Umgang mit dem Tod: „Bin ich eiskalt oder abgestumpft?“

Ein Mann fällt vom Dach, ein Kind stirbt beim Verkehrsunfall: Eine Brandmeisterin und Notfallsanitäterin über den Umgang mit dem Tod im Beruf.

Eine Feuerwehrfrau mit Helm und Schutzkleidung im Einsatz
Als Feuerwehrfrau wird man regelmäßig mit dramatischen Schicksalen und dem Tod konfrontiert. © gorodenkoff/Getty Images

Ich war bei einer Freundin zum Kaffeetrinken, als ihr Mann vom Dach fiel. Acht Meter in die Tiefe. Ich habe sofort Erste Hilfe geleistet. Später hat die Freundin zu mir gesagt: „Es war, als wenn du einen Schalter umlegst. Du warst nicht mehr die Person, die ich kenne.“ In so einem Moment kann ich nicht denken: Da liegt Gregor. Sonst könnte ich nicht helfen. Im Einsatz habe ich gelernt, meine Gefühle auszuschalten. Die Arbeitsschritte sind standardisiert, daran halte ich mich fest. Erst mache ich das, dann das, dann das.

Ich arbeite seit rund 15 Jahren als Notfallsanitäterin und Brandmeisterin bei der Feuerwehr. Meine Wache liegt in einer Großstadt im Ruhrgebiet. Wenn Alarm ausgelöst wird, haben wir 90 Sekunden Zeit, bis wir mit dem Fahrzeug auf der Straße sein müssen. In manchen Schichten rücken wir nur einmal aus. Dann wieder sechs- oder siebenmal. Manchmal fahre ich mit dem Rettungswagen, manchmal mit dem Löschfahrzeug. Ich habe auch noch eine Zusatzausbildung als Höhenretterin und darf Menschen abseilen oder aus Baugruben bergen.

Die Arbeit bei der Feuerwehr ist für mich der absolute Traumberuf. Helfen können, Leben retten: Das euphorisiert. Aber wir sehen eben auch Brandtote, Unfallopfer oder Schwerkranke.

Ein Einsatz, den man nicht mehr vergisst

Meinen schlimmsten Einsatz hatte ich noch in der Ausbildung: ein totes Kind nach einem Verkehrsunfall. Es war acht oder neun Jahre alt und voller Blut. Die Unfallfahrerin hatte getrunken und stand unter Drogen. Ich sollte sie betreuen, aber das konnte ich in der Situation nicht. Dieser Einsatz ist mir lange nachgegangen. Vielleicht weil es das erste tote Kind war. Als ich im letzten Jahr einen Säugling nicht mehr reanimieren konnte, hat mich das weniger mitgenommen.

Meine Freunde konnten das nicht verstehen. Ihre Reaktion hat mich betroffen gemacht. Bin ich eiskalt geworden? Abgestumpft? Oder habe ich nach 15 Jahren Rettungsdienst gelernt, das, was ich erlebe, in einen ertragbaren Rahmen zu packen? Manchmal frage ich mich das immer noch.

Aber wenn ich alles an mich heranlassen würde, könnte ich meine Arbeit nicht machen. Zu Beginn meiner Ausbildung als Notfallsanitäterin hat eine Nonne zu mir gesagt: „Gott hat die Situation in der Hand. Du kommst mit den Werkzeugen dahin, die du hast. Du tust, was du kannst. Aber du musst die Situation so nehmen, wie sie ist.“ An diesen Gedanken halte ich mich bis heute. Es klingt kalt, aber es stimmt: Ich kann nicht jedes Leben retten.

Wir haben zum Beispiel Stamm­patienten. Trinker. Die fahren wir alle drei Wochen wieder ins Krankenhaus – mehr können wir nicht tun. Oder eine Wohnung brennt so stark, dass wir den Bewohner nicht mehr ret­ten können. Ein Suizidaler entscheidet sich trotz unserer Hilfe, aus dem Fenster zu springen.

Im Himmel bei der Engelmama

Als ich den Säugling auf den Arm nahm, war sein Körper nicht mehr warm. In diesem Moment wusste ich: Die Chance, dieses Kind wiederzubekommen, ist mir nicht gegeben. Wahrscheinlich war er schon in der Nacht an plötzlichem Kindstod verstorben. Ich bin keine Kirchgängerin, aber doch recht gläubig. Warum Gott schlimme Dinge geschehen lässt, ob es hinter all dem einen Plan gibt – das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass manches einfach nicht in unserer Hand liegt.

