In Cyberwelten fürs Leben üben

Was als Spielerei begann, erobert zunehmend unseren Alltag: In 3D-Animationen kann man nicht nur Achterbahn fahren oder mit Walen tauchen, sondern auch unter Anleitung Sport treiben, in einen fremden Körper schlüpfen, Patientengespräche üben und den Empathiesinn trainieren – ein Streifzug durch Kunstwelten

Auf einmal ist sie da. Die junge Frau in Sportkleidung ist aus dem Nichts aufgetaucht und steht nun in dem abgedunkelten Raum vor dem großen Wandspiegel. Mit einer Computerstimme gibt sie Anweisungen.

Sie ist nicht real, genauso wenig wie der Spiegel, der einen Fitnessraum zeigt. Beide sind eine dreidimensionale Projektion und richtig sichtbar nur durch eine 3D-Brille, wie Kinos sie verteilen. Die Frau ist nicht einmal sehr detailliert dargestellt. Und doch wirkt sie so echt, dass ich ihr beinahe das…

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Und doch wirkt sie so echt, dass ich ihr beinahe das Mikrofon des Aufnahmegeräts hinhalte, mit dem ich meine Eindrücke festhalte.

Ihre Anweisungen gelten dem Informatiker Felix Hülsmann. Hülsmann führt seinem Besucher die virtuelle Trainingseinrichtung vor. Sie nennen diesen virtuellen Raum Cave, Höhle. Sie existiert nur für den Augenblick, erschaffen von Beamern. Hülsmann macht Kniebeugen, allerdings oft absichtlich missratene. Dann leuchten auf dem Bildschirm neben dem Spiegel Fehlermeldungen auf: Hüfte zu weit vorn. Fünf-Grad-Buckel. Diese Hinweise gibt es nur bei der Demonstration, sie zeigen, was das System mit einer Reihe von Kameras alles erfasst und errechnet. Besser kontrollieren kann Hülsmann seine Übungen in dem virtuellen Spiegel. Dieser zeigt keineswegs ein einfaches Kamerabild. In ihm turnt vielmehr ein virtueller Felix Hülsmann – ein Avatar. Seine Kollegen haben den Informatiker vorab gescannt und daraus ein Ebenbild seines Körpers errechnet. Dieser Avatar macht nun genau die Bewegungen nach, die Hülsmann vorführt.

Natürlich könnte der Informatiker auch zu Hause turnen und sich dabei in einem echten Spiegel betrachten. Doch dann würde er sich nur von vorne sehen. Der virtuelle Spiegel aber zeigt ihn auf Wunsch auch von der Seite. So sind die Schönheitsfehler bei den Kniebeugen leichter zu entdecken. Das ist aber noch nicht alles. Wenn das System erkennt, dass der Hobbysportler einen Oberschenkel falsch bewegt, dann leuchtet der des Avatars rot. Oder der Avatar turnt die Übung richtig vor. Und wenn alles nicht hilft, gibt es immer noch die virtuelle Trainerin. Sie scheint ihrem Trimm-dich-Schützling aufmerksam zuzuschauen, gibt gute Ratschläge und lobt eifrig. Ihren Körper haben die Wissenschaftler auf dem freien Markt gekauft, als Ansammlung von Daten natürlich. Für den Kopf haben sie den einer Kollegin gescannt. Sie arbeitet jetzt woanders. Aber als Avatar ist sie immer noch da.

Willkommen in der virtuellen Realität – kurz VR. Hier am Rand von Bielefeld existiert sie in einem leicht futuristisch anmutenden grauen Quader. In dem Gebäude residiert der Exzellenzcluster „Kognitive Interaktionstechnologie“, nach der englischen Bezeichnung kurz CITEC.Doch virtuelle Realitäten breiten sich auch außerhalb von wissenschaftlichen Vorzeigeeinrichtungen aus. Im Alltag, in der medizinischen Ausbildung und der Arbeit mit Patienten, im Fitnessbereich oder um Menschen dazu zu bringen, besser für die Zukunft vorzusorgen: VR leistet vielfältige Hilfestellungen.

