Mit Schwung öffnet Isabel Bogdan die Wohnungstür. Schon die Begrüßung klingt sehr herzlich – und ein bisschen heiser. Während die Schriftstellerin und Übersetzerin in der Küche Tee und Kaffee kocht, den mitgebrachten Kuchen auf einem Teller anrichtet und mit dem Geschirr klappert, erzählt sie gleich los: Sie ist nur auf einen Sprung zu Hause, ansonsten ist sie in den letzten Wochen mit ihrem neuen Roman Laufen ständig auf Lesereise gewesen, deshalb auch etwas angeschlagen.
Diese Reisen und die Gespräche…
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mit ihrem neuen Roman Laufen ständig auf Lesereise gewesen, deshalb auch etwas angeschlagen.
Diese Reisen und die Gespräche seien immer etwas Besonderes. „In den letzten Wochen habe ich auf den Lesungen noch einmal viel über Trauer und Verlust erfahren.“ In ihrem Roman geht es um eine Frau, deren depressiver Lebensgefährte sich das Leben genommen hat. Der gesamte Text ist ein innerer Monolog der Frau, die beim Joggen durch ihr Viertel und in einem nahegelegenen Park versucht, ihre Trauer und Verzweiflung zu verarbeiten. Ein Buch, das einen Sog entwickelt und sich sehr konzentriert mit der Verlusterfahrung beschäftigt.
Sobald das Gespräch im Wohnzimmer beginnt, wirkt die Autorin besonnen und ganz auf die Fragen fokussiert. Zwischendurch greift sie gelegentlich in das meterlange Bücherregal hinter sich, um einen Roman herauszuangeln, der ihr gerade passend erscheint. Am Ende des Gesprächs liegt ein halbes Dutzend Bücher zwischen Tassen und Kuchentellern auf dem Tisch.
Frau Bogdan, in Ihrem Roman verknüpfen Sie Trauer und Verlustgefühle eng mit Laufen und Bewegung. Was war bei der Idee zu der Geschichte zuerst da: die Trauer oder das Laufen?
Das Laufen war der Ausgangspunkt. Ich habe schon vor Jahren eine Kurzgeschichte geschrieben, in der es um eine laufende Frau ging, deren Mann einfach weg war, man hatte sich getrennt, die Liebe war zu Ende. Schon diesen Text habe ich aus der Sicht der Frau erzählt, ihn quasi im Kopf der Frau spielen lassen, habe ihre Gedanken, ihre Traurigkeit und ihre Reaktionen auf Dinge am Wegesrand aufgeschrieben. Das Schreiben fiel mir damals leicht und ich mochte den Rhythmus, das Schnelle, Atemlose, Treibende. Ich hatte den Eindruck, dass ich mich auf diesen Takt verlassen kann – und hätte das Thema gerne gleich ausgebaut und einen Roman dazu geschrieben. Aber dann kam erst mal Der Pfau dazwischen. Als er fertig war, griff ich den Laufen-Stoff dann wieder auf.
Wie sind Sie eingestiegen? Haben Sie die Kurzgeschichte einfach weitergeschrieben?
Das ging nicht. Denn es war mir wichtig, noch mehr über die Hintergrundgeschichte nachzudenken, die mir selbst noch nicht so richtig klar war. Bald stellte sich heraus: Ich wollte der Protagonistin eine existenzielle Krise mit auf den Weg geben. Einen schwierigen Trauerprozess. Zu der Zeit gab es in meinem weiteren Umfeld einen Suizid. Ein Bekannter, von dem ich nicht einmal wusste, dass er depressiv war, hatte sich das Leben genommen, hinterließ eine Frau und zwei Kinder.
Das hat mich sehr beschäftigt, vor allem fragte ich mich die ganze Zeit, was in der Frau nun vorgeht, wie sie ihr Leben weiterführt und wie sie beispielsweise ihren Kindern erklärt, was passiert ist. An diesen Fragen habe ich angesetzt. Ich war nicht sicher, ob ich dem Thema gewachsen bin. Was ich aber die ganze Zeit wusste: Bewegung und Verlust passen zusammen, es ist gut, sie zusammenzubringen.
