Von der Hoffnung auf Frieden

Viele Menschen leben in Gesellschaften mit dauerhaften gewalttätigen Konflikten. Menschen aus Palästina und Israel wurden befragt, was das mit ihnen macht.

Wenn Menschen mit massiver Gewalt rechnen, erscheint ihnen Frieden nicht realistisch. © erhui1979/Getty Images

Gewalttätige, kriegsähnliche Konflikte sind leider nicht immer kurzzeitig. In manchen Ländern leben Menschen sogar Jahrzehnte mit einer solchen Bedrohung. Die israelischen Forscher Oded Adomi Leshem und Eran Halperin von der Hebrew-Universität Jerusalem befragten von 500 israelische und 300 palästinensischen Bürgerinnen und Bürgern, um folgendes herauszufinden: Wie fühlt sich die dauerhafte Bedrohung an? Wie wirkt sie sich auf den Wunsch einer Person nach Frieden aus?

Das Ergebnis: Je mehr die Teilnehmerinnen annahmen, dass sich weiterhin massive und zerstörerische Gewalt ereignen werde, desto stärker sehnten sie sich nach Frieden und desto mehr unterstützten sie eine Politik, die auf diesen ausgerichtet war. Schlossen sie jedoch aus, dass Frieden tatsächlich möglich sei, sank ihre Bereitschaft, eine friedensorientierte Politik zu unterstützen. Dies bedeute aber nicht, dass sich Menschen, die Frieden für unrealistisch hielten, diesen nicht wünschten, betonen die Autoren. Die Schwere der erwarteten Gewalt und der Wunsch nach Frieden seien aber gedanklich und emotional besonders eng miteinander verknüpft. Müssen Menschen über Jahre damit leben, das jederzeit Gewalt passieren kann, erscheint ihnen Frieden jedoch immer unwahrscheinlicher.

Zwischen Sehnsucht und Erwartung 

Diese Gleichzeitigkeit der Sehnsucht nach Frieden und der Erwartung, dass er nicht zustande kommt, sei entmutigend, schreiben die beiden Forscher. Menschen bräuchten, um politische Prozesse der Friedensbildung unterstützen zu können, offenbar beides: den Wunsch nach Frieden und die Erwartung, dass er erreichbar sei – sprich: die Hoffnung. Wenn beides stark sei, so die Autoren, wachse auch die Bereitschaft, Zugeständnisse zu machen und auf Rivalen zuzugehen. Offenbar sinkt aber die Hoffnung, je zerstörerischer und massiver die erwartete Gewalt ist.

Das liegt offenbar daran, dass wir Bedrohung empfinden, bevor wir Hoffnung entwickeln können. Bedrohung sei eine sehr unmittelbare Empfindung, die keine kognitive Anstrengung erfordere, schreiben Leshem und Halperin. Hoffnung dagegen bilde sich erst durch Nachdenken und Abwägen der Wahrscheinlichkeit, ob das gewünschte Ereignis auch tatsächlich eintreten wird. In der Studie sei erstmals das Gefühl der Bedrohung in zwei Kernkomponenten „zerlegt“ worden, so die Wissenschaftler. Es sei gezeigt worden, dass die Erwartung von schwerer künftiger Gewalt andere Gedanken und Gefühle in uns anstoße als die Überlegung, wie wahrscheinlich weitere Gewalt sei.

Der seit Jahrzehnten andauernde Konflikt zwischen Israel und Palästina sei ein typisches Beispiel für eine sehr langwierige Auseinandersetzung, und er erfordere von beiden beteiligten Parteien enorme Investitionen. Der Konflikt sei asymmetrisch, weil Israel politisch, ökonomisch und militärisch überlegen sei. Die Situation in beiden Ländern beeinflusse das Leben und Wohlbefinden der Menschen umfassend, schreiben Leshem und Halperin.

Von dauerhafter Bedrohung geprägt

Die Teilnehmenden wurden daher auch befragt, mit welchen Konfliktereignissen sie jeweils rechneten, auf israelischer Seite beispielsweise Selbstmordattentate und auf palästinensischer Seite Raketenangriffe, und für wie wahrscheinlich sie diese hielten. Außerdem wurden ihre Überzeugungen hinsichtlich des Konflikts erhoben, etwa: „Ich glaube nicht, dass die Israelis wirklich Frieden wollen“ oder „Ich glaube nicht, dass die Menschen in Palästina wirklich Frieden wollen“. Diese Einstellungen wirkten sich jedoch bei beiden Gruppen nicht auf das Erleben von Bedrohung und Hoffnung aus.

Die Mehrzahl der Befragten gab an, auch in der Zukunft mit schwerer Gewalt von beiden Seiten zu rechnen. Bei den israelischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern war der Wunsch nach Frieden etwas stärker. In beiden Ländern fiel die Zustimmung für eine friedensorientierte Politik eher gering aus. Die Autoren berichten, dies stehe im Einklang mit früheren Studien, nach denen das Erleben von massiver Bedrohung längerfristig dazu führen kann, dass eine harte Politik bevorzugt wird, da damit die Hoffnung auf ein schnelleres Ende der Gewalt einhergeht. Das Leben mit einer dauerhaften Bedrohung präge Menschen, es forme ihre Einstellungen und Meinungen zu einer Reihe von Themen: Manche wollten ihr von Konflikten beherrschtes Land verlassen, andere richteten ihre Wahlentscheidungen daran aus.

Oded Adomi Leshem, Eran Halperin: Threatened by the worst but hoping for the best: Unraveling the relationship between threat, hope, and public opinion conflict. Political Behavior, 2021. DOI: 10.1007/s11109-021-09729-3

Artikel zum Thema
Ihretwegen werden Menschen ­ausgegrenzt. Ihretwegen finden Völker keinen Frieden. Ihretwegen verursachen Terroristen Anschläge: Moralische Grundsätze sind die…
Dan Christie, einer der führenden Experten für Friedenspsychologie, über Putins Überfall auf die Ukraine und die Frage, was ihn zum Einlenken bewegen könnte.
Wir alle können den Wunsch nach einer dominanten Führungsperson entwickeln. Warum, sagt der Politikwissenschaftler Michael Bang Petersen.
Anzeige
Psychologie Heute Compact 78: Was gegen Angst hilft