Besserer Sex im Sozialismus

Hatten Frauen DDR aufregenderen Sex als in der BRD? US-Professorin Kristen Ghodsee ist davon überzeugt. Über Orgasmen und Ökonomie.

Bild zeigt einen Mann und eine Frau, die sich sich in der Öffentlichkeit küssen.
Der Sex ist besser im Sozialismus: Davon ist US-Professorin Kristen Ghodsee überzeugt. © Harald Hauswald/OSTKREUZ

Frau Ghodsee, Sie zitieren in Ihrem neuen Buch eine 1992 erschienene Studie mit Frauen aus Ost- und Westdeutschland, die nahelegt, dass ostdeutsche Frauen beim Sex doppelt so häufig Orgasmen erlebten wie westdeutsche Frauen. Kann so eine intime Sache wie Sex überhaupt empirisch glaubwürdig erhoben werden?

Bei Studien über sexuelle Befriedigung muss man natürlich stets vorsichtig sein, weil die Daten auf Selbstangaben beruhen. Man kann ja nicht mit den Leuten ins Schlafzimmer gehen. Aber es gibt eine Reihe…

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auf Selbstangaben beruhen. Man kann ja nicht mit den Leuten ins Schlafzimmer gehen. Aber es gibt eine Reihe von Studien, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. 1988 befragten Soziologen Frauen und Männer in der DDR und der BRD, ob sie sich nach dem Sex befriedigt fühlten. Dem stimmten im Osten 74 Prozent der Frauen zu, im Westen hingegen nur 46 Prozent. Das ist ein ganz schön großer Unterschied.

Dieselben Frauen wurden auch gefragt, ob sie sich nach dem Sex glücklich fühlten. Von den DDR-Frauen waren das 82 Prozent, von den BRD-Frauen nur 52 Prozent. Wenn die Daten stimmen, wovon ich ausgehe, dann müssen wir nach Erklärungen suchen.

Sex ist eine private Sache. Sie sagen, Sexualität hänge mit dem politischen System zusammen. Wie soll das gehen?

Auch bei Sexualität ist der gesellschaftliche Kontext relevant. Und das Jahr 1989 bot Wissenschaftlern die unglaubliche Gelegenheit, die Lebenserfahrungen und Prägungen von Menschen aus zwei politischen Systemen – ­dem Kapitalismus in Westdeutschland und dem Sozialismus in Ostdeutschland – direkt miteinander zu vergleichen.

Für Frauen waren die Lebensbedingungen in beiden Systemen sehr unterschiedlich. So gab es etwa in der DDR schon ab den 1950er Jahren eine progressive Familienpolitik. Dazu gehörten gute Mutterschutzregelungen, Arbeitsplatzsicherheit, Ganztagskindergärten; auch alleinerziehende Frauen erhielten vom Staat viel Unterstützung. Dass Frauen Kinder hatten und berufstätig waren, galt also als Selbstverständlichkeit. Im Westen sah das anders aus.

In der Bundesrepublik mussten sich die Frauen um Kinder, Kirche, Küche kümmern?

Dort gab es jahrzehntelang den Grundkonsens, dass Mütter nicht oder nur wenig arbeiten sollten. Deshalb waren Beruf und Kinder für westdeutsche Frauen deutlich schwerer zu vereinbaren. Es gab kaum Ganztagskindergärten und wenig staatliche Unterstützung. Teils ist das heute noch so. Die Ehe war in der BRD jahrzehntelang eine Art Transaktion, in der die Frau eine bestimmte Rolle zu erfüllen hatte und sich ein Stück weit verkaufte. Bis 1977 galt, dass eine Frau nur dann einer Erwerbsarbeit nachgehen durfte, wenn sie dabei ihre Pflichten in Ehe und Familie nicht vernachlässigte.

Das ist heute kaum vorstellbar.