Traumküchen und Traumurlaube: Virtuelle Probeläufe für den Alltag

Der Elektrohändler Saturn hat einen Chief Digital Officer ernannt und bietet Kunden in manchen Märkten an, ihre zukünftige Küche nach Gusto im virtuellen Raum zusammenzustellen und schon einmal zu bewundern. Dazu braucht es keine VR-Höhle. Eine Brille mit je einem kleinen Bildschirm für beide Augen lässt die vom Computer errechnete Traumküche entstehen. Konkurrent Ikea experimentiert mit einer ähnlichen Technik für die erste Küchenbegegnung. Kunden sollen in ihr herumspazieren und auch schon mal virtuell eine Bratpfanne auf den Herd stellen können.

Genutzt wird eine Technik, die vor allem für Computerspiele entwickelt wurde. VR-Brillen sind inzwischen für weniger als tausend Euro zu haben, vor ein paar Jahren kosteten sie noch zigtausende. Sobald man sie aufsetzt, kann man gegen einen Killerroboter kämpfen oder einem Blauwal begegnen. Wer noch weniger investieren möchte, kauft ein billiges Pappgestell, um das eigene Smartphone vor den Augen zu befestigen. Schon sieht er sich bei einem Popkonzert auf der Bühne um oder saust mit einer Achterbahn abwärts. Die Achterbahn ist nicht echt, der Nervenkitzel schon.

Zu einem Massenphänomen geriet im Sommer 2016 eine schlichte Variante der VR-Technik. Zig Millionen Spieler in aller Welt jagten im Freien mit der App Pokémon Go nach niedlichen Monstern, gerne auch querfeldein. Die erscheinen auf dem Smartphone vor dem Kamerabild der echten Landschaft. Die Technik heißt augmented reality – erweiterte Realität. Bei anderen Anwendungen wird sie mit einer Brille realisiert, in die ein von einem Computer erzeugtes Bild projiziert wird.

Computerspiele entführen in künstliche Welten, vom Schlachtfeld im Weltraum bis zur virtuellen Geisterbahn, etwa mit der PlayStation VR. „Das Mittendringefühl ist so intensiv, dass ein Kollege im Test buchstäblich vom Stuhl fiel“, notierte die Computerzeitschrift c’t. Wer das vermeiden will, macht es vielleicht eher wie VR-Forscherin Betty Mohler vom Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Privat liegt sie gerne mit einer VR-Brille in ihrer Hängematte und sieht sich an den Traumorten der Welt um, auf der Suche nach dem nächsten Urlaubsziel.

Viele Beschäftigte dürften der virtuellen und der erweiterten Realität bald am Arbeitsplatz begegnen. Schon werden bei ersten Unternehmen auf diese Weise Wartungsarbeiten trainiert. Später bekommt der Techniker vor Ort Baupläne oder dergleichen in seine Brille eingeblendet. Immobilien im Ausland sollen bald virtuell besichtigt werden können. Und natürlich werden wieder einmal die aufwendigen Konferenzen abgeschafft, zu denen Manager aus allen Himmelsrichtungen einfliegen. Sie sollen in imaginären Tagungsräumen stattfinden.

Wie fühlt es sich an, wenn der Körper virtuell dicker oder dünner wird?

Womöglich werden Angestellte und Auszubildende bald computergenerierten Menschen begegnen. Den Anfang machen die Mediziner. Ihnen wird ja gerne nachgesagt, zu wenig Anteilnahme mit den Kranken zu zeigen. Vielleicht lernen sie das eher beim Kontakt mit virtuellen Patienten, dachte sich ein Forscherteam um Andrea Kleinsmith von der University of Florida. Der virtuelle Kranke präsentiert sich auf einem ganz normalen Bildschirm und schildert auf Nachfragen seine Symptome. Gelegentlich bietet er allerdings sogenannte „Gelegenheiten zur Empathie“. Er sagt etwa: „Ich mache mir solche Sorgen, Doktor. Wie ernst steht es, was glauben Sie?“ Der angehende Doktor tippt seine Antworten ein. Sie werden danach bewertet, wie viel Mitgefühl er dem Kranken zuteilwerden lässt. Erstaunlicherweise reagierten die Medizinstudenten auf die virtuellen Patienten empathischer als auf die menschlichen.

Vielleicht klappt es mit der Empathie noch besser, wenn Mediziner selbst in den Körper von Patienten versetzt werden. Ein Studierendenteam der University of Illinois hat zu diesem Zweck den virtuellen Senior Alfred entwickelt. Dank einer VR-Brille kann man wie im Film Being John Malkovich die Welt durch seine Augen sehen. Schaut der Student etwas nach unten, erblickt er statt seiner jungen Hände die greisenhaften von Alfred. Allerdings sieht er nicht besonders gut und hört auch schlecht. Denn Alfred hat da Probleme, weshalb er schon fälschlich als leicht dement diagnostiziert wurde.