Das müssen Sie erklären: Warum passen für Sie Trauer und Bewegung zusammen?
Trauer ist ja immer auch körperliche Arbeit. Man ist erschöpft, wenn man trauert, die Traurigkeit steckt mitten im Körper – wie ja letztlich jede starke Emotion. Ich denke, dass es im Trauerprozess hilfreich sein kann, wenn man nicht mehr weiterweiß, an diesen körperlichen Empfindungen anzusetzen, sie nach außen zu transportieren. Ich will nicht sagen, dass Bewegung ein Allheilmittel ist.
Aber sie kann helfen, emotionale Zustände zu ertragen und auch zu verändern. Ich laufe selbst und merke das manchmal: Wenn ich vor irgendetwas Angst habe oder mich geärgert habe und so einen Klumpen im Bauch kriege und dann eine Runde laufe, dann ist hinterher der Klumpen im Magen weicher, es hat sich etwas gelöst. Um solche Momente geht es: Es verändert sich etwas, wenn Bewegung ins Spiel kommt.
Ihre Protagonistin erlebt unzählige Momente der Veränderung, aber auch Rückschläge, Verzweiflung.
Ich beschreibe die Entwicklung über ein Jahr. Da passiert sehr viel. Anfangs sind ihre Gedanken extrem sprunghaft, sie ist auch permanent mit dem Funktionieren ihres Körpers befasst, fragt sich, wie lange sie noch weiterlaufen kann, hat Seitenstechen und knackende Knöchel. Ihre Gedanken springen auf den verschiedensten Ebenen: Sie erinnert sich an den Tag des Suizids, an die tröstenden Worte ihrer Freundin, greift aber auch Kleinigkeiten auf, die sie unterwegs sieht.
Immer wieder werfen sie kleine Beobachtungen auf ihre Trauer zurück. Wenn ein Volvo vorbeifährt, der dem Wagen ihres Freundes ähnelt. Oder sie empört sich, wenn eine Apothekenreklame „Bachblüten gegen Einsamkeit“ anpreist, weil sie das Gefühl hat, dass gegen ihre Einsamkeit kein Kraut gewachsen ist. Im Laufe des Textes verändert sich dann etwas. Das Laufen fällt ihr leichter und wird selbstverständlicher, irgendwann kann sie auch gedanklich wieder länger bei einem Thema bleiben.
Nach und nach ändert sich auch ihre Sicht auf die Beziehung. Am Anfang hebt sie ihren Freund noch sehr auf ein Podest. Gegen Ende stellt sie sich den Tatsachen und gesteht sich ein, dass die Erkrankung ihres Freundes, die Depression, auch sie ohnmächtig gemacht hat und nicht alles an der Beziehung gut war.
Sie haben der Beziehungsdynamik beim Schreiben genau nachgespürt: Wie verändern sich Beziehungen, wenn einer der Partner depressiv ist?
Ich glaube, es ist unmöglich, dass man nach Hause kommt und Frohsinn verbreitet, wenn der Partner depressiv ist. Das versucht man vielleicht am Anfang, aber es funktioniert nicht. Wenn jemand sich immer leer und antriebslos fühlt und das aufgrund der Krankheit nicht ändern kann, entmutigt das auch den Partner. Meine Protagonistin erkennt zum Beispiel, dass die über Jahre aufgebauten Rituale zwischen ihr und ihrem Lebensgefährten nicht mehr funktionieren, als er depressiv wird.
Sie weiß nicht mehr, ob sie ihn noch anfassen darf. Er fasst sie sowieso nicht mehr an, Sex und auch Berührungen gibt es kaum noch. Bei einer psychischen Erkrankung ist es wahrscheinlich besonders schwer, aber ich denke, dass jede ernste Krankheit auch den Partner und andere enge Angehörige stark beeinflusst und beeinträchtigt.
