Corona hat alle Lebensbereiche betroffen. Wirklich alle? Manche wurden davon überhaupt nicht berührt. Imkerinnen und Imker beispielsweise konnten sich wie gewohnt ihren Völkern widmen, denen die Coronakrise völlig egal war. Womöglich werden nun noch mehr Menschen ihre Liebe zu Bienen entdecken. Parallel zum neu erwachten Interesse für Gärten und Wälder trug diese Liebe bisher schon zum digitalen Detox bei, zu einer Entgiftung, die dabei hilft, sich nicht restlos in virtuellen Welten zu verlieren. Und ebenso…
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restlos in virtuellen Welten zu verlieren. Und ebenso wie der digitale Zeitvertreib in den eigenen vier Wänden hält auch die analoge Art der Freizeitgestaltung in der freien Natur jedem Lockdown stand, jedenfalls solange man seine Wohnung verlassen darf.
War die Beziehung zu Bienen lange von Ignoranz und Gleichgültigkeit geprägt, mit Einsprengseln von Ärger, falls man von ihnen (meist aber von Wespen) gestochen wurde, avancieren Bienen seit einigen Jahren bei manchen Menschen geradezu zum Lebensinhalt. Fast lässt sich sagen, die Biene ist der neue Eisbär, das neue Maskottchen der Bewegung für mehr Naturschutz. Mit dem Vorteil, dass sie nicht nur im Zoo erlebbar ist.
Ihr natürliches Habitat ist überall, wo Blüten sind, auch in der Stadt. Ja, da gerade auf den Grünflächen der Städte meist Artenvielfalt statt Monokultur herrscht, finden sich hier sogar bessere Lebensbedingungen als auf dem Land. „Insekten geht es in Berlin viel besser als in Brandenburg“, stellte der Direktor des Berliner Naturkundemuseums, Johannes Vogel, 2019 fest. „Botanisch gesehen ist die Hauptstadt sogar der artenreichste Ort in ganz Deutschland.“ Gut für die Bienen, die in Parks, Schrebergärten, Hinterhöfen und auf blühenden Dächern und Balkonen beste pestizidfreie, abwechslungsreiche Nahrung finden.
Zwischen Selbst und Welt
Lärm und Stress der Städte sind ihnen völlig egal, sie machen ihren Job, sammeln Nektar und Pollen und folgen ihrem genetischen Programm, das sie sich nicht ausgesucht haben. Auch Menschen kommen nicht umhin, den Genen zu entsprechen, mit denen die Evolution sie ausgestattet hat. Die sehen für sie aber eher vor, Fragen zu stellen, alles infrage zu stellen und dann die Frage nach dem Sinn zu stellen. Bei einer Antwort lohnt ein Blick in Bienenkästen. Die Biene boomt. Früher summte sie nur. Jetzt geht es um mehr.
Bienen geben dem Leben von Menschen Sinn, beginnend bereits bei den elementarsten Sinnlieferanten, den körperlichen Sinnen. Aus gutem Grund erinnern die Sinne schon vom Wort her an den Sinn, den sie immer und überall bereithalten: Intensive Zusammenhänge zwischen Selbst und Welt sind den Sinnen zu verdanken. Jede und jeder kann diese Erfahrung selbst machen. Wer mit wachen Sinnen sieht, hört, riecht, isst, trinkt und liebt, zweifelt in diesen Momenten nicht mehr am Sinn des Lebens und fühlt sich nicht fremd in der Welt, sondern vollkommen wohl und geborgen.
Würde ein Mensch hingegen nichts sehen, hören, riechen, schmecken, tasten, fände er sich in einem unheimlichen Nichts wieder und könnte nicht lange überleben. Daher kommt es so sehr darauf an, die Sinnlichkeit zu pflegen und Sinneseindrücke tief in sich aufzunehmen. Die Bienen bieten Anlässe dafür. Alle kennen das sinnliche Erlebnis, ihr ruhiges Summen zu hören, ihre suchenden und doch zielgerichteten Flüge zu sehen, ihre Emsigkeit an der Blüte zu bewundern. Wer staunen lernen will, wirft einen Blick in das atemberaubende Gewimmel eines Bienenstocks, in dieses Chaos, das in Wahrheit bestens geordnet ist. Jede Biene weiß jederzeit, was zu tun ist, sei es als Ammen-, Putz-, Empfangs-, Heizer-, Bau-, Wächter-, Sammel- oder Späherbiene (meist in dieser Abfolge im Laufe ihres Lebens).
Der sinnliche Sinn
Auch andere Beobachtungen des vielfältigen Lebens in Gärten, Wiesen, Feldern und Wäldern können den Eindruck wachrufen, dass in der Natur auf staunenswerte Weise alles mit allem zusammenhängt. Mit den Sinnen nimmt ein Mensch diese Zusammenhänge wahr, überträgt sie in seine innere Welt und fühlt sich zumindest für eine Weile wieder in die Natur eingegliedert. Dieses Sinneserleben bringt etwas zurück, was unentbehrlich ist: Energie, die anderswo offenbar nicht mehr so ohne weiteres zu finden ist. Fühlen wir Menschen uns davon erfüllt, drücken wir das oft mit der technischen Metapher aus, die Batterie wieder aufgeladen zu haben. Solange die Batterieladung vorhält, stellt sich die Frage nach dem Sinn nicht mehr, und es fällt leicht, das Leben zu lieben.