Wie es sich anfühlt, in einen ganz anderen Körper als den eigenen zu schlüpfen, erfahre ich im Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik. Die diagnostische Übung ist sonst Schlaganfallpatienten vorbehalten. Ich lege mich auf den Boden, setze eine VR-Brille auf und finde mich in einem Klinikbett wieder, neben mir ein grüner Abtrennvorhang. Wenn ich an mir heruntersehe, erblicke ich „meinen“ Körper. Auf meinen Wunsch sieht er allerdings klein und dick aus. Die Psychologin Simone Mölbert verändert am Notebook die Länge meiner Beine. Sie erforscht, ob Patienten kein gutes Gefühl mehr für die Länge eines Beines haben, wenn es durch den Schlaganfall gelähmt ist. In diesem Fall würde es ihnen nicht mehr gelingen, die Länge des Beines richtig einzustellen.

Mölbert geht auch der Frage nach, wie realistisch Frauen ihren Körper wahrnehmen. Bei der Demonstration stehen wir in einer Cave, einer dieser VR-Höhlen. Im virtuellen Spiegel bewegt sich der Avatar der Wissenschaftlerin synchron mit ihr. Im Unterschied zum Original trägt die Avatar-Psychologin enganliegende Sportklamotten, sodass ihre Figur gut erkennbar ist. Vielleicht stimmen die Proportionen momentan aber auch nicht, denn der Computer kann Simone Mölbert auch so zeigen, wie sie aussehen würde, wenn sie fünf Kilo leichter oder zehn schwerer wäre. Ich darf die virtuelle Wissenschaftlerin mit zwei Knöpfen so lange dünner oder dicker machen, bis die Proportionen nach meinem Augenmaß hinkommen.

Normalerweise stehen hier magersüchtige Patientinnen und stellen ein, wie sie sich selbst sehen – und wie sie idealerweise aussehen wollen. Es ist schon lange bekannt, dass Magersüchtige ihren Körper nicht realistisch wahrnehmen. Um diese Verzerrungen abzuklären, lassen Therapeuten sie bislang aus Zeichnungen mit verschieden dicken Frauen ein möglichst passendes Ebenbild wählen. Aber die Zeichnungen sind Fantasien des Künstlers. Tippt die Patientin auf eine, weiß man nicht, wie schwer sie wäre, wenn ihre Figur der auf der Zeichnung entsprechen würde. Es lässt sich also auch nicht sagen, wie stark sie ihr eigenes Gewicht überschätzt. Der virtuelle Körper dagegen ist eine realistische Darstellung der Patientin in dicker oder dünner.

Ivelina Piryankova, eine Institutskollegin von Simone Mölbert, hat einen ähnlichen Versuch mit gesunden Frauen gemacht. Wie sich zeigte, können sie ihre Figur ziemlich gut einschätzen. Ein bis zu sechs Kilo leichteres Ebenbild akzeptieren sie allerdings auch als realistisch, während es maximal ein Kilo schwerer sein darf.

Sport macht mit virtueller Hilfe mehr Spaß

Auch im Alltag könnte die Realität bald öfter mal virtuell werden. Die Bielefelder CITEC-Forscher haben dabei zum Beispiel ans häusliche Wohnzimmer gedacht. Auf dem Fernseher macht sich dann eine virtuelle Abstraktion des Bewohners breit, der sich seinerseits in einer Hightechvariante seines geliebten Fernsehsessels, nein, nicht entspannt, sondern trimmt. „Man hat ja vielleicht nicht immer Lust, abends noch mal eine Stunde ins Fitnessstudio zu fahren“, erläutert der Ingenieur Marc Hesse, der den Sessel mitentwickelt. Also kommt das Fitnessstudio eben in die gute Stube, virtuell.