Der Psychologe Guy Bodenmann forscht zur Entwicklung von Paaren in psychischen Krisen. Er hat festgestellt, dass es sich günstig auf die Beziehung und auf den Verlauf von Krisen auswirkt, wenn beide Partner sich immer wieder darum bemühen, sowohl etwas zu geben als auch etwas anzunehmen.
Das kann ich mir vorstellen. Aber je nachdem, wie krank jemand ist, kann er vielleicht nichts mehr geben und kann auch nichts mehr annehmen. Ich glaube, dass es für jemanden, der noch nie depressiv war, sehr schwer ist, das Ausmaß an Verzweiflung nachzuempfinden. Man hat eine Ahnung davon, wie es sich anfühlt, wenn sich jemand einen Arm bricht, selbst wenn man so was noch nie am eigenen Leib erlebt hat.
Aber sich vorzustellen, wie es ist, gar nicht mehr leben zu wollen, das ist nicht so leicht. Ich glaube, es ist für Partner wichtig, zu akzeptieren, dass es eben nicht komplett nachvollziehbar ist. Und auch für mich beim Schreiben war das so. Die Frage „Warum nimmt sich jemand das Leben?“ kann ich auch nach der Beschäftigung mit dem Thema für mich nicht beantworten.
Der Stoff, den Sie bearbeitet haben, hat eine emotionale Schwere. Waren Sie bei der Arbeit belastet?
Während des Schreibens war ich oft schon sehr in die Rolle der Protagonistin vertieft, habe ihre Einsamkeit, Fassungslosigkeit und Verzweiflung gespürt und habe auch ein- oder zweimal geweint. Das ist bei mir aber etwas sehr Punktuelles, was aus einer Situation, einer Szene heraus passiert. Ich bin sonst eher der vergnügte Typ und emotional halbwegs stabil, so dass ich nach der Schreibzeit ganz gut aus dem Gefühl rauskam.
Die Arbeit am Buch hat mich allerdings mehr für das Empfinden anderer sensibilisiert. Nachdem ich aus der Sicht einer Frau geschrieben habe, die trauert, geschockt ist und sich schuldig fühlt, ist mir noch bewusster geworden, dass man wirklich nie weiß, warum jemand in einer bestimmten Weise reagiert. Wenn auf der Straße, in der Bahn oder beim Bäcker jemand grundlos unfreundlich zu mir ist, denke ich jetzt nur noch: „Lass ihn, du weißt nicht, was er mit sich herumträgt. Ist okay, soll er unfreundlich sein – bin ich halt freundlich zurück.“
Eine gewisse psychologische Sachkenntnis über Trauerprozesse oder über die Lage von Angehörigen von Suizidopfern brauchten Sie sicher. Wie haben Sie recherchiert?
Anfangs habe ich Fachbücher über Depression oder über Trauerphasen angelesen, sie aber schnell wieder zugeklappt. Stattdessen habe ich mit Leuten gesprochen, die intensiv getrauert haben oder die Menschen begleiten, die trauern oder jemanden durch einen Suizid verloren haben. Am hilfreichsten waren für mich Gespräche mit der Psychologin Angélique Mundt.
Sie ist Krimiautorin, daher kennen wir uns. Aber hauptberuflich ist sie Psychotherapeutin in eigener Praxis, arbeitet außerdem noch ehrenamtlich im Kriseninterventionsteam. Das heißt, sie fährt mit der Polizei mit, wenn ein Suizid, ein Unfall oder ein Gewaltverbrechen passiert ist, und begleitet in den ersten Stunden die Angehörigen. Angélique Mundt hat das Manuskript in einer frühen Phase gelesen, als ich ungefähr 100 Seiten hatte. Sie hat mir ganz viel zu meiner Figur erklärt, hat auch geschildert, was sie mit Angehörigen nach einem Suizid bespricht.