Sinnlichen Sinn produzieren die Bienen natürlich zunächst einmal für sich selbst. Wie für Menschen, so dürfen wir annehmen, beruht ihre Beziehung zur Welt auf sinnlichen Wahrnehmungen. Dabei stehen ihnen jedoch völlig anders strukturierte Sinne zur Verfügung, so dass die gleiche Welt für sie wohl eine ganz andere ist als für uns. Sie sehen zum Beispiel auch ultraviolettes Licht, können Brechungen des Lichts (Polarisationsmuster) in der Atmosphäre erkennen und mit feiner räumlicher und zeitlicher Differenzierung bis auf das einzelne Atom genau riechen.
Duftstoffe dienen ihnen zur Kommunikation, und Düfte mit hormoneller Wirkung, die ihre Königin unentwegt verströmt, fördern ihren Zusammenhalt: Wo es so duftet, ist ihr Zuhause. Mit Sinneshaaren können sie tasten und mit ihrem gesamten Körper schmecken. Intensiver als Menschen können sie „küssen“. Sie praktizieren eine so innige Version davon, wie selbst Liebende es sich nur erträumen können, wenn der Nektar der Sammelbiene bis zum letzten Tropfen von Rüssel zu Rüssel in die Empfangsbiene fließt, ein Beispiel für „die pralle Sinnlichkeit der Bienen“, wie Thomas Radetzki und Matthias Eckoldt es in ihrem Buch Inspiration Biene ausdrücken.
Die Welt im Bienenmaß vermessen
Hören scheint für Bienen übrigens eine geringere Rolle zu spielen, umso mehr jedoch ein Bewegungssinn, der ihnen erlaubt, Informationen über Flugwege, ertragreiche Blüten, Wasserstellen und neue Nistplätze tanzend an Kolleginnen weiterzugeben. Die sehen den Tanz in der stockdunklen Behausung zwar nicht, können aber mit einem siebten Sinn über ihre Antennen die dabei erzeugten elektrostatischen Felder wahrnehmen und in ihre innere Landkarte der äußeren Landschaft eingliedern, ein Grund für ihre fantastische räumliche Orientierung.
Draußen scannen sie ihre Umgebung und vermessen die Welt mit Bienenmaß vom Nistplatz ihres Schwarmes aus, fliegen weit herum von Blüte zu Blüte und finden auch aus zehn Kilometern Entfernung zuverlässig ihre Heimat im Bienenstock wieder. Wird dieser von ihnen selbst beim Schwärmen oder aber von Menschenhand an einen anderen Ort verlegt, beginnen sie mit dem Prozess von vorne und speichern die Koordinaten der neuen Umgebung präziser ab als Autofahrer, die oft nach ihrem irgendwo abgestellten Gefährt fahnden müssen.
Es ist ein faszinierendes und beglückendes Erlebnis, Bienen bei alldem zuzuschauen. Doch auch noch andere als sinnliche Gründe sorgen dafür, dass immer mehr Menschen sich in Bienen verlieben. Bienen sind offenkundig auch in der Lage, seelischen Sinn zu vermitteln. Der entsteht durch einen gefühlten Zusammenhang mit anderen Lebewesen und der Welt. Gefühle begründen Bindungen und intensivieren das Leben, da sie zusätzliche Energien vermitteln.
Der geistige Sinn
Außer anderen Menschen können sie auch Tieren gelten. Begegnungen mit Imkern und Imkerinnen geben einen Eindruck davon, wie sehr der Umgang mit Bienen sie emotional berührt und mit dem Gefühl der Hingabe erfüllt, voller Leidenschaft und Fürsorge. Sie wollen, dass die Bienen sich bei ihnen sicher und zu Hause fühlen. Für das Seelenleben von Menschen kann die Beziehung zu Bienen wie überhaupt zu Tieren eine größere Rolle spielen als die zu Mitmenschen.
Interessant zu wissen wäre, ob die Bienen ihrerseits etwas füreinander fühlen. Beruht darauf ihr starker Zusammenhalt? Mehr noch als Menschen finden sie in der sozialen Gemeinschaft ihre Heimat, egal wo die sich aktuell befindet. Für ihren eigenen seelischen Sinn tragen sie womöglich Sorge, indem sie die Gemeinschaft hegen und pflegen. Sympathien und Antipathien zwischen ihnen können Imker beobachten, aber Kooperation ist auf jeden Fall die Basis, daran muss keine Biene jemals erinnert werden. Was die einzelne Biene an Nektar und Pollen sammelt, steht fraglos allen zur Verfügung. Haben Bienen ein Seelenleben? Vielleicht schon. Hormonausschüttungen, die bei Menschen mit Gefühlen einhergehen, lassen sich auch bei Bienen messen. Und ist es allein Informationsübermittlung für Artgenossen, wenn die Bienen gleich an Ort und Stelle zu tanzen beginnen, sobald sie eine neue Futterstelle entdeckt haben?
