erhebliche Portion an dramatischem Konflikt zu sein. Dieses Wechselspiel von fröhlichen und traurigen Elementen ist für ihn offenbar prägend.
Woher kommt das? Auf den ersten Blick drängt sich dieser Zusammenhang nicht auf.
Einerseits ist das Leben eben nicht durchgehend fröhlich. Dramen bieten daher ein gewisses Identifikationspotenzial mit den Figuren und Handlungsmustern. Es gibt hier aber auch Parallelen zu Erkenntnissen aus der Medienpsychologie und den Emotionswissenschaften: Menschen haben einfach Lust an gemischten Gefühlen. Eine gewisse Dosis an negativer Stimmung verstärkt letztlich das positive Erlebnis.
In der Emotionsforschung gibt es die schöne Formel bad is stronger than good: Traurige Ereignisse bleiben uns stärker in Erinnerung als schöne; sie beeindrucken und berühren uns mehr. Das Wechselbad der Gefühle, in das uns viele Feel-good-Movies tauchen, führt daher zu einem Zustand, der in der Forschung als „emotionales Bewegtsein“ bezeichnet wird. Und das wird von uns als angenehm oder gar erstrebenswert betrachtet.
Könnte man sagen, dass diese gemischten Emotionen dafür sorgen, dass wir stärker mit den handelnden Personen mitfühlen?
In gewisser Weise schon. Die Identifikation spielt dabei sicher eine große Rolle. In diese Richtung weisen auch andere Ergebnisse unserer Studie. So sind die Figuren in Wohlfühlfilmen meist keine Übermenschen. Es sind Personen wie du und ich. Dadurch werden Identifikationsprozesse natürlich erleichtert.
Es gibt aber noch eine weitere Auffälligkeit: Wir haben es zwar mit Handlungen und Figuren zu tun, die gar nicht so weit entfernt sind von unserem Leben. Andererseits sind diese oft in eine märchenhafte Umgebung eingebettet, die dann doch wenig mit der Realität zu tun hat. Ein schönes Beispiel dafür ist Die fabelhafte Welt der Amélie. Der Film spielt quasi in einer Disneyland-Version von Paris, die aufgeladen ist mit Klischees, mit Einstellungen von all den einschlägigen Orten, die man von Postkarten kennt. Es ist eine Art Märchenwelt, die gezeigt wird, bis dahin, dass der Gartenzwerg auf Reisen geht – fast zu schön, um wahr zu sein.
Zieht solch ein Setting den Schärfen des Lebens den Zahn?
Es verschafft den Protagonistinnen zumindest ein Fundament, auf dem sie durch die schweren Situationen, die sie erleben, mit einer gewissen Leichtigkeit hindurchgehen können. Das ist übrigens etwas, was auch die genuinen Märchen auszeichnet.
Welche Rolle spielt in Feel-good-Movies die Musik?
Viele Studienteilnehmer haben bei der Frage nach ihrem Lieblingswohlfühlfilm den Soundtrack explizit erwähnt und seine unterstützende Funktion für Stimmung und Atmosphäre betont. Auffällig ist, dass diese Filme oft von einem Potpourri bekannter Pop- und Rocksongs begleitet werden.
Musik ist ein Träger nostalgischer Empfindungen, gerade die, die wir in unserer Jugend gehört haben. Sie behält häufig später im Leben eine besondere Bedeutung für uns. Auch Nostalgie ist übrigens ein gemischtes Gefühl: ein bittersüßes Erleben. Wenn Sie auf etwas nostalgisch zurückschauen, schwingt dabei immer ein gewisses Quantum Traurigkeit mit. Zugleich bewerten die meisten Menschen Nostalgie als ein angenehmes Gefühl. Allerdings gaben bei uns nur wenige Befragte an, dass sie durch den Soundtrack in eine nostalgische Stimmung versetzt wurden.
Wenn uns Feel-good-Filme durch ein Wechselbad der Gefühle schicken – was bedeutet das für unsere Stimmung danach?
Das Wohlfühlen ist ein komplexes Konstrukt. „Wohlfühlfilm“ heißt sicher nicht, dass wir danach bester Laune sind. Andererseits spielt der Aspekt der Stimmungsaufhellung natürlich eine wichtige Rolle, wie uns auch unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer bestätigt haben. Das heißt zum Beispiel, dass sie nach dem Film weniger deprimiert und niedergeschlagen waren, entspannter oder energiegeladener, aber nicht unbedingt enthusiastisch oder uneingeschränkt fröhlich.
Dennoch zeigt unsere Studie, dass sich viele Menschen Feel-good-Movies ganz gezielt anschauen, um sich zu entspannen und ihre Stimmung zu heben. Für sie ist „Wohlfühlfilm“ ein positiv besetzter Begriff. In gewisser Weise steht das quer zu der zum Teil wirklich vehementen Ablehnung, die diese Art von Filmen seitens der Kritik erfährt.
