„Für mich bist du Luft!“

Wie reagieren wir, wenn andere uns ignorieren? Die Ergebnisse von sozialpsychologischen Studien sind alarmierend.

Wer sich ausgeschlossen fühlt, empfindet physischen Schmerz. © Karsten Petrat

Für den Schauspieler Bruce Willis ist es die anspruchsvollste Rolle seiner Karriere: Im Film The Sixth Sense spielt er den Kinderpsychologen Malcolm Crowe, der im Verlaufe der Handlung seltsame Dinge erlebt. Niemand redet mit ihm, nicht einmal seine Frau. Er scheint für alle anderen unsichtbar zu sein. Erst gegen Ende erkennt Crowe, dass er bereits gestorben ist und nur noch als Geist durch die Welt stolpert. Die Symbolik dahinter ist klar: Wenn andere uns ignorieren, fühlt es sich an, als wären wir schon…

Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen

uns ignorieren, fühlt es sich an, als wären wir schon tot.

Die sozialpsychologische Forschung zu diesem Thema beginnt mit einem deutlich harmloseren Ereignis. Kip geht im Park spazieren. Ein verirrter Frisbee trifft ihn am Rücken. Kip hebt ihn auf und wirft ihn zurück zu den beiden jungen Männern, denen die Scheibe gehört. Zu seiner Überraschung kommt der Frisbee sofort zu ihm zurückgeflogen, Kip wird von einem unbeteiligten Spaziergänger zum Mitspieler. Doch nach drei oder vier Würfen ist der Spaß schon wieder vorbei: Die beiden anderen spielen nur für sich und beachten Kip nicht mehr. Der lässt die Schultern hängen und fühlt sich erbärmlich. Aber warum eigentlich? Weshalb tut es so weh, von einem Moment auf den nächsten komplett ignoriert zu werden?

Heute gehört Kip Williams zu den angesehensten Sozialpsychologen der Welt. Seine Karriere verdankt er nicht zuletzt der Episode im Park. „Auf dem Nachhauseweg“, sagt er, „wurde mir klar: Ich hatte eine Methode gefunden, Ostrazismus im Labor zu untersuchen.“ Ostrazismus? Damit bezeichnen Psychologen eine Situation, in der Menschen von anderen nicht beachtet oder ausgeschlossen werden. Das Wort stammt aus dem Griechischen und geht zurück auf ein seltsames Ritual im alten Athen. Einmal im Jahr stimmten dort die Bürger darüber ab, ob sie ein „Scherbengericht“ abhalten wollten, um sich etwaiger Störenfriede zu entledigen. War die Mehrheit dafür, konnte jeder Stimmberechtigte den Namen eines unangenehmen Mitbürgers in eine Tonscherbe (ostrakon) ritzen. Wer eine bestimmte Anzahl von Stimmen erhielt, wurde für zehn Jahre in die Verbannung geschickt. Kein besonders freundlicher Brauch.

Ein Spiel namens Cyberball

Was passiert mit uns, wenn andere uns die kalte Schulter zeigen? Um das zu untersuchen, verlegte Kip Williams sein Frisbeeerlebnis ins Labor. Er programmierte ein Computerspiel namens „Cyberball“. Drei Computerfiguren werfen sich dabei einen virtuellen Ball zu, eine der Figuren wird von der Versuchsperson gesteuert. Bei der Hälfte der Probanden geht dieses mäßig aufregende Spiel ohne Störung seinen Gang. Doch der anderen Hälfte widerfährt genau das, was Kip Williams im Park erlebte: Man bekommt schon bald keinen einzigen Ball mehr zugeworfen – die beiden anderen Figuren tun so, als sei man überhaupt nicht da. Nach zwei bis drei Minuten beendet der Versuchsleiter das grausame Treiben und stellt den unglücklichen Probanden eine einfache Frage: „Wie haben Sie sich gefühlt?“ Die erste Reaktion ist immer dieselbe – unabhängig von der Persönlichkeit der Probanden: Man fühlt sich extrem traurig und zugleich extrem wütend.

„Offenbar ruft Ostrazismus in uns eine sehr, sehr elementare Reaktion hervor“, folgert Williams. Er hält die Wut-und-Trauer-Reaktion, die er tausendfach im Labor hat messen können, für eine Art biologisches Frühwarnsystem, eine archaische und ziemlich laute innere Warnsirene. Sie signalisiert Lebensgefahr: Bei unseren Jäger-und-Sammler-Vorfahren kam der Ausschluss aus dem schützenden Clan einem Todesurteil gleich. Noch im antiken Rom galt die Verbannung im Vergleich zur Todesstrafe als das härtere Los.

