Generation Smartphone

US-Forscherin Jean Twenge über eine verunsicherte Generation von Jugendlichen, die ständig online sind.

Jugendliche schaut im Dunkeln auf ihr Handy
Verlassen im Netz: Jean Twenge beobachtet eine verunsicherte Generation. © Plainpicture

Frau Professor Twenge, in Ihrem aktuellen Buch porträtieren Sie eine neue Generation von Kindern und Jugendlichen, die Sie „iGen“ nennen. Sie beschreiben deren Leben als völlig beherrscht von Smartphones, Tablets und sozialen Medien. Was genau meinen Sie damit?

In mehreren großen, repräsentativen US-amerikanischen Befragungen von Teenagern und Erwachsenen wird seit Jahren ermittelt, was junge Leute über den Tag hinweg machen. An diesem Punkt habe ich angesetzt. Und eines der ersten Anzeichen für die…

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über den Tag hinweg machen. An diesem Punkt habe ich angesetzt. Und eines der ersten Anzeichen für die Existenz einer neuen Generation waren große Verschiebungen in der Zeitnutzung. Demnach summierte sich die Zeit, die 17-Jährige in ihrer Freizeit im Internet, in sozialen Medien und Kurznachrichten schreibend verbringen, auf sechs Stunden pro Tag – wohlgemerkt ohne Onlinezeit für Hausaufgaben oder Jobs. In anderen Befragungen, die sich auf ein breiteres Spektrum digitaler Aktivitäten beziehen, sind es sogar acht oder neun Stunden pro Tag. Das ist eine enorme Menge an Bildschirmzeit. Noch vor 18 Jahren, im Jahr 2000 kamen diese Aktivitäten im Leben der meisten Teenager praktisch nicht vor.

Die Jugendlichen dieser Generation befinden sich, so schreiben Sie, in beunruhigend schlechter psychischer Verfassung. Woran erkennen Sie dies?

In vielen verschiedenen Umfragen und Statistiken zeigt sich eine sehr konsistente und bedenkliche Zunahme von Befindlichkeitsstörungen bei Jugendlichen, Kindern und jungen Erwachsenen. Damit meine ich Angst und Depressionen sowie häufig damit verbundene Verhaltensweisen wie Ritzen, Nachdenken über Suizid und tatsächliche Suizidversuche. Mir fiel das zuerst in einer großen nationalen Umfrage mit dem Titel Monitoring the Future auf. Um 2012 herum begannen immer mehr Jugendliche anzugeben, sie fühlten sich nutzlos und könnten nichts richtig machen. Dies sind klassische Symptome einer Depression. In der gleichen Umfrage zeigte sich auch: Es gab einen deutlichen Anstieg bei Einsamkeit. Bei Werten für Glück, Lebenszufriedenheit und Selbstwertgefühl gab es einen Rückgang. Andere Forscher und Umfragen haben für die Zeit 2010 bis 2012 einen ähnlich plötzlichen und starken Anstieg psychischer Probleme für verschiedene Bevölkerungsgruppen und verschiedene Arten der Messung von psychischer Gesundheit dokumentiert.

Laut Ihrer Analyse hat sich die psychische ­Gesundheit der Jüngeren wahrscheinlich deshalb verschlechtert, weil sie zu viel Zeit mit Smartphones und in sozialen Medien verbringen. Warum sehen Sie das so?

Zum einen zeigen die Daten, dass sich innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums – vornehmlich zwischen 2012 und 2015 – deutlich mehr seelische Probleme bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen entwickelten. Und zum anderen: Das Pew Research Center, ein gemeinnütziger Thinktank, hat Leute befragt, ob sie ein Smartphone haben. Ende 2012 überschritt der Anteil der Amerikaner, die ein solches Gerät besaßen, die 50-Prozent-Marke. Genau um diese Zeit erreichte das Smartphone also die Marktsättigung in den USA. Und somit veränderte sich der Alltag der jungen Generation auch in dieser Zeit am stärksten. Und das ist mehr oder weniger der Zeitpunkt, an dem die psychischen Probleme von Jugendlichen und jungen Erwachsenen erstmals auftauchten.

Was ist mit anderen Faktoren, die zu den Befindlichkeitsstörungen beigetragen haben könnten, zum Beispiel der dramatische Einbruch der Wirtschaft ab 2007, durch den Millionen von Familien in den USA ihr Einkommen und Heim verloren?

