Die erste Frage lautet häufig: Junge oder Mädchen? Von all den Dingen, die wir bei der Geburt eines Kindes fragen könnten – Klein oder groß? Lebhaft oder ruhig? Wie schön? –, entscheiden wir uns für sie, weil uns die Antwort als das Aussagekräftigste erscheint. Kaum jemand weiß, wann er sich das erste Mal als Junge, sie sich als Mädchen fühlte. Und warum. War es ein Blick zwischen die Beine? Eine Erklärung der Eltern? Das Pronomen „er“ oder „sie“? Vielen erscheint die Sache derart klar, dass sie schon die…
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derart klar, dass sie schon die Frage, warum sie sich mit dem einen oder dem anderen Geschlecht identifizieren, erstaunt.
Eine kleine, aber wachsende Gruppe, die damit kämpft, sich in klassische Frau-Mann-Schemata einzuordnen, hat unser Verständnis von Geschlecht erweitert. Insbesondere in Großstädten will sich ein Teil des jungen gebildeten Milieus nicht mehr für ein Geschlecht entscheiden. Sie sehen sich als nichtbinär an, das heißt, sie identifizieren sich mit keinem Geschlecht, mit beiden Geschlechtern oder einem dritten. Eines ihrer Vorbilder ist Ruby Rose, australische Schauspielerin und Model. Rose, die als genderfluid gilt, erklärte es einmal so: Sie erwache jeden Morgen „geschlechtsneutral“. Als biologische Frau, die mit „sie“ angesprochen werden will, stylt Rose sich oft auf eine Art, wie man sie eher von Männern kennt: Kurzhaarfrisur, Tattoos, Skaterklamotten. Auf manchen Preisverleihungen erscheint sie im Anzug – auf anderen im Abendkleid. Teenager tun es ihr nach.
Bei einer Umfrage unter eintausend US-Amerikanern zwischen 18 und 34 Jahren stimmte die Hälfte dem Satz zu: „Geschlecht ist ein Spektrum, und einige Menschen fallen aus den klassischen Kategorien heraus.“ Von New York bis San Francisco suchen Teenager Rat in Jugendkliniken, weil sie sich für transsexuell halten: Sie haben den Körper des einen Geschlechts, fühlen sich aber dem anderen zugehörig. Laut der University of California bezeichnen sich in den USA 150 000 Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren als transgender, knapp ein Prozent dieser Altersgruppe.
Transgender als Identitätsschablone?
Wie viele Mädchen und Jungen in Deutschland transgender sind, weiß niemand. Fest steht, dass sich auch hierzulande die Zahlen vervielfacht haben. In der Spezialambulanz der Hamburger Uniklinik haben seit ihrer Gründung 2006 rund 800 Kinder und Jugendliche eine Therapie wegen Geschlechtsdysphorie begonnen – so die medizinische Diagnose dafür, wenn man darunter leidet, im falschen Körper zu stecken. 2018 waren es allein 180 Neuanmeldungen. Die Wartezeit für einen Therapieplatz beträgt bis zu einem Jahr.