Mit solchen Überlegungen und Einblicken, die sie anregen, tragen Bienen – drittens – zum geistigen Sinn von Menschen bei, zum gedanklichen Nachvollzug von Zusammenhängen. Dass die Bienen eine wichtige ökologische Funktion erfüllen, hat sich herumgesprochen. Indem sie Pflanzen befruchten, sichern sie auch die menschlichen Ernährungsgrundlagen. Die Blüten, die für ihre Schönheit und ihren Duft gerühmt werden, hat die Natur nicht für Menschen entwickelt, sondern als Lockmittel für Insekten: Dort finden Bienen und ihre Verwandtschaft eine ergiebige Nahrungsquelle, und indem sie diese erschließen, befruchten sie die Pflanze mit den Pollen, die sie dabei mitführen. Sie leisten also unwissentlich ihren Dienst für den von Pflanzen praktizierten Sex auf Distanz.
Der Schwänzeltanz der Bienen
Die Einsicht in diese Zusammenhänge spricht dafür, den Wert der Nachhaltigkeit auch beim Umgang mit den Bienen selbst hochzuschätzen. Eingriffe ins Bienenleben, etwa der vorzeitige Austausch der Königinnen, steigern zwar die Produktivität, gemessen am Honigertrag, schwächen aber die natürliche Regeneration und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten. Was Nachhaltigkeit ist, führen die Bienen beispielhaft vor, indem sie mit der Verwandlung von Nektar in Honig ein unbegrenzt haltbares Lebensmittel herstellen. Beim Bau ihrer Zellen zeigen sie, wie mit minimalem Materialaufwand maximale Stabilität seriell zu erreichen ist. Und wenn es nottut, können sie für das Überleben des Volkes ihre individuelle Lebensdauer auch mal selbsttätig verlängern, etwas, worum Menschen sich bisher vergeblich bemühen.
Auch Bienen selbst sind zu geistiger Leistung imstande. Sie können komplexe Informationen untereinander austauschen, indem sie etwa die Entfernung einer ergiebigen Nahrungsquelle mit Hüftschwüngen beim „Schwänzeltanz“ symbolisieren. Und sie gelten als überaus lernfähig. Der Bienenforscher Randolf Menzel vergleicht den sogenannten Pilzkörper im Bienenhirn mit dem präfrontalen Kortex beim Menschen und schreibt ihm „eine reflektierende Funktion“ zu. Das Organ schaltet sich immer dann ein, wenn eine neue Situation die Regelabläufe unterbricht und etwas verändert werden muss. Auch mit diesem Instrument haben Bienen sich seit 50 Millionen Jahren eine Heimat auf dem Planeten gesichert. Werden Menschen es mit ihrem reflektierenden Organ so weit bringen?
Zuletzt ruft das Interesse für das Leben der Bienen und insbesondere für das Imkern die Verbindung zu einem Sinn wach, dessen Reichweite die Menschenwelt unendlich überschreitet. Diesen Eindruck gewann ich schon als Kind bei meinem Vater, der einige Bienenvölker besaß und im Herbst und Winter Zuckerlösungen für sie zubereitete. Jede Arbeit in und mit der Natur war für ihn ein religiöser Akt, dem er sich mit Hingabe widmete. Zwischen Natur und Gott sah er keine wesentlichen Unterschiede. Auch dem Laien kann das Bienenleben eine Ahnung von einem unendlich großen Ganzen vermitteln, das nicht genau zu benennen ist, von dem sich aber vermuten lässt, dass das endliche Leben darin eingegliedert ist.
Aus diesen Gründen also entdecken immer mehr Menschen ihre Zuneigung zu Bienen: weil ihnen damit ein Füllhorn an Sinn zur Verfügung steht, sinnlich, seelisch, geistig und womöglich transzendent. Der Umgang mit Bienen ist ein Akt der Besinnung im vollen Wortsinn. Wünschenswert wäre, dass die Wiederentdeckung des Sinns in der Natur zur Rettung des Menschen vor der eigenen Zerstörung beiträgt, gleichsam als Nebeneffekt.
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Wilhelm Schmid, geboren 1953, lebt als freier Philosoph in Berlin. Website: lebenskunstphilosophie.de
Literatur
Thomas Radetzki, Matthias Eckoldt: Inspiration Biene. Klett Mint, Stuttgart 2020
Randolf Menzel, Matthias Eckoldt: Die Intelligenz der Bienen. Wie sie denken, planen, fühlen und was wir daraus lernen können. Knaus, München 2016
Wilhelm Schmid: Dem Leben Sinn geben. Von der Lebenskunst im Umgang mit Anderen und der Welt. Suhrkamp, Berlin 2013