Herr Kehlmann, wie entsteht bei Ihnen ein Roman? Denken Sie sich: Ich schreibe jetzt mal etwas über magisches Denken, wo könnte ich das ansiedeln? Oder ist da zuerst eine Figur wie Tyll Ulenspiegel, und dann versetzen Sie diese Figur in ein Szenario und sie fängt an zu agieren?
Eher Ersteres. Es ist allerdings keine kalte, rationale Entscheidung nach dem Motto: „Darüber müsste ich jetzt auch mal was schreiben.“ Es ist eher so, dass ich merke, dass ich von einem bestimmten Themenfeld, einem dunkel leuchtenden Bereich plötzlich fasziniert und angezogen bin. Allerdings interessieren und beschäftigen mich auch viele andere Themen, bei denen ich aber nie das Gefühl habe, dass ich nun darüber schreiben müsste. Es ist also eine ganz spezielle Art der Anziehung, die am Anfang eines Romans steht, eben der Wunsch, dass ich damit etwas machen will. Zuerst ist da meist noch gar keine Idee einer Geschichte, sondern die Vorstellung von einer Welt.
Bei meinem RomanTyll war das die Ideenwelt von Voraufklärung, Aberglaube und dem Schrecken und Chaos des Dreißigjährigen Kriegs. Dieser Vorgang des Ausbrütens ist auch mir selbst nicht wirklich transparent und läuft eher unbewusst ab: Man trägt so eine Welt lange mit sich herum. Und indem man immer wieder über diese Welt nachdenkt – das Nachdenken ist schon notwendig, von allein geht es nicht –, formen sich allmählich die Charaktere und Handlungsstränge des Romans.
Wenn diese Figuren dann anfangen zu agieren und einem Erzählfaden folgen, dann entsteht für Leser ein Sog. Forscher sprechen vom narrative impact – man versinkt in der Erzählwelt und vergisst ein Stück weit die reale Umgebung um einen herum. Wie ist das beim Autor? Versinken Sie auch beim…
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