Meine Mutter war der wundervollste und nervigste Mensch, den ich je gekannt habe. Sie war ein Narzisst.“ So beginnt der Psychotherapeut Craig Malkin, Dozent an der Harvard Medical School, sein Buch über die dunklen, vor allem aber über die hellen Seiten des Narzissmus. Malkin beschreibt seine Mutter als „strahlende Figur meiner Kindheit, unbändig kontaktfreudig, ansteckend komisch. Die Welt schien sich um sie herumzudrehen.“ Diese Frau verstand es, sich in Szene zu setzen. Haushalt, Kinder, Gemeindearbeit: Sie managte alles, sie allein. Sie engagierte sich für jedes soziale Projekt, sei es das Säubern des Spielplatzes oder der Kuchenverkauf für einen guten Zweck. Abends plauderte sie von ihren Heldentaten. Sie sonnte sich in ihrer Güte, ihrem Engagement, ihrer Perfektion. Doch wehe, ein anderer machte ihr die Rolle streitig oder wagte es, allzu ausführlich von seinen eigenen Erfolgen zu reden. Dann reagierte sie schnippisch, abweisend, bisweilen mit Liebesentzug. Eingefleischte Narzissten halten es wie der Highlander: Es darf nur einen geben! Auf dem Sockel stehe ich und nur ich!
Man kann den Eindruck gewinnen, wir seien heute von Narzissten umzingelt. Bücher zum Thema boomen. Sie tragen Titel wie „Hilfe, mein Partner/mein Chef ist Narzisst“ und handeln davon, wie man sich vor diesen Leuten schützt. Narzissmus ist ein seit Jahren aufstrebender Suchbegriff bei Google, Artikel zum Thema werden im Internet oft geteilt und verbreiten sich inflationär. „Heutzutage hat es den Anschein, als ob fast jeder ein Narzisst ist“, konstatiert der Psychotherapeut Joseph Burgo, Autor des Buches The Narcissist You Know.
Tatsächlich diagnostizierte die Persönlichkeitsforscherin Jean Twenge von der San Diego State University eine „narzisstische Epidemie“: Ähnlich wie die Fettleibigkeit in der Bevölkerung seien auch die Rohwerte im diagnostischen Standardinventar für Narzissmus, dem Narcisstic Personality…
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