Ich nehme in einem modern designten Fernsehsessel mit abgerundeten Ecken Platz. Auf dem Riesenfernseher gegenüber sitzt mein schematisches Ebenbild, gefüllt mit ein paar angedeuteten Knochen. Mit einer Frauenstimme weist mich der Fernseher an, mich vorne mittig auf den Sessel zu setzen, da soll mein Schwerpunkt liegen. Dieser wird auf dem Schirm als roter Fleck angezeigt und tanzt wild umher. Denn der Sessel erfasst mit Sensoren, wie ich mich gerade bewege. Eine Kamera behält mich zusätzlich im Blick. Dann kann die Übung beginnen. Eine junge Frau auf dem Bildschirm turnt vor. Ich strecke brav den Arm nach vorn. „Du machst das super“, sagt der Fernseher. Es gibt auch anspruchsvollere Übungen.

Wenn es läuft wie geplant, kann sich die Trainiermaschine im Wohnzimmer bald auch ihre eigenen Gedanken machen. Der virtuelle Trainer im Fernseher könnte vorschlagen, mal eine Tai-Chi-Übung einzulegen, malt Thomas Schack die Zukunft aus. Der Sportwissenschaftler und Psychologe leitet hier die Arbeitsgruppe Neurokognition und Bewegung.

Auch andere Forschergruppen haben Ideen, wie sich das häusliche Work-out fördern ließe. Ein Team um Daniel Mestre von der Universität Aix-Marseille setzte Probanden auf einen Hometrainer und versetzte ihre Avatare in ein Velodrom. Je mehr der Proband strampelte, desto schneller fuhr der Avatar durch die Kurven der Radrennbahn. Die Teilnehmer traten so zwar auch nicht schneller, als wenn sie sich ohne VR abmühten. Aber es machte ihnen mehr Spaß, und sie fühlten sich weniger erschöpft.

Selbst an virtuelle Sportkameraden ist bereits gedacht. Bei Edward Murray von der australischen Griffith University mussten sich Studentinnen auf einem Rudersimulator abrackern. Einige saßen einfach auf dem kleinen Sitz, der sich auf einem Metallbalken vor- und zurückbewegte, während die Versuchsperson mit beiden Händen an einem Seil mit Griff zog und wieder lockerließ, was eine Art Ruderbewegung ergibt. Andere taten das Gleiche, sahen aber auf einer Wandprojektion vor sich, wie ihr Avatar im Takt mit seinem Boot durch eine idyllische Flusslandschaft ruderte. Die Dritten sahen noch ein anderes, meist etwas schnelleres Boot, angeblich mit dem Avatar einer gleichzeitig trainierenden anderen Studentin am Ruder. In Wirklichkeit simulierte der Computer die Konkurrenz vollständig. Die Studentinnen, die virtuell unterwegs waren, ruderten kräftiger und schneller. Am meisten legten sich die mit der vorgespiegelten Konkurrenz ins Zeug. Wie sich herausstellte, machte die Übung mit virtueller Realität den jungen Frauen mehr Spaß, ohne dass sie sich ausgepowerter als die anderen fühlten.

Wahrscheinlich dauert es nicht mehr lange, bis längst angeödete Hometrainer-Besitzer auch zu Hause in künstlichen Welten trainieren können. Avatare von Sparringspartnern sollten über das Internet leicht zu organisieren sein. Wer braucht da noch richtige Flüsse und echte Vereinskameraden?

Virtuelle Modeberatung: Was soll ich anziehen?

Aber auch wer nicht mehr nach persönlichen Bestleistungen strebt, sondern eher gegen den körperlichen und kognitiven Verfall kämpft, wird virtuell bedient. Die CITEC-Forscher in Bielefeld entwickeln dazu eine Art technischen Zauberspiegel, den man sich wohl bald in den Flur hängen kann. Die Neuentwicklung ist einerseits ein ganz normaler optischer Wandspiegel, in dem man wie immer sein Outfit prüfen kann. Doch gleichzeitig ist der Spiegel ein großer Bildschirm, der mit seinem einblendbaren Kalender daran erinnert, den Friseur um vier nicht zu verpassen. Er kann aber auch zeigen, wie es aussähe, wenn der Hausherr statt eines grünen Hemds ein rotes anhätte. Denn er ist mit einer Kamera verbunden, die das Bild des Betrachters aufnimmt, das der Computer dann manipuliert. Wer vergessen hat, einen Knopf zuzumachen, wird diskret darauf aufmerksam gemacht, indem die Stelle mit dem Fauxpas hervorgehoben wird.

