Hormongesteuert?

Zwei Bücher erklären auf unterhaltsame Weise, wie die Botenstoffe unser Leben beeinflussen.

Hormone haben viel mit untenrum zu tun. Meint man. Und natürlich auch mit obenrum: Busen oder breite Schultern. Offenbar assoziieren die meisten Menschen mit Hormonen: Sex, Lust, Unlust, Pille, Pubertät, Frauen und ihre Tage oder Potenz. Und sie meinen damit Östrogen und Testosteron. Fast niemand sagt: Meine Fettzellen produzieren in letzter Zeit viel zu wenig Leptin. Oder: Vasopressin hemmt schon wieder meine Urinausscheidung. Wenn wir etwas länger nachdenken, fallen uns außer Östrogen und Testosteron wahrscheinlich noch Adrenalin (Stress!) und Serotonin (Glückshormon!) ein oder auch Oxytocin und Insulin. Aber das war’s dann meistens. Kaum jemand weiß, was ein Hormon genau ist und wie das weitverzweigte Hormonsystem in unseren Kör­pern wirkt. Oder ganz obenrum: in unseren Köpfen.

Zwei Aufklärungsbücher zum Thema Hormone machen deutlich, dass wir vieles noch gar nicht verstanden haben. Rund 150 Botenstoffe sind bekannt, es wird jedoch vermutet, dass es mehr als 1000 geben könnte. Diese Zahl lesen wir im Buch Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt von Franca Parianen. Sie hat zunächst am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig und dann an der Universität Utrecht zum Themenkomplex Hormone und Neuronen geforscht. Das zweite Buch ist die exzellente Recherchearbeit Das sind die Hormone der Journalistin Nataly Bleuel.

Franca Parianen hat sich als Science-Slammerin einen Namen gemacht und vor drei Jahren den Bestseller Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage? geschrieben. Auch das neue Buch verspricht Verständlichkeit und Unterhaltung, denn wer auf den Bühnen der Science-Slams auftritt, möchte, dass das Publikum Take-Home-Messages bekommt und Spaß dabei hat.

Eine junge, freche Sprache

Gleich in der Einleitung führt die Autorin ein Stilmittel ein, das sie im ganzen Buch regelmäßig einsetzt. Sie verwandelt Hormone in Subjekte, macht sie zu Personen, die auftreten und sprechen. So begegnen wir dem Melatonin, das stöhnt und langsam nervös wird, weil das blaue Licht des Handybildschirms seinen Einsatz für den Schlaf verhindert, oder dem Kortisol, das mit eiligen Schritten um die Ecke kommt. Es kann auch sein, dass „der Darm herausfordernd blinzelt“, bevor er sich ans Gehirn wendet. Das darf dann schon mal nach Comic klingen: „Grrr.“ „Ähm.“ „Autsch!“ „Seufz.“ Wer das mag, kringelt sich. Wer nicht, reagiert genervt.

So oder so – diese Autorin hat Humor, auch wenn sie es vor allem in den ersten Kapiteln doch manchmal übertreibt. Ihre Sprache ist jung, frech, locker. Es könnte sein, dass der ältere Leser das eine oder andere Wort im Urban Dictionary nachschauen muss.

Trotz aller Lockerheit ist das Lesen kein Spaziergang. Es ist nun mal ein ungeheuer komplexes und kompliziertes biochemisches Netzwerk, dem die Forscherin Parianen auf über 500 Seiten gerecht werden will. Schnell wird dabei klar, dass jeder Mensch sein Leben lang ein „hormonelles Großbauprojekt“ bleibt. Dass ohne Botenstoffe nichts funktioniert, es kein Thema unserer körperlichen und seelischen Verfassung gibt, bei dem Hormone nicht mitreden. Und doch sind wir keine Hormonroboter. Parianen formuliert es so: „Hormone sind immer nur ein notwendiges Kriterium, nie ein hinreichendes.“ Und: „Das, was Hormone tun, entscheidet das Gehirn, auf das sie treffen.“ Wenn ein Mann also aggressiv oder sexuell übergriffig ist, liegt es nicht am Testos­teron. Er braucht Testosteron dazu, aber während der eine Mann mit viel Testosteron im Blut zum Schläger und Vergewaltiger wird, tut der andere mit ebenso hohen Werten keiner Frau und keiner Fliege was zuleide.

