Wirklich nur Blödsinn?

Bullshitten ist in Unternehmen verbreitet, meint der Organisationswissenschaftler André Spicer. Das hat seinen Sinn – solange es sich in Grenzen hält.

In der Wissensgesellschaft kommt es immer häufiger vor, dass Menschen „Bullshit“ von sich geben und das manchmal sogar müssen. Der britische Organisationswissenschaftler André Spicer von der University of London meint in einem Übersichtsartikel, dies sei vor allem in Unternehmen und Organisationen zunehmend der Fall. Schlimm ist das nicht – Bullshitten ist eine wichtige soziale Praxis. Es hilft dabei, mit anderen im Kontakt zu bleiben und zu einer Community zu gehören. Doch es gebe Bedingungen, unter denen Bullshitten zum Nachteil werden kann, nicht nur einzelner Menschen, sondern ganzer Organisationen. 

Das Konzept des Bullshits stellte der US-amerikanischen Philosoph Harry Frankfurt schon 1986 vor und veröffentlichte 2005 ein Buch darüber. Um was geht es? Im Prinzip um Äußerungen, deren Inhalt nicht auf Fakten beruht, die aber nicht gelogen sind – weil Lügen heißt, etwas bewusst falsch darzustellen. Bullshit ist eine Aussage vielmehr dann, wenn sie keinen Bezug zu Fakten, Studienergebnissen oder Erfahrungen hat. Spicer nennt solche Behauptungen „inhaltsleer“ und irreführend. Sie werden im Brustton der Überzeugung vorgetragen und oft gehe es darum, Ideen zu vermarkten oder andere davon zu überzeugen. Deshalb sei Bullshitten auch in Branchen, in denen es um den Verkauf von Ideen aller Art geht, häufiger, etwa in Beratungsunternehmen, aber auch in der Politik sowie im akademischen Bereich. Aus Buzzwords wie „Innovation“ oder „Kreativität“ könne leicht Bullshit werden, wenn sie unklar definiert und ohne Bezug zu Fakten kommuniziert würden. Auch Konzepte über Führung und Strategien oder andere Organisationsthemen können leicht zu Bullshit werden, wenn keine Evidenz für ihre Wirksamkeit existiere, aber in einem Unternehmen der Glaube daran religiöse Züge annehme und Kritik nicht zulasse.

Spicer beschreibt Bullshitten nicht als individuelles Phänomen, sondern als soziale Praxis und als ein Spiel mit Sprache – das unter ganz bestimmten Voraussetzungen stattfindet und zu dem jeweils eine ganz bestimmte Sprach-Community gehört, eine Abteilung, ein Team oder ein ganzes Unternehmen. Manche Akteure sind in der Situation, inhaltsarme Gedanken kommunizieren zu müssen und zu ignorieren, dass sie wenig wissen. Das kann gewollt sein – in der Werbung beispielsweise. Aber es kann sich auch um eine trickreiche Situation handeln. Führungskräfte im mittleren Management wissen aus Zeitgründen oft wenig über die Arbeit ihrer Mitarbeiter, aber müssen trotzdem darüber einen Vortrag halten. Ähnliches gelte für Politiker, die über etwas reden sollen, womit sie sich nicht auskennen.

Das Bullshit-Spiel

Dies alles oft vor Zuhörern, die ebenfalls keine Ahnung von dem Hintergrund der Idee oder der Gedanken desjenigen haben, der freiwillig oder gezwungenermaßen Blödsinn redet. Dies könne eine ebenso verwirrende wie befreiende Situation schaffen, schreibt Spicer: Niemand wisse, was gerade passiert, wie er die „Bullshit“-Äußerung einordnen solle oder worauf sich diese beziehen könnte. Rezipienten nehmen die Behauptungen des Bullshitters hin oder „springen sogar auf den Zug auf“ und zeigen sich begeistert. Bei erfolgreichem Bullshitting entstehe so zwischen den Beteiligten ein Konsens, eine Überstimmung in der Sache, die jedoch oberflächlich bleibe. Solange alle mitspielen, ist Bullshitting erfolgreich und gut für Image und Selbstvertrauen. Es sollte allerdings nicht ausufern. 

Genau das aber kann die Folge erfolgreichen Bullshittings sein, denn es verführe dazu, weiter zu machen. In Organisationen könne es auf diese Weise zur Routine und zur ganz normalen Kommunikation werden, schreibt Spicer. Das könne soweit gehen, dass Angestellte beginnen, ihren eigenen Job für kompletten Bullshit zu halten. Beginne ein Unternehmen, auch in der externen Kommunikation zu bullshitten, könne das zu Problemen führen, bis hin zum Verlust der Glaubwürdigkeit. Nicht jedoch, wenn einer der Zuhörer versucht, den „Schwindel“ aufzudecken und seine Vermutung offen ausspricht. Dann werde der Bullshitter enttarnt, was sich negativ auf sein Image und sein Selbstvertrauen auswirke. Weil dies unangenehm ist, wird sie oder er kaum ein zweites Mal auf dieses Mittel zurückgreifen. 

Wie Spicer schreibt, ist es eine besondere Herausforderung, Bullshit in unseren eigenen Ideen und Gedanken zu erkennen – bei anderen tun wir uns leichter. Und generell sei auch die Unterscheidung von Bullshit oder Nicht-Bullshit nicht immer einfach, erklärt der Forscher. Bullshitting lasse sich auch als eine Art verstehen, mit der Wahrheit und mit Fakten zu experimentieren. Und es könnten Debatten darüber entstehen, was Bullshit ist und was nicht.

André Spicer: Playing the bullshit game: How empty and misleading communication takes over organizations. Organization Theory, 1/26, 2020. DOI: 10.1177/2631787720929704

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