Inwiefern?
Lassen Sie mich eine Anekdote erzählen: Als es darum ging, für die Studie Teilnehmer zu rekrutieren, habe ich im Frankfurter Raum auch eine Reihe von Kinos angeschrieben, ob sie dort Informationsmaterialien auslegen könnten. Von einem kleinen Programmkino habe ich dann eine fast feindselige Antwort bekommen, nach dem Motto: „Damit möchten wir nichts zu tun haben; unsere Besucher schauen sich qualitativ hochwertige Filme an.“
In der Kritik ist Feel-good-Movie eine Art Kampfbegriff für Filme, die sehr stark emotional manipulativ wirken, gleichzeitig konservative Weltbilder transportieren und dabei vor Kitsch triefen. Tatsächlich muss man bei Wohlfühlfilmen sagen, dass sie oft sentimentale Elemente enthalten, unsere Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer haben aber auch herausgestellt: Sie sind zwar sentimental, aber nicht kitschig.
Die Macher solcher Filme wissen sicherlich, wie sie die Klaviatur unserer emotionalen Empfindungen bedienen. Aber gleichzeitig sind Feel-good-Movies oft sehr komplex. Sie stellen nicht durchgehend die rosarote Welt in den Vordergrund, sondern integrieren erhebliche Portionen negativer Erlebnisse und verschaffen uns dadurch in gewisser Weise einen Einblick in die Conditio humana, in unser menschliches Dasein.
Warum schaut die Kritik so auf diese Werke herab? Muss ein „guter Film“ eher den Verstand ansprechen?
Man kann sagen, dass sich dieser Gedanke zumindest implizit seit dem 19. Jahrhundert durch die Kunst- und Medienkritik zieht. Das Intellektuelle wird in unserem westlichen Kulturkreis sehr in den Vordergrund gerückt. Gleichzeitig wird das Emotionale eher mit einem gewissen Vorbehalt gesehen und als manipulierend wahrgenommen.
Natürlich können Emotionen uns bewegen; sie haben einen erheblichen Einfluss darauf, wie wir Dinge wahrnehmen. Aber ich glaube, dass Kunst- und Medienerleben nie rein intellektuell funktioniert. Wir werden immer auch emotional durch die Filmerlebnisse mitgenommen.
Kann jeder Film ein Wohlfühlfilm sein, solange er die Stimmung hebt und mich entspannt?
Ein klares Jein. Einerseits kann natürlich jeder seine persönlichen Wohlfühlfilme haben. Andererseits ist ja ein Grundgedanke der Psychologie: Jeder ist zwar individuell, aber wenn wir eine genügend große Anzahl von Individuen nehmen und darüber mitteln, kommen wir irgendwann zu gemeinsamen Mustern. Wir reden also schon über eine ganz bestimmte Gruppe von Filmen mit ganz spezifischen Merkmalen, und es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl von Personen, die darin übereinstimmen, was diese Merkmale sind. Ich würde daher nicht sagen, dass wir am Ende in die Beliebigkeit geraten.
Gibt es auch Feel-bad-Movies?
Ich bin in der Literatur über diesen Begriff gestolpert. Allerdings ist er keineswegs verbreitet. Mir stellt sich die Frage, was genau damit gemeint ist: Sind das Filme, die uns tatsächlich mies fühlen lassen?
Es gibt natürlich Filme, die negative Emotionen hervorrufen – nehmen Sie die Melodramen, Tränendrüsendrücker wie Message in a Bottle, die ja auch ein breites Publikum finden. Ein anderes Beispiel sind Horrorfilme, die uns in Ekel oder Angst versetzen, also in emotionale Zustände, die zunächst einmal nicht gerade angenehm sind. Wenn man es etwas genauer betrachtet, werden dadurch aber wieder Effekte ausgelöst, die letztlich dennoch zu einem genussvollen und bereichernden Medienerlebnis führen. Im Fall von traurigen Filmen etwa genießen die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht die Traurigkeit selbst, sondern vielmehr, dass die traurigen Momente das Gefühl emotionalen Bewegtseins verstärken – und das wird als angenehm empfunden.
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Dr. Keyvan Sarkhosh ist Forschungskoordinator am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main. Als Filmwissenschaftler liegt sein Forschungsschwerpunkt auf der Geschichte und Ästhetik sowie insbesondere dem Erleben und Bewerten von Filmen
Quelle
Keyvan Sarkhosh, Winfried Menninghaus: The Feel-Good Film. Genre features and emotional rewards. Projections, 15/1, 2021, 55–77. DOI: 10.3167/proj.2021.150104