Getragen von Zufriedenheit

Psychologie nach Zahlen: Was brauchen Menschen, um im Leben zufrieden zu sein? ► Vier Faktoren. Na ja, bei manchen von uns sind es auch nur drei.

Die Illustration zeigt verschiedene Menschen, die auf Baumkronen sitzen und liegen und dabei entspannt den Sonnenuntergang genießen
Auf diesen Säulen haben Sie immer Sonnenschein. © Till Hafenbrak

Was brauchen Menschen, um zufrieden zu sein? Eine Familie? Ganz viel Geld? Weder noch, sagt ein amerikanisch-kanadisches Team von Psychologen. Mike Morrison und seine Kollegen erforschen, was essenziell für unser Wohlbefinden ist – und eine aktuelle Studie der Zufriedenheitsforscher bietet neuen Aufschluss. Dafür bedienten sie sich einer der umfangreichsten statistischen Erhebungen der Welt, der World Poll („Weltbefragung“) des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup. Mehr als 1,7 Millionen Menschen in 166 Ländern nahmen an ihr teil und gaben entweder schriftlich, telefonisch oder von Angesicht zu Angesicht mit dem Interviewer ihre Antworten. Das Alter der Befragten lag zwischen 15 und 99 Jahren. Dadurch konnten die Forscher nachverfolgen, wie sich das Wohlbefinden von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt verändert – und ob es generell zu- oder abnimmt. Die Wissenschaftler hielten vier Faktoren fest, die das Gros der Weltbevölkerung zufrieden machen und von denen zumindest drei zentral für das Wohlbefinden sind.

1. Arbeit

Einer bezahlten Beschäftigung nachgehen zu können macht Menschen zufrieden. Für beide Geschlechter ist die zielgerichtete, entlohnte Beschäftigung eine zentrale Quelle von Wohlbefinden. „Dies gilt kulturübergreifend und ist konsistent in allen Weltregionen“, schreiben die Wissenschaftler. Selbst die Partnerschaft erfülle die meisten Menschen nicht so sehr wie die Berufstätigkeit, besonders im mittleren Alter – um das fünfzigste Lebensjahr herum. Dabei bereitet, wenig überraschend, eine komplexe, herausfordernde Arbeit mehr positive Gefühle als eine monotone manuelle Tätigkeit. Das liege nicht allein daran, dass Blue-Collar-Berufe – also zupackende Tätigkeiten im Arbeitsoverall – generell weniger gut bezahlt sind als White-Collar-Jobs im Büro: „Aspekte wie Abwechslung, Vielfalt der Aufgaben und die Autonomie, jene Aufgaben nach eigenem Gutdünken ausführen zu können, tragen zu den positiven Gefühlen bei, die Menschen aus ihrem Beruf schöpfen“, so die Forscher. Ebenso förderlich für das Wohlbefinden sei die Sicherheit des Arbeitsplatzes und ein Minimum an arbeitsbedingten Gesundheits- und Sicherheitsrisiken.

2. Sinn

Einen Sinn in seinem Leben zu spüren trägt ebenfalls im großen Maße zur Zufriedenheit bei. „Unsere Studie ist die erste Untersuchung, die den Zusammenhang zwischen einem Lebenssinn und subjektivem Wohlbefinden im Laufe des gesamten Lebens und in verschiedenen Regionen der Welt dokumentiert“, betonen die Wissenschaftler – und stellen fest: „Über die gesamte Lebensspanne und in jeder Region der Welt hatten Menschen mit einem Lebenssinn ein deutlich höheres Wohlbefinden als jene ohne.“ Genau zu wissen, was man vom Leben will und was sein Zweck ist, verleiht dem persönlichen Dasein tiefe Bedeutung – und spielt mit zunehmendem Alter eine etwas größere Rolle. Sinn ist laut den Forschern auch deshalb so zentral für das Wohlbefinden, weil er als Orientierung dient: Er ist eine Art Kompass, der einem im Leben zumindest die grobe Richtung anzeigt, in der es weitergehen soll (siehe Heft 6/2020: Wo es uns hinzieht). Wer einen Sinn in seinem Leben sieht, dem fällt es leichter, für sich Ziele, Wünsche und langfristige Aktivitäten wie etwa Berufswahl und Karriere zu definieren.

3. Anderen helfen

Auch prosoziales Verhalten macht zufrieden. Seinen Mitmenschen zu helfen sei eine Quelle von positiven Gefühlen, stellen Mike Morrison und seine Kollegen fest. „Die Hilfsbereitschaft steigt mit dem zunehmenden Alter“, so die Forscher. Das entspreche der „sozioemotionalen Selektivitätstheorie“, der zufolge Menschen ihre Prioritäten neu überdenken, wenn sie älter werden – und immer stärker bedeutungsvolle Aktivitäten sowie Bindungen zu ihrer Mitwelt bevorzugen. Zu den prosozialen Handlungen, die die Umfrage als wohltuend ermittelte, zählen unter anderem freiwillige Mitarbeit bei wohltätigen Einrichtungen und die spontane Unterstützung von Mitmenschen, die Hilfe benötigen. Selbst das einmalige Spenden von Geld und Gegenständen an Bedürftige stimmt langfristig zufrieden, stellten die Forscher fest – weil die Erinnerung daran, anderen Menschen beigesprungen zu sein, immer wieder aufs Neue gute Gefühle wachrufen kann.

4. Die Ehe (ein bisschen)

Obwohl die Ehe dem Gros der Weltbevölkerung keine so anhaltende Zufriedenheit bereitet wie die anderen drei Faktoren, scheint sie doch eine gewisse Rolle für das Wohlbefinden zu spielen: „Verheiratete haben über die gesamte Lebensspanne eine etwas höhere Lebenszufriedenheit als unverheiratete Menschen“, so die Forscher. Allerdings ist dieser Unterschied sehr gering – die Studienautoren nennen ihn sogar „fast trivial“. Die relativ geringe Bedeutung der Ehegemeinschaft für die Lebenszufriedenheit gilt sowohl für Frauen als auch für Männer. Im jüngeren Alter, etwa kurz nach der Hochzeit, scheint die Ehe einen stärkeren Einfluss auf individuelle Glücksgefühle zu haben. Bei vielen verblasst dies jedoch mit den Jahren. Womöglich liegt das daran, dass Verheiratetsein auch immer wieder zu Konflikten und Herausforderungen führen kann, denen Singles nicht so stark ausgesetzt sind.

Und noch etwas erkannten die Forscher: „Viele Menschen glauben, dass sie mit zunehmendem Alter immer unzufriedener werden und ihre besten Tage hinter sich lassen müssen“, schreiben Morrison und seine Kollegen. „Dies ist ganz klar nicht der Fall, wie unsere Studie zeigt.“ Die Lebenszufriedenheit nehme für die meisten Menschen im Laufe der Zeit nur geringfügig ab.

Andrew Jebb, Mike Morrison, Louis Tay, Ed Diener: Subjective well-being around the world: Trends and predictors across the life span. Psychological Science, 2020. DOI: 10.1177/0956797619898826

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