Was Facebook über uns verrät

In sozialen Netzwerken hinter­lassen wir ständig unsere Spuren. Was entlarven die Mitteilungen, die wir dort verfassen, über unsere Persön­lichkeit?– Eine ganze Menge, wie jüngste Studien zeigen

Wozu mühsam Anzeigen schalten, Probanden rekrutieren, Fragebögen verschicken? Die Daten sind doch schon da, bloß einen Klick entfernt! Forscher, besonders an den psychologischen Fakultäten, haben Onlineplattformen wie Facebook oder Twitter als unerschöpfliche Quelle entdeckt. Die Nutzer liefern die gesuchten Informationen frei Haus. Viele der Posts haben ja unmittelbar mit der Person zu tun, die sie verfasst, sie sind Selbstbeschreibungen – persönlich, direkt, emotional. Und vermutlich sind diese privaten…

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verfasst, sie sind Selbstbeschreibungen – persönlich, direkt, emotional. Und vermutlich sind diese privaten Mitteilungen weniger geschönt als das, was ein Proband in einem Fragebogen von sich preisgibt, den ihm ein Wissenschaftler überreicht hat.

Was verraten die Posts? Erlauben sie Rückschlüsse auf das Persönlichkeitsprofil ihrer Absender? Durchaus, meinen die Forscher. Alles in allem zeichnen die Mitteilungen ein erstaunlich genaues Bild vom Naturell ihres Verfassers.

Die wohl bekannteste Persönlichkeitsdimension ist die Achse zwischen Introversion und Extraversion. Introvertierte Menschen sind still, zurückhaltend, selten euphorisch. Extravertierte hingegen tragen ihr Herz auf der Zunge, sind gesellig, gesprächig, oft auch dominant. Die Kommunikationswissenschaftlerin Pavica Sheldon von der University of Alabama wollte wissen, wie sich diese Persönlichkeitsunterschiede in dem Nutzerverhalten auf Facebook spiegeln.

Das Ergebnis überrascht auf den ersten Blick. Nicht die kontaktfreudigen Extravertierten, sondern die stillen Introvertierten nutzen Facebook intensiver. Sie verbringen mehr Zeit mit dem Medium. Allerdings sind sie auch dort zurückhaltend. Oft schauen sie sich lieber an, was andere von sich gegeben haben, als selbst etwas zu posten. Vor allem die Einsamen unter ihnen surfen durch das soziale Netzwerk, „um die Zeit totzuschlagen“, so Sheldon.

Extravertierte hingegen verweilen zwar nicht so lange bei Facebook, doch wenn sie online sind, posten sie, was das Zeug hält: Text, Selfies, Grüße, Verabredungen. Mit Menschen dieses Naturells, meint Sheldon, ist es wie mit den Reichen, die wie von selbst immer reicher werden: Extravertierte Menschen knüpfen und intensivieren auf Facebook Kontakte noch und noch – und bereichern damit ihr soziales Kapital.

Doch nicht nur darin, wie viel sie posten, unterscheiden sich Extravertierte und Introvertierte. Sie verraten sich auch dadurch, was in diesen Posts steht. In der bislang größten Studie zu der Frage, wie sich Persönlichkeit in der Sprache ausdrückt, rekrutierten Andrew Schwartz von der University of Pennsylvania und seine Mitforscher via Facebook 75 00 Freiwillige, die online einen Persönlichkeitstest bearbeiteten und den Wissenschaftlern gestatteten, ihre Wortmeldungen in dem sozialen Netzwerk zu analysieren. Ein Computerprogramm zergliederte dann die mehr als 15 Millionen Posts in 700 Millionen Wörter und Phrasen und errechnete jeweils anhand der Häufigkeit, welche davon für ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal wie etwa Introversion typisch waren. Das Ergebnis waren Wörterwolken (siehe die Abbildung oben): Je größer ein Wort dort dargestellt wird, desto charakteristischer ist es für das betreffende Merkmal.

