Süchtig nach Facebook

Viele kennen die Katerstimmung, wenn man in Facebook mal wieder zu viel Zeit vertrödelt hat. Doch manche verlieren ernsthaft die Kontrolle. Was tun?

Die Illustration zeigt eine junge Frau, die ihr Smartphone vor das Gesicht hält, während man auf dem Display ihr verschönertes, künstliches Gesicht sieht
Hauptsache, es sieht gut aus. Die Zahl der Likes wird zum Maßstab der eigenen Wahrnehmung. © Golden Cosmos

Angefangen hat es vor neun Jahren, als der Freundeskreis sie überredete, sich doch auch ein Facebook-Konto einzurichten. „Damals war das ideal für mich“, erzählt die Unternehmensberaterin Monika Lehnert. „Ich konnte sehen, was meine Freunde im Ausland so treiben, und mit alten Kolleginnen in Kontakt bleiben, meine Facebook-Freunde waren wirklich meine Freunde. Ich habe mich richtig gefreut, eine neue Nachricht von ihnen zu lesen. Das hat sich mein Gehirn offenbar gemerkt.“

Denn was das Gehirn als belohnend…

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als belohnend einstuft, wird wiederholt, möglichst oft. Im Laufe der Zeit hat die Menge an Nachrichten bei Monika Lehnert immer weiter zugenommen. Aus ein paar Facebook-Freunden ist ein großer Kreis geworden. „Man unterhält sich mal zwei Stunden mit jemandem auf einer Party, schon ist man am nächsten Tag auf Facebook befreundet. Ich kenne jemanden, der postet jeden Morgen, welchen Song er gerade hört. Menschen, die mir nicht wichtig sind, posten Sachen, die mir noch unwichtiger sind.“ Und trotzdem verspürt die 49-Jährige immer wieder den Drang, bei Facebook reinzuschauen.

Die sozialen Netzwerke gehören zu unserem Alltag. Von denen, die in Deutschland das Internet nutzen, sind an die 60 Prozent bei Facebook aktiv, die Plattform ist vor allem in der Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen beliebt. Teenager ab zwölf Jahren dagegen zieht es immer häufiger zu Instagram. Mindestens die Hälfte von ihnen ist dort täglich unterwegs, während die noch Jüngeren vor allem TikTok nutzen. Für viele von uns allen fällt der erste Blick am Morgen auf die Benachrichtigungen im Smartphone, genauso wie der letzte Blick am Abend. Wir haben uns schon fast daran gewöhnt, dass mitten im Gespräch das Gegenüber kurz mal aufs Smartphone schaut, weil jemand was gepostet hat. Doch wie viel Aufmerksamkeit geht uns dadurch verloren? Und welche Nebenwirkungen hat das?

Zwischen Bewunderung und Verachtung

Der Blogger Jan Rein wollte es irgendwann genau wissen und fing an zu zählen. Das Ergebnis überraschte ihn selbst: 371-mal hatte er in einer Woche nach dem Smartphone gegriffen, dreimal pro Stunde. „Das Schlimme daran war, dass ich es nicht länger als 15 Minuten aushalten konnte, bevor ich wieder Facebook, Instagram, Snapchat oder Twitter checken musste“, erinnert sich der 28-Jährige. Es ist die Zeit seines Studiums, doch statt zu lernen, treibt er sich in sozialen Netzwerken herum. Es gibt für ihn keinen Moment der Ruhe oder Stille mehr, jede Lücke wird gefüllt. „Ich konnte nicht mehr mit mir selbst allein sein.“

Er wischt sich durch News und Informationen wie etwa vom Wissenschaftsmagazin Quarks. Oder er lenkt sich mit Trash-Unterhaltung ab und folgt sexy Instagramerinnen, die viel Haut zeigen. Jan Rein folgt Menschen, die was zu sagen haben, die er interessant oder attraktiv findet, die er bewundert, aber auch Menschen, die er verachtet. Er macht sich über peinliche Posts lustig und regt sich über vermeintlich dumme Influencer auf. Mit Schadenfreude genießt er es, wenn es in den Netzwerken zu einem Shitstorm kommt. „Für einen Moment fühlt man sich überlegen. Hinterher fühlt man sich schlecht“, sagt Jan Rein.

Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung könnten 2,6 Prozent der jungen Erwachsenen regelrecht süchtig nach Social Media sein. Andere Schätzungen gehen von höheren Zahlen aus. Ebenso wie etwa bei den Computerspielen oder Pornos wird exzessiver Social-Media-Konsum zu den Verhaltenssüchten gezählt. Sie aktivieren dieselben Belohnungszentren im Gehirn wie etwa Alkohol, Tabak oder Drogen, und auch die Symptome sind vergleichbar: Betroffene erleben Kontrollverlust, Entzugserscheinungen und Rück­fälle, wenn sie aussteigen wollen. Das Suchtmittel nimmt immer mehr Raum im Leben ein, alles andere gerät in den Hintergrund. An sozialen Netzwerken können Beziehungen zerbrechen, manche verlieren den Job.

Juckreiz im Kopf

Matthias Brand, Kognitionspsychologe an der Universität Duisburg-Essen, kennt viele Beispiele: eine 30-jährige Mutter, die ihren Kindern kein Abendbrot macht, weil sie es nicht schafft, sich vom Smartphone loszureißen. Oder ein junger Angestellter, der während einer Besprechung auf Facebook unterwegs ist, obwohl er wegen seiner Smartphonemanie bereits mehrfach ermahnt wurde.

Eine Social-Media-Sucht ist bislang nicht offiziell in den Katalog der psychischen Störungen aufgenommen worden, es gibt keine standardisierte Diagnose. So lässt sich auch nur schwer sagen, wo problematisches Verhalten aufhört und die Sucht beginnt (siehe Seite 77).

Es ist wie ein „Juckreiz im Kopf“, meint Monika Lehnert. Jede Pause, jeder kleine Moment des Stillstands ist eine Einladung, nur mal eben zu gucken, was auf Facebook in der Zwischenzeit passiert ist. Es gab eine Zeit, da hat sie keine Stunde ausgehalten, ohne online zu gehen. „Einfach mal auf dem Balkon sitzen, Kaffee trinken und in den Himmel gucken, das ging nicht mehr.“ Bloß keine Langeweile. „Ich habe mich dabei beobachtet und mich gefragt: Warum tust du das?“

Ein Film in voller Länge wird zum Problem

Eigentlich weiß Monika Lehnert, was gut für sie ist. Sie beschäftigt sich mit traditioneller chinesischer Medizin, geht regelmäßig laufen und unternimmt tagelange Touren mit dem Rad. Und ihr großer Freundeskreis im analogen Leben ist ihr wichtig. Doch als der Facebook-Konsum überhandnahm, traf sie sich immer seltener mit anderen. „Eigentlich brauche ich das: entspannt zusammenzusitzen und herzhaft zu lachen. Das ist ja etwas, was es online nicht gibt. Doch ich war am Abend einfach zu müde, um mich noch mit jemandem zu treffen.“

Auch ihre Konzentration habe durch den Facebook-Konsum erheblich nachgelassen, meint Monika Lehnert. Es falle ihr schwer, eine halbe Stunde bei einem Thema zu bleiben. Oder einen Film in voller Länge zu verfolgen, ohne zwischendurch aufs Smartphone zu gucken. „Mein Gehirn hat sich an den Takt gewöhnt, alle zwei Minuten ein neues Thema.“

Sie weiß, dass sie mit diesem Verhalten nicht allein ist. Wenn sie als Dozentin angehende Heilpraktiker unterrichtet, sitzen ihr erwachsene Menschen gegenüber, die ganzheitliche Behandlungsmethoden lernen wollen. „Doch nach 15 Minuten hat der Erste das Handy in der Hand. In der Pause hat schon jemand gepostet: ‚Sitze im Akupunkturkurs.‘“

„Facebook-Flow“

Warum verfallen so viele einer Technik, die ihnen nur in Maßen guttut? Manche Nutzer geraten offenbar in eine Art Rausch. „Ich bezeichne das als Facebook-Flow“, sagt die Psychologin Julia Brailovskaia von der Ruhr-Universität Bochum. „Diese Menschen tauchen in die schöne, bunte Welt der sozialen Netzwerke ein und vergessen alles um sich herum.“ Eigentlich ein schöner Zustand: „Man fokussiert seine Aufmerksamkeit auf die aktuelle Tätigkeit und geht vollständig darin auf.“ Anschließend ist man überrascht, wie viel Zeit unterdessen vergangen ist. In einer Studie konnte Julia Brailovskaia zeigen, dass Menschen, die auf Facebook einen solchen Flow erleben, besonders gefährdet sind, ein Suchtverhalten zu entwickeln.