„Ostrazismus bedroht eine Reihe ganz fundamentaler menschlicher Bedürfnisse“, erklärt Kip Williams. Zum einen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, das im Herdentier Mensch ähnlich tief verankert ist wie das Bedürfnis nach Nahrung und Schlaf. Aber auch das Bedürfnis nach Kontrolle wird massiv verletzt, also der Wunsch, das eigene Schicksal selbst in der Hand zu haben.

Was tun wir, um diese Bedrohungen abzuwenden? Wie verändert sich unser Verhalten? Wir werden mit einem Schlag extrem aufmerksam für die subtilsten sozialen Signale: Ob ein Lächeln echt oder nur gespielt ist, erkennen wir jetzt deutlich besser als sonst. Wir imitieren verstärkt die Körpersprache der Menschen, die uns umgeben. All das geschieht, weil wir wieder Teil der Gruppe werden wollen – mit allen Mitteln. In einem Experiment konnten Probanden sogar dazu gebracht werden, Hühnerfüße zu essen, nur um von anderen wieder akzeptiert zu werden. In weiteren Studien erklärten sich die Versuchspersonen dazu bereit, starke Drogen zu nehmen – nur weil die anderen Personen in der Gruppe das ebenfalls taten.

Die Folgen: Von Sekten bis Amoklauf

„Ostrazismus“, schreibt Kip Williams, „kann ein derart starkes Verlangen in uns wecken, dazuzugehören und von irgendwem gemocht zu werden, dass unsere Fähigkeit schwindet, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Das geht sogar so weit, dass wir uns von so ziemlich jeder Gruppe angezogen fühlen, die bereit ist, uns aufzunehmen – sogar von Sekten und Extremisten.“ Zynische Manager machen sich diesen Zusammenhang zunutze: Um unliebsame Mitarbeiter zu demütigen und wieder „auf Linie“ zu bringen, genügen Kleinigkeiten. Man sagt ihnen einfach nicht mehr Bescheid, wenn ein wichtiges Meeting ansteht, man streicht sie für kurze Zeit aus dem E-Mail-Verteiler – und kann sicher sein: Diese scheinbar harmlosen Maßnahmen werden den Mitarbeiter auf eine ganz fundamentale Art und Weise versunsichern. Er wird in Zukunft alles tun, um wieder in die Gruppe aufgenommen zu werden.

Doch was geschieht, wenn all diese Bemühungen scheitern? Wenn man trotz seines Wohlverhaltens noch immer keine Beachtung findet? Man reagiert nach dem Motto: „Und willst du nicht mein Bruder sein, dann schlag ich dir den Schädel ein.“ Man hilft nicht mehr, wenn anderen aus Versehen ein paar Bleistifte herunterfallen. Man meldet sich nicht mehr freiwillig für ehrenamtliche Aufgaben und spendet weniger Geld für mildtätige Zwecke. Und man wird aggressiv. Kip Williams gab einigen seiner Probanden die Chance, sich für die Zurückweisung zu rächen. Zum Beispiel mit einer extrem scharfen Soße. Der Forscher hatte sie zu Hause persönlich zubereitet – schon ein einziger Tropfen davon führte zu Schweißausbrüchen. Die Rache fiel deutlicher aus als erwartet. Wer zuvor Ostrazismus erlebt hatte, servierte den anderen Probanden die fünffache Menge dieser Höllenbrühe. Bemerkenswert: Das blindwütige Rachegefühl der Probanden richtete sich gegen Unschuldige, gegen Personen, die mit der zuvor erlebten Kränkung überhaupt nichts zu tun hatten. Als der Sozialpsychologe Mark Leary eine Serie von Amokläufen an Schulen untersuchte, fand er heraus: 87 Prozent aller Täter waren zuvor Opfer von wiederholtem Ostrazismus geworden.

Eine archetypische Geschichte vom zerstörerischen Ausgestoßenen erzählt der Film 300, der von der Schlacht der Spartaner gegen das übermächtige Heer der Perser im Jahr 480 vor Christus handelt. Der Bucklige Ephialtes möchte an der Seite seiner spartanischen Freunde kämpfen. Doch die Gruppe schließt ihn aus: Er könne aufgrund seiner Behinderung den Schild nicht hoch genug halten. Enttäuscht wendet Ephialtes sich ab – und verrät schließlich den Feinden einen geheimen Pfad durch die Berge, der den Spartanern zum Verhängnis wird.