Introversion und Extraversion. Schon ein flüchtiger Blick auf die Wolke lässt erahnen, wie introvertierte Facebook-Nutzer ticken: Sie schwelgen ausgiebig in Fantasiewelten, in Zeichentrickfilmen, utopischen TV-Serien. Das deckt sich mit Erkenntnissen anderer Studien, wonach introvertierte Menschen besonders fantasievoll und assoziativ denken. Die Facebook-Einträge signalisieren ferner, dass viele der introvertierten Nutzer ein Faible für japanische Manga-Comics haben – dazu passt, dass sie beim Schreiben heftigen Gebrauch von Emoticons und Kürzeln machen. Insgesamt, so die Forscher, zeigen sie eine Vorliebe für „solitäre Beschäftigungen“ wie etwa Computer und Internet, aber auch Lesen und Zeichnen. Extravertierte hingegen haben die Außenwelt fest im Blick, vor allem deren anregende Facetten: Party, Strand, Wochenende, Mädchen (oder Jungs), Liebe, „kann’s kaum erwarten“. Es sind erlebnishungrige Menschen.

Die Skala zwischen Extraversion und Introversion ist eine von fünf fundamentalen Achsen der Persönlichkeit, die die Forschung in den vergangenen Jahrzehnten ausfindig gemacht hat, den sogenannten Big Five. Schwartz und seine Kollegen nahmen mit ihren Facebook-Wörterwolken auch die vier anderen großen Persönlichkeitsdimensionen ins Visier: Neurotizismus, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit. Die Ergebnisse:

Neurotizismus. „Neurotische“, emotional wenig belastbare Menschen benutzen oft Worte wie „hab’s satt“, „depressiv“, „einsam“ oder „ich hasse“, aber auch Flüche – Ausdruck ihrer inneren Anspannung. Menschen mit geringem Neurotizismus, also emotional stabile, stressresistente Charaktere, vermitteln hingegen den Eindruck, ihr Leben im Griff zu haben. In ihren Posts tauchen oft Wörter wie „Dankbarkeit“, „schön“, „Familie“ oder „Team“ auf; neben der Arbeit („Erfolg“) spielt der Sport („Training“, „Basketball“) eine wichtige Rolle.

Verträglichkeit. Wenig verträgliche, also im sozialen Umgang eher schwierige Zeitgenossen werden ihrem Image auch auf Facebook vollauf gerecht. In ihren Wortmeldungen wimmelt es von Kraftausdrücken wie fuck (in allen Varianten), „Scheiße“, „Nutte“, „verdammt“. Neben diesem Shitstorm bleibt wenig Platz für andere Mitteilungen. Ganz anders die verträglich und friedfertig gepolten Nutzer: Sie baden in positiven Wörtern wie „wundervoll“, „begeistert“, „dankbar“. Daneben nimmt – wir sind in den USA! – bei ihnen der Glaube breiten Raum ein: „Gebete“, „gesegnet“, „der Herr“, „Psalm“.

Gewissenhaftigkeit. In den Posts von gewissenhaften, also fleißigen und selbstdisziplinierten Menschen dreht sich – wie nicht anders zu erwarten – viel um den Job, sie sind „bereit “, „beschäftigt“, „begeistert“ und erleben ein ums andere Mal einen „großen Tag“. Ihr persönlichkeitstypologisches Gegenstück, der undisziplinierte Leichtfuß, hat wiederum eine Vorliebe für Flüche. Auch liebt er offenbar Freizeitbeschäftigungen wie Comics oder Filmchen auf YouTube, die ihm wenig Bewegung und Engagement abverlangen.

Offenheit für Neues. Dieser Persönlichkeitszug drückt aus, in welchem Maß ein Mensch sich für die Dinge jenseits seines Alltagshorizonts interessiert, etwa für Kultur, Literatur, Kunst, aber auch für Psychologie und überhaupt das große Ganze. Und genau von dieser Haltung künden auch seine Spuren bei Facebook. Die Lieblingswörter von offenen Frauen und Männern sind: „Universum“, „Schreiben“, „Musik“, „Träume“, „Seele“. Personen mit einem weniger weiten Horizont hingegen machen in ihren Einträgen einen ungeduldigen und unduldsamen Eindruck: Sie verwenden viele Netzkauderwelschkürzel wie „u“ statt „you“ und Sentenzen wie „kann es nicht erwarten“ oder „kann nicht glauben, dass …“.