Außerdem spielen offenbar Belastungen im Alltag eine Rolle. Brailovskaia und ihr Team befragten über 500 Personen zwischen 18 und 56 Jahren, die Facebook nutzten. Das Ergebnis: Wer täglich viel Stress erlebt, neigt deutlich stärker dazu, viel Zeit auf Facebook zu verbringen und eine ungesunde Bindung zu der Plattform zu entwickeln.

Wie bei der Spielsucht

Hinzu kommen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale. So schei­nen vor allem Menschen anfällig zu sein, die ein ausgeprägtes Zugehörigkeitsbedürfnis haben und immer Angst verspüren, etwas zu verpassen. Die sogenannte FOMO, fear of missing out (siehe Seite 78), ist unter Nutzern weit verbreitet. Doch vor allem Menschen mit einem hohen Selbstdarstellungsdrang sind gefährdet. Sie genießen die Bestätigung, die sie erhalten, wenn sie sich vor großem Publikum regelmäßig mit Fotos präsentieren. Wenn andere dann den Like-Button drücken, löst das Glücksgefühle aus. In einer Studie an der Freien Universität Berlin zeigte sich, dass die Nutzer, deren Gehirn am stärksten auf die Anerkennung reagierte, auch diejenigen waren, die täglich die meiste Zeit auf Facebook verbrachten.

Doch nicht jeder gefährdete Mensch wird unbedingt süchtig. Wichtig sei der Kontext der Interaktion, meint Kognitionspsychologe Brand: „Ich bin gestresst und suche Ablenkung. Wenn ich ein soziales Netzwerk besuche und mich hinterher wohler fühle, dann lernt mein Gehirn: Das hilft gegen Stress.“

Eine wichtige Rolle könnte dabei ausgerechnet die Erfahrung spielen, dass nicht jeder Besuch bei Facebook Glücksgefühle erzeugt. Oftmals scrollt man durch viele unnütze Informationen und Belanglosigkeiten, bis man dann doch auf einen interessanten Bericht, ein berührendes Bild stößt. „Intermittierender Verstärker“ heißt so eine Erfahrung in der Verhaltenspsychologie: eine Belohnung mit Unterbrechungen, auf die man sich nicht verlassen kann. Diese Unvorhersehbarkeit gilt als eine sehr wirksame Lernmethode. Man macht weiter in der Hoffnung, irgendwann wieder eine Belohnung zu erhalten. Es ist der gleiche Mechanismus, der auch einer Spielsucht zugrunde liegt: Man versucht es immer wieder.

Der Umweg über die Sucht

Und die Konzerne unterstützen das. Wie die meisten kostenlosen Internetangebote finanzieren sich auch soziale Netzwerke durch Werbung. Ihr Kapital ist die Aufmerksamkeit der Nutzer: Klickrate und Verweildauer entscheiden über den Erfolg. In dem Netflix-Dokumentarfilm Das Dilemma mit den sozialen Medien warnen ehemalige Mitarbeiter großer IT-Firmen wie Facebook, dass die Plattformen immer weiter darauf optimiert werden, ihre Nutzerinnen und Nutzer so lange und so oft wie möglich online zu halten und sie letztlich süchtig zu machen. Dazu tragen viele kleine Features bei, etwa Tagging: Wer auf Facebook von einer anderen Person auf einem Foto markiert wird, bekommt das Bild nicht einfach zugeschickt. Man muss sich stattdessen auf das Profil dieser Person begeben – ein Umweg, der neue Neugier wecken soll.

„Ich gebe zu, ich fühle mich sehr geschmeichelt, wenn die Leute schreiben: ‚Oh, deine Fotos sind so schön‘, oder: ‚Toll, was du schreibst.‘ Obwohl ich weiß, dass viele das nur tun, weil sie Follows und Likes zurückbekommen wollen“, sagt die Fotografin Nele Meyer. Die 22-Jährige gehört zu der Generation, die mit sozialen Netzwerken aufgewachsen ist. Bereits mit 14 Jahren hatte sie einen Facebook-Account. Zusätzlich ist sie auf Instagram unterwegs, wo sie fast 200 Personen folgt. „Das ist eigentlich mehr, als ich aufnehmen kann. Ich schaue da permanent rein und scrolle mich durch die Leute. Am Ende des Tages fühle ich mich einfach nur ausgelaugt und lustlos.“

