Als die Psychotherapeutin Virginia Satir 1951 eine junge Frau mit Psychosen vor sich hat, läuft zunächst alles gut. Je länger die Therapie andauert, desto mehr verschwinden die Symptome. Doch dann kommt ein Brief der Mutter. Sie beschuldigt die Therapeutin, ihre Tochter von der Familie zu entfremden. Virginia Satir lädt die Mutter mit ein in eine Therapiesitzung. In dieser verhält sich die Patientin wieder so psychotisch wie am ersten Tag.
Diese Anekdote aus der Frühzeit der systemischen Therapie erzählt der systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Wilhelm Rotthaus, um zu illustrieren, was die systemischen Therapien auf den ersten Blick von den gängigen Therapieschulen unterscheidet: „Das Problem wird in den Beziehungen verortet und nicht in der Person selbst. Das heißt, der oder die Betroffene hat kein Defizit, keinen Mangel, er oder sie ist keine gestörte Person.“ Vielmehr entstünden die Probleme in der Interaktion. Genau darin liege auch der Vorteil: „Personen kann man nur schwer ändern, Beziehungen und Kommunikationen hingegen relativ leicht.“
Aus diesem Grund bietet die systemische Therapie ein besonderes Setting: Sitzungen mit mehreren Personen. So wie einst Virginia Satir erst die Mutter, dann auch den Vater einlud, um gemeinsam an den Symptomen zu arbeiten, kommen auch heute Patientinnen und Patienten, die sich in eine systemische Therapie begeben, manchmal mit ihrer Familie, manchmal auch nur mit ihrem Partner, einer Freundin oder allein in die Sitzungen. So, wie sie es möchten und als hilfreich wahrnehmen. Da das Problem als ein Resultat der Interaktion gesehen wird, sind die Bezugspersonen ein wichtiger Teil der Lösung.
Therapie ohne Angehörige ist künstlich
Nicht immer wird das Mehrpersonensetting umgesetzt, manch ein Team aus Therapeut und Patientin wird sich eher auf einen der vielen anderen Schwerpunkte der systemischen Therapie konzentrieren, zum Beispiel die besondere Art von Fragen oder den...
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