Der Kinderpsychiater Alexander Korte berät seit 15 Jahren Heranwachsende mit „Störungen oder Besonderheiten in der sexuellen und geschlechtlichen Identitätsentwicklung“. Den leitenden Oberarzt am Münchner Uniklinikum irritiert der Ansturm der letzten Jahre. Manchmal kommen zu ihm vier, fünf Teenager aus demselben Dorf oder von einer Schule, überzeugt davon, trans zu sein. „Da bin ich skeptisch“, sagt Korte. „Es widerspricht jeder medizinischen Wahrscheinlichkeit, dass bei allen eine überdauernde transsexuelle Entwicklung vorliegt.“
Der Kinderpsychiater begrüßt, dass die Gesellschaft mehr Abweichungen vom heterosexuellen Frau-Mann-Schema zulässt. Dank der gewachsenen Akzeptanz suchten Jugendliche Hilfe, die tief überzeugt transsexuell seien und die sich früher womöglich nicht getraut hätten, das zu äußern. Für viele Heranwachsende in seiner Sprechstunde gelte aber etwas anderes: „Wir sollten darüber nachdenken, ob wir es nicht auch mit einem Zeitgeistphänomen zu tun haben könnten“, sagt Korte, „das Thema Transgender wird momentan sehr gehypt.“
In der Pubertät, dieser Zeit der Neuerfindung, des Ausprobierens von Sexualität, des Zusammensetzens einer eigenen Identität, suchen Teenies Vorbilder. „Transgender bietet ihnen eine Identitätsschablone“, sagt Psychiater Korte. „Die Jugendlichen bekommen Aufmerksamkeit, oft auch Zuspruch.“ Sie haben eine Antwort auf die Frage, was mit ihnen los ist – obwohl vielleicht etwas ganz anderes los ist. Korte schaut darum genau hin. Er prüft etwa, wie dauerhaft ihre Überzeugung ist, im falschen Körper zu stecken. Wünschen die Jugendlichen eine Hormonbehandlung, ein Leben mit neuem Namen und anderem Körper? Oder bleibt die Identifikation mit dem anderen Geschlecht eine Phase, arrangieren sich die Teenager mit ihrem Körper und finden darin zu einer Identität? Sind sie transgender? Sind sie transsexuell? (Siehe Kasten.) Was in dieser Form eine Minderheit beschäftigt, lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Frage, die sich allen stellt: Wie entwickelt sich unsere Geschlechtsidentität?
So einfach wie im Biounterricht ist es nicht
Im Biologieunterricht lernten viele Schüler: Wer XX-Geschlechtschromosomen hat, ist eine Frau, Menschen mit XY sind Männer. Doch so eindeutig ist die Biologie nicht immer.
Denn all die Elemente, aus denen sich Weiblichkeit zusammensetzt – etwa Eierstöcke, Vagina, weibliche Geschlechtsidentität, feminines Verhalten – gehen nicht zwingend mit XX-Chromosomen einher. Genauso wenig garantiert die XY-Ausprägung Hoden, Penis oder maskulines Verhalten. Manche Menschen haben XX-Chromosomen und den Körper, inklusive der Genitalien, eines Mannes – XY-Personen können sehr feminin sein. Von allem gibt es Ausnahmen. In seltenen Fällen kommt ein Kind sogar mit solch einem mehrdeutigen Körper zur Welt, dass es sich weder als Junge noch als Mädchen einordnen lässt. Es hat zum Beispiel äußere weibliche Geschlechtsmerkmale, aber im Bauchraum Hoden, es ist also intersexuell: im biologischen Sinn weder eindeutig weiblich noch männlich. Kein medizinischer Test – weder Genanalysen noch Hirnscans und Hormonlevelmessungen – kann zweifelsfrei bestimmen, ob es sich im biologischen Sinn um Mann oder Frau handelt. Schätzungen zufolge gilt das für 0,1 Prozent der Deutschen, gut 80 000 Personen. Seit kurzem kann daher „divers“ als drittes Geschlecht ins Geburtenregister eingetragen werden.
Wenn schon die Biologie so viele Graustufen zwischen Mann und Frau zulässt, wie weit reicht dann erst das Spektrum des empfundenen und gelebten Geschlechts?
Das biologische Geschlecht und das soziale
Anders als das Englische unterscheidet die deutsche Sprache nicht zwischen biologischem (sex) und sozialem (gender) Geschlecht. Jemand kann alle körperlichen Merkmale einer Frau haben – aber sich trotzdem als Mann fühlen. Das gilt für die transsexuellen Kinder und Jugendlichen, die bei Alexander Korte und anderen Psychiatern Rat suchen. Sie leiden zutiefst darunter, wie anatomisches und empfundenes Geschlecht voneinander abweichen: Ihr Risiko, eine Depression, Angststörung oder Suizidgedanken zu haben, ist im Vergleich zu Gleichaltrigen um das Zwei- bis Dreifache erhöht.
