Heute war ich nicht kooperativ genug

Wenn man am Abend das Gefühl hat, tagsüber nicht sozial genug gewesen zu sein, schadet das dem Privatleben.

Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen, Informationen weiterzugeben, Absprachen einzuhalten, das ist für viele selbstverständlich. Aber es gibt einen Nachteil betrieblichen Hilfsbereitschaft: Wenn wir es nicht sein können, stellt sich das Gefühl ein, kooperativ sein zu müssen. Dies raubt offenbar zusätzlich Energie und wir sind gereizter und müder als an den Tagen, an denen wir helfen. Dies zeigt eine Tagebuchstudie: Sobald sich Teilnehmende unter Druck fühlten, sich sozial verhalten zu müssen (obwohl es ungünstig für sie war), fühlten sie sich am Abend erschöpfter und gaben an, mehr sich mit Partnerinnen und Partnern zu streiten als sonst.

In der Arbeitswissenschaft wird dieses freiwillige soziale Verhalten Organizational citizenship behavior genannt. Und es tut gut und lindert auch Erschöpfung, wie Forschungen zeigen. Von Unternehmen und Organisationen wird es nicht explizit belohnt. Aber nicht immer sind Arbeitnehmende dazu in der Lage, etwa wenn sie selbst gerade sehr viel zu tun haben.

Wenn wir nicht helfen können

Rund 70 Erwerbstätige aus verschiedenen Branchen nahmen an der Tagebuchstudie teil, die sich über zwei Wochen erstreckte. Alle gaben an, in einer festen Beziehung zu leben. Sie wurden umfassend befragt, wie sie sich tagsüber bei der Arbeit verhalten hatten und wie es ihnen damit ging und wie sie sich abends fühlten. Auch die Qualität ihres Schlafs wurde mit Hilfe eines Armbands gemessen, das sie nachts trugen. Schlechter Schlaf führte dazu, dass es als noch belastender erlebt wurde, sich nicht sozial genug zu verhalten. Die Teilnehmenden, die berichteten, dass sie an einem Tag nicht kooperativ genug waren, empfanden einen gewissen Druck. Zudem zeigte sich, dass diese Personen sich am Abend desselben Tages auch häufiger gereizt fühlten und mit ihren Partnerinnen und Partnern stritten.

Organizational citizenship behavior umfasst fünf Verhaltenskategorien. Der gemeinsame Nenner aller Verhaltensweisen ist, dass sie freiwillig sind und den Zielen des Unternehmens dienen, jedoch nicht explizit oder direkt belohnt werden. Forschende zählen dazu:

  • Hilfeleistungen für Kolleginnen und Kollegen, Kunden und Vorgesetzte,

  • eine sehr gewissenhafte Erledigung der Arbeit und Absprachen, bevor man etwas tut, was den Arbeitsbereich von anderen berührt,

  • gelassener Umgang mit unvermeidlichen Ärgernissen und Konflikten,

  • Teilhabe am öffentlichen Leben innerhalb der Organisation,

  • Ideen äußern, die zur Effektivität der Organisation beitragen.

Forschungen zeigten, dass diese Verhaltensweisen am häufigsten von Festangestellten gezeigt werden, also vermutlich dadurch motiviert sind, dass diese sich am stärksten mit ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern identifizierten. Bei Zeitarbeiterinnen und Zeitarbeitern wurde dieses Verhalten weniger gefunden, vermutlich, weil sie häufig relativ kurz in einem Betrieb bleiben.

Quellen

Ekaterina Netchaeva u. a.: What we are pushed to do versus what we want to do: Comparing the unique effects of citizenship pressure and actual citizenship behavior on fatigue and family behaviors. Journal of Vocational Behavior, 2023. DOI: 10.1016/j.jvb.2023.103845

Friedemann W. Nerdinger u. a.: Arbeits- und Organisationspsychologie. Springer, 4. Auflage, 2019

Markus Antonius Wirtz: Dorsch, Lexikon der Psychologie, Hogrefe, 19. Überarbeitete Auflage, 2020

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