In meiner Erinnerung höre ich einen Wasserhahn tropfen, auch wenn ich weiß, dass er es damals nicht tat. Es herrschte absolute Stille, nur ich und das Wasser. Ich war sieben Jahre alt und saß in der Badewanne. Ich wartete darauf, dass die beste Freundin meiner Mutter zurückkam. Sie hatte mir das Badewasser eingelassen und war dann zur Telefonzelle gegangen, um ein paar Anrufe zu erledigen. Sie wollte sich im Krankenhaus nach meiner Mutter erkundigen und danach mit ihrem Ehemann sprechen, der in Starnberg geblieben war. Sie war ein paar Tage vorher zu uns nach Köln geeilt, damit jemand auf mich aufpassen würde.
Das Tropfen des Wasserhahns ist vermutlich eines jener Dinge, die man nachträglich in seine Erinnerung einbaut. Ein filmisches Element, geradezu ein Klischee, das Stille vermitteln soll, indem es sie bricht. Das Chaotische des Erlebens wird strukturiert, Zeit erlebbar gemacht: Tropfen. Nichts. Tropfen. Nichts.
Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß. Das Wasser wurde immer kälter, mein Herz immer enger, meine Gedanken immer sprunghafter. Erst ging ich in meinem Kopf mehrmals den Weg von unserer Hochhauswohnung bis zur Telefonzelle ab. Ich begleitete die Frau, die ich meine Patentante nannte, auf ihrem Weg hin zur Straße und weg von mir. In den Tagen davor, als meine Eltern gegangen waren, hatte ich es versäumt, diese gedankliche Übung durchzuspielen. Vermutlich, weil es keine Ankündigung gab, kein „Ich bin mal kurz weg!“, keine für ein Kind erkennbaren Anzeichen dafür, dass sie gehen würden.
„Wir waren keine Fremden
Heute denke ich, dass mein Vater die Flucht, ihre Ursachen und ihre Folgen, nicht überwinden konnte, dass er sich immer stärker von der Realität um uns herum abspalten musste, damit sie für ihn Sinn ergab. Meine Mutter und ich waren auf unterschiedliche…
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