Die zeitliche Abfolge stimmt hier nicht. Die Arbeitslosigkeit erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 2010; seitdem ist die Arbeitslosenquote zurückgegangen. Die große Rezession könnte nur zu den Befindlichkeitsstörungen beigetragen haben, wenn sich ihre Auswirkungen um fünf Jahre verzögert hätten. Der Zeitrahmen stimmt auch für eine andere Erklärung nicht: schulischen Druck. Es wird oft argumentiert, dass Highschoolschüler gestresst sind, weil sie so viele Hausaufgaben machen müssen. Nun, der Zeitaufwand für Schulaufgaben hat sich in dieser Schülergruppe zwischen 2011 und 2015 kaum verändert. Und Teenager verbringen heute weniger Zeit mit Hausaufgaben als in den 1990er Jahren.

Im Jahr 2016 sollen in den USA mehr als 11 Millionen Erwachsene verschreibungspflichtige Opioide missbraucht haben. Könnte es auf Kinder und Jugendliche beängstigend und deprimierend wirken, ihre Eltern mit einer solchen Sucht kämpfen zu sehen?

Das ist tatsächlich eine der wenigen anderen Erklärungen, bei denen die zeitliche Abfolge zumindest einigermaßen passt. Allerdings hatte die Opioidepidemie auf Weiße einen viel größeren Effekt als auf ethnische Minderheiten und auf dem Land einen viel größeren Effekt als in Städten. Die Zunahme von Depressionen und Suiziden bei Teenagern jedoch zeigte sich sowohl bei Weißen als auch bei anderen ethnischen Gruppen und sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten. Deshalb denke ich, dass dies zumindest nicht die primäre Erklärung für die psychischen Probleme von Teenagern ist. Es könnte sicherlich eine Rolle spielen, aber es passt nicht für alle. Dagegen ist die Bildschirmzeit in allen Gruppen angestiegen, sowohl über Regionen als auch ethnische Zugehörigkeiten hinweg.

Woher wissen Sie, dass die zu intensive Nutzung von Smartphones und sozialen Netzwerken zu psychischen Problemen führt und nicht umgekehrt?

Weil drei gut konzipierte Studien vorliegen, die auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Bildschirmzeit und Stimmungsbeeinträchtigungen schließen lassen. Zwei von ihnen sind Längsschnittstudien, die Menschen über einen Zeitraum hinweg verfolgten. Beide zeigten, dass die Nutzung sozialer Medien später zu mehr Unzufriedenheit führte, aber eine höhere anfängliche Unzufriedenheit nicht zu mehr Social-Media-Nutzung. Die dritte Studie war ein echtes Experiment. Dabei wurden manche Teilnehmer angewiesen, eine Woche lang von Facebook fernzubleiben; die anderen sollten das soziale Netzwerk ganz normal weiter nutzen. Und die Leute, die Facebook aufgaben, fühlten sich am Ende der Woche glücklicher und weniger einsam.

Warum verursachen Ihrer Meinung nach die so geliebten Smartphones und Social Media psychische Probleme?

Meiner Meinung nach passieren mehrere Dinge. Erstens beeinträchtigt Bildschirmzeit die psychische Gesundheit wahrscheinlich direkt. So zeigte eine Studie, dass Menschen, die sich auf Facebook mit anderen vergleichen, anfällig für Grübeleien und depressive Gedanken sind und womöglich deshalb ein erhöhtes Risiko für Depressionen haben. Dies könnte auch der Grund sein, warum die psychischen Probleme bei Mädchen stärker zugenommen haben als bei Jungen. Mädchen verbringen mehr Zeit in sozialen Medien, und sie erleben hier eine Menge Druck im Hinblick auf Likes, Follower und Aussehen. Die Folge könnte sein, dass sie sich ausgeschlossen, einsam und unglücklich fühlen.

Welches sind indirekte Effekte?

Bildschirmzeit verdrängt zwei andere Aktivitäten, die für die psychische Gesundheit sehr förderlich sind: Schlaf und persönliche Kontakte. So ist um die Jahre 2011/2012 der Anteil der Teenager, die weniger als sieben Stunden pro Nacht schlafen, angestiegen, auch haben persönliche Kontakte zwischen Jugendlichen schneller abgenommen als davor. Selbst wenn man die gesamte Debatte darüber, ob Bildschirmzeit die mentale Gesundheit direkt beeinflusst, mal beiseite lässt, bedeutet dies: Die Nutzung digitaler Geräte hat eine enorme indirekte Wirkung, weil sie auf Kosten von Schlaf und sozialen Beziehungen geht. Niemand bestreitet, dass diese beiden Dinge gut für die Psyche sind.