Doch Konformismus und Aggression sind noch nicht alles: Wer ausgegrenzt wird, scheint unmittelbar danach auch große Probleme zu haben, sich zu beherrschen – unsere Fähigkeit zur „Selbstregulation“ schwindet. Stellt man eine Schüssel mit Keksen vor die Versuchspersonen, futtern zuvor ausgegrenzte Probanden fast doppelt so viel wie ihre Kollegen aus der Kontrollgruppe. Sie geben auch deutlich früher auf, wenn es darum geht, ein Rätsel zu knacken. Auch schneiden ausgegrenzte Probanden in IQ-Tests auf einmal deutlich schlechter ab, besonders bei Übungen, die ein gewisses Maß an Konzentration und Disziplin erfordern. „Ausgrenzung hat auf die Intelligenz eine ähnliche Wirkung, als hätte uns jemand einen Backstein auf den Kopf gehauen“, sagt der Sozialpsychologe Roy Baumeister.

Tabletten gegen Ausgrenzung

Wenn Ostrazismus wehtut, wie kann man diesen Schmerz mildern? Den Sozialpsychologen Nathan DeWall brachte diese Frage auf eine kühne Idee: Er verabreichte seinen Versuchspersonen über drei Wochen eine tägliche Dosis Paracetamol. Vielleicht, so sein Argument, würde ein Mittel, das gegen Kopfschmerzen hilft, auch den Schmerz der Ausgrenzung lindern. Denn womöglich wird der Schmerz der Ausgrenzung im Gehirn wie physischer Schmerz verarbeitet. Die DeWall-Studie ist in Fachkreisen nicht unumstritten (siehe Interview Seite 45). Dennoch steht fest: Die Tabletten taten ihre Wirkung! Die Probanden reagierten schon nach neun Tagen weniger empfindlich auf die vielen kleinen Akte von Ostrazismus, die uns im Leben unweigerlich widerfahren.

Derlei Alltagssituationen gibt es zuhauf: Alle Nachbarn werden zu einer Gartenparty eingeladen, nur unser Briefkasten bleibt leer. Wir sprechen einem Bekannten auf den Anrufbeantworter und warten danach vergeblich auf seinen Rückruf. Wir schreiben eine E-Mail, aber bekommen über Tage keine Antwort. All diese Geschichten haben etwas gemeinsam: Sie sind überaus mehrdeutig. Vielleicht ist der Einladungsbrief einfach verlorengegangen – und die Nachbarn rechnen in Wahrheit fest mit unserem Erscheinen. Womöglich haben die Bekannten ihren Anrufbeantworter noch nicht abgehört. Unsere E-Mail könnte im Spam-Ordner gelandet sein.

In solchen vieldeutigen Alltagssituationen hilft direkte Kommunikation. Statt still zu schmollen, sollte man die Person, die einen scheinbar ignoriert, direkt ansprechen. „Ich habe keine Einladung bekommen – wollt ihr lieber unter euch sein, oder darf ich vorbeikommen?“ In den meisten Fällen wird sich zeigen, dass es sich eher um ein Versehen als um böse Absicht handelt. Und wenn nicht, dann weiß man wenigstens, woran man ist. In diesem Fall hilft ein einfacher Trick: Man konzentriert sich gedanklich auf seine wirklich engen Freundschaften, auf die Personen, die einem besonders viel bedeuten und denen man wichtig ist.

Wer hat, dem wird gegeben

Der Fall mit der fehlenden Party-Einladung zeigt noch etwas anderes: Menschen sind unterschiedlich feinfühlig für Zurückweisung. Manche wittern überall Antipathie, anderen liegen solche Gedanke fern. Diese rejection sensitivity hängt mit unserem Selbstwertgefühl zusammen. Es wirkt wie eine Brille, durch die wir die Welt betrachten. Laut einer Studie an der Cornell University ist das sogar in unserem Gehirn nachweisbar: Selbstsichere Menschen sind besonders gut darin, positive Signale aus ihrem Umfeld wahrzunehmen – und negative Signale zu übersehen. Menschen mit schwachem Selbstwertgefühl neigen dagegen dazu, vieldeutige Situationen als Kränkung zu interpretieren.