Geschlecht. Dass Andrew Schwartz und seine Kollegen bei ihrer Facebook-Durchleuchtung auch typische Unterschiede zwischen Männern und Frauen zutage förderten, dürfte kaum jemanden verwundern. Ganz dem Klischee entsprechend, verwenden Frauen häufiger emotionale Wörter wie etwa „begeistert“, „Liebe“ oder auch diverse Herzchen als Emoticon. Ferner gebrauchen Frauen öfter das Personalpronomen „ich“ – sie erzählen also am liebsten, was sie selbst in ihrem Alltag (mit anderen) erlebt und dabei empfunden haben. Männer hingegen verweisen häufiger auf Gegenstände, ergehen sich in Faktischem. Kommen doch mal Emotionen ins Spiel, dann gehäuft in Form von Kraftausdrücken. Und sie haben eine Vorliebe für das besitzergreifende Pronomen „mein“ – bevorzugt in Verbindung mit ihrer Partnerin: Männer schreiben oft „meine Frau“ oder „meine Freundin“. Frauen hingegen benennen ihren Liebsten auf variantenreichere Weise. Und sie plaudern auch häufiger über die Partner anderer Frauen, also „deren“ Mann und „deren“ Freund.

Lebensalter. Das gigantische digitale Multitagebuch namens Facebook ist auch ein Dokument menschlicher Lebenswege, in dem jede Entwicklungsphase ihre typischen Sprachspuren hinterlässt (Abbildung Seite 73). Emoticons und überdrehter Netzslang wie etwa LOL (laugh out loud), 2F4U (too fast for you) oder FU (fuck you) sind bezeichnend für die Mitteilungen Jugendlicher und Pubertierender. Sie schildern auch gern, wie betrunken sie oder andere mal wieder waren („stockbesoffen“, „Kater“). Reifere Jahrgänge hingegen reden lieber diskret über die Vorzüge des guten Tropfens („Wein“), den sie jüngst genossen haben. Vor allem aber erkennt man die Altersgruppen an den Themen, über die sie sich austauschen. Im jungen Erwachsenenalter steht der Beruf im Vordergrund („neuer Job“, „neue Position“). In späteren Jahren wird via Facebook viel über die Familie geredet, etwa die Sorgen um oder den Stolz auf die Tochter, den Sohn („stolz“ ist ein charakteristisches Adjektiv der reiferen Jahre, junge Leute geben sich hingegen bevorzugt „gelangweilt“). Überhaupt: Das „Wir“ nimmt mit fortschreitendem Alter einen immer größeren Stellenwert ein, und im selben Maße tritt das Wort „ich“ zurück.

Wie man sieht, kann das sprachliche Durchleuchten von Facebook und anderen sozialen Netzwerken ein unterhaltsames Spiel für Grundlagenforscher sein. Aber es könnte sich auch zu einem wichtigen anwendungsbezogenen Instrument bei lebensnahen und konkreten Fragen entwickeln.