Ihre These, dass hauptsächlich Smartphones und Social Media für die psychischen Probleme der jungen Generation verantwortlich sind, hat eine Menge Kritik von anderen Forschern und Psychologen hervorgerufen. Einige sagen, Sie argumentierten monokausal und betrieben Panikmache. Was sagen Sie dazu?

Mein Hauptziel war, Generationenunterschiede zu dokumentieren. Aber wenn man ein sehr auffälliges Muster sieht, so wie ich und andere es bei psychischen Problemen beobachtet haben, dann wirft das selbstverständlich die Frage auf, was der Hintergrund sein könnte. Der Anstieg der Bildschirmzeit war die größte Veränderung im Leben von Teenagern in den letzten Jahren, und das hat mich veranlasst, diesen Aspekt zu untersuchen. Zweitens liegen umfassende Metaanalysen zur Nutzung von sozialen Medien und Wohlbefinden vor. Und sie kamen zum gleichen besorgniserregenden Ergebnis wie meine Analysen von großen nationalen Umfragen: Viel Zeit mit sozialen Medien zu verbringen wirkt sich negativ auf das Wohlbefinden aus. Mit meinen Befunden und Schlussfolgerungen stehe ich also nicht allein.

Sehen Sie in Bezug auf Onlinezeit irgendwelche positiven Effekte?

Die glücklichsten Teenager sind jene, die ihre Smartphones nicht allzu ausdauernd nutzen. Diejenigen, die es nie tun, sind tatsächlich nicht besonders glücklich, und diejenigen, die ihre Geräte oft nutzen, sind überhaupt nicht glücklich. Die optimale Nutzung scheint bei etwa einer halben bis einer Stunde Bildschirmzeit pro Tag zu liegen. Offenbar bietet die Technologie also in der Tat Vorteile, wenn sie nur begrenzt eingesetzt wird. Wenn Jugendliche digitale Medien nutzen, um mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben, mit ihnen Pläne zu schmieden und zu erfahren, was sie so machen, und der Zeitaufwand dafür relativ gering bleibt, dann scheinen sie davon zu profitieren. Aber wenn es über zwei Stunden hinausgeht und besonders wenn die Drei-Stunden-Marke überschritten wird, werden andere Aktivitäten gestört. Und das ist vielleicht auch der Grund, weshalb mit wachsender Bildschirmzeit das Risiko für Unzufriedenheit, Depressionen und für Suizid steigt. Mein Rat an Eltern lautet deshalb, die Bildschirmzeit auf zwei Stunden pro Tag oder weniger zu begrenzen.

Reicht das oder spielt es auch eine Rolle, was Teenager online machen?

Es gibt ein paar Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass die Art der Aktivität eine Rolle spielt, aber das sind oft kleine Studien mit 200 Personen. Die Datensätze, die ich analysiert habe, beinhalten 15 000 Schüler pro Klassenstufe, und sie sind national repräsentativ. In diesen Datensätzen ist die Bildschirmzeit der entscheidende Faktor.

Sie stellen in Ihrem Buch außerdem fest, dass Jugendliche langsamer erwachsen werden. Wie zeigt sich das im Alltag?

Es ist weniger wahrscheinlich, dass iGen-Jugendliche mit 17 oder 18 Jahren einen Führerschein haben, ohne ihre Eltern ausgehen, einem bezahlten Job nachgehen, Alkohol trinken, sich für romantische Dates verabreden und sexuell aktiv sind, als es für frühere Generationen in diesem Alter galt. Dies sind alles Meilensteine des Erwachsenwerdens, und iGen erreicht sie später.

Sie sagen, die Verlängerung von Kindheit und Jugend ist nicht per se gut oder schlecht. Warum?

Weil es Zielkonflikte gibt. Die potenzielle Kehrseite des langsameren Erwachsenwerdens ist, dass die jungen Leute, wenn sie zur Universität gehen oder ihren ersten Job antreten, weniger Erfahrung mit Unabhängigkeit haben als frühere Generationen. Deshalb denke ich, dass die Vorstellung von gut und schlecht nicht sehr hilfreich ist. Ist es gut oder schlecht, wenn Jugendliche Auto fahren? Es ist beides.