Das ist keine besonders ermutigende Erkenntnis: Wer ohnehin schon vor Selbstvertrauen strotzt, den macht die eigene Persönlichkeit nur noch stärker. Wer dagegen unter Selbstzweifeln leidet, dem liefert die Welt täglich neue Gründe, noch unsicherer zu werden. Psychologen sprechen vom „Matthäus-­Effekt“: Wer hat, dem wird gegeben.

Eine gemischte Labor-, Hirn- und Tagebuchstudie des Sozialpsychologen Todd Kashdan hat kürzlich noch einen weiteren Zusammenhang offenbart: Wer überall nur Zeichen von Ablehnung sieht, hat zugleich auch Probleme, seine eigenen negativen Emotionen präzise wahrzunehmen. Überempfindliche Personen beschreiben ihre inneren Zustände als „irgendwie unangenehm“, während stabilere Menschen recht genau angeben können, ob sie sich gerade „gestresst“, „verängstigt“ oder „verärgert“ fühlen. Kashdan sieht in dieser Erkenntnis eine Chance. Denn seine negativen Gefühle besser wahrzunehmen, das kann man trainieren. Diese Fähigkeit kann als Puffer dienen, um mit mehrdeutigen sozialen Situationen besser zurechtzukommen – und sich ein etwas dickeres Fell zuzulegen (siehe Kasten Seite 42).

Natürlich gibt es Situationen, in denen die Abweisung mit Absicht geschieht: Andere streichen uns bewusst aus ihrem Leben und reagieren nicht mehr auf unsere Mails, Briefe oder Anrufe (ghosting). Freunde, Ehepartner oder Eltern können über Tage oder sogar Wochen jede Kommunikation mit uns verweigern (the silent treatment). All das sind Formen seelischer Grausamkeit. Doch sie bilden die Ausnahme. Die meisten Fälle von Ostrazismus geschehen versehentlich, oft aus purer Gedankenlosigkeit. Erste Studien sprechen dafür, dass Übungen in Achtsamkeit uns aufmerksamer und empfänglicher für die Bedürfnisse unserer Mitmenschen machen können – um ihnen zu signalisieren: „Ich sehe dich. Du bist für mich nicht Luft.“

Ein dickeres Fell zulegen

Ein besserer Zugang zu unangenehmen inneren Zuständen scheint wie ein Puffer gegen soziale Ablehnung zu wirken – besonders bei Menschen mit einem eher schwachen Selbstwertgefühl. Drei Techniken, die dabei helfen:

1. Die Tagebuchübung: Schreiben Sie über eine belastende Situation, die Sie im Verlaufe des Tages erlebt haben. Seien Sie so detailliert wie nur möglich. Wie stark war die Emotion auf einer Zehnpunkteskala? Wodurch wurde sie ausgelöst? Wie hat sich das Gefühl danach verändert? Was haben Sie dabei gedacht? Was haben Sie körperlich empfunden? Wann war die Episode vorüber?

2. Der Vokabeltrick: Suchen Sie sich eine Liste von Emotionswörtern aus dem Internet. Beschreiben Sie für jedes Wort eine Situation, die Sie schon einmal erlebt haben. Was hat Sie wütend, ängstlich oder traurig gemacht? Was hat Sie angeekelt?

3. Das Gefühlsmikroskop: Hier nehmen Sie differenzierte Gefühlszustände unter die Lupe: Wann waren Sie schon einmal besorgt? Beunruhigt? Panisch? Feige? Gehemmt? Misstrauisch? Verunsichert? Was genau war in diesen Momenten los?

Todd Kashdan u. a.: Unpacking emotion differentiation: Transforming unpleasant experience by perceiving distinctions in negativity. Current Directions in Psychological Science, 24/1, 2015, 10–16

„Schweigen kann schlimmer sein als offener Hass“

Sozialpsychologe Ilja van Beest erklärt, warum Ignoriertwerden stärker schmerzt als Anfeindungen

In Ilja van Beests Universitäts­büro kann man eine seltene Urkunde erblicken: Der Niederländer hat vor einigen Jahren den Ig-Nobelpreis gewonnen, eine wissenschaftliche Auszeichnung für Forschung, welche die Menschen „zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken“ bringt. Einige seiner Studien sind tatsächlich ziemlich ungewöhnlich.

Herr Professor van Beest, wie kamen Sie dazu, Ostrazismus zu erforschen?

