Frau Dütschke, unsere Häuser, Autos und Haushaltsgeräte werden immer effizienter und trotzdem sparen wir seit Jahrzehnten insgesamt kaum Energie ein. Woran liegt das?
Wer sich ein effizienteres Fahrzeug oder Gerät kauft, verändert in der Folge oft seinen Umgang damit. Ein sparsameres Auto verleitet dazu, es häufiger zu fahren. Oder die Wahl fällt auf ein größeres Modell. Das führt dazu, dass die Energieeinsparung, die man sich ausgerechnet hat, in Wirklichkeit kleiner ausfällt – das ist der direkte…
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Energieeinsparung, die man sich ausgerechnet hat, in Wirklichkeit kleiner ausfällt – das ist der direkte Rebound-Effekt. So bezeichnen wir eine stärkere Nachfrage nach dem gleichen Gut, das effizienter und damit auch billiger geworden ist. Denkbar ist auch, dass dieser Effekt von einem Bereich auf einen anderen Bereich überspringt.
Was meinen Sie damit?
Nehmen wir an, ich ersetze meinen alten Diesel durch einen Hybridwagen und nutze diesen sparsameren Wagen genauso wie meinen alten. Aber gleichzeitig verbrauche ich jetzt an anderer Stelle mehr Energie, weil ich ja schon beim Autofahren so klimafreundlich bin. Ich fliege zum Beispiel häufiger.
Wann hat die Rebound-Falle bei Ihnen selbst zuletzt zugeschnappt?
Ich habe mir einen neuen, hocheffizienten Kühlschrank gekauft – und den alten in den Keller gestellt. Damit habe ich aber überhaupt keinen Strom gespart! Eigentlich hätte ich den alten abschalten sollen. Ich würde aber behaupten, dass ich ihn brauche, weil ich drei Kinder habe und der Kühlschrank zu klein geworden ist. Aber hier fangen schon die psychologischen Abwehrstrategien an.
Bei welchen Einsparungen fällt der Rebound-Effekt denn besonders ins Gewicht?
Für einen einzelnen Haushalt ist der Effekt am stärksten beim Autofahren. Wenn das Autofahren günstiger wird, wird viel mehr gefahren. Manche Studien finden hier Effekte von mehr als 50 Prozent. Bei der Raumbeleuchtung zum Beispiel fällt der Effekt deutlich kleiner aus.
Warum ist der Effekt beim Autofahren so stark?
Benzin oder Diesel sind tendenziell teurer als Strom. Die Einsparungen sind damit größer und auch sichtbarer, weil Autofahrende regelmäßig an der Zapfsäule stehen. Deshalb reagieren sie auch direkt auf sinkende Kraftstoffpreise. Das haben Studien nachgewiesen. Wenn wir am Wochenende aber ein paar Ausflüge mehr machen, weil wir weniger fürs Benzin bezahlen, fällt das in der Energiebilanz deutlich stärker ins Gewicht, als wenn wir auf einmal in der Wohnung sämtliche Lichter brennen lassen, nachdem wir zuvor Glühlampen durch LED-Lampen ausgetauscht haben.
Gleichzeitig bringen die Automobilkonzerne immer neuere und größere Modelle auf den Markt. Beispiel SUV: Diese Tonnen an Stahl, die man da über die Straße bewegt, wären ohne die Effizienzgewinne des Autos und damit seine Verbilligung gar nicht denkbar gewesen. Hier schlägt der Rebound-Effekt am stärksten zu – im Schnitt deutlich mehr, als wenn sich jemand einen Hybrid- oder Elektrowagen anschafft und damit häufiger durch die Gegend braust.
Wo liegt das größte Problem für die ganze Gesellschaft?
Beim Konsumverhalten. Je effizienter und günstiger ein Haushaltsprodukt wird, desto mehr kurbelt das unseren Konsum an. Handys, Computer, Entertainment zum Beispiel. Das zeigt schon ein Blick in die Geschichte des technologischen und industriellen Fortschritts: Der Rebound-Effekt wurde das erste Mal beschrieben, nachdem im 19. Jahrhundert die Dampfmaschine erfunden und anschließend laufend verbessert wurde. Das hat die Industrialisierung im Grunde erst ermöglicht und zu einem gewaltigen Anstieg des Energieverbrauchs geführt. Wenn sich die Effizienz ständig erhöht, schafft das auch neue Möglichkeiten, Anwendungen zu nutzen, sie größer zu machen oder mehr von ihnen zu haben. Es ist ein sich selbst verstärkendes Phänomen, das sich aus psychologischen, ökonomischen und strukturellen Komponenten zusammensetzt.
Warum kompensieren wir überhaupt die Einsparungen gleich wieder?
Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr stark die freie Entscheidung der Einzelnen betont, aber tatsächlich sind wir alle in soziale Strukturen eingebunden. Wir hinterfragen nicht ständig unsere Entscheidungen, sondern orientieren uns meist an anderen Menschen und daran, wie wir es bisher gemacht haben. Wir sind Herden- und Gewohnheitstiere. Und das hat einen guten Grund: Wir sind überhaupt nicht in der Lage dazu, alle Informationen aufzunehmen, die wir bräuchten, um ständig sparsam oder klimafreundlich zu leben. Der Alltag nimmt uns eben stark in Beschlag. Überraschend selten treffen wir bewusste Entscheidungen, die wir mit unseren Werten abgleichen. Am häufigsten ist das noch bei Investitionen wie einem Autokauf der Fall. Aber Sprit sparen und das Klima schonen ist dabei nur ein Kriterium.
Was sonst noch?
Viele Eltern wollen zum Wohle ihrer Kinder besonders sichere und große Autos – und das sind oft die schwereren, die mehr Sprit verbrauchen. Andere wollen Platz haben, um zum Beispiel eine Skiausrüstung mitnehmen zu können. Es fehlt uns nicht unbedingt an Umweltbewusstsein. Die meisten Leute wissen um die grundsätzlichen Probleme. Das Schwierige ist, die verschiedenen Ziele und Bedürfnisse zusammenzuführen. Und auch der Preis spielt eine Rolle.
Wir müssen uns also über den Rebound-Effekt bewusstwerden, uns umweltfreundliches Verhalten leisten können und dann müssen wir auch noch unsere Psyche überwinden, um konsequent ein klimafreundlicheres Leben zu führen?
Richtig. Es kommt gar nicht so selten vor, dass wir wider besseres Wissen handeln, auch wenn uns klar ist, dass diese Entscheidung der Umwelt schadet. Aber dank eines psychologischen Ausgleichsmechanismus können wir die Entscheidung vor uns selbst rechtfertigen: Wir kaufen uns frei.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn ich morgens nur ein Knäckebrot gegessen habe, kann ich mir am Mittag eher noch ein Eis gönnen, obwohl ich abnehmen will. Dann habe ich im Vergleich zu den vier Nutella-Broten, die ich sonst morgens esse, trotzdem Kalorien gespart. Aber natürlich hätte ich mehr Kalorien gespart, hätte ich kein Eis gegessen.
Und auf den Energiebereich übertragen?
Wir haben das für LED-Leuchten untersucht: Wer eine alte Glühbirne durch eine LED-Leuchte ersetzt, fühlt sich nicht schlecht, wenn er zu einer helleren Leuchte greift, auch wenn die weniger effizient ist als eine dunklere. Ein bisschen Energie ist damit trotzdem gespart. Aber das ist genau das Thema: Ich habe nicht maximal eingespart.
Verfallen alle Menschen gleichermaßen in dieses Muster des „Freikaufens“, also der Rechtfertigung unmoralischen Verhaltens?
Das ist bei jedem unterschiedlich ausgeprägt. Ganz frei davon ist wahrscheinlich niemand. In unserer Forschung sehen wir auch, dass es sehr stark auf die Situation ankommt: Erinnern sich die Leute während einer Entscheidung an ihr früheres Verhalten? Sind sie gerade abgelenkt oder haben sie Zeit, die Information zu verarbeiten? Wer sich bewusster entscheidet, kauft sich seltener frei.
Heißt das, dass jeder allein gar nicht so viel ausrichten kann?
Wenn ich das Verhalten des Einzelnen erkläre, soll das keine Rechtfertigung dafür sein, dass Menschen sich aus der Verantwortung für ihr eigenes Handeln stehlen. Nur überschätzen wir eben unsere Freiheit, jederzeit vernünftig und nachhaltig entscheiden zu können. Wir müssen schon sehr hart an uns arbeiten, um aus bestimmten Routinen auszubrechen. Und dafür müssen wir sehr viel Tatkraft aufbringen.
Was ist, wenn wir schlicht nicht die Möglichkeit haben, mehr Energie im Alltag einzusparen? Müssen wir uns dann ständig mit einem schlechten Gewissen herumplagen?
Hier kommen die psychologischen Abwehrmechanismen ins Spiel, mit denen wir unser positives Selbstbild aufrechtzuerhalten versuchen. Wer nicht aufs Auto verzichten kann, kann abstreiten, dass das schlecht für die Umwelt ist oder dass jemand als eine Einzelperson überhaupt etwas ändern kann. Irgendwann können wir unser umweltschädliches Verhalten dann sogar mit der Behauptung vereinbaren, dass wir uns doch für Umweltschutz engagieren.
Wie schaffen wir es nun aber, wirklich umweltfreundlicher zu leben und uns nicht bloß etwas vorzumachen?
Zuerst sollte man sich selbst beobachten. Mit einem CO2-Rechner kann jeder selbst überprüfen, wo er besonders viel Energie verbraucht. Ist es die Fernreise im Sommer? Ist es der Dieselwagen? Sind es die Steaks, die ich mir jeden Tag brate? Das bewahrt uns davor, nicht viel Mühe an der falschen Stelle zu investieren. Im nächsten Schritt sollte man sich diesen einen Bereich genauer ansehen und sich dort eine gezielte Alternative überlegen, ohne aber sein Verhalten in anderen Bereichen zu verändern. Es nützt ja nichts, wenn jemand seinen Passat verkauft und dann mit Fernreisen anfängt. Dann sollte die Person lieber bei ihrem Passat bleiben.
