Eine kleine Wohnung tut’s auch

Seit Jahrzehnten nimmt die Wohnfläche pro Person hierzulande stetig zu. Was brauchen wir wirklich, um gut zu wohnen? Und sind Tiny Houses eine Lösung?

Foto zeigt eine Frau auf ihrem Sofa, die sich in ihrer Wohnung wohlfühlt.
Die eigenen vier Wände: Reichen auch ein paar Quadratmeter weniger? © Silke Weinsheimer

Seit Jahrzehnten nimmt die Wohnfläche pro Person hierzulande stetig zu. Was brauchen wir wirklich, um gut zu wohnen? Und sind Tiny Houses eine Lösung?

Das Haus ist aus Holz, der Anstrich in dezentem Himmelblau. Mit seiner überdachten Veranda vor der Eingangstür würde es auch in einem US-amerikanischen Küstenörtchen bella figura machen. Dazu passt der Name, der in handschriftlichem Schnörkel an der Hauswand prangt – Hampton Beach. Man meint fast, die Schreie der Möwen zu hören und die salzige Meeresbrise zu riechen.

Doch Hampton Beach steht nicht am Cape Cod, sondern im westfälischen Hamm, wo höchstens einmal die Tauben gurren. Und auch von seinen Maßen wäre das Haus in „Gods own Country“ vielleicht etwas deplatziert: Gerade mal 7,20 Meter ist es lang, 2,55 Meter breit und 4 Meter hoch. Es zählt damit zu einer Gattung von Unterkünften, die in Deutschland gerade einen Boom erleben: Hampton Beach ist ein Tiny House, allerdings ein ziemlich luxuriöses. Anfangs hätten vor allem Konsumkritikerinnen und Aussteiger auf der Suche nach einer alternativen Wohnform an den Kleinstunterkünften Interesse gehabt, erklärt Vera Lindenbauer, Sprecherin des Tiny House-Herstellers Diekmann: „Heute werden sie von Menschen jeden Alters nachgefragt, zum Wohnen, Arbeiten oder als Urlaubsdomizil.“

Immer mehr Quadratmeter

Lange Zeit kannte der Flächenverbrauch dagegen nur eine Richtung: nach oben. „1950 hatte jeder Deutsche im Schnitt 15 Quadratmeter zur Verfügung“, erklärt der Stuttgarter Architekt und Wohnsoziologe Tilman Harlander. „Zur Jahrtausendwende waren es schon 40. Jahr für Jahr kam ein halber Quadratmeter dazu – die Linie in den Statistiken ist so glatt, die könnte mit dem Lineal gezeichnet sein.“

Besonders nachhaltig ist das nicht: „Würde jeder so leben wollen wie wir Deutschen, würden dazu die Zement- und Sandvorräte unserer Erde nicht reichen“, meint Harlander. „Unsere traditionellen Wohnvorstellungen stoßen an ihre Grenzen.“ Nicht nur Architekten machen sich daher heute Gedanken darüber, wie wir beim Wohnen mit weniger Ressourcen auskommen können. Diese Erwägung befeuerte auch die Tiny-House-Bewegung. „Viele unserer Käufer möchten ihren Wohnraum bewusst verkleinern und suchen nach einer nachhaltigeren Lösung“, erklärt Vera Lindenbauer von der Firma Diekmann. Sie selbst sieht dieses Argument differenziert: Auch ein Tiny House benötige ein erschlossenes Grundstück, mit Zufahrt, Strom- und Wasserversorgung. Andererseits sei der Material- und Energieaufwand deutlich geringer als für den Bau eines herkömmlichen Hauses.

Muss eine Wohnung alles haben?

„Tiny-Häuser sind letztlich eine Mogelpackung“, urteilt dagegen Architektur-Professor Peter Schwehr von der Hochschule Luzern. „Das Konzept löst die Probleme nicht, sondern trägt eher noch zur Zersiedlung bei.“ Die Motivation, den individuellen Platzbedarf zu reduzieren, hält er zwar für begrüßenswert.

Die Lösung sieht er aber nicht in Kleinsthäusern für jedermann. „Stattdessen müssen wir uns von dem Gedanken trennen, dass die Wohnung alles leisten muss“, sagt er. „Muss sie wirklich ein Gästezimmer haben? Und einen Partyraum? Und dazu noch ein Büro?“ Diese Zusatzausstattung kostet Geld und Fläche, obwohl wir sie zum Teil nur selten nutzen – oder nur in bestimmten Lebensphasen. Vielleicht mutiert das Homeoffice nach dem nächsten Jobwechsel zum reinen Staubfänger. Und wer bekommt schon jeden Tag Gäste?

Den vollständigen Artikel von Frank Luerweg über "Die eigenen vier Wände" lesen Sie in unserem aktuellen Themenheft der Reihe Psychologie Heute compact: Meine Wohnung und ich: Was wir brauchen, um uns wohlzufühlen. Was unsere vier Wände über uns erzählen. Wie wir den Ort fürs Leben finden

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