Manche Songs kann ich nur hören, wenn sonst niemand im Zimmer ist, weil mir sofort die Tränen kommen. Hero zum Beispiel, von der Band Family of the Year. Dessen Refrain ist es auch, der mir nicht aus dem Kopf gehen will, nachdem ich Herrn W. verabschiedet habe nach unserem Erstgespräch: I don’t wanna be your hero, I don’t wanna be a big man, I just wanna fight like everyone else.
60 Minuten zuvor allerdings höre ich zunächst eine Heldengeschichte neiderregenden Ausmaßes: Schon in der Schule ein Überflieger, zudem noch erfolgreich bei Mädchen, schon vor dem Juraabschluss hohes vierstelliges Gehalt, die Karriereleiter hinauf in schnellen Schritten, jetzt bei einer der renommiertesten Anwaltskanzleien Europas. Seit seinem 30. Geburtstag hat Herr W. aber immer wiederkehrende „Tiefs“, wegen derer er schon eine ganze Phalanx an Coaches und Motivationstrainern besucht hat.
Die depressiven Episoden wurden dadurch aber nur länger und tiefer; anscheinend wertet Herr W. sich selbst stark dafür ab, dass er die teuren und vermeintlich bewährten Tipps der Erfolgstrainer für sich selbst nicht umsetzen kann. Vor einem guten halben Jahr dann wurde eine stationäre Klinikbehandlung unumgänglich, die er in seinem Büro aber als „schwerwiegende Organstörung infolge einer bislang unbekannten Lebensmittelunverträglichkeit“ getarnt hat. „Fantasie hat er also auch noch“, denke ich, „verdammt!“
Ein Mann hat keine Probleme
In der Klinik geriet er schließlich an eine Psychologin, mit der er ganz gut zu Themen wie „Bedürfniswahrnehmung“ und „Selbstachtung“ arbeitete und die ihm zum Schluss riet, er solle sich für die Anschlussbehandlung unbedingt einen männlichen Therapeuten…
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