Der große Bogen

Es wird klar, um was es geht: Ob Gewalt oder Sex, ob Burnout, Angst oder Depression, ob Liebe oder ADHS, die Hormone sind beteiligt, im Positiven wie im Negativen, aber sie sind nicht schuld. Parianen wehrt sich vehement gegen Vereinfachungen, gegen „Mythen und Irrwege“. Sie spannt den Bogen von physiologischen Fakten (Erdferkel haben das gleiche Testosteron wie wir) übers Basiswissen, wo im Körper Hormone gebildet werden (Drüsen, Knochen, Gedärme, Plazenta oder direkt im Gewebe), bis zu Donald Trump, der ein Hormonpräparat ge­gen seinen Haarausfall schluckt und damit Nebenwirkungen untenrum riskiert – ebenso wie obenrum (irreversibles Brustwachstum) und ganz obenrum: „kognitive Defizite, Reizbarkeit, (...) Verlust des Kurzzeitgedächtnisses“. Die Autorin bringt den lässigen Umgang mit diesen Hormonpillen auf den Punkt: „Solange sie Haare machen, ist mir das egal!“

Hormonähnliche Substanzen, so etwa Plastikkomponenten, die das fein austarier­te Zusammenspiel der Hormone durcheinanderbringen, nimmt Parianen mit deutlichen Worten ins Visier. Ausgesprochen gelungen ist auch das Genderkapitel. Gekonnt verschränkt sie wissenschaftliche Fakten mit gesellschaftspolitischen wie kulturellen Fragen. Sie braucht dazu kein einziges Gendersternchen. Sehr schade, dass dieses detailreiche und kluge Buch kein Register hat.

Ein lebensnahes Buch

Nataly Bleuels Buch hat dankenswerterweise ein Register. Die Autorin folgt Kapitel für Kapitel der menschlichen Lebenslinie. Dieses Konzept wird noch unterstrichen, indem sie jeder Lebensphase eine Gesprächsrunde mit Teilnehmern des entsprechenden Alters voranstellt: Pubertät, Geburtszeit, Mitte des Lebens, Wechseljahre, Alter. Schnell wird deutlich, dass wir besonders in körperlichen Umbauphasen für Stimmungsschwankungen anfällig sind. Das gilt auch für Männer. Und ja, auch sie haben Wechseljahre. Und ja, auch sie brauchen Östrogene – zum Denken, Lernen, Gedächtnisbilden.

Der Leser von Das sind die Hormone erhält einen Grundkurs Botenstoffe, einen Abriss der Geschichte der Hormonforschung und er wird mit herrlich unwichtigem Wissen beschenkt, etwa dass eine Fruchtfliege bei einer Lufttemperatur von 30 Grad schwul wird.

Bleuels Mix ist gut, ihre Sprache lebendig und anschaulich. Sie bietet Basiswissen, ohne den Leser zu erschlagen, sie schafft es, das vielschichtige und überbordende Thema so zu reduzieren, dass sie es nicht verfälscht, aber mit Klischees aufräumt. Das Buch ist lebensnah, auch wegen Bleyels Conclusio. Auf den zusammenfassenden Seiten führt sie aus, wie verschiedene Kulturen, wie Politik, Pharmafirmen und Tabus zusammenwirken. Und vor allem, welche Chance für jeden Einzelnen darin besteht, Sichtweisen zu untenrum oder obenrum zu hinterfragen. Denn, so Bleuel frei nach Bert Brecht: „Der Mensch denkt, das Hormon lenkt.“

Franca Parianen: Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt. Wie Tes­tosteron, Endorphine und Co. unser Leben beeinflussen. Rowohlt, Hamburg 2020, 539 S., € 18,–

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2020: So gelingt Entspannung
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