Aber so lange ist das gar nicht her. In Westdeutschland war es auch deutlich schlechter um die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung der Frau bestellt. Bis 1997 war Vergewaltigung in der Ehe nicht strafbar, Sex galt als eheliche Pflicht. Abtreibung ist auch so ein Thema: In der DDR durften Frauen ab 1972 selbst entscheiden, in der BRD gab es erst 1995 eine Regelung, die Abtreibung innerhalb der ersten drei Monate straffrei erlaubte.

Aber waren die DDR-Funktionäre tatsächlich interessiert an Gleichberechtigung? Oder wollten sie durch ihre Maßnahmen nicht einfach die Arbeitskraft der Frauen sicherstellen?

Natürlich wollten sie das. Nach dem Krieg sollte die Wirtschaft funktionieren und dafür brauchte die DDR dringend Arbeiterinnen. Aber Frauenrechte waren immer ein wichtiger Teil der sozialistischen Theorie gewesen. Sozialistische Aktivistinnen haben schon zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts geschickt die Sprache des Sozialismus zu nutzen gewusst, indem sie argumentierten, dass eine Emanzipation der Frau den Sozialismus voranbringen würde.

Dennoch war die DDR weit entfernt von einem geschlechtergerechten Vorzeigestaat: Viele Frauen aus dem Osten sagen, dass die Kinderbetreuung und Hausarbeit dennoch an ihnen hängenblieb.

Absolut richtig. Im staatlichen Sozialismus hatten die Frauen eine riesige Last zu tragen, sie hatten Vollzeitjobs und dann noch die ganze Arbeit zu Hause. Im Westen hingegen mussten die Frauen sich oft entscheiden zwischen Kindern und Karriere. Man sollte den Staatssozialismus in Osteuropa also keinesfalls romantisieren, keiner will zu dem Sozialismus des 20. Jahrhunderts zurückkehren. Aber dennoch gab es in diesen Ländern eine sehr progressive Frauen- und Familienpolitik.

Und diese Politik bescherte den Frauen anscheinend ein besseres Sexleben.

So sehe ich das. Wenn Beziehungen gleichberechtigter und weniger transaktional sind, wenn es in einer sexuellen Beziehung nicht darum geht, wer die Macht und wer das Geld hat, sondern einfach nur um Anziehung und vielleicht Spaß, dann haben Frauen lieber Sex. Und vermutlich auch besseren Sex. In Westdeutschland hingegen schuf der Kapitalismus strukturelle Bedingungen, die Männern unglaubliche Macht über Frauen verliehen; Frauen waren finanziell oft abhängig von den Männern. Damit stieg auch die Chance, dass sie in unglücklichen Beziehungen verharrten. Und in unglücklichen Beziehungen gibt es weniger guten Sex.

Wurden Frauen nicht schon immer strukturell benachteiligt?

Nicht unbedingt. In Zeiten des Feudalismus zum Beispiel trugen Männer und Frauen durch ihre Arbeit auf dem Feld gemeinsam zum Lebenserhalt bei. Es gab noch keine geschlechterspezifische Trennung zwischen formeller Lohnarbeit und informeller Arbeit im Privathaushalt. Ein männlich geprägtes Gesellschaftssystem gab es auch da schon, also lange vor dem Kapitalismus. Aber der Kapitalismus übernahm dann die Gesellschaftsform des Patriarchats und beutete sie aus – zum Nachteil der Frauen.

Inwiefern?

In einer kapitalistischen Gesellschaft wird nur die formelle Arbeit auf den Märkten entlohnt, informelle Arbeit hingegen, wie Hausarbeit oder die Fürsorge für Kinder und ältere Menschen, wird als entkoppelt vom Markt und in dem Sinne als wertlos betrachtet. Im Kapitalismus sollten die Frauen – grob gesagt –unentgeltlich arbeiten und durch ihre Männer entlohnt werden. Diese Haltung hat die westliche Gesellschaft stark geprägt.

Hierzulande gilt Erziehungs- und Beziehungsarbeit immer noch als weiblich. Traditionell werden die damit verbundenen Berufe auch nach wie vor schlechter entlohnt – man denke an Erzieherinnen, Altenpflegerinnen und Grundschullehrerinnen. Inzwischen aber wird auch in diese beziehungsorientierten Branchen stark investiert.