Indem ich meinem Kollegen Kip Williams eine Wette vorgeschlagen habe. Ich habe gesagt: Lass uns gemeinsam eine Cyberball-Studie machen, also mit dem Computerspiel, bei dem sich die Probanden einen virtuellen Ball zuwerfen. Aber lass uns dabei um echtes Geld spielen. So kam es zu unserem „Euroball“-Versuch. Wir haben dabei zwei Varianten gespielt. Einmal bekommt man eine bestimmte Summe für jeden Ball, der einem zugeworfen wird. In der zweiten Variante muss man dafür bezahlen – man erzielt also einen Gewinn dadurch, dass die anderen einen ignorieren. Wie sich herausstellte, hatte dies jedoch überhaupt keinen Einfluss! Egal ob man Geld gewinnt oder Geld verliert – sobald man ignoriert wird, tut es immer weh. Und die Intensität des Schmerzes ist dabei stets dieselbe. Das hat mich komplett überrascht.

Und wie geht die Spielvariante, die Sie „Cyberbomb“ getauft haben?

Dabei wirft man sich keinen Ball zu, sondern eine virtuelle Bombe, die jeden Moment explodieren kann. Das Spiel ist also eine Art russisches Roulette: Jeder Ball, der zu mir kommt, bedeutet Lebensgefahr. Die Probanden reagierten ähnlich wie beim Cyberball: Niemand ist froh, wenn er ignoriert wird. Es tut weh, ausgeschlossen zu sein – selbst wenn das Eingebundensein gefährlich ist.

Einige Ihrer Kollegen glauben ja: Wenn man eine Paracetamol einwirft, lässt auch der soziale Schmerz nach. Stimmen Sie dem zu?

Wenn wir untersuchen, wie sozialer und körperlicher Schmerz im Gehirn verarbeitet werden, dann sehen wir in der Tat einige Überschneidungen. Trotzdem: Eine Schmerztablette wurde gegen körperlichen Schmerz entwickelt. Ich bin noch nicht komplett davon überzeugt, dass sie auch gegen sozialen Schmerz hilft. Ich würde mich freuen, wenn jemand die von Ihnen angesprochene Studie unter etwas kontrollierteren Bedingungen nachstellen würde.

Was unterscheidet Ostrazismus von anderen Formen der Ablehnung?

Jedenfalls ist es nicht dasselbe, ob man sagt: „Ich hasse dich!“ – oder ob man so tut, als sei der andere gar nicht da. Wer sagt: „Ich mag dich nicht“, hat immerhin Klarheit geschaffen. Man hat die Existenz des anderen anerkannt. Man gibt zu, dass es eine Art Beziehung zu ihm gibt.

Womit richtet man mehr Schaden an?

Fest steht, dass es so etwas wie die dunkle Seite des Schweigens gibt. Ich untersuche das gerade in einer noch unveröffentlichten Studie. Unsere Daten deuten auf Folgendes hin: Wir haben es bei der Ablehnung offenbar mit einer asymmetrischen Situation zu tun. Der Sender denkt, schweigen sei besser für den anderen, die weniger schädliche Wahl. Aber auf der Empfängerseite sieht die Sache ganz anders aus. Wenn wir ignoriert werden, dann ist das schlimmer als offener Hass.

Ilja van Beest, Psychologieprofessor an der Universität Tilburg, ist Europas wichtigster Ostrazismusforscher. In seinen Studien beschäftigt er sich nicht nur mit den Opfern von sozialem Ausschluss, sondern auch mit den Tätern – Resultat: Wer andere bewusst links liegen lässt, leidet selbst darunter, empfindet Schuldgefühle und kann sich nur noch schwer auf anderes konzentrieren

Literatur

Todd Kashdan u. a.: Who is most vulnerable to social rejection? The toxic combination of low self-esteem and lack of negative emotion differentiation on neural responses to rejection. PLOS ONE, 9/3, 2014, e90651

Kipling Williams, Steve Nida: Ostracism: Consequences and coping. Current Directions in Psychological Science, 20/2, 2011, 71–75

C. Nathan DeWall u. a.: Acetaminophen reduces social pain: behavioral and neural evidence. Psychological Science, 21/7, 2010, 931–937

Leah Somerville u. a.: Self-esteem modulates medial prefrontal cortical responses to evaluative social feedback. Cerebral Cortex, 20/12, 2010, 3005–3013

Kipling Williams: Ostracism. Annual Review of Psychology, 58, 2007, 425–452

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2018: Geschwister