Und neidisch und frustriert: Die anderen Fotografinnen und Fotografen, denen sie folgt, scheinen immer die tollsten Aufträge zu bekommen, treffen coole Leute oder machen die aufregendsten Reisen. Dagegen fühlt sich das eigene Leben monoton an. „Ich habe mich schon bei dem Gedanken ertappt, eine Backpacking-Weltreise zu machen, nur um nicht so langweilig zu sein“, erzählt die junge Frau, und das ist nicht als Witz gemeint. Dass sie ihr Onlineprofil schönt, deprimiert sie eher: „Das ist eine verzerrte Darstellung von etwas, was ich gerne wäre, aber gar nicht bin.“

Die Zahl der Likes als Maßstab

„Auf Facebook geht es genau darum: glucklicher auszusehen, als man ist“, schreiben Sarah Diefenbach und Daniel Ulrich in ihrem Buch Digitale Depression. Doch das „Glucks­wettrusten“, das in den sozialen Netzwerken stattfindet, kennt keine Gewinner. Richtig glücklich ist am Ende niemand. „Problematisch ist es, wenn das Berichten die Erfahrung verdrängt.“ Dann werden Erlebnisse nicht mehr danach bewertet, was sie einem in diesem Moment bedeuten, sondern wie sie sich in Posts aufbereiten lassen. Hauptsache, es sieht gut aus. Die Zahl der Likes wird zum Maßstab.

Interessanterweise gibt es in den sozialen Netzwerken mittlerweile zahlreiche Accounts, die sich mit Themen wie Achtsamkeit und Yoga beschäftigen. Coaches, Therapeuten geben ausgerechnet online Tipps, wie man seinen Facebook- oder Instagram-Konsum reduziert. Auch Nele Meyer folgt vielen „Leuten aus der Achtsamkeitsszene“ und scrollt täglich über Posts, die ihr aufzählen, „was ich alles machen müsste, um mich besser zu fühlen“. Dabei ist sie überzeugt: „Es ist egal, wie viel Yoga ich mache. Besser geht es mir nur, wenn ich eine Auszeit nehme und mich ein paar Tage von Instagram und Facebook zurückziehe.“ Ein paarmal hat sie das bereits versucht, doch nach kurzer Zeit war sie wieder zurück in ihren alten Gewohnheiten. Als Fotografin könne sie schließlich nicht auf die Werbung verzichten.

Sport, der bessere Flow

Die Nebenwirkungen von sozialen Netzwerken könnten womöglich schwere Folgen haben. In den vergangenen Jahren kam weltweit eine Reihe von Studien zu dem Ergebnis, dass ein intensiver Facebook-Konsum mit Depressionen, Angststörungen und sogar Suizidalität einhergehen kann. Je mehr Zeit jemand auf sozialen Netzwerken verbringt, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie unter psychischen Problemen leidet. Dabei treten Depressionen vor allem bei solchen Nutzern auf, die sich besonders stark mit anderen vergleichen.

Und auch der Umkehrschluss trifft zu: Maßhalten ist psychisch erholsam, wie Julia Brailovskaia und ihr Team gezeigt haben. In einer Studie forderten sie die Teilnehmenden auf, ihre tägliche Zeit auf Facebook um 20 Minuten zu reduzieren. Das entsprach ungefähr einem Drittel der durchschnittlich einen Stunde, die sie dort bisher verbracht hatten. „Schon das fiel den meisten schwer“, sagt die Psychologin. „Doch nach einer Weile entdeckten viele ihre Interessen wieder, die lange in den Hintergrund gerückt waren: ein Buch lesen, spazieren gehen, Sport treiben.“ Schon nach zwei Wochen fühlten sich die meisten besser: Sie rauchten weniger, bewegten sich mehr und zeigten weniger depressive Symptome als die Kontrollgruppe. Außerdem stieg ihre Lebenszufriedenheit. Das verbes­serte Wohlbefinden hielt auch noch drei Monate später an.