Die Unterscheidung in sex und gender prägte 1955 der Psychologe John Money; in den sechziger und siebziger Jahren übernahmen Feministinnen das Modell. Zu der Zeit beschäftigte sich Money an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore mit der Frage, inwieweit die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen durch Erziehung beeinflusst werden kann. 1967 suchten die Eltern von Bruce Reimer den Rat des Sexualforschers. Bei einer Operation des Jungen im Alter von acht Monaten war sein Penis irreparabel verletzt worden. Money riet den Eltern daher zu einer Geschlechtsanpassung. Mit 22 Monaten wurden Bruce die Hoden entfernt und aus der Haut Schamlippen geformt; später erhielt er Östrogen.
Das Geschlecht – nur ein soziales Konstrukt?
Money bot sich die seltene Gelegenheit, seine These zu prüfen, wonach das Umfeld die Geschlechtsidentität mehr präge als Gene und Genitalien. Denn „Brenda“, wie Bruce nun genannt wurde, hatte einen Zwillingsbruder. Würde sich „Brenda“ ähnlich entwickeln wie er – oder wie ein Mädchen?
Jahrelang ließ Money „Brenda“ zu Untersuchungen antreten, befragte sie nach ihrem bevorzugten Spielzeug und späteren Heiratswünschen. In zahlreichen Fachartikeln beschrieb er den „John/Joan“-Fall als Erfolgsbeispiel: „Brenda“ – anonymisiert „Joan“ – wachse zu einem normalen Mädchen heran. Geschlecht, da war Money überzeugt, sei ein soziales Konstrukt. Judith Butler, Philosophin und Gendertheoretikerin, löste die Unterscheidung in sex und gender Anfang der neunziger Jahre ganz auf. Für sie ist nicht nur das soziale, sondern auch das biologische Geschlecht gesellschaftlich bestimmt. Folgt man Butler, erzeugen zum Beispiel nicht geschlechtsspezifische Hirnstrukturen höhere Kooperationsbereitschaft bei Frauen und größeres Hierarchiebedürfnis bei Männern: Erst die unterschiedlichen Erwartungen der Gesellschaft sorgen dafür, dass Frauen sich kooperativer, Männer wettbewerbsorientierter verhalten – und als Folge entsprechende neuronale Strukturen ausbilden. Nicht die Biologie prägt das Verhalten, sondern das Verhalten die Biologie.
Der Fall "Brenda" Reimer
Ausgerechnet John Moneys „John/Joan“-Experiment, der ja ursprünglich dasselbe behauptet hatte, zeigt jedoch das Gegenteil. 1997 ging Moneys ehemaliger Patient „Brenda“ Reimer an die Öffentlichkeit. Anders als von Money behauptet, war er nicht zu einem normalen Mädchen herangewachsen, im Gegenteil. Als er mit 13 Jahren drohte, sich umzubringen, erzählte ihm sein Vater, dass er als Junge auf die Welt gekommen war. Reimer legte den Namen „Brenda“ ab und nannte sich David, er nahm Testosteron und unterzog sich geschlechtsangleichenden Operationen. Sein Leben lang litt er unter Depressionen, 2004 beging er Suizid.
Auch unter dem Einfluss von John Moneys Studien herrschte lange die Annahme, dass Geschlechtsidentität in den ersten Lebensjahren entsteht und sich danach kaum noch ändert. Schon Babys lernen, Personen nach Geschlecht zu unterscheiden. Mit eineinhalb Jahren können sie Wörter wie „Junge“ und „Frau“ männlichen und weiblichen Gesichtern zuordnen; mit zwei kennen sie Geschlechterklischees, verbinden etwa Frauen mit Lippenstift; die meisten Dreijährigen bezeichnen sich und andere mit passenden Geschlechterbegriffen. In dieser Zeit suchen Kinder gleichgeschlechtliche Freunde. Viele Mädchen gehen durch eine pinke Prinzessinnenphase, Jungen bevorzugen Superheldenkostüme und Fußballtrikots. Es lässt sich einwenden, dass die Vorlieben anerzogen sind, absichtlich oder unbewusst gefördert von Eltern. Zu einem Teil stimmt das wohl, denn die Geschlechterunterschiede wachsen mit dem Alter. Andererseits zeigen sogar männliche und weibliche Affen leichte Präferenzen für geschlechtertypisches Spielzeug – und denen dürften unsere gesellschaftlichen Erwartungen recht egal sein.