Warum sollten wir uns erst mal auf nur eine Situation konzentrieren?
Wer sich das Rauchen abgewöhnen will, muss genauso vorgehen. Man sollte sich da fragen: Wann rauche ich eigentlich? Was sind die Schlüsselmomente? Und wie kann ich die vermeiden oder was kann ich in dem Moment stattdessen tun? Übertragen auf unser Thema heißt das: Wie schaffe ich es, auf das Reiseabenteuer in Vietnam zu verzichten und mich stattdessen genauso herauszufordern, indem ich Ecken von Brandenburg mit dem Fahrrad kennenlerne?
Welche Strategien bieten Sie an?
Wir forschen dazu, wie sich Gewohnheiten ändern lassen. Ein Ergebnis ist: Es dauert sehr lange. Wer Erfolg haben will, muss sich manchmal erst eine ganze Weile dazu zwingen, sich alternativ zu verhalten. Und sich gleichzeitig überlegen: Wie kann ich es mir leichter machen? Eine bekannte Sozialpsychologin hat neulich beschrieben, dass sie sich zeitweise mit Sportsachen ins Bett gelegt hat, damit sie am nächsten Morgen auch wirklich laufen geht. Eine andere Möglichkeit: Ich stelle mir mein Fahrrad vor die Haus- oder Wohnungstür, damit ich am nächsten Morgen regelrecht drüber falle und das Fahrrad erst wegtragen müsste, um doch noch ins Auto zu steigen. Denn dann muss ich mich in dem Moment bewusst entscheiden. Meistens ist es ja so, dass wir es morgens eilig haben, um zum Arbeitsplatz oder der Universität zu kommen, und wir dann schnell in alte Gewohnheiten hineinrutschen.
Was für ein Aufwand! Ist es von daher zu viel verlangt, wenn wir von den Menschen erwarten, dass sie ihr Verhalten auf eigene Faust verändern?
Jeder ist selbst verantwortlich für sein eigenes Leben und die Entscheidungen, die er trifft. Das ist eine ethische Frage, die ich nicht ans politische System delegieren will. Aber wenn wir uns als Gesellschaft umstellen wollen, müssen wir an ihren Strukturen arbeiten und nachhaltiges Verhalten erleichtern. Im Verkehr ist das besonders offensichtlich: Sind öffentliche Verkehrsmittel gut erreichbar? Sind sie günstig genug? Gibt es sichere Radwege? Sind Stadtviertel so geplant, dass ich zu Fuß einkaufen gehen kann? Das sind Maßnahmen, die viel effektiver sind, als wenn tausende von Menschen jeden Abend ihr Fahrrad vor die Tür tragen, damit sie es am nächsten Morgen hoffentlich benutzen. Umgekehrt sollte die Politik klimaschädliches und energiereiches Verhalten erschweren.
Wie denn?
Zum Beispiel indem sie darauf verzichtet, neue Straßen zu bauen, die neuen Verkehr anziehen. Oder indem sie Parkplätze auflöst, damit die Leute nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit fahren. Natürlich muss es zugleich Alternativen geben, um den Arbeitsplatz zu erreichen – oder von zu Hause arbeiten zu können.
Die Politik könnte zudem umweltschädliches Verhalten verteuern. Also den Ausstoß von Kohlendioxid besteuern, Nutzungsgebühren für Parkplätze einführen oder den Strompreis erhöhen. Das härteste Mittel ist das Verbot: Ineffiziente Geräte lassen sich vom Markt nehmen oder Autos aus bestimmten Stadtzonen aussperren.
Mittel wie die Strompreiserhöhung helfen ja nur bei Leuten, die auf den Geldbeutel schauen. Aber es bringt nichts bei denjenigen, die Energieeinsparungen an anderer Stelle kompensieren, also sich psychologisch „freikaufen“ – richtig?
Ja, deswegen brauchen wir die Mischung. Die Politik muss manches verbieten und für anderes Anreize setzen – und zwar nicht nur übers Geld. Nicht alle Bevölkerungsteile spüren es wirklich, wenn sich die Preise erhöhen. Andere haben jetzt schon wenig Geld.
Und billig ist Autofahren auch heute nicht mehr, wenn man die kompletten Kosten fürs Fahrzeug zusammenrechnet: Versicherung, Steuern, Reparaturen und Benzin. Trotzdem fahren so viele Menschen Auto. Denn eine noch größere Rolle als das Geld spielt oft der Komfort. Und genau da kann die Politik ansetzen: Das gewollte Verhalten lässt sich bequem und das ungewollte unbequem machen.
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Elisabeth Dütschke, promovierte Psychologin, leitet am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung das Geschäftsfeld Akteure und Akzeptanz in der Transformation des Energiesystems. Zum Rebound-Effekt hat sie zahlreiche Publikationen verfasst