Ja, der Turbokapitalismus, in dem wir heute leben, will nicht nur unsere Arbeitskraft ausbeuten, sondern auch unsere Gefühle. Sie sind die neue Goldmine des Kapitalismus. Das schlägt sich sogar sprachlich nieder. Wir benutzen die Sprache des Geldes, um über Beziehungen zu reden, etwa wenn wir sagen: „Ich investiere Zeit in meine Partnerschaft.“ Oder nach einer Trennung: „Ich bin wieder auf dem Markt.“ Alles wird zum potenziellen Geschäft. Auch Sex und Beziehungen. Sogar unsere privaten Kontakte sind inzwischen zu Waren geworden. Unsere Freundschaften und Partnerschaften werden durch gigantische Konzerne wie Facebook, durch Instagram oder Tinder vermittelt.

Das betrifft ja Männer wie Frauen. Ist der Kapitalismus also nicht auch für Männer eine große Belastung?

Oh ja. Ich glaube, dass Männer inzwischen sogar fast mehr unter dem Kapitalismus leiden als Frauen. Er setzt sie enorm unter Druck. Auch sie sind zur Ware geworden, viele müssen finanziell etwas vorweisen können, um attraktiv für Frauen zu sein. In den USA sinken aktuell die Heiratsraten gerade bei ärmeren Leuten massiv, Frauen wollen sich nicht mehr an Männer binden, die ökonomisch instabil auf sie wirken. Die Vermarktlichung des Datings ist schädlich für alle. Sex wird dadurch zum „Teil des Deals“, zu einem Feld, auf dem sich Macht verteilt.

Nicht wenige Frauen spielen das Spiel aber auch mit und lassen sich versorgen.

Natürlich. Es gibt eine Menge Frauen, die das Arrangement – ich bleibe zu Hause, du verdienst das Geld – in Ordnung finden. Die Vorstellungen davon, was eine gute Mutter ist und wie man ein Kind großziehen sollte, sind allerdings von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich. Umso länger Frauen im Arbeitsmarkt tätig sind, umso akzeptabler ist es in gesellschaftlicher Hinsicht, sein Kind im Kindergarten betreuen zu lassen.

Haben diese Frauen auch dann schlechten Sex, wenn es ihre persönliche Wahl war, zu Hause zu bleiben?

Wenn Frauen zu Hause bleiben, gibt es ja üblicherweise eine ganz klare Arbeitsteilung, wonach die Männer zur Arbeit gehen und die Frauen sich um Haushalt und Kinder kümmern. Und ja, das führt in der Beziehung häufig zu mehr Missstimmung. Eine Studie von 2016 unter heterosexuellen amerikanischen Paaren mit mindestens einem Kind zeigte etwa, dass die Paare häufiger Sex hatten, wenn die Kinderbetreuung gleichmäßiger verteilt war.

Wenn Männer mehr im Haushalt mithelfen, ist auch das gut für das Sexleben des Paares. In einer Langzeitstudie unter 1338 heterosexuellen deutschen Paaren, die im Schnitt seit zehn Jahren zusammen waren, hatten Paare häufiger und auch befriedigenderen Sex, wenn die Hausarbeit zwischen beiden Ehepartnern fair aufgeteilt war.

Sollte der Staat, sowohl in den USA als auch in Deutschland, wie einst in den sozialistischen Ländern politisch stärker eingreifen, um die strukturelle Benachteiligung von Frauen zu beenden?

Ich plädiere selbstredend nicht für einen Sozialismus im Sinne der Sowjetunion oder der DDR. Das waren Einparteienstaaten ohne politische Freiheit und ohne Pressefreiheit. Aber ich finde schon, dass wir uns die sozialpolitischen Ideen des Sozialismus genauer ansehen und schauen sollten, welche Ideen gut funktionierten und wie wir sie an das 21. Jahrhundert anpassen können. Denn die meisten Menschen leiden unter dem entfesselten Turbokapitalismus. Er schafft eine extreme Ungleichheit und Frustration.

