„Hörst du mir eigentlich zu?“

Für die Liebe ist es entscheidend, wie Paare miteinander reden. Ein Gespräch mit Kurt Hahlweg darüber, was gute Konfliktgespräche ausmacht

Aufmerksam oder schon abgeschaltet? Im Gespräch ist nicht immer klar, wie involviert unser Gegenüber ist. © georgeclerk/Getty Images

Professor Hahlweg, welches sind die typischen Kommunikationsfehler, die Paare begehen?

Es sind die kritischen Haltungen gegenüber meinem Partner oder meiner Partnerin, wir nennen das indirekte Kommunikation. Ich mache das mal an einem Beispiel klar: Ein Paar ist auf dem Rückweg von einer Party. Er sagt: „Du denkst, du bist so umwerfend! Hör endlich auf, mit anderen zu flirten.“ Das ist eine klassische indirekte Gefühlsäußerung. Denn was wäre eine direkte? Zum Beispiel zu sagen: „Heute Abend wusste ich schon vor dem Fest: Ich bin unsicher, ich kenne wenig Leute. Und ich hätte mir gewünscht, dass du bei mir bleibst und nicht die ganze Zeit mit anderen redest.“ Der Unterschied ist, dass ich über mich spreche, über meine Unsicherheit, und die Partnerin die Möglichkeit hat, darauf einzugehen.

Was ist typisch für solche indirekten Gefühlsäußerungen, wie Sie es nennen?

Ein paar Beispiele: „Du bist so rigide.“ „Deine Ansichten über Religion sind lächerlich.“ „Alles, was du willst, ist arbeiten, du bist doch nie zu Hause.“ Das sind klassische Kommunikationsfehler: Ich rede von „du“ oder „man“, ich spreche keine konkrete Situation an, sondern sage „immer“ und „nie“. Und ich rede nicht über ein bestimmtes Verhalten in einem bestimmten Moment, sondern bleibe bei „Das ist ja ganz typisch für dich. Ewig machst du...“.

Wir alle kennen diese Muster. Und es wäre auch extrem langweilig, wenn man immer die richtigen Kommunikationsregeln anwenden würde. Also von sich reden, konkrete Situationen ansprechen, im Hier und Jetzt bleiben und insgesamt: sich öffnen. Zwar versuchen wir, den Paaren in unseren Kursen beizubringen, auf diese Art zu kommunizieren. Aber wir sagen auch: Reden Sie bloß im Alltag nicht so, das ist fürchterlich psychomäßig. Das hält ja auf Dauer keiner aus. Die Idee dahinter ist: Wenn ich jetzt schon zum dritten Mal über ein Thema spreche und wir kommen nicht weiter, dass ich dann sage: „Moment, wir versuchen es mal anders und ich halte mich jetzt an die Kommunikationsregeln.“

Welche weiteren Fehler begehen Paare in Gesprächen?

Ganz klar: Ich lese Zeitung, wenn meine Partnerin anfängt, mit mir über ein Thema zu reden. Allein schon das nonverbale Verhalten, dass ich dann weiter Zeitung lese, bringt einen ja schon auf die Palme. Und wenn sie mich fragt: „Hörst du mir eigentlich zu?“, sage ich: „Ja, klar höre ich dir zu.“ Aber ich kann höchstens die letzten drei Worte von ihr wiederholen, die bei mir im Kurzzeitgedächtnis geblieben sind. Doch auch wenn wir aufmerksam zugehört haben, verzichten wir im Alltag leider fast immer darauf, zusammenzufassen, was unser Gegenüber gesagt hat. Das ist aufwändig, aber unabdingbar, wenn man Konflikte lösen möchte. Stattdessen sagen wir einfach: „Ja, da hast du recht.“

Dieses Interview ist eine ausführliche Version des Editorials aus Psychologie Heute 11/2023 „Paartherapie. Wie wirkt sie, wann ist sie sinnvoll? Die wichtigsten Antworten zum Thema. Plus: 3 Praxisberichte von Therapeuten“

Sie haben zusammen mit anderen Wissenschaftlern die so genannten EPL-Kurse entworfen, EPL steht für „Ein partnerschaftliches Lernprogramm“. Damit können Paare an zwei Tagen trainieren, besser miteinander zu kommunizieren. Wie läuft das ab?

Es nehmen vier Paare teil und zwei Trainerinnen oder Trainer, ein Trainer ist also verantwortlich für zwei Paare. Die vier Paare treffen sich nur zu zwanzig Prozent der Zeit in der gesamten Gruppe, zu achtzig Prozent sind sie alleine in einem Raum und können üben, ohne dass die anderen zuhören. Die Trainerinnen gehen von Paar zu Paar und helfen ihnen, coachen sie. Die Übungen im Kurs sind gestuft: Wir beginnen mit leichten Übungen, die dann immer schwieriger werden. Am Ende steht das Sprechen über einen eigenen Konflikt.

Wie wichtig ist es dafür, dass die Teilnehmenden sprachlich gewandt sind?