Ich habe selbst zwei Töchter, vier und acht Jahre alt, und sie haben einen positiven Kinderglauben, von dem ich mich anstecken lassen möchte. Nachdem das Kind einer Freundin gestorben war, hat die eine sich vorgestellt: Das Baby ist im Himmel. Bei seiner Engelmama. Diese Vorstellung finde ich schön.

Meine Strategie ist, bei jedem Einsatz etwas Gutes zu finden und mich darauf zu konzentrieren. Nach der Säuglingsreanimation habe ich zum Beispiel eine Puppe meiner Töchter mit zum Dienst genommen und zusammen mit den Kollegen geübt, wie man ein so kleines Kind reanimiert. Es hat gutgetan, sich mit den anderen auszutauschen, und wir sind alle sicherer geworden. Oder ich denke nach einem Brand nicht an das Opfer, sondern halte mir vor Augen, wie ich die Wasserversorgung sicherstellen und die Angehörigen beruhigen konnte. In den meisten Fällen funktioniert das für mich.

Wenn nicht, gehe ich zu einem Kollegen und rede darüber. Dann sage ich: „Ich verstehe es nicht. Es ist scheiße. Ich will es auch nicht verstehen.“ Wenn wir unter uns sind, haben wir bei der Feuerwehr einen bösen schwarzen Humor. Der kann einen auch wieder aufrichten.

Erinnerungen werden lebendig

Schon in der Ausbildung habe ich gelernt, wie Körper und Kopf auf belastende Erlebnisse reagieren. Das hilft mir, besser damit umzugehen. Leichen schaue ich nicht ins Gesicht. Bei der Feuerwehr sagt man: Gesichter kommen ans Bett. Hände nicht. Gerüche oder Geräusche können einen aber auch erinnern. Darauf muss man vorbereitet sein.

Ein paar Tage nach dem letzten Brandtoten war ich mit meinem Mann zum Grillen eingeladen. Der Geruch des Fleisches hat die Bilder an den Einsatz sofort wieder zurückgebracht. Ich habe zu meinem Mann gesagt: „Es ist wie die letzten Tage im Dienst.“ Er hat nur genickt. Mein Mann ist bei der Freiwilligen Feuerwehr und versteht das. In der Situation hat es mir geholfen, es nur einmal laut auszusprechen, um den Gedanken aus dem Kopf zu bekommen.

Mein Beruf hat mich verändert. Ich versuche, viel zu genießen. Statt die Wäsche zu machen, setze ich mich einfach mal eine halbe Stunde mit den Kindern in den Garten und esse ein Eis. Was ich auf Arbeit erlebe, setzt vieles in ein anderes Licht. Meine Kleine hat einen Wutanfall und schreit eine Stunde? Das ist anstrengend, klar, aber nächste Woche bin ich wieder im Kinderkrankenhaus und sehe dort, wie viel schlimmer es kommen kann.

Hintergrund

Dramatische Erlebnisse bei Feuerwehreinsätzen

Einsatzkräfte versuchen, Menschen aus Etagenwohnungen zu holen oder Unfallopfer zu befreien, oft unter extremem Zeitdruck. Manchmal erleben sie, dass ihre Mühe vergeblich war – oder sie treffen auf unerwartete Hindernisse, wie versperrte Rettungs­wege und verschlossene Fluchttüren. Mitunter riecht es nach Urin, Schweiß oder Verwesung. Konflikte und Fehlentscheidungen im Team können vorkommen. 

Manchmal belastet schon die pure Anzahl solcher Eindrücke die Einsatzkräfte stärker, als sie es von sich selbst kennen, schreibt der Autor und Brandschutzfachmann Hans Kemper in dem Buch Physische und psychische Belastungen im Einsatz. Wann und wie oft es zu diesen Situationen kommt, ist nicht vorhersehbar für die Feuerwehrfachkräfte – „es gibt keine Vorwarnung“, so Kemper.

Dagegen helfen vor allem zwei Dinge: eine umfassende Aus- und Weiterbildung sowie „Aufrichtigkeit, Offenheit und Vertrauen“ innerhalb der Feuerwehr. Die Erfahrung zeigt, so der Autor: Die Folgen psychischer Belastungen werden nicht nur unterschätzt, sondern manchmal völlig missachtet – auch von den Einsatzkräften selbst. Nach außergewöhnlichen Einsatzsituationen ist es daher mit einem Schulterklopfen nicht getan, vielmehr müssten diese aufgearbeitet und besprochen werden. Dies ist Aufgabe der Psychosozialen Notfallversorgung für Einsatzkräfte (PSNV-E), die von Hilfsorganisationen oder der Feuerwehr angeboten wird. 

Susanne Ackermann

Hans Kemper: Fachwissen Feuerwehr: Physische und psychische Belastungen im Einsatz. Ecomed Sicherheit, Landsberg am Lech 2021

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