Transjungen spielen lieber mit Jungen
Auch Studien mit Transgenderkindern, die in den letzten Jahren dank erhöhter Fallzahlen möglich wurden, deuten darauf hin, dass die Geschlechtsidentität früh entsteht. Die Entwicklungspsychologin Kristina R. Olson von der University of Washington begleitet etwa 300 transgeschlechtliche Kinder zwischen drei und zwölf Jahren. „Was mich an unseren bisherigen Befunden am meisten überrascht hat, ist, auf wie viele Weisen die frühe Entwicklung von Transkindern der ihrer Geschlechtsgenossen gleicht“, so Olson. In einem Test zeigte sie jungen transgeschlechtlichen Probanden Fotos anderer Kinder. Jeder darauf habe ein bestimmtes Hobby, so die Versuchsleiterin, zum Beispiel: „Das ist Amanda, und sie spielt gern Flerp. Das ist Andrew, und er mag Babber.“ Tatsächlich bestanden die Hobbys aus Fantasiewörtern. Die Kinder sollten nun angeben, ob sie Flerp oder Babber bevorzugten. Transjungen, also biologische Mädchen, die sich mit dem männlichen Geschlecht identifizierten, entschieden sich meist für Babber; Transmädchen wählten eher Flerp, so wie die nichttransgeschlechtlichen Mädchen ihres Alters. Bei ähnlichen Tests fand Olson heraus, dass Transjungen lieber mit biologischen Jungen spielen; sollten Transmädchen ihre Zukunft beschreiben, sahen sie sich als Frau.
Doch selbst wenn der Grundstein dafür in der Kindheit gelegt wird: Die Entwicklung der Geschlechtsidentität endet nicht damit. Denn „geschlechtsatypisches“ Verhalten zeigen viele Kinder. Beim Großteil hört es jedoch spätestens in der Pubertät auf. Von den Transkindern bleiben letztlich – je nach Studie – zwei Drittel bis 90 Prozent bei ihrem biologischen Geschlecht. Die Pubertät mit ihren ersten sexuellen Erlebnissen, der vermehrten Ausschüttung von Sexualhormonen und der allgemein steigenden Relevanz des Themas Geschlecht kann das Empfinden dafür ändern – oder festigen.
Wie lang sich die Geschlechtsidentität im Lauf des Lebens wandelt, ist offen. Erwachsene allen Alters stellen manchmal fest, dass sie transgeschlechtlich sind – meist lässt sich in diesen Fällen ein gegengeschlechtliches Verhalten aber bis in die Kindheit zurückverfolgen; womöglich ist es über Jahre unterdrückt worden. Und Geschlechtsidentität kann sich ändern, ohne dass jemand zum anderen Geschlecht „wechseln“ will: Männer entdecken „feminine“ Seiten an sich, Frauen eignen sich ein „maskulines“ Auftreten an.
Was als männlich und weiblich gilt, kann sich je nach Kultur enorm unterscheiden – genauso wie die Akzeptanz, mit der Gesellschaften Abweichungen vom Zweierschema begegnen. Auf den Samoainseln gibt es etwa die fa’afafine, eine anerkannte Gruppe biologischer Männer, die als Frauen leben. Solche Regionen gibt es auf der ganzen Welt: Varianten eines dritten Geschlechts kennen auch Mexiko (muxe), Thailand (kathoey) und Nigeria (yan daudu).
Geschlechtsidentität: ein Mosaik aus vielen verschiedenen Teilen
Sieht man Geschlechtsidentität wie Ilka Quindeau, dann ist sie nichts Stabiles, sondern etwas Veränderbares, weniger klare Zweiteilung in Frau und Mann als ein Kontinuum. Laut der Soziologin, Psychologin und Psychotherapeutin formiert sich Geschlechtsidentität „in einem lebenslangen dialektischen Prozess zwischen den Polen Männlichkeit und Weiblichkeit“. Quindeau, Präsidentin der International Psychoanalytic University Berlin, rät, Geschlechtsidentität als eine Hülle oder ein Behältnis anzusehen. Darin aufbewahrt sind biologische, psychische und soziale Aspekte von Männlichkeit und Weiblichkeit „in je individuellen Mischungsverhältnissen“.
