Wie sehen Jugendliche ihre Eltern, Herr Schulz?

Wolfgang Schulz forscht zur Beziehung zwischen Jugendlichen und ihren Eltern und erklärt, wie diese mit der psychischen Gesundheit zusammenhängt.

Sie haben untersucht, welches Bild Jugendliche im Alter von ungefähr 14 Jahren von ihren Eltern haben. Warum?

Dazu gibt es bislang kaum Forschung. Traditionell werden nur Eltern, oft auch nur Mütter gefragt, wie sie die Beziehung zu ihren heranwachsenden Kindern sehen. Wir haben hingegen die Jugendlichen selbst befragt und wir haben die Beziehung zur Mutter und zum Vater getrennt erhoben.

Der wichtigste Grund für unsere Studie: Wir nehmen an, dass das Elternbild ein wichtiger Teil der Beziehung zu den Eltern ist, und es ist allseits bekannt, dass das familiäre Umfeld eine wichtige Rolle für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen spielt. Deshalb haben wir nicht nur die Elternbilder der befragten Jugendlichen erfasst, sondern auch psychische Auffälligkeiten.

Was haben Sie herausgefunden?

Bei den psychischen Auffälligkeiten haben die Ergebnisse bestätigt, was aus der Forschung bereits bekannt ist: 70 Prozent der Jugendlichen sind gesund und stabil. Bei den anderen aus unserer Stichprobe wurden in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichen Verläufen psychische Erkrankungen festgestellt. Wir fanden deutliche Unterschiede zwischen den Mütter- und Väterbildern. Väter waren beispielsweise weniger fürsorglich oder die Beziehung zu den Müttern wurde als konflikthafter wahrgenommen. Wir hatten nach der sogenannten „Kohäsion“ gefragt, also Zusammenhalt, emotionaler Wärme, Zuverlässigkeit, sowie nach Überprotektion und Konflikten. Insgesamt erwiesen sich höhere Ausprägungen von Konflikten und Überprotektion als Risikofaktoren für Auffälligkeiten, egal ob es Mütter oder Väter waren. Und stärkerer Zusammenhalt erwartungsgemäß als Schutzfaktor. Offenbar wurden außerdem die Beziehungen zu den Müttern intensiver und stärker erlebt. Das hängt wohl damit zusammen, dass Mütter immer noch mehr Erziehungsverantwortung übernehmen und mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen.

Väter fühlen sich also noch immer nicht genug zuständig? 

Vor mehr als 20 Jahren waren Väter in der Erziehung überwiegend abwesend. Hätte man damals versucht, ein Vaterbild zu erheben, hätte man wahrscheinlich viel weniger Antworten bekommen. Heute bringen sich Väter ein, aber noch nicht so viel wie Mütter, und das ließ sich an den von uns erhobenen Daten ablesen.

Die Mädchen berichteten in Ihrer Studie über häufigere Konflikte mit ihren Müttern. Wie erklären Sie sich das?

Mädchen sind sensitiver im Hinblick auf Beziehungen und sie leiden mehr unter Konflikten. Jungen wird wohl eher zugestanden, dass sie sich mit Konflikten nicht so beschäftigen müssen. In der Erziehung wird auch heute noch den Mädchen eher die Verantwortung für Beziehungen und damit auch für die Auseinandersetzung mit Konflikten übertragen.

Wolfgang Schulz u.a.: Welches Bild haben Jugendliche von ihren Eltern? Prävalenzen, Prädiktoren und Zusammenhänge im Längs- und Querschnitt. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 70/3, 2021. DOI: 10.13109/prkk.2021.70.3.198

Wolfgang Schulz ist Professor (i.R.) für klinische Psychologie an der TU Braunschweig.

Artikel zum Thema
Familie
Eine gute Mutter bleibt zu Hause. Soweit das Vorurteil. Tatsächlich jedoch tut es Kinden gut, wenn ihre Mütter arbeiten– auf mehreren Ebenen.
Familie
In der erzählenden Jugendliteratur wimmelt es von beschädigten jungen Frauen. Warum ist ihr Schicksal für junge Mädchen so anziehend?
Leben
In unserer Rubrik „Übungsplatz“ stellen wir diesmal eine Übung vor, um die Bindungserfahrungen in unserer Biografie besser zu verstehen.
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 9/2021: Erfüllter leben
Anzeige
Psychologie Heute Compact 76: Menschen lesen