Manche Jüngere finden es laut Ihrer Analyse gefährlich, eine Liebesbeziehung einzugehen; sie wollen geschützt sein vor kontroversen Meinungen und rassistischen Äußerungen und schrecken davor zurück, ein Glas Wein oder Bier zu trinken. Woher kommt dieses Sicherheitsbedürfnis?

Eltern legen heute mehr Wert auf Sicherheit. Und Kinder sind heute mehr als früher daran gewöhnt, in einem Kokon aufzuwachsen und geschützt zu werden. Wenn sie dann als Teenager mehr Selbständigkeit zugestanden bekommen, fühlt sich das unheimlich an. Was aus meiner Sicht wirklich interessant ist: Nicht nur die Eltern betonen die Sicherheit, sondern die Jugendlichen selbst haben weniger Interesse an Risiken wie Alkohol- und Drogenkonsum. Das ist nicht das Bild, das wir üblicherweise von Jugendlichen haben; wir betrachten sie als risikofreudig. Frühere Generationen waren eher bereit, Dinge zu tun, die ein wenig gefährlich sind, aber die Generation iGen ist einfach nicht so interessiert daran.

Sie beschäftigen sich auch mit den Lebenszielen und Motivationen von iGen. Nach Ihrer Beschreibung gilt für diese Generation: Geld ist in, Sinnfindung ist out. Woher kommt das?

Ich denke, hier spielen zwei Faktoren eine Rolle. Der erste ist eine fortschreitende Hinwendung zum Materialismus, die in den 1980er Jahren mit der Generation X begann, sich auch bei den Millennials bemerkbar machte und nun mit iGen fortgesetzt wird. Aber für die jüngste Generation hat es eine neue Färbung angenommen: Es geht ihr um Zweckmäßigkeit. Das liegt wahrscheinlich daran, dass iGen als Kinder und ältere Jugendliche eine schwere Rezession erlebt hat. Das hat sehr geprägt, wie sie über Arbeit und die Wirtschaft denken. Sie sind zur Erkenntnis gekommen: „Ich brauche keine erfüllende Arbeit, sondern einen Job, der mir ein Dach über dem Kopf finanziert.“

Sie erwähnten bereits die Millennials, die Vorgänger von iGen, die jetzt in ihren Zwanzigern und Dreißigern sind. Was ist der größte Unterschied zwischen den beiden Generationen?

Millennials sind viel optimistischer, sie haben viel höhere Erwartungen und viel positivere Ansichten über sich selbst. All dies ist mit iGen eingebrochen. Sie sind viel weniger optimistisch; ihre Erwartungen sind auf ein moderateres Niveau gesunken, und sie haben ein deutlich weniger vorteilhaftes Bild von sich selbst. Die positive Seite ist, dass iGen weniger narzisstisch ist und nicht so hohe Ansprüche stellt wie die Millennials im gleichen Alter. Auf der anderen Seite geht der abflauende Narzissmus Hand in Hand mit einer Zunahme von Depressionen und einem deutlichen Rückgang von Zufriedenheit und Selbstwertgefühl.

Die Daten, auf denen Ihre Analyse basiert, stammen aus den USA. Sehen Sie ähnliche Entwicklungen in anderen westlichen Ländern wie Deutschland?

Ich vermute, dass sich überall dort, wo das Smartphone eine schnelle Marktsättigung erreicht hat, die Dinge ähnlich entwickeln werden wie in den USA.

Die US-Amerikanerin Jean Twenge, Jahrgang 1971, ist Professorin für Psychologie an der San Diego State University. Schwerpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit sind psychologische Unterschiede zwischen den Generationen. Bekannt wurde Jean Twenge für ihre Bücher Generation Me und The Narcissism Epidemic, in denen sie ihre Forschungen zu den Nachwuchsgenerationen präsentiert. Die deutsche Fassung ihres jüngsten Buchs iGen (amerikanischer Originaltitel) über die zwischen 1995 und 2005Geborenen erscheint dieser Tage.

Das Buch der amerikanischen Psycho­login Jean M. Twenge erscheint Ende Mai auf Deutsch und heißt „Me, My Selfie and I. Was Jugendliche heute wirklich bewegt“ (Mosaik Verlag)

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2018: Diese Wohnung tut mir gut!