Das Vorurteil wäre ja nun: Diejenigen, die einen Hauptschulabschluss haben, haben vielleicht etwas mehr Mühe, die Kommunikationsregeln umzusetzen. Fakt ist aber, dass die Akademiker oft am schwierigsten sind – die quasseln so abstrakt. Während Menschen ohne Universitätsabschluss vielleicht eher sagen: Was soll ich jetzt sagen? Dann erklärt man das und dann machen die das einfach. Und die Regeln sind ja sinnvoll, es ist für viele Teilnehmende relativ einleuchtend, dass das, was sie jetzt neu machen, besser ist. Weil sie unmittelbar die Rückmeldung vom anderen bekommen: Ja, prima, jetzt kann ich besser darüber sprechen.

Sie haben die Regeln, die Konfliktgespräche erleichtern, ja schon genannt: Von sich selbst sprechen, von konkreten Situationen reden, im Hier und Jetzt bleiben. Was gehört noch dazu?

Ein wesentlicher Punkt ist: Wir unterscheiden zwischen harten und weichen Gefühlsäußerungen. Harte Gefühlsäußerungen sind, wenn man sagt: „Ich bin unglaublich wütend.“ „Ich ekle mich.“ „Sowas Dummes, was du da gemacht hast, du bist unmöglich.“ Die Reaktion darauf ist dann häufig: „Du spinnst doch.“ Ich steige also darauf ein, indem ich genau das gleiche mache und dem Gegenüber sage, dass er noch dämlicher ist als ich. Das eskaliert dann.

Während weiche Gefühlsäußerungen so klingen: „Ich bin verzweifelt.“ „Ich bin einsam, ich fühle mich verlassen.“ „Ich bin verletzt, traurig, fühle mich übergangen, abgewiesen, unsicher.“ Die Folge von weichen Gefühlsäußerungen ist, dass mein Gegenüber nicht zurückschlägt, sondern eher auf mich eingeht, weil er beginnt zu verstehen, warum ich mich so verhalte.

Wir wollen die Paare, insbesondere in kritischen Situationen, dahin bringen, dass sie direkt über ihre Gefühle reden und dass sie weiche Gefühlsbegriffe benutzen. Denn hinter „Du bist total egoistisch“ steht häufig „Ich fühle mich übergangen, du entscheidest etwas und nimmst keine Rücksicht auf mich“. Und wenn ich das sage, merken Sie auch an meiner Stimme: Sie wird nicht aggressiv-angreifend, sondern weicher – das verändert die Kommunikation.

Jetzt haben wir über die wichtigsten Fertigkeiten beim Sprechen geredet – können Sie etwas zu den Fertigkeiten beim Zuhören sagen, die die Teilnehmenden lernen?

Ja, also erst einmal das Nonverbale: Mach deiner Partnerin oder deinem Partner klar, dass du zuhörst: Guck ihn an, nicke, mache hmhm oder aha oder was man so macht.

Handy weglegen?

Ja, das sowieso, Handys sind bei uns im EPL-Kurs verboten. Aber der entscheidende Punkt ist das Paraphrasieren, das bedeutet: Ich fasse zusammen, was der andere gesagt hat, und versuche zu betonen, was die Gefühle dahinter sind. Das ist am schwersten zu lernen, aber nach so einem Wochenendkurs – das sind dann 14 Stunden – können die meisten das.

Offene Fragen stellen gehört auch dazu. Wenn die Partnerin indirekt über etwas spricht, nachfragen: Wie geht es dir, ich habe das noch nicht ganz verstanden. Bist du eher sauer oder traurig?

In einem EPL-Kurs müssen die Paare auch über Sexualität sprechen – ist das der schwierigste Teil?

Ja. Das Reden über Sexualität ist erst sinnvoll, wenn ich vorher gelernt habe, die Kommunikationsregeln anzuwenden. Wir machen das so: Wir haben 25 Begriffe wie Orgasmus, Erregung, Streicheln, die auf einzelnen Zetteln stehen. Und die Paare haben die Aufgabe, daraus zusammen ein Haus zu bauen: Die Begriffe, die besonders wichtig sind, legen sie ins Fundament. Und das müssen sie abstimmen. Dann sagt zum Beispiel einer: „Also ich finde, Erotik ist unglaublich wichtig.“ Und dann muss er dem anderen erklären, was er unter Erotik versteht – und zwar sehr konkret. Also zum Beispiel: Für mich ist eine erotische Situation, wenn du dies und das anhast und es ausziehst. Und der andere soll dann zusammenfassen, was er gehört hat, und dazu Stellung nehmen. So dass die beiden anfangen, sich sehr konkret auszutauschen. Das ist schwierig, aber für viele Paare schon ein Aha-Erlebnis. Weil über Sexualität häufig nicht geredet wird.

Viele Paare, die heiraten wollen, beschäftigen sich ja mehr mit den Vorbereitungen für die Hochzeit als mit den Vorbereitungen für die Ehe. Was passiert, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich in Ihren Kursen über ihre gegenseitigen Erwartungen an ein gemeinsames Leben austauschen?

