„Wir finden das andere an anderen schlecht.“

Warum wir Fremdgruppen eher als negativ wahrnehmen, erklärt Hans Alves.

Die Illustration zeigt Hans Alves, Professor für soziale Kognition an der Uni Bochum.
Hans Alves ist Professor für soziale Kognition an der Uni Bochum. Er denkt, dass wir das andere an anderen Menschen schlecht finden. © Jan Rieckhoff für Psychologie Heute

Was zeichnet Sie aus im Vergleich zu den anderen? Viel­leicht sind Sie nett, höflich, rücksichtsvoll, haben ein offenes Ohr für ihre Mitmenschen. So sind viele andere Menschen aber auch. Daher sind diese Eigenschaften nicht besonders charakteristisch für Sie als Person. Was Sie einzigartig macht, sind jene Dinge, die Sie von den meisten anderen Menschen unterscheiden – ungewöhnliche, auffallende Eigenschaften also.

Vielleicht haben Sie Angst vor dem Fliegen, sind vergesslich, trinken übermäßig viel Alkohol, wiegen zu viel oder zu wenig. Wie diese Beispiele zeigen, sind es bedauerlicherweise häufig negativ besetzte Eigenarten, die uns einzigartig machen.

Dafür gibt es einen ganz unschuldigen Grund: Die Welt der positiven Eigenschaften ist schlicht nicht divers genug, als dass wir uns in ihnen stark unterscheiden könnten. Dagegen ist die Welt der negativen Merkmale unendlich vielfältig. Negative Eigenschaften bieten viel mehr Möglichkeiten, uns unterscheidbar zu machen.

Wie schon Leo Tolstoi in seinem Roman Anna Karenina bemerkte, gleichen sich die glücklichen Familien, während jede un­glückliche Familie auf ihre eigene Weise unglücklich ist. Was Familien also unterscheidbar macht, sind ihre Probleme.

Wie Stereotypen entstehen

Aber was folgt daraus, wenn wir Menschen und Gruppen insbesondere durch ihre negativen Eigenschaften unterscheiden können? Fremdgruppen und Minderheiten haben automatisch einen Nachteil. Sie werden in einer Gesellschaft über ihre Unterschiedlichkeit zur bekannten Mehrheit wahrgenommen. An Fremdgruppen fallen uns diese Unterschiedlichkeiten und somit deren vermeintlich negative Eigenschaften besonders ins Auge – und schon lehnen wir sie ab. Dies ist ein Grund für das Entstehen von negativen Stereotypen und Vorurteilen.

Den Blick des „Fremden“ kennen Sie vielleicht auch vom Reisen. Besuchen Sie die USA, fällt Ihnen vor allem auf, was dort anders ist als zu Hause: Die Autos sind größer, die Menschen breiter und es gibt mehr Waffen. Bleiben Sie nun aber eine lange Zeit im Ausland, ist es Ihnen vergönnt, Ihr eigenes Heimatland mit dem Blick eines Fremden zu sehen. Erst dann fällt Ihnen auf, was eigentlich typisch deutsch ist – so wie Amerikanerinnen und Amerikanern in Deutschland häufig auffällt, wie unhöflich die Menschen hierzulande sind.

Die große Diversität negativer Dinge hat übrigens auch zur Folge, dass Roman- oder Filmfiguren fast nie rein positive Charaktere sind – das wäre schlicht zu langweilig, denn sie würden sich untereinander extrem ähneln. Die Faszination des Negativen und der Vorteil der leichten Unterscheidbarkeit entheben uns aber nicht der Aufgabe, unsere Neigung zu Vorurteilen zu bekämpfen und unser Urteil über uns unbekannte Menschen immer wieder zu hinterfragen.

Hans Alves ist Professor für soziale Kog­nition an der Universität Bochum und ­erforscht, nach welchen Kriterien wir fremde Personen beurteilen.

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