Wo sich jemand auf dem Spektrum zwischen Mann und Frau verortet, bestimmen zig Faktoren, vom Körper über das Hormonlevel zu geschlechtertypischem Verhalten und Rollenvorstellungen. Die sozialen Einflüsse lassen sich dabei noch schlechter messen als die biologischen Veranlagungen. Erwartungen der Eltern, Vorbilder, Beziehungserfahrungen – das Umfeld beeinflusst uns ständig, auf vielfältige Weise. Laut Ilka Quindeau setzt sich Geschlechtsidentität aus „vielen einzelnen weiblichen und männlichen, teilweise auch widersprüchlichen und unvereinbaren Aspekten“ zusammen. Wir alle sind Frau und Mann.
Andererseits gibt es biologische Differenzen, wie der Sexualwissenschaftler Gunter Heylens und seine Kolleginnen an 214 Transfrauen und 138 Transmännern nach der Geschlechtsangleichung zeigen konnten. Von den Transmännern, die Testosteron nahmen, berichteten fast drei Viertel von verstärktem sexuellem Verlangen. Bei zwei Dritteln der Transfrauen war die Begierde hingegen gesunken. In anderen Studien gaben Transmänner an, dass sie sich seit der Einnahme von Testosteron aggressiver fühlten. Männliche und weibliche Hormone beeinflussen das Verhalten – und unterscheiden es.
„Geschlechterkategorien abzuschaffen ist Unsinn“, sagt daher die Hamburger Sexualwissenschaftlerin und Psychologische Psychotherapeutin Hertha Richter-Appelt. 40 Jahre lang hat sie mit Inter- und Transsexuellen gearbeitet. Die ehemalige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung sagt: „Niemand kann aus einem Jungen ein Mädchen machen oder aus einem Mädchen einen Jungen.“
Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern vergleicht Richter-Appelt mit den Leistungen im Sport. Einige Frauen seien besser als die meisten Männer. Im Durchschnitt aber lägen die Männer vorn. Heißt: Einzelne Personen weichen enorm von typischen Geschlechterzuschreibungen ab. Frauen können aggressiv sein, Männer empathisch. Und Frauen wie Männer aggressiv und empathisch. Im Durchschnitt unterscheiden sich die Geschlechter – im Einzelfall ist alles möglich. Die Unterteilung in Frau und Mann, die von den allermeisten intuitiv empfunden wird, ergibt Sinn. Zugleich sollten wir denen zuhören, die ein strenges Zweierschema einengt. Sie erinnern daran, was Geschlechtsidentität immer ist: ein so komplexes wie individuelles Gebilde.
Diagnose oder Selbstbezeichnung?
Die meisten Menschen sind Cisgender: Sie identifizieren sich mit dem Geschlecht, mit dem sie auf die Welt gekommen sind. Stimmen das Erleben der Geschlechtsidentität und die Geschlechtsmerkmale nicht überein, nennt man das Geschlechtsinkongruenz.
Leidet eine Person unter der Geschlechtsinkongruenz, spricht man von Geschlechtsdysphorie (oder auch Geschlechtsidentitätsstörung) – eine psychiatrische Diagnose.
Transsexualität bezeichnet den Zustand, wenn sich Menschen dauerhaft mit einem anderen Geschlecht identifizieren als dem, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Oft streben sie eine Geschlechtsangleichung an.
Transgender ist kein medizinischer Begriff, sondern eine breite Selbstbezeichnung von Transpersonen und Menschen, die sich nicht (nur) mit dem Geschlecht identifizieren, mit dem sie geboren wurden, die sich als queer oder nicht-binär ansehen und zwischen etablierten Geschlechterrollen leben. Transgender wünschen oft keine Geschlechtsangleichung oder nur geringe Veränderungen. Wie auch die anderen Begriffe wird Transgender unterschiedlich verwendet, häufig – und auch in diesem Beitrag – wird er als Überbegriff verstanden, der Transsexualität einschließt.
Die verschiedenen sexuellen Orientierungen, beispielsweise Homo- oder Heterosexualität, können bei jeder Geschlechtsidentität auftreten.