In den Kursen haben wir so einen kleinen Fragebogen, in dem steht: Wie wichtig oder unwichtig ist für Sie Selbstverwirklichung, wenn Sie an Ihr gemeinsames Leben denken? Oder Selbstständigkeit oder gemeinsame Interessen und Aktivitäten. Beide füllen den Fragebogen aus und dann gucken wir zusammen drauf: Wo gibt es Differenzen? Also die eine hat gesagt: Selbstverwirklichung ist für mich sehr wichtig, während die andere geschrieben hat: Eher nicht wichtig. Und dann bitten wir die beiden, darüber zu reden. Was verstehen Sie unter Selbstverwirklichung? Und das Witzige ist dann häufig, dass bei den erstmal vordergründig differenten Ansichten plötzlich feststellen: Wir sind nicht so unterschiedlich, sondern wir haben das nur aus einem anderen Blickwinkel angeschaut. Und umgekehrt: Bei den Sachen, bei denen sie voll übereingestimmt haben, stellen sie fest: Die passen nicht zusammen. Das sind dann schon so Aha-Erlebnisse.

Gibt es auch Momente, in denen Paare sagen: Also wenn du das so siehst, dann müssen wir darüber aber nochmal in Ruhe reden?

Ja. Das ist dann etwas, was sie zu Hause machen müssen, weil der Kurs eben nur 14 Stunden dauert. Unter der Berücksichtigung der Sprecher- und Zuhörer-Regeln kann das dann besser gelingen.

Aber generell möchte ich noch einmal sagen: Es ist klar, dass nicht alle Paare zueinander passen, Trennung und Scheidung können in vielen Fällen ganz hervorragende Einrichtungen sein – ehe man sich das ganze Leben kaputtmacht. Es kommen auch Paare in die EPL-Kurse, die sind schon so schwer belastet, da empfehlen wir gleich eine Paartherapie.

Oder es passiert, dass Ihr Partner eine Persönlichkeitsstörung hat und Sie merken: Irgendwas stimmt nicht – das möchte ich so dauerhaft nicht.

Es gibt also diese Präventionskurse auch mit dem Ziel, um zu testen: Lohnt sich das mit ihm oder ihr? Und wenn das Ergebnis nein ist, muss man das ja auch als Erfolg werten.

Doch meistens scheinen die Kurse ja dazu beizutragen, dass die Ehe hält. Sie haben EPL in vielen Studien evaluiert. Ein Ergebnis ist, dass die EPL-Paare nach 25 Jahren eine Scheidungsrate von fünf Prozent hatten, während die Kontrollgruppe bei den üblichen 30 Prozent lag. Welchen Anteil an diesem Erfolg hat die Tatsache, dass man lernt, Probleme nicht zu vermeiden, sondern anzusprechen?

Das ist ja das Ziel des Ganzen. Unsere Botschaft lautet: Ihr werdet immer Konflikte haben, es gibt kein Paar, bei dem das nicht der Fall ist, das Leben wäre ja auch stinkelangweilig, wenn sich alle immer einig wären. Und deswegen möchten wir die Paare kommunikativ so ausstatten, dass sie diese Konflikte bewältigen können.

Es gibt eine Gewöhnungskomponente in Beziehungen, es besteht die Gefahr, dass es etwas monoton wird. Wir sagen: Machen Sie etwas dagegen, vereinbaren Sie doch, dass Sie alle zwei Wochen an einem Abend von 22.30 bis 23 Uhr etwas gemeinsam tun, zum Beispiel sich hinsetzen und einen Wein zusammen trinken. Und diese Zeit kann dann auch dafür genutzt werden, über Dinge zu reden, die Ihnen aufgefallen sind, die Sie gestört haben.

Ich gebe mal ein Beispiel: Nehmen wir mal an, Sie wollen ins Theater gehen und haben verabredet, sich zehn Minuten vorher zu treffen, damit Sie gemütlich reingehen können. Aber er oder sie kommt nicht und kommt nicht und taucht zwei Minuten vor Beginn auf. Das wäre eine Situation, in der es ziemlich blöd ist, ein Konfliktgespräch zu beginnen. Weil Sie ja Ihren Mantel noch abgeben müssen, Ihren Sitz suchen, und Sie wollen sich auch auf das Theaterstück freuen. Also wäre es sinnvoll zu sagen: „Ok, ich rede jetzt nicht darüber, rein, Garderobe, hinsetzen. Aber ich merke mir: Ich sprech‘ das nächsten Donnerstag an, dass mich das gestört hat.“

Wir versuchen, den Austausch über Dinge, die einen ärgern, zu fördern – so dass man es nicht runterschluckt und die Ärgernisse bleiben unbewältigt und irgendwann kommt man zu dem Schluss: Nee, nun geht's nicht mehr. Unsere Idee ist, diesen Entwicklungen vorzugreifen, Paare zu sensitivieren: Dass nicht Nebeneinanderherleben das große Ziel ist, sondern Probleme gemeinsam angehen und sie bewältigen.

Kurt Hahlweg ist emeritierter Professor an der Technischen Universität Braunschweig. Er hat EPL mitentwickelt und über Jahre mit seiner psychologischen Forschung begleitet

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