​ Welche Lebensereignisse machen einsam, Frau Bücker? ​

Susanne Bücker forscht zur Einsamkeit und erklärt im Interview, in welchen Lebensabschnitten sie besonders wahrscheinlich droht.

Frau Bücker, Sie haben untersucht, ob bestimmte Lebensereignisse zu stärkeren oder geringeren Einsamkeitsgefühlen führen. Was haben Sie herausgefunden?

Der unfreiwillige Verlust des Arbeitsplatzes war das Ereignis, das zu lang­andauernden Gefühlen von Einsamkeit führte. Eine Gewöhnung fand offenbar nicht statt, die Belastung blieb, wie die Daten bewiesen, über Jahre bestehen. Insgesamt zeigte sich, dass es vor allem familiäre Ereignisse wie Verwitwung, aber auch die Geburt des ersten Kindes zu sein scheinen, die dazu führten, dass sich die Befragten über längere Zeit einsamer fühlten als zuvor. Interessant war der Befund, dass die erlebte Einsamkeit nach dem Eintritt ins Rentenalter im Durchschnitt zurückging. Vermutlich haben Menschen dann einfach mehr Zeit, sich wieder intensiver um die sozialen Kontakte zu kümmern, die ihnen wichtig sind.

Sie schreiben, dass es bislang wenig Forschung dazu gibt, welche Ereignisse unsere Einsamkeitsgefühle beeinflussen. Warum ist das so?

Die Forschung ist aufwendig. Wenn Sie wissen möchten, wie ein Lebensereignis die bestehenden sozialen Beziehungen verändert, müssen Sie die Menschen bereits vor dem Ereignis fragen, wie einsam sie sind, und sie dann später nochmals interviewen. Das ist in der Praxis gar nicht so einfach, denn häufig treten Ereignisse plötzlich und wenig planbar ein. Ein klassisches Experiment würde hier auch nicht funktionieren, denn dann müssten Sie zum Beispiel die Menschen in einer Gruppe auffordern zu heiraten und die Kontrollgruppe bitten, nicht zu heiraten. Das geht natürlich nicht.

Wie haben Sie die Stichprobe für Ihre Forschung zusammengesetzt?

Für diese Untersuchung wurden Erwachsene aller Altersgruppen über viele Jahre hinweg befragt, auch nach ihren sozialen Beziehungen und der Zufriedenheit damit. Dabei handelte es sich um eine sehr große und national repräsentative Stichprobe. Zumindest einige Personen würden bestimmte Lebensereignisse irgendwann im Studienzeitraum erleben. Die sehr große Stichprobe ermöglichte es uns auch, Kontrollgruppen von Personen zu bilden, die ein Ereignis nicht erlebt hatten, aber in Hinsicht auf Alter, Geschlecht oder die Persönlichkeitseigenschaften ähnlich waren. Insgesamt haben wir die Daten von rund 13000 Personen ausgewertet. Dies deckte einen Zeitraum von 10 Jahren ab.

Viele der einschneidenden Lebensereignisse führten dazu, dass die Menschen sich einsamer fühlten. Ist das ein Grund zur Sorge?

Nein. Wir wissen aus Studien, dass etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung stabil einsam sind, also über den Lebenslauf hinweg. Das heißt, die Mehrheit ist es nicht. Für die meisten Menschen ist das Gefühl von Einsamkeit etwas, das phasenweise vorkommt und das zum Leben dazugehört. Gelegentliche Einsamkeit ist ganz normal, wie unsere Auswertung zeigt, und man darf auch offen sagen, wenn man sich einsam fühlt.

Susanne Bücker ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Arbeitseinheit psychologische Methodenlehre an der Ruhr-Universität Bochum. Sie studierte Psychologie in Trier und forschte an der Tilburg University

Susanne Bücker u.a.: A propensity-score matched study of changes in loneliness surrounding major life events. Journal of Personality and Social Psychology, 2020. DOI: 10.1037/pspp0000373

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2021: Menschen verstehen wie die Profis
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