Depression. In einer neuen Studie ermittelten Schwartz und sein Team, inwieweit sich anhand der Facebook-Einträge von knapp 29 00 Nutzern ermitteln lässt, wie sich die Depressivität ihrer Verfasser über die Zeit hin verändert. Sie stellten zum Beispiel fest, dass sich die gen Winter hin anschwellende melancholische Grundstimmung auf Facebook spiegelte und sich somit anhand der Posts die Jahreszeit vorhersagen ließ. Überraschenderweise erwies sich das Schimpfwort „fucking“ als der Begriff, der am deutlichsten mit einer depressiven Gemütslage verknüpft war. Auch ansonsten eher mit Aggression in Verbindung gebrachte Wendungen wie „ich hasse …“ oder eine allgemeine Verneinung („I don’t …“) erwiesen sich als depressive Sprachkennzeichen. Dasselbe gilt für das Fragewörtchen „warum“, das nach Ansicht der Forscher womöglich die Bedeutungs- und Hoffnungslosigkeit ausdrückt, die eine depressive Stimmung kennzeichnet. Wie zu erwarten, standen ferner die Wörter „einsam“ und „allein“ mit einer depressiven Gemütslage in Verbindung, vor allem aber das Adjektiv „depressiv“ selbst. Ebenso sind Wörter wie „gestresst“, „müde“ oder „krank“, die eine körperlich-psychische Erschöpfung ausdrücken, mit der Depression verkettet.

Als Anwendungsfeld seiner Methode fällt Schwartz etwa die Kardiologie ein: Wie aus Studien bekannt ist, haben depressive Menschen nach einer Herzoperation eine schlechtere Prognose als andere Herzpatienten und bedürfen daher einer intensiveren Betreuung. Doch ist für die Ärzte oft schwer erkennbar, wer depressionsanfällig ist. Vielleicht, meint Schwartz, könnte man solche Risikopatienten ja via Facebook ermitteln …

Hoffentlich mit deren Einwilligung! Ein bisschen drängt sich bei dieser sprachlichen Ferndurchleuchtung der Persönlichkeit die Assoziation zu Big Bro­ther auf – und zu den Geheimdiensten dieser Welt. Offenbar haben die tatsächlich bereits die Möglichkeit des Mediums entdeckt: In einer Arbeit, die demnächst im American Intelligence Journal erscheinen soll, stellen Forscher des Homeland Security Institute der israelischen Ben-Gurion-Universität ein Computerprogramm vor, das automatisch aus Reden und anderen Sprachspuren „militärischer und politischer Führer“ die Persönlichkeitszüge des Sprechers herausdestillieren soll. Die Forscher um Yair Neuman liefern auch gleich ein paar Kostproben. Hamas-Führer Chalid Maschal: ein Psychopath, unbeeindruckt von jedem Leid, selbst des eigenen Volkes. Der hingerichtete irakische Diktator Saddam Hussein: ein Angeber, aber „nicht irrational in seinem Verhalten, wie die Bush-Regierung fälschlicherweise dachte“. Ägyptens Expräsident Mohammed Mursi: ein „obsessiver“ Charakter, unfähig, das große Ganze zu erfassen.

Mit ihrem Programm der „Vektorensemantik“ verglichen die Forscher aus Israel auch zwei Ansprachen des US-Präsidenten Obama, nämlich seine Reden zur Lage der Nation von 2009 und 2014. Der Befund: Beide Ansprachen sind „bestimmt“ und „organisiert“, wie es sich für einen politischen Führer gehört. Doch die spätere Rede weise Spuren von Ärger und Furcht auf sowie einen gewissen Hang zum Einzelgängertum – wohl das Resultat von „schmerzhaften sozialen Interaktionen“, so die Deutung der Forscher. Dass Präsident Obama mit den Jahren etwas amtsmüde wirkt, wollen manche allerdings auch ohne filigrane Sprachdurchleuchtung erkannt haben.

Literatur

  • Pavica Sheldon: Voices that cannot be heard: Can shyness explain how we communicate on Facebook versus face-to-face? Computers in Human Behavior, 29/4, 2013, 1402
  • H. Andrew Schwartz u. .: Personality, gender, and age in the language of social media: The open-vocabulary-approach. PLOS ONE, 8/9, 2013, e73791
  • H. Andrew Schwartz u. .: Towards assessing changes in degree of depression through Facebook. In: Workshop on computa­tional linguistics and clinical psychology: From linguistic signal to clinical reality. Baltimore 2014, S. 118–125
  • New program to evaluate prominent individuals’ personalities. ScienceDaily, 2.9.2014
Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Die Angst vor Nähe: Psychologie Heute 2/2015