Dies gleich vorweg: Ich komme aus einer Familie von Vielrednern, von Tag- und Nachtschwärmern, die auch ihre Träume einander nicht vorenthielten; lauter Träume, von denen ich bis heute nicht weiß, ob sie tatsächlich wahr oder nicht doch bloß erfunden waren; sofern man überhaupt von erfundenen Träumen sprechen kann – denn wo, wenn nicht im Traum sind wir der Wahrheit am nächsten?
Wir träumten rund um die Uhr, zu siebt um die Wette, um uns schon morgens am Frühstückstisch gegenseitig mit unseren nächtlichen Erlebnissen zu übertrumpfen; denn wir waren nicht nur sportliche Träumer, sondern auch gute Erzähler. Jeder wollte der Erste sein, wenn es um den traumhaften Fischzug der vergangenen Nacht ging; wohl wissend, dass Träume, sofern man sie nicht durch sofortiges Erzählen befestigt, sich bekanntlich in Sekundenschnelle in nichts auflösen.
Doch kein Traum kommt mit seiner Erzählung zur Deckung. Er wehrt sich, er spricht seine eigene Sprache. Man sieht ihn, man fühlt ihn, man glaubt ihn zu hören, nur abschreiben und lesen kann man ihn nicht. Der Wunsch, ihn trotzdem nachzuerzählen, ist so natürlich wie zweischneidig: Hin- und hergerissen zwischen seiner Preisgabe, von der man sich nicht nur Erleichterung, sondern allem voran Aufmerksamkeit erhofft, und der Wahrung eines Geheimnisses, das man vielleicht besser für sich behielte, schwankten wir andauernd zwischen Verrat und Vertrauen.
Erzähl ihn nicht!
Das allerdings begriff ich erst später, denn bei uns zu Hause galten Träume nicht als bekenntnishafte Offenbarungen, sondern schlicht als Geschichten, mit denen man einander immer wieder von vorn zu überraschen versuchte. Träume süß von sauren Gurken!, hieß es beim…
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