Es geht in solchen Fällen ja immer auch um Schuldgefühle. Jeder Angehörige fragt sich, ob er es nicht hätte erkennen müssen, verhindern müssen, etwas merken müssen. Aber das kann man nicht. Wenn jemand einen solchen Entschluss gefasst hat, dann wird er ihn umsetzen, man kann es nicht verhindern. Und oft geht es demjenigen dann sogar besser, wenn seine Entscheidung gefallen ist. Das spürt man und ist erleichtert. Man hat schlicht keine Chance, „es zu merken“. Im Roman gibt es jetzt ebenfalls eine Therapeutin, Frau Mohl, die meiner Protagonistin diese Zusammenhänge erklärt und damit Hilfestellung anbietet.
Ihren Roman lassen Sie am ersten Jahrestag des Suizids beginnen, also mit etwas zeitlichem Abstand. Viele bekannte Trauerromane fangen mit dem Tod des Partners direkt an, beispielsweise Das Jahr magischen Denkens von Joan Didion. Warum haben Sie diesen späten Zeitpunkt gewählt?
Es kam mir einfach nicht plausibel vor, dass jemand nach so einem Ereignis sofort sagt: So, ich muss das jetzt verarbeiten, ich gehe laufen. Man fällt erst einmal in ein Loch. Ich finde es einen guten Zeitpunkt, dort mit dem Erzählen anzufangen, wo eine Person sagt: Ich will jetzt anfangen, das wirklich zu verarbeiten. Natürlich reflektiert die Frau auch weiterhin über die Vergangenheit, doch sie wagt einen zaghaften Aufbruch.
Tatkraft scheint Ihnen generell sehr wichtig zu sein, das zieht sich wie ein roter Faden durch Ihr Schreiben. Ihr erstes Buch heißt Sachen machen und stellt skurrile Selbstexperimente vor. Ihr Blog Was machen die da? porträtiert Menschen, die ihre Berufe lieben.
So habe ich das noch nie gesehen. Ich empfinde mich gar nicht so sehr als eine große Macherin. Aber es stimmt: Ich mache schon viele Sachen und ich probiere gern Dinge aus. Mit meinem ersten Buch, in dem ich komische Sportarten getestet oder abseitige Veranstaltungen besucht habe, hatte ich großen Spaß, ich habe mich richtig ausgetobt.
Und was sicher auch stimmt: Ich schaue gern nach vorne, interessiere mich nicht so lange für Vergangenes. Wenn etwas schiefgelaufen ist, dann frage ich weniger, wie das passieren konnte, sondern eher: Und wie machen wir jetzt weiter? Was ist der nächste Schritt?
Spielen die Fragen „Was kommt als Nächstes?“ und „Was könnte Spaß machen?“ auch die treibende Rolle bei der Auswahl Ihrer Stoffe? Ihr vorheriger Roman, die Satire Der Pfau, ist jedenfalls stilistisch und thematisch so ziemlich das Gegenteil von Laufen.
Ich bin ja auch Übersetzerin, habe etwa fünfzig Romane vom Englischen ins Deutsche übertragen und habe es immer sehr geschätzt, dass mit jedem neuen Buch und jedem neuen Autor auch immer etwas Neues kam, ein anderes Thema, eine andere Sichtweise, eine andere Sprache. Als Autorin hatte ich von Anfang an keine Lust, mich in eine Richtung festzulegen.
Aus meinem Verlag kam glücklicherweise auch keine Kritik. Sie haben kurz geschluckt, als ich das Thema von Laufen umriss, haben einmal gesagt: „Das ist nicht das, was die Buchhändler erwarten. Das ist nicht das, was deine Leser wollen.“ Aber dann haben sie mich einfach machen lassen. Das war schlicht die nächste Geschichte, die ich erzählen wollte.
Wie sind denn die Reaktionen der Leser?
Ich bekomme viel Resonanz, Briefe und Mails beispielsweise, von Menschen die trauern, die teilweise jemanden durch einen Suizid verloren haben. Viele melden mir zurück, dass das Buch ihre eigene Trauer beschreibt, dass sie sich wiederfinden und dass ihnen das Gefühl, mit dem Prozess nicht allein zu sein, geholfen hat. Ich finde das schön und es macht mich ein bisschen demütig.