Der digitale Jo-Jo-Effekt

Wer die Kontrolle über seine Facebook-Nutzung zurückerlangen möchte, sollte reduzieren, statt ganz zu verzichten, meint Julia Brailovskaia: „Das ist ähnlich wie bei einer Diät. Es bringt nicht viel, in einer Woche mehrere Kilo abzunehmen und danach wieder weiterzumachen wie zuvor. Das führt zu einem Jo-Jo-Effekt.“ Für die Psychologin ist Sport das beste Mittel gegen zu viel Internet: Joggen zum Beispiel, Radfahren oder Schwimmen. Denn wer Sport treibt, hat zum einen weniger Zeit, sich in sozialen Netzwerken aufzuhalten. „Zum anderen kann das Flow-Erleben, das beim Sport einsetzt, sehr gut den in sozialen Medien erlebten Flow ersetzen.“

Auch Monika Lehnert hat inzwischen ihre Nutzung reduziert. „Die Benachrichtigungen habe ich ausgeschaltet, um nicht vom Klingeln oder Blinken abgelenkt zu werden.“ Sie ist weiterhin anderthalb Stunden pro Tag auf Facebook, aber – das ist ihr wichtig – nicht immer wieder zwischendurch, sondern kontrolliert dreimal pro Tag. Diese Zeiten einzuhalten kostet sie viel Mühe, und spätestens, wenn sie selbst mal wieder etwas postet, kann sie dem Drang nicht widerstehen. „Dann schaue ich zehnmal an einem Tag, ob jemand ein Like oder einen Kommentar geschickt hat.“

Jan Rein hat dagegen einen social media detox gemacht, eine totale Abstinenz. Für ein ganzes Jahr legte er seine Konten bei allen sozialen Netzwerken still und löschte die entsprechenden Apps auf seinem Smartphone. Plötzlich waren 30000 Freunde und Follower einfach weg. Die ersten Tage kreisten seine Gedanken ständig ums Internet: „Was passiert gerade auf Insta? Wie wurden meine letzten Facebook-Einträge aufgenommen?“ Ungefähr einen Monat lang kämpfte er gegen das hartnäckige Gefühl, etwas zu verpassen, und die Angst, in Vergessenheit zu geraten. Immer wieder erwischte er sich beim „Phantom-Swiping“: Wie ein ehemaliger Raucher, der unwillkürlich in die Jackentasche greift, in der er früher die Zigaretten aufbewahrte, wischte Jan Rein auf dem Smartphone immer wieder dorthin, wo vorher die Apps der sozialen Netzwerke waren.

Das Jahr Abstinenz ist gelungen. Um nicht rückfällig zu werden, hat sich Jan Rein danach Regeln aufgestellt. Seine Mails ruft er nur noch einmal pro Tag ab. Auf Instagram ist er nur noch, um ab und zu auf seinen Blog „Satte Sache“ aufmerksam zu machen. Wenn er arbeitet, liegt sein Smartphone in einem anderen Zimmer. „Ich will nicht mehr die ganze Zeit im Alarmzustand sein.“ Seine Freunde haben sich daran gewöhnt, dass er nicht mehr rund um die Uhr online ist und dass sie anrufen müssen, um ihn kurzfristig zu erreichen.

Bin ich süchtig?

Die Bergen Facebook Addiction Scale ist ein an der Universität Bergen entwickelter Fragebogen, um eine Facebook-Sucht zu erkennen. Er lässt sich auf andere soziale Medien übertragen.

Wie oft…

  • denke ich an Facebook und an meinen nächsten Besuch auf der Plattform?

  • fühle ich den Drang, immer häufiger Facebook zu nutzen?

  • benutze ich Facebook, um mich von persönlichen Problemen abzulenken?

  • habe ich bereits versucht, meine Zeit auf Facebook einzuschränken, aber ohne Erfolg?

  • werde ich unruhig und gereizt, wenn es mir nicht erlaubt ist, Facebook zu nutzen?

  • hat mein Facebook-Konsum negative Auswirkungen auf meine Arbeit (beziehungsweise mein Studium)?

Die fünf Antwortkategorien reichen von „sehr selten“ bis „sehr oft“. Eine problematische Nutzung sozialer Medien ist wahrscheinlich, wenn man vier der sechs Fragen mit „oft“ oder „sehr oft“ beantwortet. Allerdings: Auch wer sich in weniger Fragen wiedererkennt, sollte seine Nutzung überdenken.

Literatur

Sarah Diefenbach, Daniel Ulrich: Digitale Depression. Wie neue Medien unser Glücksempfinden verändern. Mvg, München 2016

Julia Brailovskaia u.a.: The brave blue world: Facebook flow and Facebook Addiction Disorder (FAD). Plos One, 13/7, 2018, e0201484

Christian Montag: Homo Digitalis. Smartphones, soziale Netzwerke und das Gehirn. Springer, Wiesbaden 2017

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2021: Wege aus der Depression