Wer noch mehr Hilfestellung braucht, kann es mit der neuen Brille probieren, an der sie hier ebenfalls arbeiten. Heute soll sie mir helfen, vom Kaffeeautomaten eine Tasse Frischgebrühten zu bekommen. Ich mustere die Maschine. Winzige Kameras bei den Nasenbügeln registrieren, wo ich hinschaue. So kann der mit der Brille verbundene Computer genau dort eine blaue Tasse in die Brille einspiegeln, wo ich sie hinstellen soll. Als das erledigt ist, legt sich ein grüner Ring um das Display der Kaffeemaschine. Da soll ich nun offenbar draufdrücken. Normalerweise würde die Brille nicht jeden einzelnen Schritt zeigen. Sie passt sich dem Benutzer an und wird nur dann aktiv, wenn mit Patzern zu rechnen ist.

Kann man üben, ein besserer Mensch zu werden?

Beim Ausbügeln von kleinen Schwächen im Angesicht von Alltagsproblemen muss es nicht bleiben. Vielleicht kann man mithilfe von Erfahrungen in einer anderen Realität ja auch üben, sich verantwortungsbewusster zu verhalten? Wer könnte da ein besseres Vorbild sein als Superman, dachte sich die Psychologin Robin Rosenberg von der University of California in San Francisco und verlieh Versuchspersonen die Fähigkeit, wie Superman durch eine virtuelle Stadt zu fliegen. Manche hatten die Aufgabe, einem zuckerkranken Kind dringend benötigtes Insulin zu bringen. Als die Versuchsleiterin anschließend scheinbar zufällig eine Tasse mit Stiften umwarf, halfen die virtuellen Menschheitsretter eifrig beim Einsammeln – mehr als andere Probanden, die nur als Passagiere in einem Hubschrauber durch die virtuellen Lüfte geflogen waren.

Auch ein Team um Tabitha Peck von der Universität Barcelona mühte sich, aus Versuchspersonen bessere Menschen zu machen. Hellhäutige Spanierinnen sollten ihre Vorurteile gegen dunkelhäutige Menschen wenigstens ein Stück weit überwinden. Dazu versetzten die Forscher sie mithilfe einer VR-Brille in einen dunkelhäutigen Körper. Sahen sie an sich hinunter, waren ihre Arme braun, blickten sie in einen virtuellen Spiegel, erblickten sie ein dunkelhäutiges Gegenüber, das sich bewegte wie sie. Tatsächlich zeigten die Teilnehmerinnen bei einem Test hinterher weniger Vorurteile als andere, die sich selbst wie gewohnt mit heller Haut gesehen hatten. Allerdings war der Unterschied gering.

Virtuelle Realität kann vielleicht auch dafür sorgen, dass Menschen sich mehr Gedanken um die Zukunft machen. Jesse Fox, heute an der Ohio State University, führte sie seinen Versuchspersonen mithilfe von persönlichen Avataren vor Augen. Machten die Probanden im Experiment sportliche Übungen, wurde ihr Avatar schlanker. Faulenzten sie, setzte er Gewicht an. Die so Geschockten bewegten sich zumindest kurz nach dem Experiment deutlich mehr als eine Vergleichsgruppe.

Hal Hershfield von der New York University wiederum brachte Leute mit der neuen Technik dazu, mehr an ihre finanzielle Zukunft zu denken. Seine Versuchspersonen wurden mit einem virtuell gealterten Avatar von sich selbst konfrontiert. Anschließend waren sie bereit, mehr als doppelt so viel Geld in ihre Alterssicherung zu stecken, als wenn sie ihr aktuelles Ebenbild gesehen hatten. Allerdings investierten sie bei diesem Experiment rein theoretisch, und es ist fraglich, ob der Sparwille lange anhalten würde. Das muss er aber auch nicht, argumentiert Hershfield. Denn wenn sich jemand einmal für einen Sparplan entschieden hat, bleibt er in der Regel dabei. Ein Versicherungsvertreter müsste potenzielle Kunden also bloß dazu bringen, sich in der virtuellen Zukunft mit grauen Haaren anzusehen.

Womöglich gibt es ja auch bald eine digitale Version des Geistes der zukünftigen Weihnacht aus der Weihnachtsgeschichte von Charles Dickens. Er macht aus dem habgierigen Ebenezer Scrooge einen besseren Menschen, indem er ihm das voraussichtliche traurige Ende des alten Geizkragens zeigt, der er bislang ist. Technisch wäre das leicht umzusetzen.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2017: Schwäche zeigen!