Forscher der University of Texas haben jüngst belegt, dass ein übermäßiger Gebrauch des Smartphones sich negativ auf die Partnerschaft auswirken kann: Paare entfremden sich dadurch. Nun haben Sie viel Erfahrung mit Paaren, die dabei sind, sich zu entfremden. Ist das Handy ein Beziehungskiller?
Nein. Durch das Handy hat sich unsere Kommunikation und auch unser Stresspegel verändert. Insgesamt ist das Leben inzwischen ja stark beschleunigt, und es fällt vielen schwer, sich gegenüber der Dauerreichbarkeit klar…
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inzwischen ja stark beschleunigt, und es fällt vielen schwer, sich gegenüber der Dauerreichbarkeit klar abzugrenzen. Man spricht also heute einerseits mit seinem Partner, ist dabei aber auch noch in WhatsApp-Kontakt mit jemand anderem und muss ständig entscheiden, wem antworte oder widme ich mich jetzt. Das kann in Beziehungen natürlich nerven und auch mal zu Streit führen. Irgendwann sagt der Partner vielleicht: „Jetzt mach doch mal aus!“ Insgesamt würde ich aber sagen, dass durch das Handy keine neuen Konflikte entstehen, sondern vielmehr bestehende Konflikte sichtbarer und deutlicher werden, wie unter einem Brennglas.
An welche Konflikte denken Sie?
An ganz klassische Konflikte, die dann übers Handy ausagiert werden. Selbstwertkonflikte zum Beispiel: Vielleicht hat die Partnerin das Gefühl, dass sie ihrem Mann generell nicht so wichtig ist und dieser lieber Zeit mit seinem Smartphone verbringt, als sich mit ihr zu unterhalten. Und schon gibt es Streit ums Mobiltelefon. Eifersuchtskonflikte sind auch ein Klassiker. Für einen eifersüchtigen Partner kann ja schon jede Handynutzung der Partnerin eine potenzielle Bedrohung sein, er will dann ständig wissen, mit wem sie schreibt oder wer angerufen hat. Auch Nähe-Distanz-Konflikte werden oft über das Smartphone ausagiert. Vielleicht zieht ein Partner, der Angst vor Nähe hat, sich regelmäßig aus der Beziehung zurück, geht aus dem Kontakt, indem er ganz viel auf seinem Mobiltelefon daddelt. Die enttäuschten Partner reagieren dann ärgerlich oder ziehen sich ebenfalls zurück, worauf dann auch der näheängstliche Partner wieder reagiert …, und der Streit geht los. Diese Dynamik herauszuarbeiten, die Konflikte hinter den Konflikten, ist die Aufgabe der Paartherapie.
Ein Konflikt ums Handy ist also oft ein Symptom?
So ist es. Bei vielen Paaren, die in Paartherapie kommen, ist im Hintergrund eine große Bindungsunsicherheit zu spüren. Anhand des Umgangs mit dem Handy in der Paarbeziehung bildet sich manchmal genau ab, welchen Bindungstyp die Beteiligten haben, also ob sie eher sicher gebunden sind oder eher unsicher gebunden. Brauchen sie ständig eine Standleitung zum Partner, um Sicherheit und Geborgenheit zu spüren? Müssen sie ständig schreiben und Kontakt halten? Kontrollieren sie das Handy des Partners? Halten sie den Partner auf Abstand und antworten nicht? Diese Themen ploppen immer wieder auf.
Kann das Handy also doch eine Belastung für eine Beziehung sein?
Es kann auch eine Bereicherung sein. Ich hatte schon viele Menschen hier sitzen, die große Schwierigkeiten hatten, Konflikte im direkten Kontakt anzusprechen. Viele fanden es nach einem Streit deutlich einfacher, sich per WhatsApp zu entschuldigen. Klassische Situation: Ein Partner verlässt die Wohnung im Streit, der andere denkt, das lief jetzt wirklich blöd – schicke ich schnell ein Herzchen oder ein Sorry. So werden Dinge dann unter Umständen schnell geklärt. Das gibt es also auch. Problematisch ist aus meiner Sicht aber eher, dass es bei der Handykommunikation so häufig zu Fehlinterpretationen kommt.
Indem Nachrichten falsch interpretiert werden?
Zum Beispiel. Viele fragen sich: Warum schreibt mein Partner jetzt nicht zurück? Was genau meint sie mit diesem Emoji? Warum schickt der Chef meiner Frau ein Küsschen-Emoji, signalisiert das nun Dankbarkeit oder Flirten? Dann gehen die Fantasien los, und der innere Stress steigert sich. Oft wird dieser Zustand so quälend, dass in der Paartherapie das Smartphone rausgeholt wird und mir WhatsApp-Nachrichten gezeigt werden, um zu klären, was der Schreibende wohl wirklich gemeint haben will.
Smartphones sind sicher auch ambivalente Objekte, weil mithilfe des Handys viele Affären initiiert und geführt werden können.
Absolut. Über Tinder oder WhatsApp gibt es ja viele Möglichkeiten, sich eine Außenbeziehung zu besorgen. Durch das Handy kommt es auch insofern schneller dazu, weil Beziehungen übers Smartphone nicht unbedingt ausgelebt werden müssen. Man schreibt sich immer hin und her, ist vielleicht ein bisschen verliebt, sieht sich aber nicht unbedingt. Das verschafft gerade Menschen, die viel Bestätigung brauchen, einen starken Kick. Gefühlt fliegen allerdings auch achtzig Prozent der Außenbeziehungen übers Mobiltelefon auf. Bei einem Partner kommt vielleicht Misstrauen auf, weil der andere immer just dann das Smartphone weglegt, wenn er den Raum betritt. Und wenn der andere Partner dann unter der Dusche ist, checkt man kurz sein Handy – und die Affäre fliegt auf.
Warum werden Affären über das Smartphone gemanagt, wenn es doch so leicht ist, diese aufzudecken?
Manchmal denke ich, dass die Kommunikation in der Außenbeziehung über das Handy geführt wird, damit sie endlich irgendwann auffliegt – unbewusst, versteht sich. Aber ich bin ohnehin oft erstaunt, mit welcher technischen Raffinesse Partner per Smartphone ihre Beziehungen kontrollieren. Manchmal kommt es zu einer richtigen Technikschlacht, man rüstet gegenseitig auf. Ich hatte schon viele Klientinnen und Klienten, die sich in die Handys ihrer Partner gehackt haben, die ihre Partner per GPS getrackt haben und sich deren WhatsApp-Verläufe auf das eigene Handy haben spielen lassen. Viele Klienten sagen mir dann entschuldigend: „Normalerweise würde ich so was nie tun, da bin ich überhaupt nicht der Typ zu, ich finde es selbst schrecklich, wie ich meinen Partner kontrolliere.“ Es geht dabei natürlich im Kern auch um Macht und Ohnmacht. Aber in vielen Fällen sind die Angst und die Unsicherheit einfach zu groß. Dann ist das Handy nicht nur ein Symptom, sondern auch eine Art Waffe im Kampf um Kontrolle.
Birgit Kühl ist diplomierte Paartherapeutin und Psychologische Beraterin (EZI Berlin). Sie ist in freier Praxis in Hamburg-Volksdorf tätig und arbeitet als Fachberaterin in dem Beratungs- und Seelsorgezentrum St. Petri in Hamburg