Gibt es Staaten, die aus Ihrer Sicht gute Vorbilder wären?

Die skandinavischen Länder. Ich würde sie als demokratisch-sozialistische Staaten bezeichnen, denn sie betreiben in vielerlei Hinsicht eine progressive Sozial- und Familienpolitik. Schweden etwa bietet Eltern 480 Tage bezahlte Elternzeit an, die aber nur gewährt werden, wenn jedes Elternteil mindestens drei Monate Elternzeit nimmt. Das ist eine wirklich gute Idee.

Auch Island und Norwegen haben eine unglaublich familienfreundliche Arbeitsmarktpolitik, in Norwegen etwa arbeiten 33 Prozent der Bevölkerung im öffentlichen Sektor. Und alle diese Länder haben verbindliche Frauenquoten, die die Gleichberechtigung wirklich voranbringen. In Deutschland haben nur die 104 größten Unternehmen verpflichtende Frauenquoten für die Aufsichtsräte, die anderen Unternehmen dürfen freiwillig darüber entscheiden. Und was passiert? Nicht viel.

Haben die Frauen in den skandinavischen Ländern denn auch besseren Sex?

Eine Studie von 2011 zeigte, dass die Kultur eines Landes dem Thema Sexualität gegenüber umso aufgeschlossener war, umso mehr wirtschaftliche und politische Möglichkeiten dort für Frauen bestanden. In Ländern, in denen es mehr Geschlechtergleichheit gab, gab es also generell mehr Sex und mehr Toleranz. In Schweden zum Beispiel haben die Eltern junger Frauen meist kein Problem damit, dass ihre Töchter sich vor der Ehe sexuell ausprobieren. Emanzipierte und finanziell unabhängige Frauen haben dort mehr Möglichkeiten, sich aus missbräuchlichen oder unbefriedigenden Beziehungen zu befreien. Wenn Männer nicht mehr die Möglichkeit haben, Frauen durch ihr Geld zu umwerben, müssen sie sich in Beziehungen einfach besser benehmen. Das schließt auch das Schlafzimmer ein.

Statt politisch nach links zu rücken, haben sich in den letzten Jahren viele Länder allerdings eher nach rechts bewegt. Was geschieht hier mit dem Frauenbild?

Wenn Länder politisch nach rechts rücken, geht damit leider oft die Fantasie einher, dass ein Land erst dann wieder großartig werden könne, wenn die Gesellschaft zu den traditionellen Familienstrukturen und der ethnischen, rassischen und religiösen Homogenität der Vergangenheit zurückkehrt. In dieser Hinsicht ist die extreme Rechte also besonders attraktiv für Männer, die sich durch die moderne Gesellschaft entmännlicht fühlen, weil ihre ökonomische Situation zunehmend prekär ist. Statt dann aber die neoliberalen Strukturen anzuprangern – die vielen ausgesourcten Jobs in Übersee etwa oder den Abbau der sozialen Sicherheiten –, entfachen rechtsextreme Politiker Hass auf Ausländer oder Feministinnen.

Ich bin trotzdem zuversichtlich, dass die Leute irgendwann aufwachen werden. Denn mit Ausländer- oder Frauenhass lassen sich die heutigen Probleme nicht lösen. Die politischen Toolkits, die wir derzeit haben, sind offensichtlich nicht mehr effektiv genug, um die Probleme anzugehen. Deshalb ist es sinnvoll, in die politische Geschichte zu schauen und zu überlegen, welche guten Ideen wir daraus mitnehmen können.

Kristen Ghodsee ist Professorin für russische und osteuropäische Studien an der University of Pennsylvania. Sie forschte auch in Jena und Freiburg. Ihr Buch Warum Frauen im Sozialismus besseren Sex haben. Und andere Argumente für ökonomische Unabhängigkeit erschien 2019 bei Suhrkamp 

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Räume der Seele: Psychologie Heute 12/2019