Und bei meinen Lesungen wird ganz offensichtlich, was für ein großes Thema Trauer und Verlust ist. Mir wird selbst immer klarer, dass Trauer etwas ist, das jeden früher oder später betrifft. Es muss nicht immer so brutal sein wie in meinem Roman. Aber jeder wird irgendwann trauern. Belastend ist dabei nicht nur der Schmerz selbst. Es gibt auch viele soziale Konflikte, über die aber nur wenig gesprochen wird, die Trauernde oft verunsichern.
Welche sozialen Probleme haben Trauernde?
Wenn mehrere Leute um dieselbe Person trauern, scheint es oft ein regelrechtes Gerangel zu geben, wer am meisten trauert, wer den größten Verlust erlitten hat, wem es jetzt am dreckigsten geht. Auch die Frage, wie lange man trauern darf oder muss, wird sozial beäugt. Es kann für manche Angehörige falsch sein, wenn jemand zu viel weint.
Oder wenn jemand gar nicht weint. Es sind sensible Fragen: Wie lange kann man sein Umfeld mit seiner Trauer belasten? Muss mit dem Trauerjahr das Reden darüber vorbei sein? Wann darf man wieder tanzen gehen oder sich mit jemand anderem treffen? In meinem Roman gibt es riesige Konflikte zwischen der Protagonistin und ihren Schwiegereltern. Auf eine unbeholfene Weise denken diese nicht darüber nach, dass die Protagonistin eben auch trauert.
Gibt es etwas, das Sie über Trauer und Abschiedsprozesse gelernt haben, was Ihnen vorher so nicht klar war?
Trauer ist individuell. Ich habe mit einer Frau gesprochen, die jemanden verloren hatte und sagte: „Da wissen alle, was passiert ist, und fragen mich dann: ‚Wie geht es dir?‘ Was ist das denn für eine bescheuerte Frage? Schlecht geht es mir!“ Und die nächste trauernde Witwe sagt: „Die Leute wissen, was passiert ist, und keiner fragt mich, wie es mir geht.“
Weil die Bedürfnisse von Trauernden so unterschiedlich sind, heißt das für Freunde, Angehörige und Bekannte vor allem, dass sie ein Gefühl dafür entwickeln müssen, was für die Trauernden gerade richtig ist. Mein Eindruck ist: Auch wenn man nicht weiß, was man sagen soll, besser man sagt irgendetwas als gar nichts. Zu bekunden: „Ich weiß, dass es dir schlechtgeht, und das ist in Ordnung“, hilft; im Gegensatz zu Floskeln wie „Er ist jetzt in einer besseren Welt“ oder „Sie hätte nicht gewollt, dass du traurig bist“, die bringen gar nichts.
Und auch nicht: „Sag Bescheid, wenn ich was für dich tun kann.“ Denn es gibt oft nichts, was der Trauernde selbst einfordern könnte, man muss aktiv da sein, immer mal wieder anrufen und sagen: „Ich habe gekocht, komm vorbei.“ Wer trauert, muss seinen Schmerz allein tragen. Aber man kann ein Stückchen mitgehen und tragen helfen. Das ist dann schon viel.
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Laufen ist super, so schön stumpf, man muss gar nicht denken, ich kann sowieso nur über das Laufen nachdenken und über meinen Körper und gar nicht über den ganzen anderen Mist, weil das alles viel zu anstrengend ist, ich laufe mir die Grübelei weg, andere Leute laufen angeblich, weil sie dabei gut nachdenken können, ich kann an gar nichts anderes denken als an meinen Körper, ob er funktioniert, wie er funktioniert, wie das Laufen sich anfühlt, ob ich noch kann, und wenn ja, wie weit, und ob mir gerade etwas wehtut, oder was am meisten wehtut, als wüsste ich nicht, was am meisten wehtut, aber beim Laufen tut endlich der Körper weh, das ist jedenfalls besser, als vor dem Rechner zu sitzen und stundenlang bunte Kügelchen abzuschießen oder Karten zu sortieren und dabei immer an –
Dem Körper wehtun, das tut gut, ich kann nicht mehr, ich renne weiter.
Aus Isabel Bogdan: Laufen. © 2019 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
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